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Nr. 4244. Jahrg. Ausgabe A nr. 22

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Mittwoch, den 26. Januar 1927

Feilschen um Worte.

Amflich wird um 11% Uhr abends gemeldet:

Das Bürgerblockprogramm soll heute 11 Uhr vormittags fertig sein. ,, Richtlinien". Die Germania " fordert, daß die ,, Richtlinien" Die Verhandlungen über die Regierungsbildung wur. veröffentlicht werden sollen. Schön, dann wird in der Ent­den vom Reichskanzler während des ganzen Dienstags fortgesetzt. widlungsgeschichte des Bürgerblock programms auch dieses Zu diesem Zwed empfing er vormittags die Bertreter der Deutsch - 3wischenglied festgehalten sein. nationalen Volkspartei, die über ihre gestrigen Fraktions­beratungen Bericht erstatteten. Um 4 Uhr nachmittags besprach er fich mit den Führern der Demokratischen Partei, den Ab­geordneten Koch, Erkelenz und Dietrich. Nach einem wei­feren Empfang des Abgeordneten Leicht von der Bayerischen Bolkspartei fand in den Abendffunden eine erneute eingehende Aussprache mit den Beauftragten der Deutschnationalen Bolkspartei unter Beteiligung der Reichsminister Dr. Strese mann und Brauns fiatt, die am Mittwoch ihre Fortsetzung

finden foll. Für Mittwoch vormittag ist ein Bortrag des Reichs­fanzlers über den gegenwärtigen Stand der Berhandlungen bei dem Herrn Reichspräsidenten vorgesehen.

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rungsprogramm" übertriebene Bedeutung bei. Wir legen weder den Richtlinien" noch dem Regie: Mag darin stehen, mas, will, die Deutschnationalen bleiben, die sie sind, und der Befitbürgerblod bleibt, der er ist. Worte tönnen an feinem Charakter nichts ändern. Und ebenso menig fönnte fich an ihm etwas ändern, wenn der Demokrat Reinhold, wie behauptet wird, Lust verspüren sollte, auch in der neuen Regierung weiter den Finanzminister zu spielen. Nach dem Bürgerblod fommt die Abrechnung, fommen die nächsten Wahlen. Darum Vorhang auf! Laßt die Komödie beginnen!

Das Zentrum ist verschnupft.

Ueber die einzelnen Verhandlungen verbreitet ein parlamenta. Eine Erklärung zu den Gerüchten über Konkordat

risches Nachrichtenbureau folgenden offiziösen Bericht:

Die vom Reichskanzler Dr. Marg für ein Regierungspro­gramm aurearbeiteten Richtlinien wurden im Laufe des gestrigen Rachmittags den für die neue Aoalition in Betracht kommen­den Frationen unterbreitet, die ihrerseits endgültige Stellung dazu zu nehmen haben. Die endgültige Faffung fod dann am Mittwoch vormittag um 11 Uhr den Demokraten vorgelegt werden. Die demokratische Reichstagsfraktion vertagte daher ihre für Dienstag abend angefehte Fraffionsfihung auf mit moch vormittag 11 Uhr. Die Fraktion wird ihre endgültige Stellungnahme zur Regierungs neubildung von der Faffung diefer Richlinien abhängig machen. Soweit man aus demokratischen Kreisen hört, dürfte kaum Aus­ficht fein, daß die demokratische Fratilon fich affiv an der neuen Regierung beteiligt

Die Reichstagsfraktion der Wirtschaftl. Bereinigung be­schäftigte sich in ihrer gestrigen Fraktionssihung mit der Frage der Re­gierungsumbildung und nahm den Bericht ihrer Mitglieder Dremih und Alpers über die Verhandlungen mit Dr. Marg entgegen. Die Fral. flon hält an dem bisher eingenommenen Standpunkt fest, daß sie die Beteiligung an einer Regierung ablehnen müsse. Sie will dem Kabinett der bürgerlichen Parteien mit wohlwol­lender Neutralität gegenüberstehen und es unterstützen, folange die Regierung den Forderungen des Mitelstandes Rechnung trägt. Die deutschnationale Fration jetzte gestern eine befon­dere Fachkommiffion ein, die aus den Abgeordneten Schiele, Behrens, Lambach, Leopold und v. Golda det gebildet wurde und den Auftrag hatte, über die Formulierung des sozial. politischen Regierungsprogramms zu verhandeln. In eingehender Aussprache dieser Kommission mit den geschäftsführenden Ministern Brauns und Dr. Curtius wurde eine volle Einigung über die Formulierung der sozialpolitischen Programmjähe erzielt. Gestern abend fand eine Besprechung beim Reichsaußenminister Dr. Stresemann flat, in der die Fragen der auswärtigen

Politik erörtert wurden.

Die deutschnationale Reichstagsfraktion hielt am Dienstag abend feine Sigung ab; sie versammelt sich erst wieder am Mittwoch vor­mittag.

Der elfestenrat des Reichstags ist zu einer neuen

Sigung auf heute nachmittag 2 Uhr berufen worden, Voraussichtlich wird in dieser Sigung festgesetzt werden können, wann die Regie­rungserklärung des neuen kabinetts vor dem Reichstag abgegeben

merden kann.

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Ob das offiziöse Versprechen, daß heute 11 Uhr vor­mittags das neue Regierungsprogramm fertig sein werde, ge­halten werden kann, ist noch fraglich. Gestern früh hieß es, am Abend werde alles fertig sein, nun ist die Frist abermals verlängert worden. Offenbar versuchen die Deutsch verlängert worden. Offenbar versuchen die Deutsch nationalen, gewissen Formulierungen aus= zuweichen, von denen sie fürchten, daß sie den Zorn der Deutschen Zeitung" erregen fönnten, aber niemand glaubt, daß sie um einiger Worte willen, die vielleicht für den Augen­blid etwas unbequem sind, die Beute fahren lassen werden, deren Geruch sie schon in der Nase haben. Im Notfall wer= den sie sich eben an Friedrich Wilhelm IV. erinnern, der im Jahre 1848 die neuen Boltsrechte beschwören sollte mit den Worten: Ich gelobe, daß ich das ehrlich halten werde," mäh­rend der Berliner Volksmund versicherte, der König habe ge­jagt: 3d jloobe, daß ich das schwerlich halten werde."

Im Reichstag wurde z. B. erzählt, die Deutschnationalen hätten statt des Schuhes der republikanischen Verfassung ihre organische Fortentwicklung" gefordert. Auch in den Fragen der Außenpolitik sollen sie um andere For­mulierungen bemüht sein. Schließlich werden sie, daran zweifelt faum noch jemand, den Richtlinien" so oder so ihren Gegen geben.

Die Richtlinien" find, wohlgemerft, etwas anderes als das Manifest des Sentrums". Und das Regierungs­programm wird mieder etwas anderes fein als die

berhandlungen.

Die Reichstagsfrattion des Zentrums teilt mit: Die Zentrumsfraftion des Reichstages nahm in ihrer gestrigen Sigung nacitere Berichte über den Verlauf der Verhandlungen um die Regierungsbildung entgegen. Dabei fand die durch gewiffe Gerüchtmeldungen in namhaften volksparteifichen Blättern geschaffene Sachlage besondere Beachtung. Die Deutiche Boltspartei hat sich den aussichtsreichen Möglichkeiten einer Wiederaufrichtung eines Kabinetts der Mitte widersetzt und auf den Versuch der Mehr. heitsbildung mit den Deutschnationalen hingedrängt. Im Augen blid, da der Beauftragte des Herrn Reichspräsidenten , der Zen trumsmann Dr Marg, auf Grund des Manifestes seiner Frattion Berhandlungen aufgenommen hat, schiden sich volkspartei liche Blätter an, die fachlichen politischen Ziele des Ben trums durch leere Robinationen in ein völlig falsches Licht zu rüden, um diese zu diskreditieren und eine gemeinsame Abwehrfront des Liberalismus gegen eine angeblich dem deutschen Geistesleben drohende Gefahr" zu begründen. Das Un gewöhnliche dieses Borganges ist offensichtlich. Dem­gegenüber sieht sich die Reichstagsfraktion des Zentrums veranlaßt zu nachstehend formulierter Stellungnahme:

frattion Kenntnis von den gefliffentlichen Ausstreuun Mit Staunen und Entrüstung nimmt die Zentrums­gen volksparteilicher Blätter über fulturpolitische Borverhandlungen Solche jeder Grundlage entbehrenden Ausstreuungen sind aber und Abmachungen des Zentrums mit deutschnationalen Kreisen. geeignet, die politische Atmosphäre zu vergiften und die laufenden Berhandlungen zweds Bildung einer Regierung auf das Ernsteste zu stören. Die Zentrumsfraktion muß die Berantwortung für die möglichen Folgen eines solchen Vorgehens den Urhebern gründe zu ihrem politischen Verhalten hat die Zentrumsfrattion in diefer durchsichtigen Rombinationen überlassen. Die Beweg ihrem Manifest offen dargelegt. Sie hat dem nichts hinzuzufügen."

Die Deutschnationalen höhnen.

lustig, die immer nach dem Bürgerblock gerufen hat und nun Das Zentrum macht sich weidlich über die Volkspartei Angst bekommt, da er wirklich tommt. Zugleich aber gießt die deutschnationale Presse im Reich in Berlin ist man vorsichtiger volle Schalen des Hohns über die ausge­fallenen Häupter des 3entrums aus. So die ,, München Augsburger Abendzeitung":

Tag auf den andern gänzlich herumzuwerfen. Das Zentrum ist heute Nicht oft wird eine Partei gezwungen, das Steuer von einem in diefer Lage. Wie hat die Zentrumspreffe, wie haben Zentrums­führer vom Schlage des Dr. Wirth über die Rechtsfoalition geschimpft! Wie haben sie immer und immer wieder versucht, die heute in Deutsch­ land einzig mögliche Mehrheitsbildung als Be fi h bürgerblod" perächtlich zu machen. Und soll Mary diefen Block bilden, soll Marx Kanzler einer so schimpflichen Regierung werden? Auch unsere Zeit, in der ja rasche Gesinungsänderungen nicht ganz ungewöhnlich find, in der man sich immerhin noch erinnert, wie viele am 8. No­pember 1918 als Monarchisten zu Bett gegangen lind, um am 9. November 1918 als Republikaner aufzumachen auch unsere Zeit hat ein Gefühl für die Beinlichkeit der Lage, in der das Zentrum fid) heute befindet. Benn die Partei des Herrn Marg auch gewiß nicht ohne eigene Schuld in diese fatale Situation geraten ist, so wäre die Deffentlichkeit doch bereit gewesen, darüber schweigend hinwegzu­zugehen, zumal im Himmel mehr Freude herrscht über einen Sünder, der Buße tut, denn über 99 Gerechte.

Und nun folgt eine herablassende Ablanzlung Josefs und seiner Brüder, die von den Deutschnationalen Bekenntnisse fordern, was natürlich rundweg abgelehnt wird.

Es geht wirklich recht polternd zu auf diesem Bolterabend vor der Bürgerblodhochzeit

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Boftichedlonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter. Angeftelten und Beamten. Balftr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenstr. 3.

Triumph der Bureaukratie.

Die Selbstverwaltung in der Arbeitslosen­versicherung.

Neben den Fragen des materiellen Versicherungsrechts in der tommenden Arbeitslosenversicherung ist von besonderer Bedeutung der Träger dieser Versicherung. Von einer sozial befriedigenden Lösung dieser Aufgabe wird es mit abhängen, ob die Arbeiter und Angestellten das nötige Bertrauen zu diesem Versicherungsträger haben können. Der Regierungsentwurf erfüllt nicht das in der Reichs­verfassung vorgesehene Recht jedes Arbeitslosen auf aus reichenden Schuz; er mißachtet in der gleichen Weise den Artikel 161 der Reichsverfassung, der dem Reich die Pflicht auferlegt, ein umfassendes Versicherungswesen unter ma B- ge bender Mitwirtung der Versicherten zu schaffen. Was für das Ganze gilt, muß auch für seine Teile gelten. Die Selbstverwaltung in der Arbeitslosenversicherung muß deshalb den Versicherten einen maßgebenden Einfluß einräumen. So will es wenigstens die Reichsper­fassung. Der Regierungsentwurf läßt das vollständig un­berücksichtigt.

arbeiter des Reichsarbeitsministeriums, Geheimrat Weigert, im Reichsarbeitsblatt erklärt, daß in der Organisation die Selbstverwaltung der Beteiligten in den Vordergrund treten mung der öffentlichen Interessen in der Versicherung zu be­muß und die behördliche Mitwirkung sich auf die Wahrneh­fchränken hat. Diese behördliche Mitwirkung ist in Wirt­tich feit von ausschlaggebender Bedeutung. Man braucht sich den Regierungsentwurf daraufhin nur näher an­zusehen.

Es ist ein schlechter Wih, menn dennoch der Sachbe­

arbeitslosentasten werden, deren Bezirke sich mit Träger der Arbeitslosenversicherung sollen die Landes­den Bezirken der Landesämter für Arbeitsvermittlung beden follen. Diese Landesämter find feine fozialpolitischen Selbst­verwaltungsförper, wie beispielsweise die Krankenkassen, fondern Teile der allgemeinen Staats- oder Provinzialver­waltung. Die Folge davon ist, daß bei der engen Verbindung zwischen Arbeitslosenkaffen und Landesämtern feine wirt­liche Selbstverwaltung, sondern eine Staatsver­waltung herauskommt, gemildert durch eine paritätische Be fezung der Organe der Landesarbeitslosenfassen: Ausschuß und Borstand. Aber auch hier sorgt eine raffinierte Kon­ftruftion dafür, daß die Bäume der Selbstverwaltung nicht in den Himmel wachsen: Alle Macht dem Vor­sigenden!

Borsigende gleich drei Aemter in einer Berson als Vor Es ist sicher mehr als ein nedischer Zufall, daß dieser Organe der Landesarbeitslosenfassen brauchen ihn auch gar sigender vereinigt: Ausschuß, Vorstand und Landesamt. Die nicht erst zu wählen, sie bekommen ihn fig und fertig durch Gesetz geliefert. Auch sonst besteht nicht die Gefahr, daß die Versicherten einen entscheidenden Einfluß auf diesen wichtigen Bosten ausüben können. Die Dreieinigkeit schützt den Vor­fchaft als Vorsitzender des Landesamtes für Arbeitsvermitt fizenden davor. Er wird, in feiner ursprünglichen Eigen­lung, nach Anhörung des Verwaltungsausschusses von der obersten Landesbehörde bestellt. Die Selbstverwaltung hat damit noch feineswegs ihre höchste Stufe erflommen. Ein solcher Borsigender ist durchaus ge­Landesarbeitslosenkasse zu entfalten. Und so bestellt der eignet, die nötige Umsicht bei der Bildung des Vorstandes der Herr Vorfigende die Bertreter der Arbeitgeber und Ar­beitnehmer für den Vorstand.

Mißtrauen, sagt man, fei eine- demokratische Tugend. Sie ist auch dann zu üben, wenn der Vorfizende von der obersten Landesbehörde bestellt wird. Man kann nicht wissen. ihrer Vollendung entgegen. Die oberste Landesbehörde oder Die ,, Selbstverwaltung" in der Arbeitslosenversicherung reift die von ihr bezeichneten Stellen sind berechtigt, Beauf­tragte zu den Landesarbeitslosenkassen zu entfenden. Der Beauftragte kann an den Sizungen der Organe und Spruch­fammern mit beratender Stimme teilnehmen; er fann sogar gegen Entscheidungen der Spruchkammer Beschwerde mit aufschiebender Wirkung an den Spruchsenat des Reichsver­sicherungsamtes einlegen.

Wer noch nicht gewußt hat, was Selbstverwaltung ist, der findet in diesem Entwurf eines Gefeßes über Arbeitslosen­versicherung reiche Belehrung darüber, wie sie nicht aussieht. Es ist unmöglich, feine Satire zu schreiben. Die Berwal­tungsbureaukratie allmächtig, obwohl Finanzierung der Versicherung ausschließlich aus Beiträgen erfolgen soll.

Die

Der Regierungsentwurf läßt das entscheidende Problem ungelöst, weil man nicht sehen will, in wie engem Zusammen­hang es mit der urzulänglichen Selbstverwaltung in unserem Arbeitsnachweiswesen steht. 3mar ist es eine Binsenwahr heit, daß die Arbeitsvermittlung das wichtigste Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist. Nur werden die Konsequenzen nicht daraus gezogen. Die ganze Organi fation des Versicherungsträgers und eine wirtliche Selbstver