am ander.en Tage:„Mutti erwartet meine Erzählung, sie fragt nidjit, aber ihre Augen fragen. Aber ich kann das nicht erzählen, meiner Mutter nicht!" Mütter, hört ihr dies? Die Jugend siegt auch über dies Erlebnis. Große, reine Liebe zu einem Manne füllt ihr Herz, ehe das Schicksal, verkörpert in der Sittenpolizei, zum letzten Schlage ausholt. Am K März 1924 gibt sie aus Milleid der Dirne, mit Wissen der Eltern, Unterkunft für die Nacht(sie wissen alle immer noch nicht, daß es eine Dirne ist). Am nächsten Margen kommen Polizeileute und verhaften das Mädchen. Eine halbe Stunde später wurde Grete Machan selber zum Verhör geholt. Sie war der g e w e r b s- mäßigen Unzucht beschuldigt. Was über diese Polizei- liche Vernehmung in dem Buche steht, ist empörend. Sic kommt ins Krankenhaus, als Polizeimädchen: sie fühlt sich recht- und schutzlos, ein Versuchstier. Sie leidet furchtbar, die Eltern versuchen sie in Privatbehandlung zu bekommen, ver- geblich. Am 30. April findet die Verhandlung vor dem Jugendgericht statt: sie wird ihren Eltern zugesprochen, sie ist keine Dirne. Aber ihr Zustand ist so(sie hat 14 Salvarsan. spritzen bekommen), daß sie im Krankenhaus bleiben muß. Erst Ende Mai kehrt sie ins Ellernhaus zurück, um dort zu st e r b e n. Mit der Todesanzeige schließt das Buch, das eine einzige furchtbare Anklage gegen unsere heutigen gesellschaftlichen Zustände und Einrichtungen darstellt. In dem Buche sind olle Namen, sowohl der Orte als der Personen, geändert. Aber die Anklage der Toten war so laut, daß sie durch diese Vermutnmung drang. Da meldeten sich Stimmen, die die Echtheit der Schilderungen anzweifelten. Es wurden Vernehmungen gemacht, Feststellungen getroffen: die Tatsachen stimmten. Nun zweifelte man die Echcheit der Verfasserin an. Die Herausgeberin hatte sich in ihrem Vorwort für die Echtheit des Manuskriptes verbürgt: bedeutende Männer des katholischen Schrifttums traten ihr bei. Der Kampf um die Reform unmöglicher Zustände in der Erziehung, bei der Polizei, im Gesundheitswesen wnr auf das Gleis des Kampfes um die Person der Ver- sasserin des Buches geschoben. Unser„Bremer Volks- blatt", dem der Dank gebührt, daß es diese Zustände unter Nennung der richtigen Personen- und Ortsnamen der öffenl- lichen Kritik unterbreitete, wurde angegriffen, und die Schul- digen glaubten, triumphieren zu dürfen. Da bekannte sich die Mutter als Verfasserin. Aus Erzählungen, Aufzeichnungen, kleinen Gedichten und aus ihrer unendlichen Liebe zu ihrem geschändeten, toten, wehrlosen Kinde kam dieser armen Mutter die Kraft, Leben und Erleben eines jungen, heranreifenden Menschen so zu schildern, wie es noch nie geschildert worden ist. Daß sie alle Menschen, die es io "ut mit ihr meinten, die die Herausgabe des Buches erinög- kchten, täuschte, wer wagt es, ihr als„Schuld" anzurechnen? �ie lebte so in ihrem toten Kind, daß die Tote die Feder führte. Und so wird diese.Lüge" zu einem Ausdruck der Kraft einer Mutterliebe, vor der wir stumm uns beugen. Das Buch ist echt, denn das Kind starb am 1. Juni 1924. Das Jugendwohlfahrtsgesetz trat erst am 1. April 1924 in Kraft, am 2. Mai 1924 wurde das vorläufige Ausführungs- gesetz da,zu in Bremen erlassen, es gab also 1923 noch kein Jugendamt, so daß die Vernehmungen nach der Rückkehr aus Verlin von der Polizei erfolgten. Also, auch das ist echt. Wer ähnliche Vernehmungen auf der Polizei schon erlebt hat, weiß, daß leider auch an der Echtheit des Tones und der Form nicht zu zweifeln ist. Wir fordern seit Jahren die weibliche Polizeifürsorgerin und wir fordern weiter, daß dieser Frau alle ausgegriffenen oder denunzierten Mädchen erstmalig vorzuführen und von ihr zu vernehmen sind.— Die Krankheit und das Krankenhaus sind echt. Wir fordern die Gesundheitsbehörde und die Ueberwachung der Krankenbehandlung, ganz besonders aber die II e b e r- wachung der Behandlung g e sch l e ch ts k r a n k e r
Personen. Wir fordern einen Gesundheitsunter- richt an den Schulen, der nicht Halt macht vor der Belehrung in geschlechtlichen Dingen. Das Kupplernest ist echt. Wir arbeiten seit langen, langen Jahren an der Aufklärung der Mütter dar- über, daß sie ihre Kinder nicht blind in geschlechtliche Sümpse laufen lasien dürfen. Daß sie soviel Vertrauen zu ihren Kindern— und zu sich selbst— haben müssen, um die geschlechtlichen Dinge rein und offen mit ihnen zu besprechen, um ihnen das Werden der Menschen so hinzustellen, wie es ist: als heiligste Erfüllung des eigenen Lebens. Um die Erfüllung dieser Forderungen geht der Kampf. Nicht um den Namen der Buchverfasserin: Die erschütternde Mädchentragödie in Bremen , die zu einer Muttertragödie von unheimlicher Größe wurde, soll uns helfen.
Ein erster Sunüesgruß. BoSheite« der„Täglichen Rundschau" gegen das Zentrum Herr Scholz hat gewiß sein möglichstes getan, um den Bürgerblock zustande zu bringen. Die„Tägliche Rund- schau" hat ihm dabei assistiert. Jetzt spielt sie das Schreckens- kind, das in den Porzellanladen des werdenden Bürgerblocks hineintöppert. Aus der Feder Heinrich Ripplers, des Ver- trauensmanns des Reichsaußenministers, veröffentticht sie einen Aufsatz über die Schwenkung des Zentrums, der eine ausgekochte, schnäuzige Bosheit an die andere reiht. Kalter Hohn über die Schwenkung: „Was, solange Minister Dr. Curtius die Verhandlungen führte, für das Zentrum ein Greuel war, der kaum in Worte zu fassen, ist jetzt eine glatte Sache, über die man mit einigen für die Wähler notwendigen Zeremonien, e'nem Pro- grammentwurfe, einigen Verhandlungen und einer Ansprache an das Volt unbedenklich und still vergnügt hinweg- gleitet. Die Demokratie, die sachte beiseite geschoben ist, steht im starren Erstaunen ob solchem Wandel der Dinge und reibt sich ver- wundert die Augen, ob sie in den letzten Wochen geträumt oder wirk» lich all die grundsätzlichen und heftigen Artikel g e g e n R e ch t s in den Zentrumsblättern gelesen und in den Reden der Zentrumsführer mit angehört hat." „Man weitz daß das Zentrum s o kann und auch anders; aber diesmal konnte es noch so ganz anders, daß selbst starke Männer, wie etwa G e ß l e r. vor solchem Werke der Wandlung in andächtigem Staunen und sachmänni'cher Ver. wunderung stehen. Leicht kann es dem Zenrrum.mmerhin nicht gefallen jecn, diesen selbst in seiner Geschichte bemerrenswertsn Telkmarliprung zu machen. Die Politik ist ein rauhes Handwerk. Wie schwer mag es Herrn Stegerwa�d angekom. men sein, it Köln vor seinen Wählern zu versichern, daß die große Koalition die einzige Rettung aus den jetzigen Wirren sei, während er doch wußte, daß man nebenan im erzbischös- lichen Palais eine noch bessere Lösung, den Bürgerblock, in Bereitschaft hiell. Und wie mag Herr Dr. Wirth, der sich an der Redigierung des neuen Programms so eifrig betelligte, als künftiges eingeschriebenes Mitglied des von ihm so geschmähten„Besitzbiirgerblocks" Arm in Arm mit Westarp mit tapferer Unoerzagcheit für seine allein echte sozialistisch-demo- tratischs Republik fechten." Man kann nicht eindeutiger einer Partei und ihren Füh- rern die politische Ehrlichkeit absprechen. Das Manifest— eine nur für die Wähler bestimmte Zeremonie; S t e g e r- wald und Wirth— doppelzüngige, gerissene Betrüg:?: selbst G e ß l e r, der brave Geßler, der doch mit dem Zentri/m nichts zu tun hat, erhält sein Teil. Mit der größten Sicherheit wird die Behauptung auf- gestellt, das Zentrum habe von vornherein den Bürgerblock gewollt und vorbereitet: „Wir glauben auch nicht, daß der Brief Hindenburgs, der übrigens schon vorlag und den Deutschnationalen sogar
schon bekannt war, als der Führer d-r volkspartei« lichen Reichstagsfrakti on Dr. Scholz seine letzte Unterredung mit Dr. Marx hatte, den großen Wandel in den Anschauungen des Zentrums hervorrief. Er mag ihn ge» fördert haben und für die widerstrebende und etwas zerfahrene Fraktionsgefolgschoft bestimmend gewesen sein, aber die Führung des Zentrums war sich des Weges nach rechts schon b e w u ß t, als sie die Mission des Dr. Curtius zum Scheuern brachte und mit der Sozialdemokratie über eine, wie sie wohl wußte, nicht durchführbare Linksbindung verhandelte." „Offenbar haben die kirchlichen Mächte, die hinter� und über dem Zentrum stehen und die Entwicklung seines linken Flügels ins halbsozialdemokratische Lager längst mit Sorge betrachteten, e i n ernstes Wort mit gesprochen, und offenbar sind die Der. Handlungen zwischen Zentrum und Deutschnatio- nalen schon seit geraumer Zeit im Gange gewesen, wenn man es auch bestreitet und natürlich auch in Zukunft bestreiten wird, da für solche Geschäfte nun einmal traditionell das Halb» dunkel vorgeschrieben ist." Dieser Aufsatz, der das Zentrum eines grandiosen poli- tischen Falschspiels beschuldigt, steht im Organ des Herrn Strefemann! Warum dieser vehemente Angriff eines Organs, das doch unter C u r t i u s mtt dem Zentrum paktieren wollce, und das Organ einer Partei ist, die bisher mit dem Zentrum regierte? Es ist die Stimme des Evangelischen Bundes, die Rebellion der streitbaren Pastaren gegen eine Regierung, in der acht katholisch: Minister sitzen sollen. Ein erster Bundesgruß für das Zentrum. Eine famrse Einleitung der Verhandlungen.
Weitere Vernehmungen im Sarmat-prozeß. Bei der heutigen Verhandlung im Barmat-Prozeß wurde zunächst Bankrat Kurt Brandt als Zeuge vernommen, der erklärte, er habe die Deckung der Barmat-Kredite nicht nachzu- prüfen gehabt, aber bei Barmat auch keine Bedenken hatte. Staatsfinanzrat Soldat äußerte sich dann über die Buchungen und Kontobewegungen der Konten der Amexima, wobei es mehrmals zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Sach- verständigen Professor Leitner kam. Geheimrat R u g g e, der im Jahre 1924 stellvertretender Präst- dent und Gelddisoonent gewesen ist, wird unvereidigt vernommen. Auch aus seinen Angaben geht hervor, daß ihm über Äusleihun» gen großer Summen täglichen Geldes von den übrigen Mitgliedern der Bank keine Mitteilung gemacht worden ist. Ueber wichtige Einzelheiten sind sein« Angaben unbestimmt, da er sich aus die weit zurückliegenden Borgänge nicht mehr genau entsinnen kann. Wie aus der Vernehmung Geheimrat Rugges weiter hervorgeht. versuchte er am 12. Juni, die Kredite zurückzuforderit. Da Barmat lehr erregt gewesen sei und gebeten habe, ihm doch Zeit zu lassen, wurden die Kredite nicht nur verlängert, sondern ihm lür seine Banken sogar noch drei Millionen neue Kredite gegeben. Dr. H e l l w i g erklärt darauf, man sei zufrieden gewesen, daß Barmat nicht gezahlt hat, da ja die Staatsbant sonst mit ihrem Gelde festgesessen hätte. Geheimrat R u g g e betonte, daß ihm Barmat für die Höhe der Kredite sicher gewesen sei. Wenn er jedoch gewußt hätte, daß diese Gelder weiter ausgeliehen wurden, hätte er die Gelder nickt gegeben. Weiter wird erörtert. wie Barntat angeboten hat, daß ein Vertrauensmann der Staatsbant seine Betriebe besichtigen sollte. Im Ztovember hat dann Henry Barmat bei Geheimrat Rugge«inen neuen Kredit von einer Million erbeten, der dann nicht gewährt wurde. Auf die Frage des Oberstaatsanwaltes, ob dieser Vorfall mit dazu beigetragen habe, daß nach dem 18. September die Kredite nicht mehr verlängert wurden, erklärt der Zeuge:„Jawohl, vor allen Dingen waren es drei Punkte, die mich dazu veranlaßten: 1. daß dieser Kredit zinslos gegeben werde-, sollt« auf Verlangen Barmatz, 2, daß «in Kredit von 2 6 000 0 M. trotz Versprechungen nicht zur Zeit zurückgezahlt worden, und 3., daß schon Angriffe in der Presse gestanden hatten. Diese drei Punkte waren ousschlag- gebend für uns." Vorsitzender:„Das ist doch wunderbar, daß man trotzdem noch gute Auskünfte über Barmat weitergegeben hat, die sogar von Rugge und Brekenfeld unterschrieben waren" Diesen Widerspruch vermochte der Zeuge Geheimrat Rugge nicht aufzuklären.
Tanz unö Musik. Betrachtungen zum Ballettabend der Staatsoper. Ein Tanzspiel„Spanisches Fest" und„Ländliche Tänze" wurden in der K r o l l o o e r präsentiert. Nette, muntere, schclmisch-araziöse Hüpfereien. Rokokogeist, Diagilefs-Geschmack. Saubere Inszenierung, exakte Darbietung. Alle? in allem das, was altere Damen„herzig" und höhere Töchter„süß" nennen. Man könnte zufrieden sein, wem: die Stätte der Aufführung eben nicht die Berliner Staatsooer wäre. An die man die höchsten Forderungen zu stellen verpflichtet und gezwungen ist. Die allen anderen deutschen Kunstlempeln(auch denen' zu Münster und Hannover ), als Muster vorstehen sollte Die das Beste, was unsere Zeit schaffen kann, in vollendetster Gestalt zeigen müßte. Di«, als die Kunst der rhythmischen Körperbewegung in Deutschland geboren war, den Wigmon-Schüler Max Terpis berief, damit er das alte Ballett ab- und die neue Tanzkunst aufbaue Und die uns nun nichts anderes zu bieten weiß als künstlerisch Mittelmäßiges, Dage- wesenes, Ueberwundenes. Die zu diesem Zweck den Aufwand reichster szenischer Prunkentfaltung und eine Tänzerschar mißbraucht, wie sie in ähnlicher Vollkommenheit vielleicht an keiner zweiten Stelle der Weit heute sich findet: Harald Kreuhberg, Elisabeth Grube , Dorothea Albu, Daisy Spies , Ruth Marcus, Edith Moser, Ilse Castner. Wer trägt die Schuld? Ich glaube nicht, daß Terpis verant- wörtlich ist. Er kennt das Ziel, ist sich des rechten Weges bewußt, will und kann das Beste. Ader die»nglückselige Verkettung von Oper»nd Tanz gestattet seinem Wollen und Können keine Eni- ialtung. Jahrhundertelang stand der Tanz als dienender Bruder in Lahn und Kost bei der Musik. Heute hat er, in Deutschland , sich frei gemacht. Ist eine selbständige Kunst geworden, die ihren eigenen Existenzbedingungen, ihren eigenen Entwicklungsgesetzen unterliegt. Bedarf er der Musik, so soll sie in seine Dienste treten. Im Tonzdrama, im Tanzspiel ist der Tanz der führende, die Musik der begleitende Faktor. Zur freien, vom Tänzer souverän ge- stalteten Tanzkomposition soll die passende?1dusit gefiinden oder geschaffen werden. Und je mehr sie sich als Dienerin fühlt, je bc- fchcidener sie auftritt, desto vollkommener erfüllt sie ihren �>weck. Das Beste ist eine stimmunggebende, möglichst primitive Geräusch- musik, wie sie etwa die Wigman benutzt. Der moderne Kunsttanz ist eine deutsche Schöpfung. In seiner Kultur stebt Deutschland vorbildlich und bis heute unerreicht da. Diese edelste, höchste, eigenartigste Kunstschövsung des deutschen Volkes unserer Tage mit allen Kräften zu schützen und zu fördern, sollte die Aufgabe aller derer sein, denen die Kunstpslege in Deutsch - land anvertraut ist. Bor allem der amtlichen Instanzen. Es geht nicht länger an. daß man die letzten Entscheidungen über die Pflege des Kunsttanzes Rurmusikorn überläßt, die, mögen sie in ihrem Fach noch so modern und revolutionär sein, die Existenz- und Entwick- lunaededingungcn des neuen Tanzes nicht zu erfühlen vermögen, weil diese Existenz- und Entwicklungsbedingungen denen ihrer eigenen Kunst konträr entgegengesetzt sind. Die die Musik immer als das Fü&renda und Maßgebende, den Tanz als das Sekundäre ansehen werden. Wer einen modernen Tanzdichter nötigt, sein« Kompositio-
nen nach vorhandener Musik(und gar Opernmusik) zu gestalten, ist ein Verbrecher an der Kunst. Und Verbrecher an der Kunst sind die, die den Bühnentanz noch immer in den Fangarmen der Oper lasien, die ihm seine besten Kräfte aussaugt ohne selber wesentliches dabei zu gewinnen. Die Loslösung von jahrbundertealten, heute unerträglich gewordenen Fesseln wird praktiscy nicht leicht sein. Bevor die Eni- wicklung des modernen Bllhnentanzes und des deutschen Tanz- Publikums so weit gediehen ist, daß wir an die Gründung einer eigenen staatlichen Tanzbühne denken können, würde al» Ueber- gängsstadium die Befreiung der Tanzleitung und des Tanzensembles aus dem Opernoerbande schon von Nutzen sein Man könnte das Tanzressort dem Schauspielhaus angliedern, wo es, von den An- sprllchen der Opernleutc unbehelligt, in Lerbindung mit Sprech- chörcn und mit Unterstützung einer eigens zu schassenden Geräusch- »msik sich im modernen Sinn ungestört entwickeln würde. Aber Eile tut not. Jedes weitere Jahr im bisherigen Gleise bedeutet unwiderbringliche Verluste, nicht nur an materiellen Auswendungen, sondern auch durch die Berzettelung wertvollster künstlerischer Kräfte. John Schikowski . ♦ Ueber die Musik des Abends schreibt unser Musikreferent: Blechs melodische, lustige Oper„L e r s i e g e l t", ein reicher Vortlang zur späteren„Strohwitwe", machte gute Stimmung. S ch r e k e r s„Spanisches Fest" ließ die Lust in den Ernst über- gehen. In der Unterlegung durch das Ballett erstand die Orchester- luite„Geburtstag der Jnsantin" neu auf, zu dauerhafterem Leben. Es geht dieser seinen Musik, wie mancher von Strawinstiy: zum Tonz geschaffen, fehlt ihr im absoluten Licht des Konzertsaals manche Wirkung, die erst die Bewegung der Spieler bringen kann.— Zuletzt die Arlesiennefuit« von B i z e t, eine der von Musik trunkensten Kleinportituren des„Carmen"-Meisters. Hier war aber die Diskre- panz zwischen Spiel und Musik ausfällig. Die gesamte weiche Lyrik dieser Streichergesänge hätte müssen als Zwischenmusik vor geschlasse- nein Borhang spielen. Man tat ihr Gewalt an und tanzte„ländlich". Hier ist es nun umgekehrt, wie bei Schreker : man gebe die Suite dem Konzertsaal zurück.— Ein Abend der angenehmsten milslkalischen Berlegenheitcn und sicher eine Atempause vor großer Tat. Blech leitete die Trilogie der Lust, des Ernstes und der Anmut lustvoll, ernst, anmutig.'_____ K. S.
�vie Perser*' ües Msthplos. Trotz mancher Mängel in der Regie hinterläßt die Ausführung, die die S t ä d t i s ch e Oper in' Gemeinschaft mit der„G e m« i n- nützigen Gesellschaft zur Pflege deutscher Kunst" am Sonntag mittag veranstaltete, einen starten Eindruck. Vor zwei- tausend Jahren schrieb Aischylos „Die Perser ", ein Eiegeslied auf die Schlacht bei Salamis, ein merkwürdiges Siogeslied, denn es spielt in Persien und zeigt den Jammer des Volkes um die Er- schlagenen. Keine Spur von Siegeranmaßung ist hier zu finden, keine Spur von Verkleinerung des Heindes. Wie groß war dieser Grieche. Nicht lerxes, Darius oder Atasia sind die Helden, sondern das Volk ist Träger des Geschehens. Mag das Schicksal de» Oedipus heute kalt lassen, dieser Notschrei des Volkes, dieses angstvolle
Warten, diese Bcrzwciflung erschüttern, vielleicht weil sie an die jüngste Vergangenheit erinnern. Es ist ein Traucrgesang, der Schmerzschrci eines Lölkes, das sein Liebstes im Kriege verloren hat, von ungeheurer Steigerung und erdrückender monumentaler Wucht. Und wenn der persische Bote die Schlacht bei Salamis schildert, dann klingt darin ein Akkord der Trauer über die Zerstörung menschlichen Leben». Die Akzente haben sich in diesem politischen Festspiel gegen» über den anderen atiischen Dramen verschoben. Der Chor bogleitet nicht mehr die Reden der Darsteller, er ist zu einem selbständigen Instrument geworden. Auf seine Gefühlsäußerungen allein kommt es an, die anderen Darsteller geben dazu höchstens den Anstoß. Dieser aiißerordcntlich�schwiecige Chor ist mit dem Sprcchchor an der Uniosrfität und am Sport-Forum unter Leitung des Uebcrsctzcrs Dr. Wilhelm Leyhauscn besetzt. Gab Remhardt ehemais im „Oedipus " und in der„Orestie " einen bewegten Chor, lcgtc er Wert auf eine gelöste Aufstellung, so bevorzugt Leyhauscn einen streng monumentalen Aufbau. D?r Chor steht beinahe bewegungslos, in ? front dem Zuschauer zugekehrt und ist vor allem in der Gest « äußerst parsam. Die Gesten sind durchaus rhythmisch geordnet, und diese Rhythmik wird noch durch Musik betont, und beherrscht auch den Vortrag. In den„Persern" ist aber der Chor nicht nur Begleit- Instrument, sondern Träger des Ausdrucks. Dieser wird nun allein durch Tempo und Tonstärke angedeutet. Machtvoll gelingt das Krcscendo, wie überhaupt die Tonstärke von Lcyhausen meisterlich nüanciert wird. Doch allmählich tritt beim Zuhörer eine Ermüdung ein, die Ausdrucksstala das Chors ist zu beschränkt, muß es in diesem Stile sein. Monumentalität wird erreicht auf Kosten jedes lebendigen Ausdrucks. Gleichgültig, wie die Griechen den Chor behandelien, für unser Empfinden wird hier die vtilisierunq überspannt. Und dann ist Leyhauscn kein Regisseur, der Chor und Schau- spieler zu einer Einheit zusammenschweißen kann. Prachtoall spricht Lothar M ü t h e l den Boten, nervös, slackentd, eiitdringlich, in seinem Dortrag das Grausige noch einmal durchlebend, der Terxes Gab S h e l a s o s steigert sich zu starkem Ausdruck, aber Bewegung und Ausdruck der beiden Danteller aus Jeßncrs Atelier stehen in größtem Gegensatz zu der gebändigten Rhythmtk des Chors. Dazu gibt W i n t e r ft e i n als Chorführer seines biederen Kertt, den er früher bei Reinhardt spielte, der Darius Walter F r a n ck s stammt aus einem Konversationsstück, und Anne Marie Loose verfällt in De- klamation. Es fehlte jede Einheitlichkeit, jedes Abstimmen der So- listen aufeinander und auf den Chor. Jeder spielt seinen eigenen Stil. Dies der Bruch in der Aufführung. Felix Schcrret.
ver vnwiüerstehliche Max fiSalbert. Die Gastspieldirsktlon Kuhnert ist, in ihrem ernsten Bestreben, da» Theater am Nollendorfplatz zum Amüsiertheater zu stem- peln, auf die gar nicht schlecht� Idee gekommen, F r i tz Fried- mann-Frederichs«twas in Vergessenheit geratenes Lustspiel .Müllers" abzustauben und in einer bligjaubeien Aufführung lierauszubrinoen. Wie auch sonst in den landesüblichen Schwanken handelt es sich in diesem Stück um Verlobungen mtt Hindernissen. Aber Friedmann-Frederich ist origineller und seiner als di« gewöhn- lichen Schwankkomponisten. Der erste Akt endet frisch und trutuar