Einzelbild herunterladen
 
  

Abendausgabe

Nr. 53 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 26

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redattion: S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292- 292 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Dienstag

1. Februar 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 8 bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Donhoff 292- 207

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

China kämpft um Zollfreiheit.

Der englische Zollinspektor entlassen.

Peting, 1. Februar. ( WTB.) Die Regierung hat den Generalinspektor der chinesischen Zölle, den Engländer Sir Francis glen, im Berfolg der Meinungsverschiedenheiten über die Erhebung der neuen Zollzuschläge entlassen. Aglen hatte fich auf den Standpunkt gestellt, daß die ihm unterstehende Zoll­organisation nur die von den Verträgen zugelassenen 2b­gaben erheben könne. Die Regierung hatte demgegenüber darauf hingewiesen, daß die Zollzuschläge auf der Washingtoner Konferenz von den Mächten einstimmig genehmigt wurden und daß Aglen als Beauftragter der chinesischen Regierung deren Anordnungen aus­führen müffe.

Die Zwietracht der Großmächte.

London , 1. Februar. ( WTB.) Der diplomatische Berichterstatter der Morning Post" schreibt: Den Protest, welchen der chinesische Minister des Aeußeren Wellington Roo namens der Pefinger Re­gierung gegen die Landung britischer Truppen in Schanghai erhoben hat, sind gleiche Proteste seitens verschiedener chinesischer Be= hörden, Gesellschaften und Organisationen in Shanghai felbft gefolgt. Diese Proteste haben anscheinend das auswärtige diplomatische Korps in eine ziemlich eigenartige Lage gebracht. Japan ist ganz und gar nicht einverstanden mit der britischen Denkschrift und der britischen Bolitit im allgemeinen. Die anderen interessierten Mächte nehmen zwar die darin nieder

Endlich beisammen!

Erfte Sigung der kompletten Bürgerblock- Regierung.. Heute nachmittag tritt die neue Reichsregierung zu­sammen, um die Regierungserklärung zu be­sprechen, die am Donnerstag vor dem Reichstag abgegeben

werden soll.

Heute vormittag waren verschiedene ab- und antretende Minister beim Reichspräsidenten .

Katzenjammer und Verwirrung.

Deutschnationale Stimmung: flau. Graefs Schicksal hat sich fang und klanglos erfüllt. Wer weint noch um Graef ? Nicht einmal die Deutsche Beitung". Der einzige Wunsch der Deutschnationalen scheint zu sein, Gras über dieses politische Begräbnis wachsen zu lassen. Kurz und flau schreibt die Deutsche Tages. zeitung":

, Damit ist nun die letzte Epoche dieser Regierungsfrise abge­schlossen: wir möchten dringend wünschen, daß sie auch der letzte derartige Vorgang innerhalb der neuen Koalition bleibe; auch nur etwas Aehnliches darf sich nicht wiederholen; wenn diese Koalition Bestand haben soll."

Aehnlich der Hugenbergsche Tag":

,, Es wird immerhin einiger 3eit und einiger Beweife des Billens zur Zusammenarbeit von den Koalitions­parteien, deren Mitglieder an diesem legten Störungsverfuch beteiligt find, bedürfen, um den sehr unangenehmen Eindruck dieses Zwischenfalles auf die deutschnationale Frattion wieder auszu­gleichen."

Die neue Ehe geht gut los! Den inneren Krach haben die Deutschnationalen obendrein. Da ist zunächst der Fall Lindeiner Wildau- Bommeriche Tagespost". Die deutschnationale Reichstagsfraktion hat Stellung für Lindeiner gegen die Tagespost" in folgender Erklärung

genommen:

"

In der Pommerschen Tagespost" Nr. 25 vom 30. Januar wird Herrn v. Lindeiner der folgende Borwurf gemacht: Wer an diesem Ränkespiel die Schuld trägt, wird sich bald herausstellen; Herr v. Lindeiner dürfte jedenfalls nicht sehr weit von diesem Rüngel zu suchen sein." Der Borstand und die Fraktion der Klüngel zu suchen sein." Der Vorstand und die Fraktion der Deutschnationalen Volkspartei ist einmütig der Ueberzeugung, daß dieser Vorwurf sachlich unberechtigt ist, mißbilligt bie Veröffentlichung dieser Berdächtigung und weift fie mit Entschiedenheit zurüd."

"

Die Pommersche Tagespost" jedoch sieht mit Gelassenheit entgegen. Die Telegraphen- Union verbreitet folgende Auslassung:

,, Die Echriftleitung der Bommerschen Tagespoſt" teilt hierzu mit, daß sie dem angedrohten Schritt des Herrn v. Lindeiner- Bildau mit Gelassenheit entgegenfehe. Sie wundere fich nur über die herausfordernde Schärfe der Lindeinerschen Erklärung, die jete Sachlichkeit vermissen laffe, das zuläffige Maß der Abwehr um ein bedeutendes überschreite und keinesfalls durch den beanstan deien Kommentar der Bommerschen Tagespoft" begründet werde." Das wird ein Prozeß werden! Die Hintergründe der deutschnationalen Fraktion vor Gericht!

Am 2. Februar aber wird der engere Borstand der Deutschkonservativen Partei in Berlin zu sammentreten. Er bereitet einen Aufruf vor, der als Proteft gegen die Unterzeichnung der Richtlinien durch die Deutsch­nationalen das Gelöbnis der Treue zu Kaiser und Reich, also zur Monarchie besonders hervorheben foll.

Das wird ein guter Auftakt zur Programmerklärung des Bürgerblods.

gelegten Prinzipien an, find aber gegenwärtig nicht bereit, der Politit in allen ihren Einzelheiten zuzustimmen.

Eine weitere Berwidlung entsteht durch die Tatsache, daß die Fremdenniederlaffung in Shanghai international ist und daß fomit alle Mächte in gleicher Weise dafür verantwortlich find.

,, Daily Telegraph " meldet: Der von einer amerikanischen Nach­richtenagentur verbreitete Bericht, daß das Konfulartorps in Schang hai es abgelehnt habe, die Landung von englischen Truppen in der internationalen Niederlaffung zu gestatten, wird von irgend welcher anderen Seite nicht bestätigt.

Ein vorläufiger Nachfolger ernannt. Pefing, 1. Februar. ( WIB.) Zum vorläufigen Nachfolger

des entlassenen Generalinspektors der Zollverwaltung Sir Francis glen hat die chinesische Regierung den englischen Staatsangehörigen Edwards ernannt. In einer Bekanntmachung wird ausdrücklich erflärt, daß alle ausländischen Anleihen und Entschädigungs. forderungen sowie der Dienst der inneren Anleihe unberührt bleiben.

Der Direktor der Schanghaier Zollverwaltung Admiral Tsai tingkan ist zurüdgetreten, an seiner Stelle ist der frühere Finanzminister Lowenfan ernannt worden.

Ein Pflaster für Herrn Graef.

Politik und Taktik.

Eine zeitgemäße Betrachtung. Von Eduard Bernstein .

Als Johann Most fich von der Partei der deutschen Sozialdemokraten lossagte, veröffentlichte er gegen sie eine Flugschrift, der er den Titel gab: Taftit tontra Freiheit".

Es war ein unter verschiedenen Gesichtspunkten überaus anfechtbares Machwert, voller Schiefheiten und in hohem Grade ungerecht. Es griff Maßnahmen der Partei an, die Most, bevor er den deutschen Boden verließ, selbst als dort nach Lage der Dinge die Herrschaft des brutal gehandhabten Ausnahmegesezes- geboten anerkannt hatte und mitzumachen bereit gewesen war, und forderte eine Aktion, die in London , wo Most nun war, sehr leicht gepredigt werden konnte, in Deutschland aber die ohnehin bedrängte Lage der doch erst mäßig starten Partei nur noch verschlechtert hätte.

Ausführungen. Most war ja kein ganz unbedeutender Mensch. Ich habe ihn einmal ein undiszipliniertes Talent genannt, undiszipliniert insofern, daß er seine Meinungen oft sprung­haft wechselte, heute eine Idee verherrlichte, die er gestern verdammt hatte, und umgekehrt. Aber es streckte doch in ihm ein großes Talent, wenn nicht Genie. Er hatte in höherem Grade Ideen als die Mehrzahl seiner Umgebung. Das ließ auch der Titel jener Flugschrift durchblicken. Taktik tonira Freiheit"" was sollte das heißen? Nun, daß die Partei, die Most angriff, vor lauter Tattik gegen die Grund= gedanken der Bewegung verstieß, die er, Most, in der Freiheit" hochhielt. Die Anwendung mar freilich bei ihm fehlerhaft genug, aber in der Gegen die zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Formen sich immer wieder der ernsten Erwägung aufdrängt. Immer wieder finden sich Menschen geneigt, um nahe­willen Aufgaben von größerer, umfassenderer Bedeutung zu liegende Erfolge versprechender taftischer Unternehmungen ist es in Kriegen wiederholt geschehen, daß Militärs, die sich vernachläffigen und damit im Endresultat preiszugeben. So nur auf taftische Manöver verstanden, die Pläne von an der Spize der Armee stehenden weitschauenden Strategen ver­hängnisvoll durchkreuzten, und ähnliche Widersprüche sind auch innerhalb der Staaten in den großen politischen Kämpfen

Bei alledem enthielt die Schrift indes auch beachtenswerte

Der Reichspräsident hat an Herrn Graef folgendes überstellung steckte ein Gedanke von geschichtlicher Bedeutung, Schreiben gerichtet:

Sehr geehrter Herr Graef !

die ihr entgegenstehenden Schwierigkeiten sind in erster Linie durch Die Bildung der neuen Reichsregierung ist nunmehr beendet; Fraktion Ihnen angetragenen Randidatur eines Reichsministers zu Ihren freien Entschluß, auf der von der deutschnationalen verzichten, hinweggeräumt worden.

Ich danke Ihnen für diese Sie ehrende fachliche Handlungs weise, die den allgemeinen Interessen den Borrang vor persönlichen und parteipolitischen Anschauungen gelassen hat. Angesichts der Er. örterungen, die sich in einem Teil der Bresse und der Deffentlichkeit mir Bedürfnis, Ihnen auch bei dieser Gelegenheit zu versichern, daß an die Borgänge bei der Regierungsbildung geknüpft haben, ist es die Behauptung, ich hätte Ihre Kandidatur abgelehnt, durchaus unrichtig ist; ich habe in teinerlei Richtung gegen Ihre Person oder Ihre sachliche Eignung Bedenken erhoben und fann nur lebhaft bedauern, daß Sie durch tendenziöse Nachrichten und Gerüchte in dieser Weise persönlich in Mitleidenschaft gezogen worden sind.

der Parteien möglich.

zwischen militärischer Strategie und großer Ich habe, glaube ich, schon früher einmal den Bergleich Politit gezogen. Jedenfalls scheint mir seine Betonung heute durchaus zeitgemäß. Was im Kriege von Land zu Land die Strategie, ist im Kampf der Parteien des einzelnen Landes die Politik im tieferen Begriff dieses Wortes, d. h. die durchdachte, systematische Verfolgung großer Ziele. Sie erfordert, um erfolgreich betrieben zu werden, die genaue Kenntnis und weitschauende Rücksichtnahme auf die politischen Kräfte des Landes, auf die materiellen Machtmittel und feelischen Dispositionen seiner Parteien. Faktoren, die für Barteien in ihrer Jugend, wo es fich für sie nur erst um die gehandelt, von feiner besonderen Tragweite erscheinen und unter Propagierung ihrer Ideen gegen die Welt der anderen

Mit der Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung bin ich Ihr ergebener

gez. von Hindenburg. Der eigene freie Entschluß des Herrn Graef war sehr merkwürdiger Natur. Er ist nicht gegangen, sondern flogen!

Die Politik der pps.

Für Minderheitenrechte, gegen Aenderung der Weftgrenze

In der Etatsdebatte des polnischen Sejms sprach für die Polnische Sozialistische Partei ( PPS.) Abg. Gen. Njedzialtow fti; nach dem er die Wirtschafts- und allgemeine Politit der Regierung Pilsudski abgelehnt hatte, führte er nach dem Bericht der Lodzer Boltszeitung" aus:

-

dem Gesichtspunkt des reinen Ideenkampfes auch erscheinen tönnen. Die aber, sobald die Partei eine genügende Stärke erlangt hat, um bei wichtigen Entscheidungen selbst einen ernsthaften Machtfaktor zu bilden, auch von ihr Sorgfame Beachtung beanspruchen.

Das vergessen manche Parteigenossen, wenn sie die heutige Behandlung politischer Fragen durch die Partei an der Hand von Vorgängen aus ihrer Jugend kritisieren zu sollen glauben. Was eine fleine Partei tun fonnte, ohne gewärtigen zu müssen, daß sie dadurch unwünschbare Wirkungen tiefgreifen­In der Minderheitenpolitit fehen mir absolut der Natur herbeiführe, ist einer Bartei, die eine gewisse Größe eine Aktion der Regierung. Das verfloffene Jahr hat unter überschritten hat, nicht immer möglich. Unter Umständen fann dem Einfluß des Nationalismus gestanden. In dieser Ange­legenheit hat die PPS. schon seit langem ein Programm, das die sie mit dem gleichen Schritt, ohne es zu wollen, eine folgen­territoriale Autonomie für die nebeneinander wohnenden schwere Verschiebung der ganzen politischen Situation ver­Minderheiten vorsieht, vorgeschlagen. Für alle zerstreut wohnen- ursachen. Wir haben das in den jüngsten Tagen sich so den Minderheiten( 3. B. die Deutschen . Reb. d. 2.) verlangt die BBG. deutlich abfpielen sehen daß ich es mir verjagen zu dürfen die Gewährung der vollen Rechte in sprachlicher und fultureller glaube, auf diese Vorgänge hier noch im einzelnen zurückzu­Beziehung sowie die freie Pflege des Volkstums.

In der Außenpolitik ist unser Standpunkt in Sachen der West grenze unferes Landes bekannt. Wir lehnen jegliche Ab. fichten auf Aenderung der Westgrenzen ab, boch sehen wir feine Notwendigkeit, ganz Deutschland als einen nationalistischen Bloc zu behandeln. Die Zukunft unserer Außenpolitik liegt in der Feftigung unserer Stellung im Bölferbundsrat.

treten für volle Gleichberechtigung der Minderheitsvölfer bekräftigt, Die polnische Sozialdemokratie hat somit aufs neue das Ein das ihr Neujahrstongreß 1926 beschloffen hatte; ihre Erklärung wegen der Westgrenze hat sie anläßlich ber Stcrriborreben des Außenminifters Balewski abgegeben, bie wiederum ihren ganz bestimmten Anlaß gehabt haben.

Der Arbeitsminister der Pilsudski - Regierung, Abgeordneter Moraczewski, hat nun sein Mandat niedergelegt, nachdem er schon aus der PPS. - Fraktion ausgeschieden war, als diese seinen Eintritt in diese Regierung nicht guthieß. Moraczewski wurde 1907, als er noch österreichischer Eisenbahnbeamter war, in den Wiener Reichsrat gewählt und ist ein treuer Freund Pilsudskts Sein Mandatsnachfolger im südostgalizischen Petroleumwahlkreis ist Wertmeister Gen. Ottawjez

tommen.

Ob die Regierungsfoalition 3entrum­Deutschnationale zustande gebracht worden wäre, wenn die Sozialdemokratie das Mißtrauensvotum gegen die Regierung der Mitte, das ja jedenfalls damals nicht brängte, nicht oder in einer Form eingebracht hätte, die das, arbeiteten ja sehr einflußreiche Kräfte unablässig darauf hin, worauf fie in jenem Augenblick abzielte, ausschließlich zum Ausdruck brachte, mag man für außer Frage halten. Es sie herbeizuführen. Nicht zu verkennen aber ist, daß es ihr zur gegebenen Zeit den Weg geebnet hat.

Es ist nun außer Frage, daß diefe Koalition, je länger fie andauert, auf die Entwicklung der Republik um so übler zurüdmirfen wird. Wir brauchen feine Schwarzmalerei zu treiben, auch die Möglichkeiten der Deutschnationalen find begrenzt. Aber grundfalsch wäre es, sich über den Ernst der Situation hinwegzutäuschen. Wir haben in dieser Bartei mit Gegnern zu tun, die zwar nichts weniger als Geistesriesen. aber erfahrene Brattizer auf dem Gebiete der politischen Ränte sind jener Ränte, die von jeher die Spe­zialität der Oberschichten der Gesellschaft waren und das Geheimnis der weiland bewunderten höfifchen Diplomatie