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Abendausgabe

Nr. 1344. Jahrgang Ausgabe B Nr. 6

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10 Pfennig

Sonnabend

8. Januar 1927

Vorwärts=

Berliner Dolksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Der falsche Zollernprinz.

Seine Vernehmung in Köln .

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Er lacht über die ihm Aufgesessenen.

Köln ,&. Januar. ( Eigener Drahtbericht.) Der am Freitag| verschwinden. Seine Geldmittel waren aber alle, und er pumpte ruorgen in Euskirchen verhaftete falsche Hohenzollern fich vom Hoteldirektor einige hundert Mart und ein Auto und fuhr prinz ist inzwischen nach Köln gebracht worden und dort von der nach Gotha . Dort hatte er den Garnisonälteften der Reichswehr Polizei am Sonnabend morgen einem längeren Berhör unterzogen Freiherrn von Grothe von seinem Besuch verständigt. Er wurde morden. Dabei hat Domela recht intereffante Ausführungen ge- feierlicht empfangen und bat ihn, auf die Presse einzuwirken, macht, die wieder einmal zeigen, wie leichtgläubig die monarchisti- daß sie seine Anwesenheit nicht mitteile. Den gleichen Wunsch trug schen Kreise auf seine Schwindeleien hereingefallen sind, die in ihm den er auch später dem Kommandeur des dortigen Reichs­wehrregiments vor. Seine Erlebnisse im Schloßhotel in Prinzen von Preußen alias Prinzen von Lieben alias Baron Korff Gotha sind so amüsant, daß fie etwas ausführlicher behandelt fahen. Seine Gastrolle als Prinz begann in dem hoch werden sollen. Er bezog dort eine fürstliche Sechszimmerwohnung. feudalen Heidelberger Studententorps Sago Boruffia. 21s feine Anwesenheit bekannt wurde, wurde er Er führte sich damit ein, daß er im Klublotal des Rorps den ersten Chargierten zu sich bitten ließ und sich diesem als Prinz von Lieben vorstellt mit der Motivierung, daß sein jüngerer Bruder im nächsten Jahr in Heidelberg studieren wolle und dem Rorps bei zutreten beabsichtige. Er wolle fich das Korps deshalb einmal näher ansehen. Domela stieß auch nicht auf das geringste Miß trauen, trotzdem er einen Anzug trug, der ihm im entgegen gesezten Fall die Möglichkeit, daß es sich um einen Prinzen von Lieben handele, sehr zweifelhaft hätte erscheinen laffen. Aber Graf Rothkirch- Trasch und feine Korpsbrüder tamen nicht auf den Ge­danken, daß es sich um einen falschen Prinzen handele. Auch Graf Herzberg nicht, der für ihn die Zeche bezahlte und ihm noch etwa 150 Mart pumpte! Bis schließlich der alte Herr des Korps Graf Arnim Boizenburg anscheinend doch etwas mißtrauisch murde und den Prinzen nach einigen Chargen des 4. Reiterregiments fragte und dafür die echt prinzlich schnoddrige Antwort erhielt: das könne er ja in der Rangliste selber feststellen!

Domela wurde der Boden denn doch zu heiß, und er verschwand nach Mitteldeutschland . Ihm war inzwischen seine

Aehnlichkeit mit dem jüngeren Wilhelm ausgefallen, und er beschloß, seine Rolle als solcher mit dem Infognito Baron Korff weiter zu spielen. In Erfurt stieg er im Hotel Rossenhaschen ab, verlangte eine hochfeudale Zimmerflucht in der ersten Etage, ließ sich sofort, weil man anscheinend an seiner Echtheit zweifelte, ein Telephongespräch mit seinem Bruder", dem Brinzen Louis Ferdinand , herfstellen, von dem er genau mußte, daß er nicht in Potsdam sei, führte das Gespräch in ent­fprechender Form und hatte damit seine Echtheit dokumentiert". Cine größere Geldsumme, etwa 3000 m., verschaffte er sich von dem

hamburger Arzt Dr. Weiland, über dessen persönliche Beziehungne zu ihm er die Aussage verweigert. Bei der Erzählung seiner Abenteuer gibt sich Domela einer sehr amüsanten Stimmung hin. Er sagt felbst: Nicht wahr, ich habe doch

den Hauptmann von Köpenid glatt geschlagen?" Und dann ging es weiter. Seine Anwesenheit wurde von der Bresse lebhaft tommentiert. Aber da tam ein Telegramm, das einen gewiffen Herrn von Berg als Hotelgaft für den nächsten Tag an­pieldete. Man nahm an, es handele fich um den hohenzollernschen Bermögensverwalter und informierte den Prinzen. Domela mußte

Klaffenkampf und Koalitionspolitik

Eine politische Auseinanderschung.

Bon Eduard Bernstein .

Als die Frage der Bildung der Großen Koalition von neuem afut wurde, erklärte ein voltsparteilicher Politiker, er halte jede Regierungstoalition mit den Sozialdemokraten für widerfinnig, solange diese nicht ihrer Lehre Klassentampf des Proletariats den Abschied gegeben haben. Ein Ausspruch, der anscheinend dadurch ge­rechtfertigt wird, daß es im sozialistischen Lager wiederum Leute gibt, die ihrerseits eine Regierungskoalition der So­zialdemokratie mit bürgerlichen Parteien für ein Preisgeben des rechten Klassenfampfgedankens oder mindestens das Be­treten einer schiefen Ebene halten, die zu jener Preisgabe hinabführe. Aehnliche Gedanken sind auch, wenngleich in anderer Form, von bürgerlichen Anwälten der großen Koa lition geäußert worden, und so wird es zeitgemäß sein, eina mal zu untersuchen, ob etwas, und was etwa, an ihnen richtig ist.

von den Angehörigen der ehemaligen Hofgesellschaft empfangen. Bir nennen: Don Bassewitz, den früheren herzoglichen Ministerpräsidenten, weiter Freiherrn von Wangenheim, die Freiherren von Rrosigt und von Blücher . Weiter eine ganze Anzahl Herren und vor allem Damen der ehemaligen Hofstehen? gesellschaft.

Als er mit einem Major a. D. in der Hotelhalle faß erschien fehr untertänigft Oberbürgermeister Dr. Scheffler Gotha mit ehr­furchtsvoller fiefer Berbeugung. Er hatte die Absicht, Seiner Kaiserlichen Hoheit seine Aufwartung zu machen, wagte das aber nicht, weil der Prinz in Gesellschaft war. Später ließ er den Brinzen fragen, wann er vorsprechen dürfe. Dieser gab dem Ober­bürgermeister die Ehre, persönlich im Rathause zu er scheinen. Auf die Frage Dr. Scheflers, ob Kaiserliche oder König­liche Hoheit die richtige Anrede sei, sagte ihm Domela, daß er zwar auf diese Titel Anspruch habe, aber bei älteren würdigen Herren es ihm durchaus genügen würde, wenn man ihn einfach mit Bring Wilhelm anreden würde. Scheffler fühlte sich sichtlich geschmeichelt und machte von dieser Anrede Gebrauch. Köstlich ist auch, wie Do­

mela über feine Unterhaltung mit von Ballewiß und den übrigen hohen Herren lächelnd plaudert. Politisch besonders interessant ist die Tatsache, daß sich nicht nur Reichswehroffiziere bis in die höchsten Spitzen, sondern auch hehe Offiziere der thüringischen Landespolizei von ihm täuschen ließen. Recht nett ist auch das Erlebnis mit einem ofbädermeister, der in sinnloser Besoffenheit nichts Befferes zu tun wußte, als

dem Prinzen die Hand zu füffen.

Als Domela endlich doch der Boden zu heiß wurde, verschwand er nach Bestdeutschland, wo er dann in Euskirchen in der bekannten Beise vor dem Eintritt in die Fremdenlegion bewahrt wurde.

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Domela betont ausdrücklich, daß er feiner Partei angehöre und auch niemals einer solchen angehört habe. Der ganze Bartei. schwindel" widere ihn an. Natürlich habe er auf Grund seiner ganzen Erziehung eine fonservative Beltanschauung. Seine Handlungsweise entspringe lediglich seiner wirtschaftlichen Not lage und einer gewissen Lust am Abenteuer. Er hat nur den einen Wunsch, nicht nach Gotha abtransportiert zu werden, weil er die Herrschaften doch zu start hincingelegt habe.

Englands Zusammenbruch in China .

Die Räumung von Süd- und West- China im Gange.

London , 8. Januar. Eine Reutermeldung aus Defing bejagt: Die Tatsache, daß Hunderte von britischen Staatsangehörigen, die in China friedlich ihren rechtmäßigen Geschäften nachgingen, einer unwürdigen Behandlung ausgefehl waren und von ihrem Heimstätten vertrieben wurden, wobei fie fo gut wie ihre ganze Habe im Stiche laffen mußten, wird hier als ein sehr ernster Schlag gegen das britische Preffige in ganz Afien angefehen, wobei auf die vermutlichen Auswirkungen diefer Ereignisse in Indien hingewiefen

wird.

Für die Räumung von Tidhengfufu und anderen Plähen in der Provinz Szechuan und anderen Teilen Süd- und West- Chinas durch die britischen Staatsangehörigen find alle Borbereitungen ge. troffen werden. Un einigen Orten hat die Räumung bereits begonnen.

Die englische Flagge niedergeholt. Schanghai , 8. Januar. ( Reuter.) Eine Melbung aus einer japani fchen Quelle in Hantau bejagt: Die Flagge meht nicht mehr über bem britischen Generalfonfulat. Bon gestern pornittag an halten minesische Truppen das Konsulatsgebäude bewacht, wo fich der Generalfonful Goffe noch aufhält. Die britischen Einwohner, die sich noch in Hantau befinden, haben sich in die Gebäude der Honkong - und Shanghai - Bant und der Asiatischen Petroleumgesellschaft ge flüchtet, die von chinesischen Truppen und Streitposten bewacht werden. Die britische Niederlassung wird jetzt von einem Fünfer ausschuß verwaltet, der aus Mitgliedern der Ortsgruppe der Ruomintang- Partei ausgewählt ift.

Eine weitere Reutermeldung aus Schanghai erklärt unter Hin­weis auf die heftige englandfeindliche Propaganda in chinesischen Blättern, es sei feine lebertreibung, menn man erkläre, daß die Lage der- Engländer in China noch nie zuvor fo fchwierig

gemesen sei.

Condon, 8. Januar. ( EP.) Aus Totio wird gemeldet, daß die japanische Regierung befchloffen hat, vorläufig teine neuen Ariegsfiffe nach China zu entfenden, weil sie nicht glaube,

daß das Leben der dort niedergelassenen Japaner gefährdet sei. Die Regierung wird weiterhin eine Politik der stritten Neu­tralität befolgen.

Die amerikanische Oftafienflotte bereitgemacht. New Bort, 8. Januar. ( TU.) Der in Manila stationierte Admiral Williams, der ursprünglich zur Beobachtung der Lage in China dorthin gehen sollte, hat auf Grund eines Kabinettsbeschlusses den Auftrag erhalten, sofort aufzubrechen, um das Kommando über die aus 24 Einheiten bestehende o stasiatische Flotte Ameritas zu übernehmen.

Londons Sorge vor der Weltrevolution". London , 8. Januar. ( BTB.) Die Blätter befaffen sich weiter hin eingehend mit den Ereignissen in China und nehmen dazu teil­meise in scharfer Form Stellung. Die rechtsradikale Morning Bost" bezeichnet Moskau als den wirklichen Feind". Sie schreibt, die britische Note sei ein Fehlschlag, und schlägt als Er miderung auf die teilweise Räumung Hantaus burd) bie Engländer die Ausweisung der Sowjetuntertanen vom britischen Boden vor.

Korrektur von Grevesmühlen .

Die verurteilten Reichsbanneriente begnadigt. Schwerin , 8. Januar. ( Eigener Drahtbericht.) Der medien­burgische Juftizminister hat die im vorigen Jahre in dem aussehen erregenden Prozeß wegen Landfriedensbruch verurteilten Rechtsanwälte Dr. Braun und Dr. Bärensprung, zogen daraufhin die Reichsbannermitglieder begnadigt. Die Verteidiger, eingelegte Revision zurüd. Mit diesem Uft hat die mecklenburgische republikanische Regierung einen der gröbsten Berstöße gegen das Recht und die Republikaner wiedergutgemacht.

Zunächst, was haben wir unter Klaffentampf zu vera

Das Wort ist als politischer Begriff durch Karl Marx und Friedrich Engels in die Literatur ein­gebürgert worden. Der erste Abschnitt des Ende 1847 von ihnen verfaßten Manifestes der Kommunistischen Partei be ginnt mit dem Sah: Die Geschichte aller bisherigen Gesell­schaft ist die Geschichte von Klaffenkämpfen."

Das war jedoch, wie jeder im Grunde sich selbst sagen fonnte und auch in späteren Auffäßen von Marg und Engels unzweideutig niedergelegt ist, nicht so zu verstehen, daß die Geschichte der Menschheit aus einer ununterbrochenen Kette Don Klaffenfämpfen bestanden habe. Es zeigt nur an, daß fich durch die Geschichte der Menschheit, seit diese überhaupt klaffenunterschiede tennt, sich auch die Bildung von mehr oder weniger scharf abgegrenzten Klassen zieht, die in sozial empfundenen Gegensatz zu anderen Klassen treten, mit ihnen in dem Grade, wie sie sich entwickeln und träftigen, sich zu­fpißende Kämpfe führen, deren Ergebnis, nachdem diese Kämpfe eine gewiffe Höhe erreicht haben, eine politische Um bildung und soziale Neugliederung der Gesellschaft ist. Solche Gegenfäße und Kämpfe haben in der Vergangenheit, sagt das Manifest, zwischen Freien und Sklaven, Patriziern und Plebejern, Adligen und Leibeigenen, Feudalherren und Bürgern gespielt, bis sich aus dem Untergang der feudalen hat. Diese aber hat, sagt das Manifest weiter, die Klaffen­Gesellschaft die moderne bürgerliche Gesellschaft entwickelt gegenfäge nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestalten des Kampfes an die Stelle der alten gefeßt."

Die zwei großen Klaffen der modernen bürgerlichen Gesell­schaft nun, deren Entwicklung, Wachstum und Intereffen fampf gegeneinander durch die dieser Gesellschaft zugrunde liegende fapitalistische Produktions- und Wirtschaftsweise bes wirkt werden, sind, wird alsdann ausgeführt, die Klasse der Rapitalisten; anders ausgedrückt: die Bourgeoisie und die Klasse der nichtbefizenden Arbeiter, das Proletariat. Eine Feststellung, die heute fein Nationalökonom mehr bestreitet, der ernst genommen sein will.

Das Proletariat aber fönne sich von der Beherrschung und Niederdrückung durch die Macht des Kapitals nur be freien, wenn es sich nicht auf berufliche Organisationen für gelegentliche wirtschaftliche Rämpfe befdyränkt, sondern vor allem fich als politische Partei seiner Klasse behufs Erfämpfung der politischen Macht organisiere. Die Um­wandlung der vom Rapital beherrschten Gesellschaft in ein Gemeinwesen ohne Klassen und Klaffengegensäge habe die Berfügung der Arbeiterklasse über die Staatsgemalt zur Vorbedingung.

Ueber das Wie dieser Umwandlung drückt sich das Mani­fest frei von jeder utopistischen Spekulation aus. Hinsichtlich der revolutionären Maßnahmen, die nach ihm das zur poli­schreibt es selbst, daß sie zunächst natürlich unzureichend und tischen Herrschaft gelangte Proletariat ergreifen werde, unhaltbar erscheinen", bemertt aber dann, daß fie im Laufe der Bewegung über sich selbst hinaustreiben werden. Sie werden, fügt es bedeutsam hinzu, je nach den verschiedenen Ländern verfchieden", das heißt, jeweilig vom Höhestand der fozialen Entwicklung bestimmt sein.

Bon diesem Gesichtspunkt ausgehend, führte das Mani­feft in seiner ersten Ausgabe zehn Gruppen von Maßregeln vor, die in den vorgeschrittenften Ländern voraussichtlich ziemlich allgemein zur Anwendung fommen können". Doch erklären Marr und Engels im Vorwort zur 1872 erschienenen Neuausgabe des Manifests, daß zwar die in ihm entwidel ten allgemeinen Grundfäße troß der inzwischen vor fich gegangenen Aenderung in den Verhältnissen im großen und ganzen noch ihre volle Richtigkeit behalten, auf die als deren prattische Anwendung vorgezeich­neten revolutionären Maßregeln dagegen durchaus tein besonders Gewicht gelegt werde. Dieser Abschnitt würde in Anbetracht jener Aenderungen nunmehr in vieler Beziehung anders lauten", sei stellenweiſe

peraltet".

schaftlichen Sozialismus den verkündeten Klaffenkampf des Hieraus geht deutlich hervor, daß die Meister des wissen­Broletariats nicht als in bezug auf Einzelheiten festgelegte Formel, sondern als richtunggebenden Grunda gebauten der Politit einer großen geschichtlichen Freis