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Abendausgabe

Nr. 69 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 34

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Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Donnerstag

10. Februar 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszett bts 5 he Berleger: Borwärts- Berlag Grat. Berlin S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Marx für Keudell.

Wirth soll in die Versenkung verschwinden. Die Tägliche Rundschau" meiß zu melden, daß der Reichskanzler Mary demnächst, vielleicht schon morgen, im Reichstag eine Erklärung für Herrn v. Keudell ab= geben wird.

Diese Erklärung soll dann angeblich das Ergebnis einer Untersuchung sein, die gegen den neuen Reichs­innenminister geführt wird. Aber schon längst ist bekannt, daß die Deutschnationalen entschlossen sind, Herrn v. Keudell, ganz gleich, was bei der Untersuchung" herauskommt, zu halten, und daß das Zentrum sich diesem Wunsch seiner Koa­litionsgenossen fügen mill.

Unter solchen Umständen hat die sogenannte Unter­suchung" gegen Keudell gar keinen Wert. Sie hat nur den 3wed, ein Ergebnis herbeizuführen, das den Parteien des Bürgerblocks scheinbar die Möglichkeit gibt, einen unmöglich gewordenen Reichsinnenminister zu halten.

Die Rechtspreffe tut so, als ob das Verbleiben Keudells im Amte für die Sozialdemokratie ein schwerer Schlag wäre. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Bom Standpunkt der Opposition aus fönnen wir uns gar nicht besseres wünschen, als daß die neue Bürgerblod regierung mit diesem Reichsinnenminister belastet bleibt und daß das Zentrum Arm in Arm mit diesem Mann vor den Augen des Volkes erscheint. Das Zentrum mit Reudell gegen Wirth- dieses Bild wird genügen, um den demokratisch gesinnten Elementen im Zentrum, por allem den christlichen Arbeitern zu zeigen, auf welchen Weg ihre Partei geraten ist.

Allerdings scheint im Zentrum nur wenig Neigung zu be stehen, die Auseinandersegung mit Wirth auf die Spitze zu treiben. Man wäre schon froh, wenn Wirth für einige Zeit aufhören wollte zu schreiben und zu reden. In diesem Sinne erklärt der Abg. Joos in der West­deutschen Arbeiterzeitung":

Soviel wir wissen, hat er feine sonstige Aktion vor. Anders­lautende Ausstreuungen sind falsch. Die letzten Wochen haben ihm förperlich und feelisch schwer zugefeht. Wahrscheinlich wird er sich für eine längere Zeit zurüdziehen. Er denkt nicht daran, der Partei im Lande irgendwelche Schwierigkeiten zu machen. Diese Sachlage und die verhältnismäßig ruhige Haltung der Masse un­serer Parteifreunde ermöglicht, so will uns bedünken, eine Behand lung dieses neuen Falles Birth in einer Art, die der Geschlossen heit der Partei dienlich sein kann, ohne unnötige Belastungsprobe. Es ist jetzt so einfach, den Stab über den zu brechen, der offen gegen

Japan anerkennt Kantons Macht. ,, Ganz China wird Kantons Einfluß unterliegen." Totio, 10. Februar.( Reuter.) Der Chef des Vertragsbureaus des japanischen Auswärtigen Amts Saburi, der nach längeren Unter­fuchungen über die Lage in China foeben nach Tofio zurückgekehrt ist, hat der Presse erklärt, daß er der Ansicht ist, daß der Einfluß der Kantonregierung schließlich in ganz China fich geltend machen wird und daß infolgedessen Japan und die übrigen Mächte es sich nicht länger leisten könnten, die Lage unberücksichtigt zu lassen.

England rechtfertigt sich vor dem Völkerbund.

London , 10. Februar.( Eigener Drahtbericht.) Die englische Regierung hat an den Generalsekretär des Völkerbundes einen Brief gerichtet, in dem sie ihre Chinapolitit ftarlegt. Der Brief soll nach dem Wunsch der englischen Regierung zur Information an alle Mit­glieder des Bölferbundes weitergeleitet werden.

Aus Hongkong find zwei aus Indien und England angekommene Bataillone Infanterie nach Schanghai weitertransportiert worden.

Eine Riesenkundgebung der Arbeiterschaft. London , 9. Februar. ( WTB.) Einer verspätet aus Hantau eingetroffenen Meldung der ,, Times" vom 7. Februar zufolge wurde an diesem Tage in Liutiamiao unweit hankau eine Rundgebung veranstaltet, an der nicht weniger als 80 000 Arbeiter teilnahmen. Es waren fünf Rednertribünen errichtet. An der Haupttribüne hingen Photographien von Suntjatsen, Karl Marg, Lenin und den von der Nordregierung im Februar 1923 hingerichteten Auf ständischen. Die Versammlung begann damit, daß der Führer die Anwesenden aufforderte, sich dreimal vor den Photographien zum Zeichen der Huldigung zu verneigen. Hierauf sprach er der Ber­Sammlung vierzehn Leitfäße vor, die die Bersammelten wieder. holten. Die Leitfäße enthielten u. a. eine Lobpreisung der Ber­storbenen, eine Berurteilung der Imperialisten, die Forderung einer Aufrechterhaltung der Borrechte der Arbeiter und das Verlangen nach Zusammenarbeit mit Sowjetrußland.

Es steht faul mit den Kaffen der Bölkischen. Wie die Münch. N. N." berichten, hat Hauptmann a. D. Röhm heute eine zehntägige Haftstrafe in Stadelheim angetreten. Röhm wurde bekanntlich wegen feines beleidigenden Auftretens vom Femeausschuß des Reichstags in der Münchener Tagung zu 300 M. Geldstrafe verurteilt. Da eine fürzlich vorgenommene Bfändung ergebnislos war, wurde wegen Der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe diese in eine Haftstrafe um­gewandelt.

die Fraktionsdisziplin verstoßen hat. Diejenigen aber, die Lust dazu haben, mögen noch einen Augenblick überdenken, was Dr. Wirth im Laufe der vielen Jahre in der Bar tei, für die Partei und für das deutsche Volt Positives geleift et und was man ihm zu verdanken hat. Zu rechter Zeit erinnert der badische Parteichef daran. Wir, vielleicht gerade wir in der Zentrumspartei , vergeffen ja alle so leicht, aber nicht nur das Ungünstige, sondern namentlich das Gute."

Joos schließt seine Ausführungen mit folgenden Worten: ,, Unter denen, die diesen so rätselhaften wie bedauernswerten zweiten Fall Wirth" ohne Not zum Anlaß nehmen, um ,, endlich mit ihm abzurechnen", wird der Abgeordnete Joos weder heute noch morgen zu finden sein. Die Westdeutsche Arbeiterzeitung" auch nicht. Neben der Disziplin, neben Recht und Gerechtigkeit, die sein müssen, gilt es, in solchen Fällen auch eine allgemein menschliche Würde zu wahren. Und diese Würde muß sich zum mindesten offenbaren in der Art, wie man fich Gewissens: fonflitten gegenüber verhält, in die der Nächste, vom Freund gar nicht zu reden, verstrickt worden ist."

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Wirths nicht sehr stark finden können. Aber es ist für einen Man wird beim besten Willen diese Verteidigung" Bentrumsmann unmöglich, Wirth zu verteidigen, ohne die Politik des Zentrums aufs schärfste anzu flagen. So bleibt nun der für einen Freund allerdings seltsame- Trost, Wirth sei durch das Erleben mit seiner eigenen Partei förperlich und seelisch so mitgenommen, daß von ihm feine weiteren Angriffe zu besorgen seien. faner, wird kaltgestellt Keudell, der Kappist, triumphiert. Wirth, der Republi­neuen Zentrumspolitik! auch das gehört zum Bilde der

Keudell- Erklärung im Reichstag.

Aber Furcht vor einer Aussprache.

Die Reichsregierung hat die Absicht, am morgigen Freitag in der Reichstagsfihung vor Eintritt in die Tages. ordnung eine Erklärung über die Anschuldigungen gegen den Reichsinnenminister von Keudell abzugeben; dagegen soll die 3n­terpellation wegen Keudell erst beim Etat des Reichs­minifteriums des Innern beantwortet und mitberaten werden. Ueber eine vor der Tagesordnung abgegebene Erklärung gibt es nach der Geschäftsordnung feine Debatte, es sei denn, daß der Reichstag die Eröffnung der Debatte über die Regierungserklärung beschließen würde, was aber mindestens zweifelhaft ist.

Neue deutsch - französische Verhandlungen. Bestrebungen nach einer vorläufigen Regelung.

Zu den deutsch - französischen Verhandlungen über die Verlänge­rung des Handelsprovisoriums erfahren wir noch, daß seinerzeit die deutsche Regierung eine Verlängerung des Provisoriums um drei Monate angeboten hat, während die französische Regierung zunächst nur an eine Verlängerung um sechs Wochen dachte. Das deutsche Angebot ist indes nicht angenommen worden, da die französische Regierung auf dem Standpunkt steht, daß sie bei einer Verlängerung unter allen Umständen deutsche 3ollzuge= ständnisse für die Einfuhr von Wein erhalten müsse. Die Ver handlungen gehen weiter und es ist nicht ausgeschlossen, daß man noch zu einer Einigung fommt. Falls jedoch ein vertragsloser Bustand eintritt, so ist, wie man in informierten Kreisen glaubt, ein zollfriegsähnlicher Zustand nicht zu erwarten; man würde vielmehr dann die Verhandlungen über den endgültigen Vertrag be­schleunigt weiterführen. Insbesondere glaubt man nicht, daß Frant reich bezüglich der im Provisorium geregelten Einreise und Niederlassungsrechte Schwierigteiten machen würde, fails ein vertragslofer Zustand eintritt. Dagegen wird jedenfalls, wenn das Provisorium fortfällt, auch das eine der beiden Saarabkommen, das mit gleicher Bertragsdauer abgeschlossen ist, außer Kraft treten.

Vor dem Abbruch mit Polen . Die deutsche Regierung verhandelt nicht mehr.

Obwohl formell der Abbruch der deutsch - polnischen Wirtschafts­verhandlungen noch nicht vollzogen ist, find fachlich faum noch Verständigungsmöglichkeiten zu sehen. Die schlesische Industrie befürchtet mit Recht schwere Störungen ihres Absages, die eine Verschärfung der Arbeitslosigkeit herbeiführen würden. Nach einer polnischen Mitteilung war für den 9. Februar, 11 lihr mittags, im Auswärtigen Amt eine Sigung der Kommission für die Rechte der physischen und juristischen Personen vereinbart worden. Kurz vor Beginn dieser Sigung teilte der Vorsitzende der deutschen Handelsdelegation dem polnischen Berhandlungsführer tele phonisch mit, daß die Sigung nicht stattfinde und auch fein neuer Termin für die Sigung in Erwägung gezogen werden fönne.

Polnische Blätter befürchten übrigens von dem Scheitern der Wirtschaftsverhandlungen, daß die für Bolens Wirtschaft erforder­liche und bereits eingeleitete Amerita anleihe nicht zustande fommt. Ob diese Befürchtung auch von der polnischen Regierung soweit geteilt wird, daß diese Borschläge zur Beseitigung des Kon flifts macht, dafür liegen noch feine Anzeichen vor.

Vor sieben Jahren.

Erinnerungen aus Kapp- Kendell- Tagen.

Bon Karl Severing .

In der zweiten Februarwoche des Jahres 1920 traten in Essen unter Beteiligung einiger Reichsminister und anderer Behördenvertreter die Borstände der Organisationen im Bergbau zusammen, um über die Art der Mehrförderung von Kohlen zu beraten. Das Ergebnis war die Erklärung der Gewerkschaften, ihren Mitgliedern die Leistungen von Ueber­schichten zu empfehlen. Die Kohlennot hatte zahlreiche Betriebe der Urproduktion und der weiterverarbeitenden Industrien zum Erliegen gebracht. Der Wohnungsbau stockie, weil Ziegeleien und Zementfabriken nicht beliefert werden fonnten. Die Lebensmittelzufuhr aus dem Ausland drohte zu versiegen, weil eines der wichtigsten Zahlungsmittel, die Rohle, der Regierung und der Wirtschaft nicht im ausreichen­den Maße zur Verfügung stand. In dieser Situation war der Beschluß der Bergarbeiterorganisationen und des Zechenver­bandes die erste Hilfe, ein erster und bedeutsamer Schritt zum Wiederaufbau der zusammen­gebrochenen deutschen Wirtschaft.

Das Ergebnis wurde sofort fühlbar. Die Förderung stieg. Mit dem ersten Plus konnten die Bedürfnisse der schwerarbei­werden. Die Fett- und Specprämien waren eine willfom­tenden Bergarbeiter nach ausreichender Enährung befriedigt mene Zubuße zu den mageren Rationen der Nachkriegszeit. Bald konnten auch die weiterverarbeitenden Industriezweige wieder reichlicher beliefert werden. Da stellte es sich heraus, daß neben der Steigerung der Kohlenförderung auch eine Verbesserung der Beförderung notwendig sei, teilweise durch Leistung von Ueberarbeit im Eisenbahnbetrieb. Die Verhandlungen mit den zuständigen Organisationen führien zum Erfolg. Am 12. März unterbreitete ich dem Minister Deser den fertigen Plan, der u. a. auch die Gewährung von besonderen Lebensmittelprämien an die Eisenbahner enthielt. Deser war hocherfreut.. Allmählich schien die Wirtschaft und der Berkehr wieder in den geregelten Gang zu fommen....

Da fiel ein Reif in der Frühlingsnacht! Ich war noch auf der Fahrt von Berlin nach Münster , als mich am Morgen des 13. März. in Minden die Nachricht von dem Verbrechen der Kapp und Lütt mig ereilte. Was der Butsch für den Westen bedeuten würde, war mir fofort flar. Die mühepolle Arbeit eines Jahres, der langsame Wiederaufstieg in den Stätten der Urproduktion, das Wert, an dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Zentralstellen in Berlin und die Behörden am Drte fleißig mitgearbeitet hatten, war vernichtet. Jetzt fam es darauf an, die Substanz der deutschen Wirtschaft, die Kohlen und Schachtanlagen zu retten, die Arbeitsgemeinschaft des Zechenverbandes und der Arbeiter­organisationen, wenigstens zu diesem Zwecke zusammenzu­halten.

Es gelang. Einmütig erklärte die Arbeitsgemeinschaft an 16. März für den Zechenverband Generaldirektor Wiskott

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unter anderem:

die Arbeitsgemeinschaft für den Ruhrkohlenbergbau was folgt: Die Im Einverständnis mit den Reichskommissar Severing beschließt Arbeitsgemeinschaft verurteilt entschieden jeden Bersuch einer gewalt­samen Regierungs- und Verfassungsänderung, so auch die jetzigen Vorgänge in Berlin .

Das Rheinisch- Westfälische Kohlensyndikat hat von Herrn Kapp keinerlei Anweisungen über die Kohlenverteilung entgegenzunehmen. gewählt, das erniächtigt ist, in Berbindung mit dem Reichetommissar Es wird ein paritätisch zusammengesetzes Ausführungskomitee oder Kürzung der Kohlenlieferung an solche Ge= Severing eilige Entscheidungen zu treffen wegen Sperrung biete, die sich nicht auf den Boden der Reichsver fassung stellen.

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Willensmeinung aller Beteiligten festgestellt, an dem Wesen Endlich wurde in der längeren Entschließung als die und an den Zielen der Arbeitsgemeinschaft festzuhalten.

Politisch bedeutsam bleibt an dieser Stellungnahme die unbedingte Verurteilung und Abweisung Kapps und die Bereitschaft, einen Wirtschaftskrieg mit den Gebietsteilen zu wagen, die sich nicht auf den Boden der Reichsverfassung stellen. Und dazu erklärten sich Männer, wie Stinnes, Wis­tott, Thyssen usw. bereit, Männer, die an dem neuen Staat, insbesondere an feiner Wirtschaftspolitit, nicht gerade wenig auszusehen hatten.

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rung die Treue geschworen? Wären sie alle auch nur so Und die andern, die dem neuen Staat und seiner Regie­klug von Treue möchte ich in diesem Zusammenhange gar nicht reden gewesen, wie die Wirtschaftsführer des Westens, dann hätte Herr Kapp feine sechs Stunden regiert. Dann hätten sich auch die Blutbäder vermeiden lassen, die nun den Boden in Schlesien , Mitteldeutschland und be­fonders im Westen mit Arbeiter- und Soldatenblut färbten. Aber sie waren nicht alle flug, und sie waren auch nicht alle mutig. So viele, viel zu viele, gerieten ins Wanten. Wer von diesen vieler die 51 Broz. Wahrschein­lichkeit des Sieges der Kapp und Konsorten für gegeben erachtete, stellte sich schnell auf den Boden der neuesten Tate fachen. Die andern begnügten sich mit einem passiven Gehen­und Gefchehenlassen; niemand aber von diesen sonderbaren Hütern der Verfassung machte sich Gedanken darüber, wie die wild gewordenen Söldner aus dem Döberitzer Lager Deutsch­land regieren, wie sie die Zukunft unseres Bolkes gestalten würden.