Nr. 603 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 307
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Donnerstag, den 23. Dezember 1926
Pariser Proteste gegen Landau .
Sozialistische Interpellationen angekündigt.
Paris , 22. Dezember. ( Eig. Drahtbericht.) Auf der Rechten hat| das Landauer Urteil verhüllte Berlegenheit, auf der Linfen heftigen Brote ft ausgelöst. Hier zeigt man sich besonders über die lebhafte Entrüftung beunruhigt, die der Urteilsspruch in der öffentlichen Meinung Deutschlands hervorgerufen hat und über die eventuellen Rüdwirtungen, die das auf die faum begonnene Berständigungspolitik zwischen den beiden Bölfern haben fönnte. Das„ Deuvre" hat breits am Mittwochmorgen das Landauer Urteil als verbrecherisch gekennzeichnet.
In der Abendpreffe der Linten vom Mittwoch ist der Ton noch schärfer. Das neue große Linksorgan Le Soir " erflärt, bas Urteil merde sicherlich zum europäischen Frieden nicht beitragen; man finde in ihm weder Sinn für Gerechtigkeit noch für ver. nünftige Politif. Wieder einmal mehr habe ein Kriegsgericht gezeigt, daß es unfähig fei, die Dinge anders als durch die militärische Brille zu sehen; das Landauer Gericht habe gar nicht den Sinn des Dramas verstanden, worüber es zu richten hatte, noch sich über die Schlüffe Rechenschaft gegeben, die man aus feinem Urteil irgendwie ziehen fönnte. Es sei besonders gefährlich und charakteristisch, daß sogar der Regierungstommiffar sich gegen jede Ent spannung der deutsch - französischen Beziehungen aussprechen zu müffen glaubte; er habe diese Entspannung nämlich als die Ursache der Landauer Schießerei hingestellt.(!) Ohne Zweifel, schließt das Blatt, hat das Landauer Kriegsgericht eine verhäng. nisvolle Rolle in bezug auf den europäischen Frieden gespielt, indem es noch sieben Jahre nach bem maffenstillstanb Kriegsziele verfolgt.
In bitterer Ironie äußert sich der„ Baris Soir": Welch prach Bie glänzend beweist es, daß sich nichts an dieser wunderbaren Institution geändert hat, die man Armee nennt. Was
tiges Urteil!
überrascht uns eigentlich an dem Urteil? Das Kriegsgericht hatte mehrere Angeklagte, einen französischen Offizier und mehrere deutsche Zivilisten, abzuurteilen. Es hat den Offizier freigesprochen und die Zivilisten verurteilt. Entspricht das nicht ganz der Tradition und dem Brauch? Man hält uns entgegen, daß das Urteil inopportun sei und das Bersöhnungswerf der Staatsmänner der beiden Länder zu stören risfiere. Man laffe uns doch in Ruhe mit solchen Redensarten. Ist es die Rolle eines Kriegsgerichts, Frieden zu stiften?"
Der deutsche Botschafter hat bereits am Mittwochmorgen im Außenministerium vorgesprochen und über die lebhafte Ent rüftung Mitteilung gemacht, die das Landauer Urteil in Deutsch land ausgelöst hat. Es hat gleichzeitig auf die gefährlichen Folgen hingewiesen, die ein derartiger Zustand für die vernünftige Ent wicklung der deutsch - französischen Verständigungspolitik haben tönnte.
Es ist anzunehmen, daß in allerfürzester Zeit die soziali. ftische Fraktion eine Interpellation über das Urteil in der Rammer einbringen wird. Das Telegramm des Vorstandes der deutschen Sozialdemokratie an die französischen Sozialisten entspricht vollkommen deren eigener Auffassung.
Die Revisionsmöglichkeiten.
leber die Revisionsmöglichteiten des Landauer Fehlspruches sind, wie aus verschiedenen deutschen Breffekommentaren hervorgeht, irrtümliche Ansichten verbreitet, die auf mangelnder Renntnis des franzöfifchen Strafrechts beruhen.
So wird im„ Berliner Tageblatt" die Erwartung ausge sprochen, daß der Antlagevertreter Berufung gegen den
Die Bedeutung des sozialistischen Kongresbeschlusses. Zu unserer Drahtmeldung über den Parteitagbeschluß der polni schen Sozialisten- Opposition mit dem Ziele: Umwandlung der Regierung erhalten wir noch folgende Erläuterung unseres WarSchauer Berichterstatters:
D
Aus der Resolution geht mit aller Deutlichkeit hervor, daß die Vertreter des sogenannten Barteizentrums fowie bie An hänger Bilfubftis immer noch die Mehrheit haben, obzwar die breiten Arbeitermassen zweifellos zu der radikalen Minderheit stehen, die Bilfundski und der gegenwärtigen Regierung gegenüber allerschärffte Opposition einnehmen will. Da die Partei ihren Standpunkt vor Wahlen sicherlich einer Revision wird unterziehen müssen, ist der gestrige Beschluß daher als eine Aufforderung an die Regierung zu beurteilen, ber die Sozialisten noch einmal ihre Mitarbeit anbieten, falls fie von Ihrem bisherigen antiparlamentarilen unb asozialen Kurs abzufchwenken bereit wäre. In der sozialistischen Partei hält man eine solche Schwenfung für durchaus möglich; hierfür foll sich Staatspräsident Moscidi einfeßen, der unlängst eine längere Unterredung mit dem Abgeordneten Genoffen Dr. Diamant gehabt hat 3m anderen Falle, fo fäßt die Resolution durchbliden, würde die PPS. alles aufbieten, um der Regierung eine ge.
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Tschechischer Militarismus.
Friedenspolitik und Aufrüstung.
Prag , 21. Dezember. Freispruch Rougiers einlege. Das ist leider nicht möglich. Das begleitet von den Friedens- und Abrüstungsreden des Herrn Die Rüstungsarbeit des tschechischen Militarismus wird französische Strafrecht sowohl das zivile wie das militärische- fennt fein Berufungsrecht für den Anflageveres verstanden, sich einen Namen als aufrichtiger FriedensDr. Benesch. Der tschechoslowakische Außenminister hat treter. Ein Freispruch ist immer endgültig. Das ist freund zu machen, aber auch den Glauben zu erwecken, der in diesem Fall zweifellos sehr bedauerlich, aber im allgemeiner von ihm vertretene Staat sei selbstloser Förderer des Ahliegt darin ein starfer Schuß für den Angeklagten gegenüber dem rüstungs gedankens. An der Friedensliebe des tschecho Staatsanwalt. flowakischen Außenministers ist nicht zu zweifeln. Aber die Außenpolitik der Tschechoslowakei ist zwiespältig, ist ebenso von modernen, wie schauungen bestimmt, ist zugleich Friedens- und Machtvon vorkriegsdiplomatischen Anpolitik, und so fann es nicht anders sein, als daß diese Außenpolitik ergänzt wird durch eine die Kräfte des Staates aufs äußerste anspannende Militärpolitif.
Das Berufungsrecht steht nur dem Berurteilten zu. Leider sind die Berufungsmöglichkeiten in der Militär gerichtsbarkeit beschränkt. Eine zweite Instanz gibt es nicht. Nur der Raffationshof in Paris fann ein Urteil wegen Formfehler -ähnlich wie in Deutschland das Reichsgericht in Leipzig auf heben und an ein neues Kriegsgericht zurüdverweisen.( Das mürbe aber in diesem Falle nur für die deutschen Angeklagten gelten, nicht für den freigesprochenen Rouzier.)
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Im Falle des Generals von Nathusius , der im November 1924 vom Kriegsgericht in Lille verurteilt worden war, war zunächst Revifion eingelegt worden. Da aber die Unschuld des Generals offenbar war und da die Begnadigung eines Berurteilten nur möglich ist, wenn ein Urteil rechtskräftig, d. h. endgültig ist, tamen die deutsche und die französische Regierung damals darin überein, thufius zu bewegen, auf die Revision zu verzichten, worauf die Begnadigung fofert durch den Präsidenten Doumergue auf Anrater von Herriot erfolgte.
Es muß nun die Frage geprüft werden, ob es nicht zwedmäßig märe, ahnlich wie damals zu verfahren und sich darüber mit der französischen Regierung zu verständigen Denn es ist feir: Zweifel daran, daß das Kriegsgerichtsurteil von Landau Briand min deftens ebenso peinlich ist, wie das Kriegsgerichtsurteil von Lille Herriot unangenehm berührte. Ein nachträglicher Berzicht auf Revision bei gleichzeitiger Begnadigung der Deutschen wäre vielleicht das Zweckmäßigste, da eine Umstoßung bes Freispruchs von Rouster leider doch nicht möglich ist. Und was die Ehre der verurteilten Germersheimer betrifft, fo fann sie durch eir: franzöfifches Kriegsgerichtsurteil nicht befleckt werden, fie braucht also auch nicht reingewaschen zu werden.
Der Reichsaußenminister empfing am Mittwoch den fran. 3ösischen Botschafter in Berlin , den er auf die allgemeine Entrüstung des deutschen Boltes über das Landauer Urteil und auf die sich hieraus ergebenden Gefahren für die Berständigungspolitik aufmerksam machte. Der französische Botschafter erstattete daraufhin sofort Bericht an das Auswärtige Amt in Paris .
Der Protest beim Besatzungskommando. Koblenz , 22. Dezember. ( WTB.) Der Reichskommissar für die befeßten Gebiete, Botschafter Freiherr Langwerth von Simmern, hat heute dem Stellvertreter des hiesigen französischen Oberkommandos gegenüber die tiefe Erregung der Bevölkerung des be: fetzten Gebiets über das Urteil von Landau zum Ausdruck gebracht und die Besorgnis ausgesprochen, daß dieses Urteil die von den Locarno Mächten verfolgte Politik der Berständigung und Befriedung in beklagenswerter Weise beeinträchtigen fönnte.
Im gleichen Sinne hat sich der Reichskommissar telegraphisch an den in Paris weilenden Präsidenten der Interalliierten Rhein landtommission, Tirard, gewandt.
3wiespältig war von allem Anfang an die tschechoSlowakische Außenpolitik; fie war Bölkerbunds= politif, wollte also Durchsetzung eines neuen, friedlichen Geistes in Europa , des Geistes der Verständigung und der Zusammenarbeit, aber sie war zugleich angepaßt der Aufrechterhaltung der Vorherrschaft Frankreichs in Europa , war Bündnispolitik, war Politik der bewaffneten Bereitschaft für den Fall anderer als friedlicher Methoden, war Politit im Dienste Frankreichs und der eigenen antideutschen Tradition und sollte aus der Tschechoslowakei einen wichtigen Eckpfeiler im Wall gegen das germanische Meer" machen. So war denn die Tschechoslowakei , die eben erst entstanden war im Kampfe gegen die alten mitteleuropäischen Militärstaaten, von den ersten Stunden ihres Werdens an schon darauf bedacht, sich ein starkes Heer zu schaffen. Und Frankreich half dabei. Französisches Kriegsmaterial wurde bezogen in jenen Tagen, da die eigene Waffenindustrie noch nicht auf der Höhe war, Frankreich lieferte abgelegte Flug zeuge und stellte Generalstäbler zum Aufbau der tschecholowakischen Armee bei.
wenig anders geworden. Seither ist die politische Situation in Mitteleuropa ein Mit der Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich hat der antigermanische Wall an Wert verloren. Die Wirtschaftsentwidlung wies die Tschechoslowakei immer nachdrücklicher auf gutnachbarliche Beziehungen zu Deutschland hin. Konflitte mit Deutschland hat es übrigens nie gegeben. Und doch: man wird ein geheimes Bangen vor dem Wiederaufstiege Deutschlands nicht los. Die Tschechoslowakei hat doch dreieinhalb Millionen trotz deutschen Ministern!- mit ihrer Stellung im Staate unzufriedener, mit dem Staate nicht ausgeföhnter Deutscher. Und hat dreiviertel Millionen Magyaren und ein die Amputationen der Friedensverträge nie vergessendes Ungarn als Nachbarn. Das einzig wirksame Rezept, die Minderheitsnationen durch weitgehende Selbstverwaltungszugeständnisse an den Staat zu binden, will man nicht befolgenden Nachbarn traut man nicht, den Staatsangehörigen traut man nicht, die ganze Bündnisreihe von Frankreich bis Rumänien hat an Sicherungswert viele verdas gewaltige Heer als einzige Bürgschaft der Unantastbarloren fo erscheint denn den Chauvinisten und Militaristen feit des Staates.
Dieses Heer kann sich schon sehen lassen! Hundertzwanzigtausend bis hundertvierzigtausend Mann, allgemeine Wehrpflicht bei achtzehnmonatiger Dienstzeit, modernste Ausrüftung, fäme es auf die Armee an, dann könnte der Tschechoslowakei wirklich nichts mehr geschehen. Fest ein
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fchloffene Front fämtlicher sozialistischen und genistet scheint sich in den Köpfen der Militaristen der Glaube demokratischen Parteien entgegenzustellen.
Blutiger Kampf zwischen Arbeitern und Polizei.
Warschau , 22. Dezember. ( BTB.) In Dzwiniacz in Dft galizien tam es gestern mittag zu Zusammenstößen zwischen Bolizei und Arbeitern einer dortigen Erdwachsgrube. Die Arbeiter, die wegen Lohnstreitigkeiten schon seit Monaten streiten, verlangten die Stillegung der Grube, die vor einigen Tagen durch neue Arbeiter in Betrieb gefeßt worden war. Als dieses Begehren abgeschlagen wurde, rüsteten sich die streikenden Arbeiter, nachdem sie sich mit Stöcken, Eisenstangen und Steinen bewaffnet hatten, zum Sturm auf die Grube, die sie vernageln wollten. Bald entspann sich zwischen zum Schuße der Grubeneinrichtung herbeigeeilter Polizei und den Arbeitern, ungefähr 150 Mann, ein regelrechter Kampf. Als sich nach einiger Zeit das lebergewicht auf die Seite der Arbeiter neigte, die bereits in das Gebäude einzubringen begannen, machte bie Bolizei von der Schußwaffe Gebrauch und zerstreute die Menge. Ins. gesamt wurden bei den Zusammenstößen auf beiden Seiten drei Berfonen getötet, fünfzehn schwer und zwanzig leicht verlegt.
Dieser Darstellung fieht man sofort das Bestreben an, die Bolizei zu entschulbigen!
zu haben, daß es irgendwie und irgendwann doch einmal zum Kriege tommen müsse. Udrsch a 1, der Minister für nationale Berteidigung, hat erst vor kurzem im Parlamente prophezeit, daß es im Ernstfalle nicht bloß eine Mobilisierung der Armee geben werde, sondern, daß der ganze Staat, daß die gesamte Bevölkerung mobilisiert werden müsse. Um die Bevölkerung vorzubereiten, genügt die militärische Ausbildung der Assentierten nicht. Ein Gefeß, das die gesamte männliche Jugend vom achtzehnten Jahre an zur militärischen Borbereitung verpflichtet, ist im Dann erst, wenn es in Kraft und wirksam geworden ist, dann Werden, und wird wahrscheinlich auch beschlossen werden. erst wird die Dienstzeit verkürzt werden, aber nur für die Infanterie!
Das Auffüttern des tschechischen Militarismus hat bis jetzt achtzehn Milliarden gefoftet. Im Budget für 1927 ist zwar der Voranschlag des Berteidigungsministeriums auf 1400 Millionen herabgefeßt worden, aber das ist nur ein Täuschungsmanöver, denn gleichzeitig wurde ein Rüstungsfonds gefchaffen, der für elf Jahre je 315 Millionen für die Anschaffung Don modernen Waffen sichert. Dieser befondere RüstungsBerteidigungsministerium neue Bedürfnisse des Heeres ent fonds wird nicht hindern, daß in den nächsten Jahren das deckt und eine Erhöhung des normalen Budgets fordert.
Diefe starte, woh ausgerüstete Armee hat natürlich auch wesentliche innere Wandlungen durchgemacht im