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Abendausgabe

Nr. 57 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 28

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Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Donnerstag

3. Februar 1927

Berlag and Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 84 bts 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 63, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Verkaufte öffentliche Meinung".

Vom Regierungsblatt zum Industrieanzeiger.

Der Bürgerblock von Prag .

Berfall der tschechischen Temokratie.

J. H. Prag , am 1. Februar.

der Regierungsmehrheit in der Tschechoslowakei angehören, Als jene deutschbürgerlichen Parteien, die jetzt noch in der Opposition standen, da haben sie bitter geflagt über den demokratisch mastierten Absolutismus der Mehr­heit. Aber seit sie ihre politische Stellung gewechselt haben und selber an der Regierung teilnehmen, sind sie aus Be­fämpfern zu Nutznießern des vor Jahresfrist noch so heftig angefeindeten Systems geworden. Unter ihrer Mit­hilfe wird die De motratie systematisch abgebaut.

Die Deutsche Allgemeine Zeitung" über| flußten Beitungswesens für die Allgemeinheit rascht heute ihre Leser mit einer Ertlärung, die der Auf geradezu typisch hervortreten. Einstmals ein offigiöses flchtsrat der Norddeutschen Buchdruckerei und Berlagsanstalt Regierungsorgan, wechselte es im Laufe der Inflation wieder sowie der Verlag und die Redaktion des Blattes, in eigener holt seinen Besizer, gehörte einmal Stinnes, einmal der Sache" veröffentlichen. Die Erklärung lautet: preußischen Regierung, einmal dem Auswärtigen Amt , um nun wieder in die Hände eines privatkapitalistischen Kon­fortiums zu gelangen. Nicht immer hat man den Befiz­wechsel der Deffentlichkeit und dem Leserpublikum derart zur Renntnis gebracht, wie das jetzt der Fall ist. Während in Wirklichkeit der Verlag und die Redaktion den verschieden als früher wird es einberufen. Die großen Sorgen der Das Parlament tagt seit Monaten nicht. Noch seltener artigsten Intereffen zu dienen hatten, erfuhr das Bublifum Bevölkerung: die Wohnungsfrage, die Teuerung, die von dem Besizwechsel höchstens dann etwas, wenn der Re- Arbeitslosigkeit interessieren die Parlaments­battionsstab sich in auffallender Weise veränderte.

Die bisher im Besitz der Reichsregierung befindlichen Aktien unserer Gesellschaft sind mit dem heutigen Tage von einer Gruppe erworben worden, die sich aus Industrie, Handel und Schiffahrt zusammenfeßt. Damit hat jede mittelbare oder unmittelbare Beteiligung des Reiches oder anderer amt.

licher Stellen aufgehört.

An der unabhängigen nationalen Bolitif der Deutschen All­gemeinen Zeitung wird unverändert festgehalten. Die Leitung und Busammenlegung der Redaktion, deren Unabhängigkeit ebenso mie bisher gesichert ist, bleibt die gleiche.

Bemerkenswert ist an dieser Erklärung, daß sie nicht den geringsten Hinweis auf den Personenfreis ihrer Er werber enthält. Bon anderer Seite muß man erfahren, daß die Darmstädter Bant und der rheinische Groß industrielle Otto Wolff zu den neuen Befizern dieses Blattes gehören. Dieser befannte schwerindustrielle Konzern hat sich schon früher im Pressewesen betätigt. Er war es, der bie größte nicht amtliche Nachrichtenagentur, die Tele graphenunion, in ihrem heutigen Charakter neu ge­haffen hat, indem er den Korrespondenzverlag Dr. Jammert an sich zog und mit der früheren Depeschen agentur Tu. vereinigte. Dieses Unternehmen ist später über ugenberg fast ausschließlich in die Hände der Deutschnatio­alen Partei und der ihr nahestehenden Industriellen und Agrarkreise geraten. Auch ein führendes Zentrumsblatt, die Kölnische Volkszeitung hat eine Beitlang zum Otto- Wolff- Konzern gehört, der allerdings später auf die be­absichtigte Beeinflussung des großen Handelsteils der Zeitung verzichten mußte. Ebenso wurde sein Name im Zusammen hang mit der inzwischen in der Täglichen Rundschau" auf­gegangenen volksparteilichen Tageszeitung Die Beit" ge­

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Der jegige nicht unbeträchtliche Kaufpreis ge nannt werden anderthalb Millionen, das dürfte aber zu tief gegriffen seinist in Wirklichkeit für ein Unternehmen noch viel zu viel, wenn es wie die" DA3." bisher monatlich 90 000 m. 3uschuß erforderte. Wenn man einen Sinn in dieser Erwerbung der DA3." durch die Privatindustrie fuchen will, so tann es nur der sein, daß Schwerindustrie, Schiffahrt und Banken neuerdings andere Wege in die Deffentlichkeit zu erschließen trachten als ihnen bisher zur Berfügung standen. Die westdeutsche Großindustrie ist schon längst nicht mehr damit zufrieden, daß der nationalistische Sugenberg Konzern mit seiner reaktionären und völlisch gerichteten Politit die internationalen Beziehungen immer wieder stört, auf die die moderne Industrie- die Eisen- und Stahlindustrie aber ganz besonders angewiesen ist. Der Erwerb der DA3. ist also mohl dazu bestimmt, um das llebergewicht der Hugenberg- Bresse im Lager der bürger­lichen Rechtsparteien und der Industrie etwas auszugleichen. So wird die öffentliche Meinung", in deren Unabhängigkeit ein großer Teil der Leser sein Vertrauen fett, zum Mittel der Interessenpolitik und des Austrages von Interessenstreitigkeiten der Kapitalisten unter­einander. Der Fall DAZ. ist dafür typisch. Aber in der and übrigen Bresse wechseln Befizer und Drahtzieher der öffent Außer dem Otto- Wolff- Konzern find aber noch andere lichen Meinung ebenfalls fortgefeht, ohne daß man das immer Kreise beteiligt. Man nennt insbesondere die Hamburg . erfährt. Im Interesse der Reinheit der Presse ist also aufs Amerita Batetattiengesellschaft, deren Auf- neue die Forderung zu erheben, daß die Eigentumsverhält fichtsratsvorsitzender der frühere deutsche Reichstanzler Cuno niffe einer Zeitung öffentlich bekanntgegeben werden. ist, sowie den Trustmagnaten und voltsparteilichen Abge ordneten Vögeler.

nannt.

Es scheint das Schicksal der DA3." zu sein, daß in ihre Geschichte alle Gefahren eines tapitalistisch beein

Vor der großen Sihung.

Die Ouvertüre zum Festspiel.

Die Dupertüre, die die Presse zur heutigen Eröffnungs vorstellung im Reichstag anstimmt, ist allermodernste Musik. Sie besteht aus lauter Dissonanzen.

Die Deutsche Zeitung" geht gegen Stresemann mit Ent­hüllungen vor. Sie berichtet über Ausführungen, die der Außenminister bei einem Tee der ausländischen Presse ge­macht habe:

Die Mehrheit der Deutschnationalen fei jezt des Kampfes gegen die Republit müde und stelle sich auf den Boden der Berfassung. Sie hätten eingesehen, daß der Kampf gegen den Bertrag von Locarno ein Unfinn war, und es sei zu wünschen, daß sie sich von folchen Exaltados" wie rentagh Loringhopen, Ever ling und Go! freit machten. Es werbe notwendig sein, die Deutsch­nationalen bei ihrem Eintritt in das Kabinett sehr start zu binden. Stresemann verglich den Zustand der Deutschnationalen mit dem eines Straßenbahnfahrgastes, der aus einem Wagen ausgeftiegen fet, um einer Entgleisung Dorzubeugen, nun aber schleunigst wieder einsteigen müsse, wenn er nicht endgültig stehen bleiben wolle. Man fönne aber versichert sein, sie würden die Fahr Parte bezahlen müssen, wie es der Schaffner ver lange. Entweder verhielten sie sich ruhig wie der Schaffner dies wünsche andernfalls brauche man sich auch feine Sorge zu machen, er werde schon dafür sorgen, daß fie teine Dummheiten machten.

W

Durch Hindenburgs Wahl sei die Republik überhaupt erst gesellschaftsfähig geworden, das habe sich überall gezeigt; er habe feine wähler enttäuscht. Die Aenderung in der Auffassung ter Deutschnationalen fei fernerhin durch das Berhalten der In bustrie bedingt worden, durch den Abschluß der Kartellverträge mit Frankreich und ähnliches. Die Deutschnationalen fönnten ba nach internationale Abmachungen nicht mehr gut als Pazifismus und Knochenerweichung hinstellen. Dazu käme die Stimmung in der Landwirtschaft, der es wirklich sehr schlecht ginge. Die Leute im Reichslandbund feien auf die Deutschnationalen fchiedyt zu sprechen, weil diese seinerzeit aus der Regierung ausgetreten feien. Die Landleute erklärten, die Außenpolitit ginge sie nichts an.

Der Reichsbote", das deutschnationale Paftorenblatt, will auch jetzt nicht von einem Bein aufs andere treten. Rlare Entscheidung sei notwendig. In einem Auffah über die Rechtsverbände, der aber nicht nur diese betrifft, schreibt er: Auf der einen Seite werden zwar Revolution wie Barlamen­tarismus aufs schärffte verurteilt, aber die übelffe Frucht der Revo­

Für die Arbeiterschaft aber sollten diese Borgänge ein neuer Ansporn sein, für ihre Parteipreffe zu werben, die durch die Art ihrer Organisation niemals zur Handels mare werden fann.

lufion, die Republik ", nicht. Ja, man versucht sogar, fich auf sie einzurichten und scheut sich vor bem offenen, ehrlichen Befenntnis zur Monarchie. Ich meine, als vernünftiger Mensch gibt es hier nur ein vollkommen unverföhnliches Entweder Oder.

Warten wir ab, ob sich die Regierung mit ihren vier deutschnationalen Ministern heute mit diesem Problem aus­einandersetzen wird.

Die Deutsche Tageszeitung" ist über die neue Regie rung erfreut, aber ein deutschnationaler Führer aus der Provinz schreibt ihr, daß er das Schauspiel der Regierungs­bildung nicht sehr geschmadvoll" gefunden habe:

Bar es wirklich nicht möglich, die Auswahl der Minister sowohl mit Rücksicht auf das Ansehen der Deutschnationalen Volkspartei tattvoller und würdiger zu betreiben? wie mit Rücksicht auf die einzelnen Personen rechtzeitiger und damit

mehrheit nicht. Nur ein Ausschuß, der über die Steuer­reform zu beraten hat, die bedeutende Nachlässe bei den großen Einkommen vorfieht, fommt gelegentlich zusammen. Aber es kommt vor, daß er sich mit Teilen der Vorlage be­schäftigt, die nicht mehr gültig sind, weil sich der ,, Achteraus schuß der Regierungsparteien, der die frühere Betka" ab­gelöst hat, längst über Aenderungen geeinigt hat, die der Opposition mitzuteilen man nicht für nötig hielt. Die Be­völkerung weiß, daß sie vom Barlamente, wenn es wieder einmal zusammentritt, nur neue Belastungen zu erwarten hat. Aber sie wird schon dadurch, daß man das Parlament überhaupt so selten zusammenruft und es dann zwingt, im Eiltempo die Formalität der geschäftsordnungsmäßigen Ber­handlung der von den Regierungsparteien bis zum letzten Buchstaben ausgehandelten und unabänderlichen Geseze zu erfüllen, zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Parlamente er­zogen. Der Parlamentarismus wird in den Augen der Deffentlichkeit systematisch diskreditiert! Die Demokratie wird entwurzelt im Willen der Staatsbürger. Um so leichter wird es dann der Mehrheit, ohne Parlament zu regieren.

Das Blatt der tschechoslowakischen Legionärsgemeinde, also eine nicht sozialdemokratische, sondern eher den tschechi­fchen Nationalsozialisten nahestehende Zeitung, bezeichnete fürzlich diese Ausschaltung des Parlaments als Weg zur einige wenige" und stellte fest: Es scheint, daß einige Führer Dittatur, zu einseitiger Geltendmachung der Macht durch der bürgerlichen Mehrheit sich in gefährlicher Weise in den gang zur tschechisch- deutschen Diktatur der bürgerlichen Kreise Faschismusver gudt haben und daß sie sich den Ueber­burch systematische Beseitigung der gefeßgebenden Körper­fchaften erleichtern wollen." Daß ein Blatt, das wie das Legionärsorgan Narodni Osvobozeni" feineswegs fehr weit links steht, diesen Warnungsruf ausstößt, zeigt den Ernst der Situation.

Daß die Verwaltungsreform als Neuaufrichtung der alten Länderverfassung gedacht ist, mit Landtagen, die zum Teil a usernannten Bertretern bestehen sollen, ist nur eines der vielen Symptome, welche die Richtigkeit dieser Feststellungen bestätigen. Man hat in der Tschecho­ Slowakei eine unheimliche Borliebe für Ernennungen. Eben haben einige Regierungsblätter die Abficht der Regierung ausgeplaudert, die Vorstände der ehemaligen Bezirkskranken­fassen, die jetzt Bezirkssozialversicherungsanstalten sind, nicht wählen zu lassen, sondern zur Leitung ernannte Kommissionen zu berufen, die zu einem Drittel aus Bertretern der Behörden, zu einem Drittel aus Vertretern der Unternehmer und nur zu einem Drittel aus Arbeitern bestehen, also dem Einflusse der Arbeiter ganz entzogen sein sollen.

Für den Fall, daß die Arbeiter sich allzu sehr über ihre fortschreitende Entrechtung aufregen sollten, stehen Polizei und Gendarmerie und das Schutzgesetz und die Gerichte be­reit. Jede einigermaßen bedeutende Versammlung wird überwacht. Jede Rede fann zu einer Anflage führen. Wer Die Nationalliberale Korrespondenz" hat es schon ist in diefem Staate noch vor gerichtlicher Berfolgung megen wieder mit dem Lokal- Anzeiger". Stresemann- Offiziöse seiner politischen Tätigkeit sicher, wenn sogar Abgeordnete gegen Hugenberg- Offiziöse. Es geht noch immer um die Entwegen parlamentarischer Obstruktion vor das Gericht gestellt waffnungsfigung des neuen Rabinetts, bei der die Deutsch- werben fönnen? Die Strafen gegen die angeklagten fommu­nationalen den Dufel hatten, nicht dabei zu sein: nistischen Abgeordneten find ja milder ausgefallen, als man ben ihnen die Parlamentsmehrheit mit der Auslieferung der befürchtete, weil die Richter offenbar den deutlichen Wink, fommunistischen Abgeordneten gab, nicht sehen wollten, aber daß es zu diesem Prozeß fam, ist das Beschämende! Eine Regierungspartei, die tschechisch- klerikale Volks­partei, war es, die den Wunsch nach Anklageerhe­bung aussprach, und freudig millfahrte ihr der Staats­anwalt. Man wollte ein Erempel statuieren, ein für allemal der Opposition die Lust zur Obstruktion austreiben. Denn man erhoffte, daß die Abgeordneten auch des Wahlrechts und des Mandats verlustig gehen würden. Aber da fich der An­griff der Angeklagten hauptsächlich gegen den Referenten in jener stürmischen Sitzung gerichtet hatte und dieser vom Schutzgesetz" nicht ausdrücklich zu den besonders geheiligten Personen gezählt wird, fonnte das Gericht milder urteilen als die Urheber dieses Prozesses ermartet hatten. Nun soll für zukünftige Fälle Borforge getroffen werden durch eine eni­fprechende Reform" des Schutzgesetzes.

Nach alibewährtem Verfahren sollen wieder einmal die Deutsch nationalen von jeder Berantwortung frei gesprochen und diese einzig und allein dem Außenminister auf erlegt werden. erlegt werden. Man gewinnt meiter den Eindrud, als ob das Berliner Hugenberg - Blatt einen besonderen Aufsichtsrat für die deutsche Außenpolitik notwendig hält. Für diese lehnen wir ihn allerdings rundweg ab. Bielleicht jetzt aber Herr Hugenberg einen solchen Aufsichtsrat für die Deutschnationale Bollspartei zu sammen. Sie ist ja schon einmal an dem Machtspruch eines solchen sammen. Sie ist ja schon einmal an dem Machtspruch eines solchen Aufsichtsrats gescheitert, nämlich im Herbst 1925, als sich ihre Reichs tagsfraktion und ihre damaligen Reichsmmister dem Diftat der Landesverbandsvorsitzenden beugten und das erste Stabinett Luther sprengten. Oder mollte der Berliner Lolal- Anzeiger" ausfprechen, daß fich innerhalb des Kabinetts eine gefchloffene Fronde gegen den volfsparteilichen Außenminister bilden müsse, eine Fronde, die schon Durch thre 3ahl so start ist, daß er mit seiner Bolitif niemals wird durchdringen können? In jedem Falle sind seine Ausführungen nicht geeignet, die 3usammenarbeit in der neuen Re­gierungsfoalition zu erleichtern, im Gegenteil tönnen fie mur die begreiflichen Berstimmungen in der Bollspartei verschärfen.

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Nun ist diese Ouvertüre der Berstimmten zu Ende. Der Borhang geht auf, das Spiel beginnt.

ernstlich mit dem Plane umgeht, die Kommunistische Einer solchen Mehrheit ist es schon zuzutrauen, daß sie Partei zu verbieten. Diese sehr bestimmt auftretende Nachricht ist dementiert worden. Aber am guten Willen der Bürgermehrheit ist deshalb doch nicht zu zweifeln. Solche Gerüchte pflegen gewöhnlich den Tatsachen vorauszueilen,