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Mittwoch 5. Januar 1927
Unterhaltung unö �Dissen
Seilage Ses vorwärts
Mein Junge.
von Hey. Er ist lang aufgeschossen und hat schmale Schultern. Ein kleiner kranker Mensch ist er, mit braunen glänzenden Augen und zarten Farben. Die Menschen sprechen leise und vorsichtig mit ihm. Sie spüren ein Zucken in den Händen, als mühten sie ihm über das braune dichte Haar fahren und das schmale Gesicht streicheln. Hier in dem Walddorf muh ich ihn lassen, bei der alten mütter- lichen Frau des Lehrers, hier, wo ein Arzt im Dorfe wohnt, der zu der Heilstätte gehört, die wie eine stille Stadt dichtbei im Walde liegt. Wenn ich zu ihm fahre, um ein, zwei Tage bei ihm zu sein, dann gibt er mir Blumen mit, die ich auf das Grab seiner Mutter legen muß. Wir gehen vom Schulhause die lange Dorfstraße entlang. Es ist Sonnabendnachmittag, und nur ein paar Kinder spielen aus der Straße. Ueber die Gartenzäune zwischen den Häusern sieht man die Felder und dahinter den Wald. Und überoll auf den Feldern sind Menschen. Beinahe sieht es aus, als ob es immer dieselben sind: ein Mann mit zwei Pferden und dahinter ein paar Frauen. Die fassen in die Schürze und bücken sich und lassen etwas fallen und gehen mit eigentümlichem Schritt, als ob sie hinken. Da legen sie Kartoffeln hinterm Pflug," sagt Walter wichtig. Und mit dem nächsten Schritt treten sie die Kartoffeln tief in die Erde." Was mein kleiner Stadtjunge schon weiß!" Ja, Vater, ich finde, man wird hier klüger. In der Stadt lernt man so viel aus Büchern und weiß gar nicht, wie das alles aussieht. Das hört sich so dumm an, wenn die Leute dann die junge SaatGras" nennen. Ich möchte nie in der Stadt leben. Komm du doch auch hierher, Vater!" Hast du Angst, ich denke, die Kartoffeln wachsen auf den Bäumen?" Aber Vater! Du doch nicht! Du weißt doch viel." Ach ja."- Walter sieht mich an.Möchtest du nicht?" Ja Kind, ich möchte schon. Aber hier sind doch Lehrer genug. Und ich habe Landarbeit nicht gelernt. Bin gerade solch «in Stadtjunge gewesen wie du." Er machte ein trauriges Gesicht. Aber nicht lange. Cr will nicht traurig sein. Ich weiß schon: Es ist zu einsam hier. Mit den Dorfjungen kann er nicht spielen. Nur die junge Lehrerin kümmert sich außer den alten Lehrersleuten um ihn und geht mit ihm spazieren. Sieh mal Vater, wie alles grün geworden ist über Nacht. Gestern waren die Birken noch beinahe kahl, und heute sind sie hell- grün." Ja mein Junge, das macht das Gewitter und der warme Regen, in der Nacht. War es auch so warm die letzten Tage?" Sehr. Beinahe schwüh als wenn es schon Sommer wär. Ob man nun bald baden kann?" .,O Walter, du darsst nicht bad«n. Noch lange nicht. Bielleicht wenn es ganz heiß ist. Versprich mir. daß du es nicht tust, bi« ich es dir erlaube, hörst du�" Ja, Vater," sagt er, und sieht mich mit seinen braunen Augen an. Ich bin beruhigt. Ich kann mich auf meinen Jungen verlassen. Am Ende des Dorfes, kurz vor dein Wald, ist der Kirchhof. Ganz still und einsam liegt er, von einer niedrigen Fliederhecke umgeben. Eine hohe Tanne steht neben dem Eingang und ist von überall her zu sehen. Sonst ist kein Baum auf dem Kirchhof. Veilchenduft trägt der Wind über die Hecke. Wir sehen sie blühen auf einigen Gräbern am Eingang. Blühen die Veilchen auf Musters Grab auch schon?" Ja, Walter. Di« blühen." Noch ein paar Schritte durch die Felder. Da bleiben wir wieder stehen. Auf dem langen frischgepflügten Streifen zwischen grünen Saatflächen geht ein Mann. Der stößt einen schweren Gegenstand in gleichmäßigen Abständen in die weiche Erde. Weißt du nicht, was der macht, Vater? Der stukt." Stuken was ist denn dos?" Er macht Löcher für die Kartoffeln, weißt du, damit die Reihen schön gleichmäßig werden." Ach so." Das riecht so schön, Vater!" Was denn?" Die Erde, wenn sie frisch umgepflügt ist." Im Walde ist es kühler und frischer als auf dem freien Feld in der Sonne. Und es riecht� harzig. Recht» vom Wege stehen im Grase Anemonen, unzählige,' ein ganzer Teppich, weiß und grün. Und oben rauschen die dunklen Kronen im leisen Wind, und das junge Laub der Birken tut sich wichtig. Wenn du morgen ab«nd wieder fortgehst, pflück ich dir einen großen Strauß. Den legst du auf Mutters Grab, Vater, von mir." Ich fahre meinem Jungen mit der Hand über das braune Haar und nicke. Du bist ja gewachsen, Waller, wie mir scheint." Walter reckt sich.5o. Vater. Dir bis ükxr den Ellbogen, sieh mal. Ich hin ja auch dreizehn Jahre. Nun muh ich wohl bald sagen, ich werden will?" Na, was wird das wohl sein! Schornsteinfeger? Oder See- mann?" Aber Vater!" sagt Walter vorwurfsvoll.Nein aber weißt du was? Gutsbesitzer möchte ich lernen!" Na ja! Dielleicht! Wollen mal sehen!" Kleiner Schelm will Gutsbesitzer lernen und hat einen armen Lehrer zum Vater! Wir sind an einem großen, einsamen Waldsee, der geheimnis- voll und verträumt zwischen dunklen Waldrändern liegt. Glatt ist seine Fläche, nur leicht gekräusell an den Rändern. Die weißen Windwölkchen und der blaue Himmel spiegeln sich in ihm. Drüben sieht man über dem hohen Schilf zwischen den braunen Stämmen hier und da etwas Rotes und Helles. Da liegt eine Lungenheil- stätte, und beinahe 200 Menschen wohnen dort. Das sind stille kranke Leute. Ihr Dasein stört nicht d'e große wcllferne Ruhe dieses Bildes Die Fichten rauschen ernst, ob Frühlinaswind oder Sturm über ihre Häupter geht. Und der Unterton ist das leise flüsternde Plätschern der kleinen Wellen zu ihren Füßen. Es klingt wie heimliches Raunen von fernen Zeiten, als noch der wilde Jäger über die märkische iäeide zog, und das Volk rund herum in den Wäldern den alten Göttern diente. Sieh Vater, das wollte ich dir zeigen: die neue Kirche der Heilstätte. Die sieht so hübsch aus von hier über den See."
Drüben am Ufer steht zwischen den schlanken Stämmen ein roter Sandsteinbau mit einem bunten Kirchenfenster. Darüber schließen die Fichtenwipfel den Rahmen. Wie neugierig schauen sie herunter auf dos Kirchlein, das man da zwischen sie gefetzt hat. Den alten Göttern dienten die Menschen unter freiem Himmel, dem Christengott aber baut man Häuser. Und am Sonntag klingt Orgelton und Glockenläuten zwischen ihr Rauschen. Wir setzen uns auf einen kleinen sonnigen Hügel und sehen über den See. Vater," sagt Walter,die Leute da drüben sehen alle ganz gesund aus und sind doch krank und dürfen nicht arbeiten. Das ist schrecklich, nicht wahr?"
Ganz Italien  
im Zeichen öes Faschismus!
Ich denke an seiner Muster große glänzende Augen und frische Farben, wie sie noch im letzten Jahre war und wie das dann so rasch verfiel. Waller sieht aus, wie sie. Und die alte Angst kommt wieder, die Angst um meinen Junge». Was soll werden aus ihm, wenn es so steht, wie die Aerzte sagen? Ich fürchte nnch vor dem Schicksal. Diese Furcht läßt mich die Hand nicht ausstrecken nach einem neuen Glück, das so dicht bei mir steht und mich nüt guten Händen und schöne» Augen lockt. Ich bin feige geworden. Ein kühler Luftzug weht über den See. Es wird Abend. Komm, Walter." Viel Spreche» ist nicht üblich zwischen uns. Walter ist zufrieden. wenn er neben seinem Vater geht und er weiß, daß er nicht viel sprechen darf. Ich denke an Nahes und Fernes. An der Tür des Schulhauses steht der Lehrer und schaut nach uns aus. Waller springt voran ins Haus. Und er kommt wieder: Vater weißt du, was es gibt? Rührei mit Schinken. Komm schnell." » Die Eichen haben jung« Blätter, Vater. Du mußt bald wieder einmal kommen," schreibt Walter. Ich kann jetzt nicht kommen und vertröste ihn auf den Somnier, dann will ich ein por Wochen bei ihm bleiben. An einem schönen Frühlingsabend habe ich doch noch dem Glück gegriffen und habe es festgchalien. Und nun hält es mich mit schlanken Frauenhänden. Mein Junge merkt mit seinem feinen Kindersinn den frohen Ton in seines Voters Briefen.  Wifcht die Martha jetzt besser Staub bei dir, Vater?" fragt er. Das Glück hat in meiner Seele Staub gewischt, mein Junge. Di« Feigheit und den schweren lähtnendcn Ernst hat es hinaus- geworfen. * Ich Hobe ein Telegramm in der Hand, in dem steht:Walter ist sehr krank." Eist paar Stunden später weiß ich: der Nachtwächter hat ihn bei seinem Rundgang iin klaren Mondschein aus den Steinstufen der i Schule sitzend gefunden, im Nachthemd und bloßen Füßen.
Vater kommt!" hat er gesagt, als der alle Mann ihm die Hand auf die Schulter legte, und seine Zähne schlugen im Frost aufein- ander. Di« Haustür stand weil offen hinter ihm und der Alte brach!« ihn ins Haus und weckte den Lehrer. Ich fand ihn noch, als ich ankam. Aber es war kein Blick des Erkennens mehr in seinen brechenden Augen. Und dann betteten wir ihn«in paar Tag« später ans den Friedhof am Waldrand, über den die Birken mit ihren hellen Fahnen wehten. Das Glück ist da und die Angst um nnünes Jungen Zukunft ist fort. Und mein Herz ist schwer und traurig.
öericht eines Seemannes. Von W a l t h e r E. O s ch i l e w s t i. Ich heiße Paule Schmitthenner und bin zweiicr Steuermann auf einem brüchigen Doppelschraubendampfer, den ein verrückter Reeder Jerusalem  " taufte. Ausgerechnet Jerusalem  ! In Holstein erblickte ich ain 18. März 1892 das Licht dieses kleinen Vortors unserer großen Welt; meine Mutter war vom Lande gebürtig, mein Vater ehemals Walfischjäger, erster Harpunier, dann Dorfschuster und ist nicht mehr. Ich bin jetzt etwas dick um die Waden eine Anlage von Kindesbeinen her, unrasiert, mir einem harten Schädel und fahr wohl an die zwanzig Jahre. Eine Braut habe ich nicht. Anna-Marei, die mir einst hübsche Augen machte, sitzt jetzt in Rotterdam   mit einem reichen Zwiebel- und Gemüsehändler. Als ich es erfuhr Vater Stessen brachte mir die Kunde, verfosf ich die Heuer Februar September und schlug aus den großen Eichentisch(es war imStrammen Fssch"), daß ein ganzes Regiment halbgefüllter Gläser einen klirrenden Marsch gegen die Decke trommelte. Manchmal juckt es mir noch, diesem sau- dummen Salatwächier Feuer ins Gewerbe zu legen aber dann jage ich mir, man soll die Leute leben lassen. Im September dieses Jahres wurde unser alter Kasten frisch getüncht und huriig aufgetakelt, lud Stahl und Glaswarcn für M. E. Sidney u. So» in Alexandrien  , bekam einen neuen Hunds- gemeinen Kapitän, der auf den Namen Lainmerle hörte(Käptn Lammerle!), einiges Geflügel, Kaninchen, frisches Fleisch und trockenes Stroh und fuhr am 3. September, fünf Uhr Glasen die Uhr am Backbord schnurrte ab, nach'Alexandrien   los. Ein hübscher Wind saß uns im Rücken. Wenn ich von nnierwegs erzählen soll, so ist nichts Besonderes vorgefallen. Die Arbeit ist immer dieselbe, das Essen ist trotz des jungen Geflügels gleich schlecht, der Jux an Bord ist auch immer der- selbe. Manchmal kriegt man wohl ein neues Gesicht vor die Nase: einen Grünling, einen Halbmaster, oder einen alten Seehund. Das sind die rechten: mit zerhauenen Ohren, aber stramm, wenn der Kessel brummt, und bis in den Mastkorb können sie spucken. l4 Tage hin ei» blanker Himmel über uns. Wie eine Pauke. St. Bicent und Portugals   Küste schlössen den Himmel ab.'Nachts ritten Schwarzgeister durch die Rahen: kleine Sterne brannten wie Zündhölzer i» der Schwärze. Je weitcr wir den Süden hinunter- schwammen, desto heißer kroch uns Afrika   in unsere Nasen. Hinter Gibraltar   wir fuhren weiter, ohne im englischen Hafen anzulegen gab es Hollah! Es begann gerade ein wenig zu regnen, der Wind pfiff leicht an, da trafen wir unsere kleinere, nicht weniger spack aussehende Schwester, die DreimasterbarkViktoria". Alles was laufen konnte, schoß aus das Deck, selbst der dicke Koch Baldiran trudelte aus der Kambüse. Drüben, von einem dünnen, grauen Rege» wie in ein Tuch gewickelt, war noch ein letztes Stück Heimat, ein Fetzen Harmonikagedudel, ein Streifen Weiberheinb. Alles brüllte zu derViktoria" hinüber, winkte, die Arme ruderten, die Leiber hingen wie Säcke über die Rceling, dann war der Rest Erinnerung weg. So liegen wir jetzt auf dem Wasser: unsere Fußwurzeln können Wind und olle flüssigen Elemente saugen, bis sie genug haben. Wir schaukeln immer, auch wenn wir nüchtern sind und haben oft Ge- schmock nach einer Handvoll Erde  . Nur immer Wasser, das einem in die Augen kneift, nur immer Land in Ferne, baß man kurzstchstg werden könnt«: wir sehen ja nichts weiter. Zlber ich möchte auch nicht aus dein Lande leben. Ja, vielleicht «inen Sommer mal, wenn Zeit wäre. So in den Wald zu kriechen, Laub zu schneiden. Füchsen aufzulauern, das mag schön sein Wer von uns Seeleuten weiß den», wie alles wächst und in den Herbst getragen wird! Uns spült dos Meer in das Hinüber. Wer ist nicht schon olles in deii Tod geschwommen? Mein Freund, der Job, will auch nicht auf dem Lande leben, obwohl es vielleicht wärmer wäre Er meint, diese Leute hätten einen Frosch in der Stimme und weiches Fleisch, und d'e Amrainer nennt er Landwarzcn und die in den Städten Sladtpfcifer. lind fast alle müßten ja in den Betten sterben. Aber»ich! nur Job, auch Klaue, Riebold, auch der Tim Wulper, unser Dcutschaustralier, meinen so. Wir wären alle zufrieden, wenn das Essen etwas besser wäre. Das Dörrgemüse zerkratzt einem die Kehle und bleibt irgendwo stecken. Und das salzige Schweinefleisch zerfrißt den Geschmack. Aus dem Kapitän machen wir uns gar nichts. Wenn der brummt, spucken wir. Kein Neuling ausJerusalem  " darf uns in die Taue treten, und wenn er hundertmal in Grönland   mit einem Eisbären tanzen könnte! Wir find alles stramme Iungens, alle Mitte dreißig. Wir machen unsere Arbeit. Wenn Freizeit ist, spielt Riebold einen Niggcrsong und was Derbes aus der Heimat. Es 'stinkt dann wieder nach Hamburger Knaster. Die Sterne, die der osrikamsche Himmel deckt, stehen auch über St. Michael. Wo wird Fiele fein? Olga? Ob der Wirt vomStrammen Fiich" wieder jemanden auf die Straße setzt? Der Kerl soll sich hüten, wenn wir heimkommen.! Der Schminktops der Armi Pharao. Einer der beinerkenswer- testen Funde des Dr. H. Carter im Grabe Tut-anch-Amons in Luxor war ein versiegelter Schininktopf aus Kalkspat  . Als man das Gefäß öffnete fand man eine erhebliche Menge eines Schönheit?- mittels, das eine recht ungleichartige Mischung darstellte, und dein ein deutlich wahrnehmbarer Festgeruch entströmte. Die Masse wurde von dem englischen Chemiker dhopinff» analysiert: leider ist das Geheimnis der altägyptischen Toilettenchemie nicht zu ent- hüllen gewesen. Das Ergebnis der Analyse läßt die Frage über die Natur der angewandten Fette offen. Es scheint indessen wahr- scheinlich, daß diese Schminke aus etwa 99 Prozent eines tierischen Fettes und aus 19 Prozent Harz oder Bnlstim bestand. Im Lauie der Zeit hat dann dieser Balsam der Fettmassc den Geruch Mit- geteilt, der das Hauptkennzeichen dieses altägyptischen Schönheits- mittels aus der Zeit der Pharaonen bildet.