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donnerstag 2H. Januar 1927

Unterhaltung unö AAissen

SeUage ües vorwärts

Der Leuerreiter.'' Don Alfred Brust . Sein Pferd stand steif wie ein Baum. Es stand schon lange. Jetzt eben fiel es ihm aust Er hatte geglaubt, es selber angehalten (u haben. Jedoch es tat keinen Schritt mehr.. Pferde find weife Geschöpfe, hatte der Graf gelernt. Seinen Vorfahren hat dies Tier als heilig gegolten. Er schlug kein Pferd. trotzdem die Peitsche am Sattel hing, und Sporen trug er nie an den Stiefeln. Er versuchte das Roß zu kitzeln. Doch es stand und rührte sich nicht. Langsam wendete es den Kopf. Was mochte es wollend Er sah nach rückwärts! Da!! Ueber dem Walde, durch den er soeben geritten, wölbte sich hoch ein glühender Feuerschein! Du gutes Roß! Es warf sich herum Und ohne Ruf streckte e? mit flatternder Mähne die Straße dahin. Dort lag fein Haus! dachte er nur... In den Ortschaften der Umgebung wurde es lebendig. Pom Kirchdorf läuteten heftig die Kirchenglocken herüber. Und dos ge» tragene Tuten aus Schiffer- und Feuerhörnern klang In Abständen mahnend durch die ungewisse Nacht. Was konnte da brennen?! Das war doch unmöglich! Auf der Besitzung der Dagda brannte es nie, hatte es noch nie gebrannt seh Menschengedenken. Keine Feuerbrunst wußte die dicke, geschriebene Chronik zu melden. Denn die Grafen Dagda hatten seit je die Fcuersbrünste der ganzen Umgebung zu Wasser geritten. Sein Großvater noch war es gewesen, der das Zigeunerdorf gerettet hatte, weshalb seine Besitzung zu allen Zeiten von diesen Nomaden unbe. hclligt geblieben war. Sein Vater hatte niemals Gelegenheit, diese vererbte Gabe zu erproben. Und nun er? Es war doch kein Märchen, konnte kein Märchen sein,- denn in der Chromk stand es geschrieben, daß die Grafen Dagda das Feuer ausreiten tonnten, und den Kindern wurde das in der Provinz auf der Schulbank beigebracht. Das Roß flog dahin, und überholte laufend« und rufende Men- scheu- Fern war Wagengetös« vernehmbar, da rollten wohl alte Spritzen herbei. Was konnte da brennen? War Hussa in Gefahr? Di« Un- hcilvollc! Die Unheilvolle!! rief er immer wieder in sich hinein. Näher dem Hofe hörte er's deutlicher rufen:.Das Verwalter- haus! Das Verwalterhaus!!" Da schien ihm sein Herz ganz, ganz in den Hals kriechen zu wollen. Diese geplagte Familie! Diese geplagte Familie!! Das hat die Unheilvolle getan! Da» hat die Unheilvolle getan!! Er riß die Peitsche vom Sattel und rief dem Roß ein Hallo zu. So jagte er auf den prasselnden Hof! Die Grafen Dagda reiten das Feuer aus! Ein Schrei der Erlösung drang ihm aus hundert Kehlen entgegen! Die Grafen Dagda reiten dos Feuer aus! Hoch in der Hand die ragende Peitsche, und in der linken Faust die Zügel geballt, so saß er auf dem sprengenden Pferd mit flutenden, Bart- und Haupthaar. Das Roß beschrieb willig den engen Kreis um das brennende Haus. Hoch im Giebel gewahrt- der stürmende Reiter den Verwalter, daneben seine wankende Frau, die in dicken Tüchern das Kittd hielt. Das Feuer brannte von außen, von unten. Sie hatten sich auf das Dach geflüchtet. Doch war es unmöglich, eine Leiter zu stellen, denn der Brandherd war lückenlos, zu groß, zu hoch. Durch Qualm und Glut starrten die entsetzten Gesichter der Unglück- lichen. Aber was mochten sie starren, so hinaus m die Weite? Wohin mochten sie blicken? dachte der Graf, indes dab keuchende Roß den zweiten Krcis schrieb. Und als er wieder an der Stelle des Fenster- giebels war, sah er hinaus nach dem Schlosse. Jetzt schien ihm die Erde zu wanken? denn im erleuchteten Zimmer, hinter geöffneten Fenstern, erblickte er Hussa!, Sie war nackt, ganz nackt, wie er sie verlassen, und sie schritt einen ekstatischen Tanz zu dem grausigen Schauspiel. Da riß er sein Roh zum dritten Kreise, den er weit ausholte! Weit über den Hof hinweg stieb die Menge der Schauenden. Und aus allen Kehlen rang sich ein Schrei. Anne hoben sich, .�ände zeigten. Das rasende Pferd griff aus mit den letzten Kräften. Die Nüstern gebläht. D>ie Augen unheimlich aufgerissen. Es schäumte in Schweiß. Und himeryer stand der glühende Schweif der Feuer- schlang« von, Hause gezogen, mitgerissen von der Gewalt des dämonischen Reiters! .Er reitet es aus! Er reitet es aus! Seht! Seht! Er reitet cs aus!" schrie das Volt. Kinder weinten und sammerten. Frauen und alle Männer kniete» in Reihen und beteten laut. Andere schlugen sich gegen die Brust, liefen auf und nieder. Aber Roß und Reiter stiebte davon mit dem feurigen Schweif, vorbei am gefährdeten Hause, den Weg zur Memel hinab. Hochauf sprühte das Wasser des Stroms und zischte. Das Pferd schwamm gut, schwamm den Kreis und erreichte wieder das Ufer und sprengte zurück auf den Hos. Da rief es aus der kochenden Brust einen furcht- baren Ruf. Der Graf sprang ab. Und mit einem alles zerbrechenden Stöhnen, die Augen wildflackernd gerissen, fiel das Tier wie ein Klotz auf die Seite, streckte dreimal die Beine und war verendet. Der Himmel hatte die Schleusen geöffnet und schüttete wie aus Tonnen. Der heilige Aahn. von Andreas Lahko. I. Wer zu nnn ist, den Ausflug zum heiligen Zohntempel in Kandy auf der herrlichen Automobilstraße zu unternehmen, den bringt der Expreßzug(Schlafwagen, Speisewagen versteht sich) in knapp vier Stunden aus dem Hafen Kolombos in das Hochtal 500 Meter über dem Meeresspiegel hinauf. Die Abreise schon ist beunruhigendes Durcheinander der widersprechendsten Eindrücke. In einer Rikscha fährt man vom Hotel zum Bahnhof, steigt aus diesem primitivsten Transportmittel, das an die Zeit der Sklaverei gemahnt, direkt in das überkomfortable Abteil de» Sleeping Car , und eine ungeheure Schnellzugslokomtive zieht den Reisenden weiter, der eben noch von zwei braunen Menschcnbeinen gezogen wurde. Und so geht es weiter die ganze Strecke entlang. Semavhore ducken sich, einge- schüchtert von der überragenden Höhe des Kokoswaldes bis dicht an das Bahnwärterhäuschen kriecht das unberührte Dickicht des Dschungels man sitzt In samtbezogenen Armstühlen vor riesigen Spiegelscheiben oder am weißgedeckten Tisch des Speisewagens, und was draußen vorbeitanzt und-huscht, ist Illustration zur Erzählung eines Forschungsreisenden, der hunderte Meilen weit von aller Zivili- sotion den Urwald durchstreift. *) Aus dem im H o r e n> B e r l a g. Berlin , soeben erschienenen Roma» �vl« verloreu» Erde� ,

Eine Art Aequator geht mitten durch alles Erleben Schienen, Schwellen. Drähte, Speisewagen und Lokomotive, die ganze schmale Schlucht des Bahndammes ist ein Strich Europa , ein Meeresrücken Gegenwart in den unberührten Ricsenleib Asiens , in den tiefver- wurzelten Stamm eines anderen Jahrtausends getrieben. Was rechts und links von dieser eingeklebten Jetztzeit lebt und verharrt, ist ohne jede Verbindung, hat sein Antlitz zum letztenmal verändert, als Gothama Buddha, lange vor der Geburt Christi , den Trost seiner Lehre in die Seelen warf. Ein amerikanischer Wolkenkratzer, mitten unter den eingesunkenen Hütten einer rumänischen Dorfstraße auf- gestellt, könnte nicht unvermittelter, nicht absurder wirken als der Expreßzug in diesem Lande ohne Städte, ohne Zinskasernen und Schlote, und ohne Entwicklung. Niemals rollte über die Straßen

Der rauchende Schornstein.

Der Unternehmer:.Alles rationalisiert der halbe Betrieb liegt still in der anderen Hälfte Ueberstunden mein Schornstein raucht. Aber der Rauch will mir gar nicht gefallen."

der Tropeninsel eine Postkutsche, der Verkehr begann mit Eisenbahn und Automobil, die unmittelbar das einzige Transportmittel, den Elefanten, ablösten. Nicht langsam sich vorwärts tastend sind die iogenannten Wunder der Technik aus den organisch wachsenden Be< oürfnissen der Einwohner entstanden, das gebrauchsfertige, perfektio- nierte Endresultat unseres Suchen» und Findens ist herübergeschafft und einer Bevölkerung aufgestülpt worden, die ganz wie die über- rumpelt« Landschaft unbeteiligt an den Errungenschaften vorbei- lebt, die sie nicht miterrungen hat. Nicht daß der Spatz aus dem Telegraphendraht hier Kolibri heißt und in zehn Farben schillert, nicht daß der Bahnwärter in der Uniform seiner nackten Haut die rote Fahne präsentiert, wilde Affen aus dem Dache des Stationsgebäudes kauern, nicht die exotische Um- rohnmng der modernen Verkehrsmiitel schafft den Zwiespalt grotesk wirkt allein das unberührte Nebeneinander der beiden weit entfernten Zeitalter, die erfolglose Ausdringlichkeit der Glühbirnen und Lokomotiven, die das ganze Land mit seiner ganzen Einwohner- schaft gleichsam in einen Anachronismus wandeln. Man denkt unwillkürlich an Offenbach beim Anblick der Eingeborenenzüge, voll- gepfropft mit nackten Reifenden, die wohl Eisenbahn fahren, ohne sonst auch nur im allennindesten europäisiert, auch nur um Fingers» breite von den zweitausendjährigen Ueberlieferungen, von der Glaubens- und Empfindungswolt ihrer entferntesten Ahnen abgerückt zu sein. Niemand vertritt den Unsinn, der Import tropischer Gewürze und Nährmittel könnte die sittliche» Anschauungen Europas beein- flussen, die Tee-, Kaffee- oder Kakaotniiker in Paris oder Berlin der primitiven Entwicklungsstufe der Tropenbewohner nahem. Warum sollten unsere eigenen Einfuhrartikel tiefere Wirkung üben auf das einfache Gehirn des Singhalesen, der noch oies uncrschütter- licher in seinem eigenen Weltbilde ruht?... Die ersten Lokomo- tiven, ersten Bogenlampen, ersten Automobile weckten Erstaunen und Furcht wie die ersten Gewehre, aber einmal zur Kenntnis genommen, sanken sie zu Produkten eines verfluchten Erdteiles, der nur solch überslüssigen Plunder, aber weder Bananen, noch Tee, noch Reis, kurz nichts davon, was zum Leben wirklich unentbehrlich ist, selbst zu produzieren vermag. Woher sollte Ueberzeugungs- oder Ber- führungsgewalt den Erfindungen von Menschen innewohnen, die sich auf ebener Erde nicht fortbewegen können, ohne ihre armen Füße, trotz rasender Hitze, in ledeme Folterinstrumente zu zwängen?... Wie Oel und Wasser, unvermengbar, stehn die beiden Weltteile überall abgesondert nebeneinander der Expreßzug rast an den asiatischen Zeitgenossen Julius Cäsar ? vorbei. II. Diese Unberührtheit der Singhalesen von dem ganzen europä- ischen Betrieb ist nirgends so deutlich zu beobachten wie eben in der Umgebung des heiligen Zahntempels, in der Stadt Kandy , der einstigen Residenz des singhalesischcn Königreiches. Zunächst hat der Ankommende den Eindruck, hier wären die Europäer ganz unteP sich. Ohne die unübertreffliche Pracht der Vegetation könnte er sich sogar oersucht fühlen, eine Achnlichkeit mit der Sächsischen Schweiz zu konstatieren. Denn mit der einzigen Ausnahme derDalada Mali- gawa". der St. Petruskirche des Buddhismus , die aber weit weg vom Bahnhof am entgegengesetzten Ende des Ortes liegt, gibt es in Kandy überhaupt keine alten Bauwerke, die sind den Belagcrungs- kriegen der Portugiesen, Holländer und Engländer zum Opfer ge- fallen. Dem letzten Singhalesenkönig hatte England die Regierungs - sorgen schon so weit abgenommen, daß er seine Zeit anders ausfüllen muhte, und so war er auf den Gedanken verfallen, das Hochtal von Kandy mit einem Staudamm abzuschließen, wodurch zu Füßen seines Schlosses ein kleiner See entstand. Genau einen Kilometer lang. kaum einen Viertclkilometer breit, von einer filigran gearbeiteten, durchbrochenen Steinbalustrade umrahmt, ist diese Spielerei trotz aller Lieblichkeit ein Verbrechen an dein Zahntempel, dessen ernste, verwitterte Würde der Verniedlichung unterlag. Rings um den See führt ein prächtiger Fahrweg, auf den dichtbewaldcten Hügeln, die das Tal nach allen Seiten abschließen, stehen wie aus einer Spiel-

schachtet gestreut die zahlreichen Familienpcnsionen und Privat- bungalows der Engländer, die hier mit Vorliebe ihr Week End vsr- bringen. Alle Tropenpflanzen gedeihen in fünfhundert Meter über dem Meere noch genau wie im Tiefland unten, aber die Pracht wird noch erhöht durch die beginnende Gebirgsflora, und die Nächte sind bedeutend kühler, man kann sogar zu Fuß gehen, gegen Mittcr- nacht sieht man die Damen in dekolletierten Kleidern rings um den kleinen See spazieren. Ein europäischer Kurort also,Sächsische Schweiz ", wie schon erwähnt, fast scheint die Statistik unglaublich, es besuchten alljährlich mehrere hunderttausend buddhistische Pilger den Tempel, in dessen innerstem Heiligtum ein angeblicher Stockzahn aus dem Munde Buddhas aufbewahrt und an besonderen Festtagen den Gläubigen gezeigt wird. Sie wissen nichts voneinander, die Pilgerstadt, und her Badeort, indische Reisende rollen sich abends in ihren Teppich, kochen sich selbst die Handvoll Reis, sie bleiben unsichtbar hinter dein Aus- wand, den Steinsassaden der eleganten Gasthöfe, erst vor dem Tor des Zahntempels beginnt wieder Indien , und die etlichen hundert Europäer verschwinden nun ihrerseits hinter einigen Zehntausenden von Eingeborenen. Wer die Unvorsichtigkeit begeht, den berühmten Tempel bei Tag zu besuchen, wird tief enttäuscht nur das Andenken an einen ver- wahrlosten, gleichgültigen Bau mitnehmen, ohne eigentlichen künst- lerijchcn Wert. Interessieren wird ihn nur der achteckige Turm mit der Sammlung alter singhalesischer Handschriften, in die großen Blätter der Talipetpalme gekratzt und dann in eine Art Lockhülle gebunden. Der Priester, der das Amt des Bibliotl)ekars versieht, hat schmale, durchgeistigte Hände, die zärtlich in die Wandschränke greifen, um ein besonders wertvolles Exemplar aus der Reihe zu ziehen und dem Fremden zu zeigen, mit einem Stolz, in den sich heimliche Verachtung mischt. Was sind ihm die technischen Wunder der weißen Barbaren? Ringsum lehnt die Weisheit seiner Ahnen, und jedes Wort, das sie vor tausend Jahren in ein Palmenblatt ritzten, ist heute so wahr wie damals! Wozu eilen, Schienen legen, Drähte ziehen was Mühe lohnt, ist längst getan, und den Weg zum Glück fand Buddha in stiller Einkehr, unbeweglich sitzend im Schatten des heiligen Baumes! Am Abend, wenn in den großen Hotels dos Diner beginnt, die elektrischen Lampen über ausgestorbenen Gassen strahlen, da beginnt am anderen Ende der alte Tempel zu leben. Dort kämpfen nur Fackeln gegen die Finsternis, ihr Blut fließt wie gedämpfter Purpur über die verwitterten Mauern, das Summen zahlloser Gongs wölbt Geheimnis über den weiten Hof, in dessen Halbdunkel die Schatten der Andächtigen sich drängen. In den süßen Dust der geopferten Lotosblüten mischt sich betäubend der Geruch der Räucherkerzchen, hoch oben stehen die vergoldeten, elfenbeinocrzierten Türen des Helligtums weit offen, im unruhigen Glanz zahlloser Christbaum- terzchen sieht man die Priester in ihren wallenden, goldgelben Ge- wändern sich prosternieren vor dAi silbernen Tisch, auf dessen Platte. der Schrein mit dem Stockzahn Buddhas ruht. Viele Tausende wollen allabendlich den Blick nach ihm werfen, ihr Blütenopfer in seiner Nähe niederlegen, die Flut der Andächtigen drängt durch das Haupttor nach und drückt die gestaute Menge aus dem Hof zur Seitcnpforte hinaus, die auf die Promenade am Seeufer mündet. Erstaunt, erschrocken fast, sieht man das elektrische Licht, hört aus der Ferne Musik eines Hotelorchesters und blickt ungläubig zurück auf die finstere Masse, vom Widerschein der Fackeln überglüht. Der dunkle Strom der nackten Leiber zerstäubt im Dunkel, huscht davon, wird verschlungen. Wie nach einem meisterhaft gestellten Opern- finale, wenn der Vorhang gefallen ist, kehrt man enttäuscht zurück in die Wirklichkeit, die unvermittelt das Märchen verdrängt. Zwischen steifen Hemdbrüsten und weißen Frauenschultern wirkt der halb- nackte Boy, der den Drink serviert, wie ein kostümierter Statist vor dem Bühneneingang im nüchternen Betrieb der Großstadtstraße. III. Dem weißen Sahib, der berest ist, seine Schuhe an der Schwelle des Heiligtums auszuziehen, zeigt man gegen ein entsprechendes Geldgeschenk zugunsten des Tempelschatzes den heiligen Zahn auch aus nächster Nähe. Ein künstlicher Pfau, aus Rubinen, Smaragde!» und Saphiren gefügt, trägt die sieben ineinandergelcgten Schachteln aus purem Gold, deren innerste, kleinste den heiligen Zahn enthält. Seit einem halben Jahrtausend fast haben ganze Völker unausgesetzt um seinen Besitz gerungen, vor dreihundert Jahren hat ihn ein Erzbischof in Portugal auf dein Scheiterhaufen verbrennen lassen, aber nachgereiste Priester so geht die Sage fanden das gött­liche Kleinod unversehrt in der Asche und brachten es zurück. Schiffsladungen von Pilgern schütten Birma und Siam nach Ceylon , einzig um dieses daumengroßen Stück Elfenbeines willen, das in keines menschlichen Wesens Mund Platz haben konnte, viel eher den Hauern des Ebers gleicht. Europäische Besucher versäumen selten, über die allzu ausfällige Fälschung zu spötteln. Aber was tut's, ob der Zahn selbst echt oder falsch ist?... Ein fremder Gott hat die Herrschaft der eingeborenen Könige zertrümmert, allen Reich- tum des Landes dem weißen Manne geschenkt, Buddha hat nicht vermocht, seine Kinder zu schützen! Dennoch findet sich unter Millionen kaum einer, dessen Vertrauen in die Allmacht des ge- schlagenen Beschützers die Missionäre erschütetrn können. Aus dein Boden, dessen Ertrag nach Europa wandert, aus dein Schweiße der Unterjochten, die Säcke von Reis auf die Schiffe schleppen müssen, um eine hohle Hand voll behalten zu dürfen, aus dieser nackten Armut hat der Glaube eine Schatzkammer voll echten Goldes und der kostbarsten Edelsteine geholt und um den falschen Zahn gehäuft. Darf er wirklichfalsch" genannt werden? Trotzdem er in die Herzen seiner Anbeter eine Hoffnung strönit, die stärker ist als die tägliclyjrausani zupackende Wirklichkeit. Kann ein Heiligtum besser die Pkvbe auf Echtheit bestehen?...

Die Juden in Rußland . Aus neueren statistischen Feststellungen ist ersichtlich, daß in der Sowjetunion auf etwa 145 Millionen Ein- wohncr 3 Millionen Juden kommen. Zieht man nur die Bcvölke- rungszahl der Städte der Sowjetunion in Betracht, so beträgt die Zahl der Juden 10 Proz. In der Ukraine wohnen etwa 1900 000 Juden, in Weißrußland und in den Republiken Zentralasicns 500 000. Die jüdische Bevölkerung setzt sich zusammen aus 10 Proz. reichen Leuten, 50 Proz. Arbeitern, Angestellten(Beamten), Baucin und Kleinhändlern und 40 Proz. armen Leuten, die fast als Bettler leben. Am 1. Januar 1925 waren 1?0 000 jüdische Arbeiter und 180000 jüdische Beamte den Arbeitersyndikaten der Sowjetunion angeschlossen. Zählt man hie Familienmitglieder mit. so beläuft sich die jüdische Arbeitcrbeoölkerung in Rußland auf 300 000 Personen, während die Zahl der Beamten samt ihre» Familienangehörigen etwa 500 000 beträgt. Die Zahl der jüdischen Arbeitslosen wird auf 5000 geschätzt. Die jüdische Arbeitsrbeoölkerung ist zum großen Teil in der Ukraine und in Werßrußland konzentriert. In der ganzen Sowjetunion gibt es jurzsit etwa 150 000 jüdische Bauern. Die Er- fahrung hat gelehrt, daß die jüdischen Bauern sich allmählich an die Feldarbeit gewöhnen, obwohl sie ihnen früher fremd gewesen war: in einem, höchstens zwei Jahren können sie ihre Felder ebenso gut bebauen mt die russischen Bauern, und die Ernten, die sie erzielen, sind durchaus nicht geringer als die ihrer russischen oder klein- russischen Nachbarn. Bon der Gesamtzahl der Juden, die sich aus irgend einem Grunde vom Handel ab- und der Landwirtschaft zu- wenden, bleiben zwei Drittel sür immer Bauern. Es gibt in Ruß- land ferner etwa 800 000(Familienmitglieder inbegriffen) südische Kleinhändler. Sie wohnen fast alle in kleinen Städten und Markt- flecken Wcstrußlands. Die große und die mittlere jüdische Bour- gcoijie wohnt fast durchweg in den Großstädten und belauft sich auf etwa 300 000 Personen.