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Abendausgabe

Nr. 71 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 35

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Vorwärts

SW

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Freitag

11. Jebruar 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands

Marx verteidigt die Kappisten!

Kendell war ,, berechtigt und verpflichtet" zum Hochverrat!

Der Reichstag   ist heute um 2 Uhr nachmittags zusammen-| Heiterfeit, als der Reichskanzler einen Zwischenrufer von links an­getreten. Die Abgeordneten sind zahlreich erschienen. Auf der redet Mein lieber Freund"). Regierungsbank sieht man Marg, Hergt, Keudell.

Präsident Löbe teilt bei Eröffnung der Sizung mit, daß der Munsch bestehe, die Besprechung der Angelegenheit von Keudell möglichst abzukürzen, weshalb er eine Redezeit von

einer halben Stunde für jede Partei vorschlage. Das

Haus stimmt dem zu.

Es beginnt also die Beratung der Mißtrauensvoten und der tommunistischen Interpellation gegen den Reichsminister von Reudell, und zwar mit der Begründungsrede des Interpellanten.

Abg. Torgler( Komm.): Die Regierung wollte zuerst die Sache mit einer Erfäärung vor der Tagesordnung erledigen und dadurch eine Besprechung verhindern. Sie plante eine unerhörte Ber gewaltigung.( Präsident 25 be untersagt diese Bezeichnung, da es nicht von der Regierung, sondern einzig und allein vom Reichs. tag selbst abhänge, in welcher Weise die Angelegenheit Reudell be­sprochen werden sollte.)

Wir klagen den Minister von Reudell an, ein eifriger Förderer und Mitarbeiter der seit 1926 verbotenen staatsfeindlichen Organisation Olympia   gewesen heute noch zu sein.

Er beherbergte 1924 auf feinem Gut ein Sommerlager der Olympia   unter der Leitung des Oberleutnants a. D. Frizen aus Stralau- Rummelsburg  . Die Olympialeute wurden dort mili­tärisch, besonders auch mit der Schußwaffe ausgebildet, was unter dem Dedmantel förperlicher Ertüchtigung im völkisch­nationalen Sinne geschah. Das eigentliche Kommando hatte der Reichswehrleutnant Schaller als Turnlehrer". Wohnung und Verpflegung gab Herr von Keudell.

Zur Geburtstagsfeier Keudells wurde ein großes Fest veran staltet. Er selbst hielt

eine Rede auf die Wiederherstellung der Hohenzollernmonarchie.

Der berüchtigte Olympiaoberst von Bud war wiederholt Gast und ist nach wie vor ein Freund Keudells. Nach herzlichem Abschied von Reudell übersiedelte das Sommerlager auf das Nachbargut des Barons von Hülsen.

Der Landrat von Reudell hat sofort seinen Stellvertreter nach Frankfurt   gesandt, den Grafen Finkenstein. Telephonische Verbin dung des Landratsamtes mit Berlin   war tagelang nicht zu erreichen, also auch eine Gewißheit über das Schicksal der Regierung Bauer nicht zu erlangen Mitteilungen der Regierung Bauer trafen nicht ein, der Landrat war ausschließlich auf die Bekantmachungen der Militärbehörde angewiesen. Ais die erste Nachricht von der Rückkehr der Regierung Bauer eintraf, und zwar durch die Militärbehörde am 18. März, hat von Keudell diese Nachricht sofort weitergegeben, die anderslautenden Nachrichten sofort widerrufen und darüber hinaus fofortige Einziehung etwa anderslautender Bekanntmachungen ange oidnet.( Gelächter links.)

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Nach der ständigen Rechtsprechung gesetzliche Bestimmungen darüber fehlen hat der preußische Beamte in erster Linie au gehorchen. Besonders, wenn er eine ausdrückliche Anweisung seiner vorgeschten Dienstbehörde er hält. Das war hier der Fall.

Außerdem bestand der militärische Ausnahmezustand, und zwar schon vor dem Kapp- Butsch und nach den damaligen Bestimmungen über den Ausnahmezustand war die volle Befehlsgewalt auch hiernach war Steubell berechtigt und verpflichtet(!!!), auf die Militärbefehlshaber übergegangen und den Anordnungen der Militärbefehlshaber nachzukommen.

Eine der ersten Pflichten des Landrats ist es,

für Ruhe und Ordnung zu forgen, besonders dann, wenn Unruhen bestehen. Es war eine notwen dige und zweckmäßige Maßnahme des damaligen Landrats, die Bäckerider Oberbrüde und die Salbernbrüde mit seinen wenigen Gendarmen zu besetzen, um das Uebergreifen von Unruhen aus der Richtung von Eberswalde   auf dem Kreis Königsberg zu verhindern, da es an der Grenze des Kreiſes bereits zu Unruhen gefommen war.( Gelächter links.)

Den Banzerzug nach Bärwalde   hat der Kommandant von Küstrin   entsendet. Von Keudell hat davon erst nachher erfahren. Bas die Frage der Ausübung eines unzulässigen Drucks auf den Bertrauensmann des Landarbeiter. verbandes angeht, so erflärte mir Herr von Keudell, daß er mit möglich halte, daß er gemäß der Weisung der Militärbehörde gehandelt habe.

Auf beiden Gütern find die Waffenlager gut versteckt. Den Abschluß bildeten gemeinsame Uebungen Olympia  , Biting, Stahlheim, Jungbo usw. in der diesem Bertrauensmann mehrfach zusammengetroffen fei und es für Umgebung Berlins   unter der Leitung von Luds.

Reubell   beruft sich darauf, daß die Olympia 1924 noch nicht verboten war, aber gerade ihre damalige und spätere Tätigkeit, an der sich Keudell so eifrig beteiligte, war die Ursache

des Verbots im Jahre 1926.

Nun stützt sich Keudell darauf, daß er im Sommer 1926 nicht die Olympia, sondern nur den Jungbeutschlandbund beherbergt habe. Keudell hatte sich gegenüber von Luck zunächst geweigert, im Sommer 1926 die Olympia aufzunehmen. Da wurde einfach der Deckname" Jungdeutschlandbund" gewählt.

Will Keudell leugnen, daß er die Uniformen und Abzeichen der beiden Offiziere nicht gefannt habe? Und daß er mit dem Unter führer der Olympia Hauptmann Waderstab noch im vorigen Jahre über die Beherbergung usw. verhandelt hat?

Seudell hat sich bei dem Küstrin  - Kommandanten Gudovius für Schonung des Putschmajors Buchruder eingesezt, weil Buchrucker Dorschnell und überhigt gehandelt habe. Grundfäßlich hatte Keudell gegen den Rüstriner Butschversuch nichts einzuwenden.

Der tommunistische Redner hielt es am Schluß seiner Ausführung in dieser Situation für zweckmäßig, Angriffe gegen die Sozialdemokratie zu richten und zu behaupten, daß ihre Opposition gegenüber dem Bürgerblock nicht ernst gemeint fel. Daß dadurch der Eindruck der von ihm vorge tragenen Tatsachen start verwischt wurde, hat er sich felbft zuzu schreiben.

Nunmehr nimmt der

Reichskanzler Dr. Marg das Wort, um die Interpellation im Namen der Regierung zu be­antworten. Ich glaube dem Wunsche weiterer Streise nachzukommen, wenn ich mich nicht nur darauf beschränke, die in der Interpellation angeführten Punkte zu besprechen, sondern den gesamten Fall Keudell zu erörtern.

Der Reichskanzler will damit die Erklärung ausführen, die er in der vorigen Woche abgegeben hat. Die von ihm geführte Unter suchung sei objettin und leidenschaftslos gewesen. Er habe sich das gesamte vorliegende Material besorgt und sei da her in der Lage, sich ein abschließendes Urteil zu bilden. Zunächst die Vorwürfe, die gegen den Bandrat von Keubell wegen feines Verhaltens beim Kapp- Pulsch gerichtet worden sind. Keubell war Bandrat in Königsberg in der Neumark, das nicht weit von der Grenze der Ostmart liegt. Herr von Steubell hat bereits zugegeben, daß er im März 1920 die Bekanntmachungen des militärischen Be fehlshabers veröffentlicht und auch als Platate verbreitet hat. Er bat auf ausbrüdliche Anweisung des ständigen Stellver treters bes Regierungspräsidenten Bartels in Frankfurt   a. d. D. ge. hanbelt, des Oberregierungsrats Feller. Ich bitte Sie, sich in die Lage des in dem abgelegenen Neumark fizenden Landrats zu ver­fegen.

Der Staatsstreich äußerte sich bort in dem völligen Aus. bleiben jeglicher Mitteilungen( es entsteht stürmische

Der Reichskanzler beendete kurz nach 3 Uhr die Darstellung feiner Untersuchungsergebnisse, worauf Reichsminister von Keudell selbst das Wort ergriff.

Ausgleich Kanton- England. Rückgabe der Konzession Hankau  .

Truppen von

Shanghai   abgelenkt. Condon, 11. Februar 1927.( Eigener Drahibericht.) Die Donnerstagfihung des Unterhauses wurde durch den Abgeordneten der Arbelterpartei Trevelyan mit der Begründung eines Abände­rungsantrags der Labour   Partei zur Throurede über die englische Chinapolitif eingeleitet. Der Antrag fordert in seiner Konsequenz die jo fortige Zurüdziehung der englischen Streillräfte aus China  .

Als Vertreter der Regierung antwortete Chamberlain. Er führte aus, daß die Regierung mit den Chinesen in der Abficht verhandelt habe, eine friedliche Regelung zu erzielen. In diesem Sinne verhandele sie auch jetzt noch. In der Zwischenzeit aber habe sich jeder Ratgeber, den die Regierung an Ort und Stelle in China  befige, dahin geäußert, daß die in Shanghai   vorhandenen Streitfräfte ungenügend feien, falls dort Unruhen ausbrechen. In den ganzen zwei lehten Jahren sei die Propaganda in China  ausschließlich gegen England gerichtet gewesen, und die Regierung habe deshalb Borsichtsmaßnahmen ergreifen müffen. Schließlich habe fie die Berantwortung für die Sicherheit und das Leben der englischen Untertanen in Shanghai   zu tragen. Die Truppen würden jedoch innerhalb der Siedlung von Shanghai   einquar­fiert werden und nur im dringendsten Notfall die Sied. lung verlassen. Falls eine Einigung über diese Frage mit den Chinesen zu erreichen sei, so würden nur die Truppen, die be­teits von Indien   nach Schanghai   unterwegs sind, an ihrem Bestimmungsort ausgeschifft werden, während die aus dem Mittel­ meer   und aus England felbft kommenden Truppen in Hongtong  tonzentriert würden.

Der Außenminiffer gab dann die Bedingungen bekannt, unter Der Außenminiffer gab dann die Bedingungen bekannt, unter denen mit der Kanton- Reglerung eine Einigung über die Konzeffion Santau erfolgt ist. Danach wird die Konzession, die augenbildlich von einem chinesischen Ausschuß verwaltet wird, dem englischen Munisipalrat 3 uridgegeben, der dann von sich aus seine Er­welterung infofern vollzieht, als ihm in Zukunft auch Chinejen angehören sollen. Die Engländer und Chinesen werden die gleichen Rechte haben. Andererseits hat sich die Kanton- Regierung verpflichtet, teine Gewalt anzuwenden, um die Verfassung der Konzeffionen und der internationalen Siedlungen zu ändern. Alle fünftigen, Schwierigteilen fouen auf dem Verhandlungswege erledigt werden. Diese Erklärungen Chamberlains riefen im Unterhaus eine allge­meine Ueberraschung hervor, die mit großer Befriedigung auf­genommen wurden.

Die neue deutsch  - polnische Krise.

Handelsvertrag und Ausweisungen. Von Hermann Diamand- Warschau.

Jede Verständigung beginnt damit, daß man ein­ander anhört. Gen. Diamand gehört zu den Poli tikern, die die Verständigung mit Deutschland   aufrichtig wollen. Das gibt ihm das Recht, seine Ansichten mit voller Aufrichtigkeit zu vertreten. Wir geben ihm darum gerne das Wort.( D. Red.)

In den deutsch  - polnischen Verhandlungen ist die seit dem Antritt der Rechtsregierung erwartete Krife eingetreten, die wegen des Anlasses, der zur Begründung der Krise herbei­geholt wurde, eine starke Ueberraschung bildet. Der Wojewode von Kattowiz hat vier höheren Beamten einer Privatbahn die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung verweigert; die Beamten hatten Dienstverträge bis Ende 1926, die bereits abgelaufen sind. Der Wojewode erklärt diese Maßregel damit, daß eine große Anzahl gleichwertiger Ingenieure in Bolen seit langer Zeit vergeblich Beschäftigung sucht Ich lasse es dahingestellt, ob das Vorgehen des Wojewoden poli­tisch flug war und gebe zu, daß der jetzige 3ustand peränderungsbedürftig ist; für mich bilden aber diese Verweigerungen der Aufenthaltsbewilligung bloß einen Grund mehr für den raschen Abschluß eines Handelsvertrages. Denn darüber waren sich die Verhandelnden bereits einig, daß außer den Leitern der Unternehmungen auch den führenden Beamten ein Anspruch auf Ansiedlung gewährt Staaten die Meistbegünstigungsklausel bezüglich werde. Man war sich darüber einig, daß sich die beiden der Einreise, des Aufentholts und der Niederlassung gewähren mit der Einschränkung, daß die letztere nur die sich wirtschaft­lich in Handel und Industrie Betätigenden betreffen würde. Es stand ein durchaus annehmbarer Zustand in Aussicht. Ist die polnische Regierung zur Ansicht gelangt, daß das Eingreifen des Wojewoden von Kattowih politisch schädlich oder unflug war ich kenne die Meinung der polnischen Regierung nicht, dann genügten die durch den deut­ schen   Gesandten in Warschau   überbrachten Drohungen der deutschen   Regierung, um der polnischen Regierung ein Ein­Tenten unmöglich zu machen. Das mußte die deutsche Regierung wissen und dementsprechend muß die Intervention der deutschen   Regierung bewertet werden. Im Einklang mit diesem meiner Meinung nach wohl­erwogenen deutschen   Vorgehen stehen ihre weiteren Schritte, insbesondere die zahlreichen Mitteilungen an die Breffe. Die betreffenden Kreise legen besonderen Wert darauf, den selbstverständlichen Zusammenhang zwischen den Aenderungen in der Regierung und den Aenderungen in ihrem taktischen Vorgehen zu bestreiten. Solange es un­entschieden war, ob die Große Koalition zustande fommen würde, bedeutete jede Zusammenkunft der Vertretungen beider Staaten eine Annäherung, seitdem es aber feststand, daß eine Rechtsregierung ans Ruter käme, traten Ver= änderungen in der Sache und im Berhand= Iungston zuungunsten einer Annäherung ein. Wer nicht den Zusammenhang zwischen den West arp= Reden und der neuen Verhandlungstaktit sieht, wer Westarps Universitätsrede sich bei dem Betrachten der neuen Borkommnisse nicht vor Augen hält, der ist außerstande, die neue Situation zu verstehen. Die europäische Friedenspolitik, die sogenannte Locarnopolitit, ist ohne eine Einigung zwischen Frankreich  , Deutschland   und Polen   nicht denkbar; man fann bei allen freundschaftlichen Gesten gegen Frankreich  den Locarnogeift zerstören, indem man eine Verständigung zwischen Deutschland   und Polen   hintertreibt und das ver­stehen die frisch auf Locarno   eingeschworenen Locarnogegner fehr gut. Der deutsch  - polnische Handelsvertrag ist eine Vorarbeit des friedlichen Miteinanderlebens der Nachbarvölker und somit der Befriedung Europas  . Wenn man die Dinge von diesem Standpunkte aus betrachtet, dann erfaßt man die Tragweite eines Abbruches der Verhandlungen.

Kann man Berhandlungen ablehnen, weil der durch den Bertrag herbeizuführende Bustand noch nicht eingetreten ist? Die offiziösen Breffeerklärungen bemerken erst jekt, daß die neuen Verhandlungsstörungen in naturnotwendigen Zus fammenhang mit der Regierungsveränderung in Deutschland  von der fachlich orientierten europäischen öffentlichen Meinung gebracht werden muß. Selbst Freunde des deutschen   Volkes - und ich glaube mich zu ihnen zählen zu dürfen können fich der Erkenntnis nicht entziehen, daß fie 3eugen eines Bor ganges find, der für Europa   drohend und in größerem Maße für Deutschland   als für Polen   unmittelbar schädlich erscheint. Wirtschaftstriege bringen Schaden dem an geblichen Sieger mie dem angeblich Be­fiegten. Während in Deutschland   versucht wird, Sieges. Stimmung im deutsch  - polnischen Wirtschaftsfrieg zu erzeugen, erheben die von dem Siege betroffenen Deutsch   Ober. fchlefier gewaltigen Lärm nach Beendigung der wirtschafts­mordenden Siege, fie haben genug ,, des grausamen Spiels".

Die Nationalisten aller Länder haben bereits mehr als einmal den Beweis erbracht, daß sie zu den größten Opfern bereit sind nämlich aus den Taschen des Staates, d. h. ben Taschen der Arbeiter, Angestellten und Bauern- menn es fich um den Schutz der Agrarier und Schwerindustrie gegen die Interessen der Gesamtwirtschaft handelt. Wenn ich mir als Fremder gestatte, in dieser Frage mit rücksichtslofer