Gemeinheiten und Gemeinheiten. � Bon der„nationalen Opposition". Die Parteikorrespondenz der Volkspartei wirft den Deutschnationalen vor, daß sie ihre Opposition gegen die Außenpolitik der Regierung maßlos übersteigert und damit dem Lande geschadet haben. In einem Aufsatz von Albrecht Graf zu Stolberg-Wernigerode in der„National- liberalen Korrespondenz" gegen die„nationale Opposition" der Deutschnationalen heißt es: .Würde es zum Beispiel ein englischer Konservativer wagen, den liberalen A u ß e n m i n i st e r als einen Mann zu be- zeichnen, auf dessen Schwäche und Gefügigkeit die außenpolitischen Gegner Englands in allen Ver- Handlungen stets rechnen können? Er würde sich vor einer solchen Kritik, die nur dazu führen könnte, die llnnachgiebigkeit und Forderungslust der Gegner zu reizen und zu stärken, hüten. Die deutsche Opposition aber, sicherlich die unpolitischste aller Länder, ist allzu oft nach diesem Rezept ver- fahren." .Aber gerade daran fehlt es voll und ganz: es fehlt bedauer- licherweife auch an dem Gefühl, daß nationale Opposition und immerwährende Verleumdung und Verächtlichmachung des leitenden Mannes der Außen- Politik, der das Deutsche Reich gegenüber dem Auslande vertritt, schlecht zusammenpassen." „Gegen die Verleumdungen, mit denen ein Teil der Konser- vativen gegen Bismarck arbeitete, sagte er im Reichstage:„Man be- müht sich nicht, sachlich zu widerlegen und zu diskutieren, sondern man bemüht sich, nachzuweisen, daß der Gegner eigentlich ein schlechter Kerl sei, man spürt in seinem Privat- leben nach, sucht irgendeine wunde Stelle zu finden, kurz und gut, treibt wissentlich Verleumdung. Ich glaube, wir würden, wenn wir etwas mehr Achtung vor den Meinungen der Männer, die gerade zur Regierung gehören— und die find ja auch Menschen und Landsleute—> hätten, etwas weiter kommen." Schließlich setzt sich die„Nationalliberale Korrespondenz" gegen die„neuen G e m e i n he i t e n" des Führers der so- genannten Vaterländischen Verbände, Grafen von der Goltz, in der„Deutschen Zeitung" gegen Stresemann zur Wehr. Gleichzeitig lesen wir in der„Deutschen Zeitung" neue Gemeinheiten gegen Scheidemann : .Landesverräterische Handlungsweise des Obergenosien Scheide- mann, Verrat militärischer Geheimnisse, wir werden uns nicht wundern, wenn wir erfahren, daß Herrn Scheidemann das Kreuz der französischen Ehrenlegion verliehen ist." Gegen solche Gemeinheiten gegen Sozialdemokraten findet sich keine Stimme des Protestes in der Volkspartei. Sie wer- den toleriert. Werden sie zum Unterschied von den Gemein- heiten gegen Stresemann für„national" gehalten?
„dns Fentrum hat die Wahl!" Mit den Sozialdemokraten oder mit..
?
Naivität hat Immer etwas Versöhnendes. Darum bietet der „R e i ch s b o t e", das Blatt der deutschnationalen Pastoren, so oft eine angenehme Lektüre Die anderen deutschnaiionalen Blätter sind jetzt nichts als„Taktik", sie lasten ihre sämtlichen Prinzipien in der Tasche verschwinder. um den Beruf ihrer Partei als regierende Partei der Republik in hellstem Licht erstrahlen zu lassen. Anders der.Reichsbote". Er kann nich� schwindeln, und wenn er es einmal probiert, dann geht es gründlich schief. So bringt er heute einen Leitartikel mit der Ueberschrift„Das Zentrum hat die Wahl", worin auseinandergesetzt wird, daß die Sozialdemokraten„Hochverräter" seien und daß nichts helfen könne als„die Einigung aller wirklich staatserhalterden Parteien". Dazu würden Zugeständnisse notwendig sein, zu denen die Deutsch - nationalen bereit seien. So auf der ersten und zweiten Seite. Auf der dritten aber findet
man in auffälligem Druck folgende„Neujahrswünsche und-bitten eines preußischen Patrioten": Möge das Jahr 1927 uns eine Regierung bescheren, welche die nutzlose, unsere Feinde anreizende, das eigene Volk aber entnervende und darum schädliche Locarno - und Erfüllungspolitik ausgibt, dafür aber den Kampf gegen das Versailler Diktat und seine Lügengrundlaee, sowie nicht minder den Kampf gegen all« Schäden im Innern mit aller Schärfe führt. Möge das preußisch-deutsche Volk endlich seine schwere Schuld erkennen nnd unseren Kaiser und König heimrusen aus den Thron seiner Väter..... „Mit Gott für Kaiser, König, Vaterland" Erkling' es neu, zum Zeichen, daß das Alte Erstand. Und Gottes treue Vaterhand In Gnaden über unserem Volke walte. Da hätten wir also endlich ein Regicrungsprogramml Und so- gar in Versen! Wird da das Zentrum noch widerstehen können?
„Grzieher Zur wahren Demokratie/ Die Teutschna iinalcn! In den„Hamburger Nachrichten" findet man einen Aufsatz des „politischen Beauftragten des Vorstandes der Deutschnationalen Voltspartei", des Reichstagsabgeordneten Treviranus , über die Regierungskrste. Der„politische Beauftragte" gibt sich darin ganz als Anhänger des meist so erbittert bekämpften Parlamentaris- mus, der nur deshalb in Deutschland nicht richtig funktioniere, weil „sein Ablauf künstlich gehemmt" werde. In diesem Zusammenhang prägt er dann den Satz: „Uns Deutschnationalen ist die Rolle des Erziehers zur wahren Demokratie zugefallen." „Der Weg zur freiheitlichen Entwicklung," schreibt er an einer anderen Stelle,„ist offen, sobald sich Männer finden, die ihn gehen wollen. Di« Verfassung gibt dam Reichspräsidenten Recht und Pflicht, sie zu berufen. Es erleichtert die Arbeit, wenn dies« Männer insgesamt oder einzeln Rückhalt im Parlament haben." Parlamentarismus, Demokratie, sogar ,chi« wahre", freiheilliche Entwicklung— das ist jetzt alles in der deutschnationalen Parteibude zu haben. Nur hereinspaziert, meine Herrschaften, nur hereinspaziert!
Neuer Zwischenfall am Rhein . Ter provozierende Offizier. Mainz , 3. Januar. (WTB.) Der„Mainzer Anzeiger" be- richtet über folgenden neuen Zwischenfall: Am Neujahrstage zwischen drei und vier Uhr nachmittags stieg ein französischer Fliegeroffizier mit einer Frau in Gonzenheim in die Straßenbahn. An der Station Waggonfabrik wollte er das End- ziel des Fahrscheins umgeändert haben, was der Schaff- ner pflichtgemäß ablehnte, da eine nachträgliche Aenderung gegen die Vorschriften verstößt. Darauf verlangte der Offizier von dem Beamten, den Strich auf dem Fahrschein wegzuradieren und eine neue Markierung vorzunehmen. Als der Schaffner dieses Ersuchen mit der Begründung ablehnte, daß er sich dadurch einer U r- kundenfälschung schuldig machen würde, antwortete der Offizier mit einem Schlag ins Gesicht des Schaffners, der glücklicherweise, wie auch die anderen Mitfahrenden seine BeHerr- schung nicht verlor. Der Offizier gehört dem 33. Fliegerregiment an. Tie französischen Militärbehörden untersuchen. Paris , 4. Januar. (TU.) Havas meldet aus Mainz , daß die französischen Militärbehörden bis jetzt keine Kenntnis von dem Zwischenfall, der sich zwischen einem französischen Offizier und einem Straßenbahnschaffner zugetragen hat, erhalten haben. Die Unter. s u ch u n g der Angelegenheit ist auf Grund der Zeitungsmeldungen eingeleitet worden. Protest der Stadt Mainz . Mainz . 4. Januar. (TU.) Wie die Telegraphen-Union erfährt, hat die Mainzer Stadtverwaltung aus Anlaß des Zwischenfalles schriftliche Vorstellungen bei dem französischen Kommandieren. den General erhoben.
Des Grafen und des Voltes Stimme. Zwei Erlebnisse aus dem ungarischen Wahlkampf. Budapest , Dezember 1926. Bon den Wahlen, die für das ungarische Volk mit der Schmach gekrönt wurden, daß ein Massenmörder und Raubmörder wie Ivan H e j j a s Abgeordneter werden konnte, wurden im„Magyarorfzag" kurz und flüchtig zwei kleine„Zwischenfälle" erzählt Beide spielen in W a i tz e n. einer Prooinzftadt in der Nähe von von Budapest , wo sich als Wahlbewerber der Graf Julius A n d r ä s s y, ein Anhänger Otto Habsbuigs, und der Staatssekretär des Grafen Bethlen, S z a b o k y, gegenüberstanden. Es wurde selbstverständlich offen abgestimmt. Im Wahllokal erscheint nun ein einige sechzig Jcihre aller Bauer, um sein Wahlrecht auszuüben. Der Wahllciter fragt ihn, für wen er seine Stimme geben wolle. Der Alte gibt nun eine Antwort, die auf die hohen Herren geradezu ver- bluffend wirkt:.Ja. also... bitte schön," sagt er,„ich stimme für Michael Kärolyi!" Zunächst lautlose Stille. Man denkt emen Aikgenblick nach, ob man den Frevler nicht an Ort und Stelle oerhaften und, als des Verbrechens des Hochverrats und der Aufreizung schuldig, den Gendarmen überantworten sollte. Doch im nächsten Augenblick löst sich schon die starre Stille in schallendes Hohngelächter auf. Der blöde Bauer! Der weiß ja doch gar nicht, in wessen Land er lebt! An ihm sind die Jahre feit der verfluchten Oktoberrevolution, die ihm den Frieden, die Bodenaufteilung und die Republik gebracht hatte, ohne jeglichen Eindruck vorübergegangen! Das ist doch ein Natu, wunder!... Na, also, ihr Herren, wollen wir dem Dauern die Wirklichkeit beibringen! Wollen wir ihn aufklären, daß Michael Kärolyi. der Präsident der Volksrepublik Ungarn, feit sieben Jahren als verhaßter und verfolgter Flüchtling, aller Rechte und Vermögen beraubt, im Ausland lebt? Es ist doch eigentlich über- flüssig, den Alten aufzuklären, wir brauchen ja nur seine Stimme... und der Wahlleiter beginnt im gütigen Ton eines gestrengen Vaters: „Das gibt's nicht. Sie können nur stimmen entweder für seine Exzellenz den Herrn Grafen Andrässy oder für sein Hochwohl- geboren den Herrn Staatssekretär Szaboty!" Die Wahlvertreter der beiden Parteien erwarten gierig, welcher Rain« über die Lippen des Mannes kommen wird. Der aber hebt seinen Kopf mit einem plötzlichen Ruck, in seinen alten Augen taucht eine Flamme auf, und er antwortet:„Ja, liebe Herren, wenn ich für Kärolyi nicht stimmen kann, dann will ich überhaupt nicht ab- stimmen... Und schon geht er. Verläßt das Wahllokal, ohne Gruß, ohne ein Wort mehr zu verschwenden.... Ist das lächerlich? Ist das„Naivität"? Ist das Unwissenheit? Nein. Das war ein mutiges Wort eines ganzen Mannes Ein Wort, aus dem Herzen eines schändlich unterdrückten Volkes gesprochen. Die zwelle ist eine Habsburger Geschichte. Graf Andrässy be« suchte in Beglellung seiner Getreuen alle Häuser, alle Wähler der Stadt, wie dies nun einmal in Ungarn üblich ist, um die Wähler
zu gewinnen. In der Wohnung eines ganz kleinen Beamten erhält er von diesem die Antwort, er habe bereits seine Stimme dem Herrn Staatssekretär Szaboky, dem Regierungsmanne, zugesichert.„Und die gnädige Frau?" fragt jetzt der Graf die einfache Frau des Hauses,„Sie werden doch sicher für mich stimmen, zumal ich doch die Interessen eines kleinen Waisenkindes vertrete!" Auf so läppische Weiss versuchen die„Legitimisten" Wähler für das Königtum des Knaben Otto Habsburg einzufangen. Die Veamtenfrau erwidert aber:„Nein, Herr Graf, ich werde nicht für Sie stimmen."—„O, und warum nicht, wenn ich fragen darf?" Der Graf wird von dem kurzen, aufrechten Blick einer braven Frau getroffen:„Darum nicht, well ich es überhaupt nicht begreife, wieso ein Graf Andrässy für einen Habsburger eintreten kann. Wir lernten in der Schule, daß ein Habsburger einen Grafen Andrässy zum Tode verurteilen ließ!" Das war ein schwerer Hieb! War doch der Graf Andrässy, der damals oerurteilt wurde, ein freiheitlich gesonnener Ungar gewesen, der Dater des jetzigen Wahlkandidatn und Anwalts des jungen Otto Habsburg . Und war doch der Habsburger , der den Vater des jetzigen Wahlbewerbers hängen ließ, kein anderer als Kaiser Franz Josef I. , einer der beschränktesten und freiheitsfeindlichsten Tyrannen der Well. Ueber das aristokratische Gesicht des Grafen huscht ein ver- legenes, verlogenes Lächeln. Er stottert:„Und... sehen Sie, gnädige Frau... ich habe das schon längst verziehen..." Die Frau hebt ihren Kopf, und ihre Antwort durchschneidet die Luft: „Ich aber, Herr Graf, ich habe es und werde es nicht vergessen!.. Das sind die beiden Geschichten von den jetzigen Wahlen zu Waitzcn in Ungarn . Solange noch in Ungarn solche Töne, wenn auch nur ganz vereinzell, erklingen, ist dieses Land, Horthy , Habs- bürg, Bethlen und Hejjas zum Trotz, noch nicht verloren. Z.
Sieben Todesurlelle für eine Vergewaltigung. Von dem Volks- gericht in Petersburg wurden kürzlich sieben Personen zum Tode durch Erschießen verurteilt, vier zu zehn Jahren Einzelhast und sechzehn andere zu Gefängnisstrafen von zwei bis zu acht Jahren. Die schweren Strafen wurden als Sühne für eine Vergewaltigung ausgesprochen, der sich nicht weniger als 46 Arbeiter an einem siebzehnjährigen Mädchen schuldig gemacht hatten. Der Prozeß, der das Gericht mehrere Tag« lang beschäftigt, hat in Rußland gewal- tiges Aufsehen erregt. Als das junge siebzehnjährige Ding im Sitzungssaal den Angeklagten gegenüberstand und aufgefordert wurde, die Einzelheiten des ruchlosen Verbrechens zu schildern, brach es in Tränen aus und wurde ohnmächtig. Das Gerichtsgebäude war von einer gewaltigen Menschenmenge umlagert, die von der Polizei nur mit Mühe am Eindringen in das Gebäude verhindert werden konnte. Der Platz wurde dann vom Militär gesäubert, da man fürchtete, daß im Falle eines Freispruchs die entlassenen Angeklagten von der erregten Menge gelyncht werden würden. Die drakonischen Strafen sind' um so bemerkenswerter, als in Rußland bisher selbst Mörder verhältnismäßig milde davonkamen.
Zußangeln für Erwerbslose. Wie man Drückeberger züchtet. Die geltende Verordnung über Erwerbslosensürsorge vom Februar 1924 ist Stückwerk. Das beweisen schon die ungezählten Äusfühningsvorichriften, die aus manchmal recht gewundenen Pfaden unbrauchbare Bestunmungen einigermaßen erträglich auszulegen suchen. Ein Beispiel dafür ist die Bestimmung, wonach nur„infolge des Krieges" bedürftige Erwerbslose unterstützt werden sollen. Bei wörtlicher Auslegung würden hiernach alle die aus der Fürsorge ausscheiden, die infolge außergewöhnlicher Ereignisse (Ueberschwemmungen, Brände) oder infolge Ablausens der Saison arbeitslos werden. Die Auslegung umgeht diese offenbare Ungerechtigkeit und konstruiert nun auch bei diesen die Kriegsfolge, weil sie unter normalen Umständen sofort oder mindestens nach Ablauf einer ge- wissen Zeitspanne wieder Arbeit gefunden hätten. Hat sich hierbei ein Weg gefunden, der wenigstens bei gutem Willen der Bs- Hörden die größten Schwierigkeiten vermeidet, so bestehen eine Reihe anderer Unzulänglichkeiten der Verordnung noch in verminderter Schärfe fort. Die Bedürftigkeitsprüfung/ mangels einheitlicher Richtlinien immer noch eine Angelegenheit, über die der örtliche Arbeitsnachweis nach eigenem Gutdünken entscheidet, birgt stets die Gefahr der Schikane in sich. Ihr unmöglichster Grundsatz, wonach bei der Prüfung auch das Einkommen der z i v i l r e ch t l i ch nicht unterhaltspflichtigen Angehörigen(z. B. Ge- schwifter) mit in Betracht gezogen wird, ist trotz aller Bemühungen der Gewerkschaslen und der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion noch nicht beseitigt. Ein besonders troslloses Kapitel bildet die A n r e ch n u n g v o r- übergehender Arbeit auf den Unterstützungsanspruch. Be- kanntlich müssen bei jedem neuen Antrag auf Erwcrbslosenunter- stützung 13 Wochen krankenversicherungspflichtiger Beschäftigung innerhalb der letzten zwölf Monate nachgewiesen werden. Ein neuer Antrag muß aber immer gestellt werden, wenn ein Erwerbsloser mehralseineWoche wieder gearbeitet hat. War er nun z. B. 46 Wochen unterstützt worden und arbeitete dann aushilfsweise 12 Wochen, so konnte er bei neuer Erwerbslosigkeit keine 13 Wochen Beschäftigung innerhalb 12 Monaten mehr nachweisen. Er schied also aus der Unterstützung aus, während er bei fortdauernder Erwerbslosigkeit noch 12 Wochen unterstützt worden wäre. Diesem Uebelstande suchte die jüngste Verordnung abzuhelfen. Sie bestimmte, daß vorübergehende Arbell von weniger als 13 Wochen nicht in die zwölfmonatliche Frist einzurechnen sei. Aber auch diese Bestimmung beseitigt, wie inzwischen auch die Reichs- regierung feststellen mußte, keineswegs die Möglichkeit, daß durch Aufnahme vorübergehender Arbeit die Unterstütz'ungsdauer verkürzt wird: denn der Erwerbslose, der z. B. 46 Wochen unterstützt wurde imd dann 6 Wochen vorübergehend arbeitete, kann selbst bei Nicht- anrechnung dieser 6 Wochen bei Wiedereintritt der Erwerbslosigkeit keine 13 Wochen versicherungspflichtig« Beschäftigung innerhalb der letzten 12 Monate nachweisen. Er scheidet also aus der Unterstützung aus und verliert somit 6 Wochen seines(52 Wochen betragenden) Unterstützungsanspruches. Aehnlich wie in diesem Falle, der nach Abhilfe ruft, liegt es auch mit der Gewährung der um 16 Proz. erhöhten Unter- stützung nach achtwöchiger Erwerbslosigkeit. Der Erwerbslose, der schon im Genuß dieser erhöhten Unterstützung stand, verliert den Zuschlag, wenn er zwischendurch mehr als eine Woche vorüber- gehende Arbeit leistet. Cr muß bei Wiedereintritt in die Fürsorge erneut acht Wochen warten, bis er die Erhöhung wieder erhält. Naturgemäß fördert ein derartiges Verfahren nicht den Anreiz zur Aufnahme der Arbeit. Dringend nötig ist daher die schleunige Beseitigung der geschilderten Mißstände wie überhaupt des gesamten Restes der Fußangeln und Fallgruben in der Erwerbslosenfürsorge. Sie rufen nicht nur be- rechtigte Entrüstung bei den Erwerbslosen, sondern ebenso berech- tigtes Kopfschütteln bei jedem objektiven Betrachter der Dinge hervor. Höchste Zeit ist, daß endlich mit dem Gesetz der Erwerbslosenversiche- rung ganze Arbeit gemacht wird.
Die mitteldeutschen Sergarbeiter. Stellungnahme zum Arbeitszeitschiedsspruch. In einer von über 366 Delegierten aus allen Braunkohlen- revieren Mitteldeutschlands besuchten Konfernz, haben am 1 Januar die Vertreter aller am Tarifvertrag für den Braunkohlenbergbau beteiligten Organi- sationen Stellung zu dem Arbeitszeitschiedsspruch des Reichs- arbeitsministeriums genommen. Bezirtsleiter Reddigau legte in einer längeren Rede dar, daß die Arbeitgeber in der Arbeitszeitsrage jedes Entgegen- kommen glatt abgelehnt haben und daß sie ohne jedes sozial« Verständnis für die im Braunkohlenbergbau beschäf- tigten Arbeiter den Zwölsslundenkag zu einem Dauerzustand machen möchten. Leider sei das Reichsarbeitsministerium den völlig unberechtigten Wünschen der Arbeitgeber viel zu weit entgegengekommen. C, sei ein gewaltiger Irrtum, wenn Arbeitgeber und Ministerium etwa annehmen sollten, daß die Arbeitszeitfrage zur einstweiligen Beruh!- gung der Bergarbeiter in der beabsichtigten Untersuchungskommission begraben werden könne. Die Arbeitszeitfrage fei aufgerollt worden und die Braunkohlenbergarbeiter würden sich keinesfalls mit halben Maßnahmen begnügen. Das Ziel, das erreicht werden muß, sei der Achtstundentag. Die durch den Schiedsspruch erreichten kleinen Verbesserungen seien völlig unbefriedigend, und die damit in den Reihen der Bergarbeiter ausgelöst« Stimmung müsse für Arbeitgeber und Ministerium eine Warnung sein. In der dem Referat folgenden außerordentlich heftigen Aussprache wandten sich all« Redner entrüstet gegen die arbeiter- feindliche Haltung des Reichsarbeitsministeriums. Es sei ein Hohn, die mitteldeutschen Brounkohlenberg- arbeiter, die nach den eigenen Zugeständnissen der Arbeitgeber ganz außerordentliche Leistungen aufzuweisen haben, mit solchen Schiedssprüchen abzuspeisen. Nur zähneknirschend, der gewerkschaftlichen Dis» ziplin halber, wolle man eine abwartende Haltung einnehmen. Die Annahme würde jedoch eine schwer« Täuschung sein, daß sich in«inigen Monaten die Belegschaften noch einmal auf solche Art und Weis« abfertigen ließen. Sämtliche Redner betonten, daß in dem Willen zur Beseitigung des Mehrarbeitsabkommens die Belegschaften ausnahmslos hinter den Gewerkschaften stünden. Bemerkenswert ist, daß auch die kommunistischen Dele- gierten im glatten Gegensatz zur Stellungnahme ihrer eigenen Presse die von den Gewerkfchaften getroffenen Maß- nahmen rückhaltlos anerkannten: mit ihren Stimmen fand die folgende Enlschiießng einstimmig« Annahme: „Die am 1. Januar 1927 im„Volkspark" in Halle a. d. S. tagende Delegiertonkonferenz der am Tarifvertrag für den mitteldeutschen Braunkohlenbergbau beteiligten Organisationen erklärt zu dem vor- liegenden Schiedsspruch und dessen erfolgter Verbindlichkeits- «rklärung: Di« Schaffung eines Zwangsvertrages, wie es in diesem Falle seitens des Reichsorbeitsminifteriums geschehen ist, wider- spricht allen Gefühlen der Gerechtigkeit uich des Rechtes. Der Zwangstarif vom Dezember 1923 sah nur ein« vorläufige Mehrarbeit über acht Stunden hinaus vor. Wiederholt ist aber in den letzten Jahren durch erfolgte Ver-