Abendausgabe
Nr. 7744. Jahrgang Ausgabe B Nr. 38
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10 Pfennig
Dienstag
15. Februar 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Prinz- Bürgerblock- Arbeiter!
Heil den Hohenzollern !- Die Arbeiter sollen dienen und arbeiten!
Die Regierungserklärung ist für sie ein Wisch, den fie mit Füßen treten.
Gestern haben die Deutschnationalen eine Riesenfundgebung der deutschen Arbeiterschaft" abgehalten. Sie haben ihre deutsch nationalen Arbeitervereine" zu einer Versammlung einberufen. Herr Wilhelm Koch , Minister der Republik , war bestimmt, 3wed: der Arbeiterschaft zu beweisen, daß der Bürgerblod fein in dieser Versammlung zu beweisen, daß der Bürgerblock teine unBürgerblod ist, sondern eine sozial gesinnie Regierung. Borjoziale Bolitit treiben werde. Er sprach jedoch ein Wort, das nicht wand: Protest gegen die Kriegsschuldfrage. untergehen wird: Es wird über dem Bürgerblock stehen, solange er lebt. Dieses Wort:
Besonders
Es war eine Stahlhelmversammlung. start vertreten der Stahlhalm. Schwarzweißrote Aufmachung. ,, Rollende Trommeln, fdmetternde Fanfaren, die Fahnen, vierzig Fahnen rücken ein" Mon versteht: die Masse, die gutgläubig die Phrasen der Deutschnationalen hinnimmt, muß schwarzweißrotes Tuch sehen und Trommelwirbel hören, damit sie nicht erkennt, daß dies alles den Deutschnationalen gleichgültig ist, wenn Ministersessel geht.
es um
Diese Bersammlung aber hat thren 3wed verfehlt. Sie zeigt das wahre Gesicht des Bürgerblods und die innere Berlogenheit der Deutschnationalen . Vor dieser Bersammlung paratierten als Ehrengäste, stürmisch mit Heilrufen begrüßt und der Reihe nach bewill
fommnet:
der Prinz Oskar von Preußen , der Graf Westarp ,
der Reichsminister Dr. Koch,
der Reichelagsabgeordnete Lavertenz. Heil den Hohenzollern !
Haben nicht eben erst die Deutschnationalen einer Regierungserflärung zugestimmt, die das Befenntnis zur Republit und zu Schwarzrotgold in den Bordergrund stellte?
Jit nicht bekannt, daß Ostar von Preußen zu den Gönnern und Freunden der Putfd; isten gehört, daß er im Jahre 1923 die Zentrale der Butsch- und Diktaturbestrebungen war? Hat er nicht die Stresemann- Attentäter als„ vaterländische" Gesinnungsfreunde angesehen?
Man kann nicht gleichzeitig zur Republik sich bekennen und ein Gesinnungsfreund Oskar von Preußens sein. Wer beides zugleich zu sein vorgibt, begeht in jedem Falle eine Lüge.
Der Reichs minister Wilhelm Roch, der den feierlichen Eid auf die republikanische Berfaffung abgelegt hat, hat gemeinsam mit Ostar von Preußen vor dieser Stahlhelmversammlung
paradiert.
Der Minister der Republik gemeinsam mit dem Haupt- und Geschäftsträger der Monarchistenpartei, die das Ende der Republi! lieber heute als morgen herbeiführen möchte. Mit ihm gemeinsam Graf Bestarp, der als Führer seiner Partei die Richtlinien mit dem Bekenntnis der Republik unterschrieben hat.
Man fann nicht deutlicher zeigen, was das Verhalten der Deutschnationalen ist:
eine Lüge gegen das Bolt!
Bürgerblock und Sowjetrußland.
Tie kommunistische Traumwelt.
"
Kommunistische Politik ist in der wirklichen Welt unmögKommunistische Politik ist in der wirklichen Welt unmöglich, also müssen sich die Kommunisten ihre eigene Welt erfinden, in der sie dann Politit" treiben fönnen. Ein in seiner Naivität beinahe rührendes Beispiel für diese Methode liefert ein Aufruf des 3entralfomitees des tommunistischen Jugendverbandes Deutschland ", in dem einem glaubensstarken Publikum folgende weltpolitische Räuberpistolen vorgesetzt
werden:
Diese Bürgerblodregierung wurde gebildet, als die imperialistischen Mächte, unter Führung Englands, fich zu einem Blod gegen die Sowjetunion und die südchinesische Revolutionsregierung zusammenschlossen, mit dem Ziel, diese Länder zu über fallen und einer Neuaufteilung unter die imperia listischen Weltmächte zu unterwerfen. Diese Bürgerblodregierung wurde gebildet, als sich mit dem Erstarken des neudeutschen Imperialismus in der deutschen Außenpolitik immer stärker die Tendenz der Beteiligung an einem gegen die Sow. jetmacht gerichten Imperialistenblod durchsetzte.
Diefe Bürgerblodregierung ist eine Regierung bes aftiven Imperialismus, eine Regierung der Kriegspor bereitung, der Kriegsbege gegen die Sowjet
union.
In Wirklichkeit hat es in Deutschland noch teine Re gierung gegeben, die vor Sowjetrußland tiefere Berbeugungen gemacht hätte und von der Sowjetregierung beifälliger auf genommen worden wäre, als eben die Bürgerblodregierung. Sind es doch gerade die Deutsch nationalen, die wegen ihrer gegen den Westen und im besonderen gegen Bolen gerichteten Bolitik auf gute Beziehungen zu Rußland den aller größten Wert gelegt haben. In Rußland weiß man diese Gunst des preußischen Junkertums wohl zu schäßen, wie die freundliche Aufnahme seiner Vertreter wiederholt bewiesen hat. Und erst am legten Sonntag hat Graf We starp in Schneidemüht, nächst der polnischen Grenze, eine scharfe Rede gegen Polen gehalten und in diesem Zusammenhang, deutlich genug, den deutsch russischen Neutralitätsver trag gepriesen.
Wenn man der tommunistischen Jugend erzählt, Eng land molle„ bie Sowjetunion aufteilen", so ist das schon gro
" Arbeiten und dienen ist zunächst das, was die deutsche Arbeiterschaft braucht."
Arbeiten und dienen! Der Unternehmer der Herr, der Arbeiter der Knecht. Kein freier Arbeiter, ein Dienſt mann seines Herrn! Da steigt sie hervor, die Sehnsucht des Bürgerblods! Die Zeit des absoluten Herrn im Hause Standpunktes soll zurückkehren, der Arbeiter soll demütig mit der Müze in der Hand vor dem Herrn im Fabrikhofe stehen.
Arbeiten und dienen! Man versteht den Tonfall! Nicht fordern. Maufhalten. Hungerleiden. Für die Herren. Als getreue Anechte des Bürgerblocks. Soll Oskar von Preußen auch arbeiten?
Herr Koch hat sich entrüstet über die Anflage, die die Sozial bemotratie gegen den Bürgerblock erhoben hat, daß er die Unter nehmer begünstigen, die Arbeiter bedrücken wolle. Nein, Herr Roch mill das nicht. Er will nur, daß die Arbeiter dienen.
Diefer Minister, der aus dem Arbeiterstande hervorgegangen ift, vertritt den Knechtsstandpunkt. Da ist nichts von dem kraftvollen Bewußtsein der Manneswürde, dem Streben nach Gleichberechtigung, das unsere Arbeiterbewegung erfüllt. Dienen! Wer denkt nicht an jenes Wort zurüc:„ Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben"?
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Dieses Wert stand im Mittelpunkt dieser Versammlung. Man nahm eine Resolution gegen die Schuldlüge an. Herr Laverrenz, der Unentwegte, erzählte: A
„ Die Feinde behaupten, wir hätten bewußt den Frieden Europas gestört, um unsere Vorherrschaft über Europa zu er richten. Denfen wir an den Kaiser! Wenn wir ihm hierbei den leisesten Vorwurf machen können, ist es vielleicht der, daß er zu friedfertig war!"
Die Feinde! Nach dem Bekenntnis zur Berständi gungspolitit! Denten wir an den Kaiser! Nach dem Betenntnis zur Republik!
Ueber allem aber steht das Wort des Herrn Koch. Oben, auf dem Ehrenplay, Oskar von Preußen , der Bertreter des geflohenen Kaisers, das Haupt der Monarchisten und der Feinde der Republit. Vor ihm der Minister der Republik Koch, den Arbeitern zurufend: Arbeiten und dienen!
Der Bürgerblock in bengalischer Beleuchtung. Wie gefällt euch Jas, ihr Herren vom Zentrum und von den christlichen Gemertschaften?
test genug. Jeder politisch Unterrichtete weiß, daß England zurzeit ganz andere Sorgen hat. Wenn aber hinzugefügt wird, der Bürgerblod in Deutschland sei gebildet worden, um Deutschland einen Teil vom russischen Braten zu sichern, dann schweift der Blick vergebens nach den berühmten Afazien, auf die man hinaufflettern möchte. Was kann bei einer Politik" herauskommen, die auf so vollkommenen Produkten einer hemmungslosen Phantasie beruht?
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All dieses Traumgerede ist doch nichts als eine Flucht vor der Wirklichkeit, deren Anblick für kommunistische Augen unerträglich ist. In der Wirklichkeit verträgt sich Sowjetrußland mit dem bürgerlichen Deutschland , mit dem Reichswehr blod Deutschland aber am allerbesten. Um den Blid von Deutschland ausgezeichnet, mit dem neuesten Bürgerdieser unbequemen Tatsache abzulenten, braucht man närrische Erfindungen.
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Der Völkerbund dient als Vorwand. Paris , 15. Februar. ( BIB.) Die französische Antwortnote auf heute dem Ministerrat zur Beschlußraffung vorliegen. Der diplo. das amerikanische Memorandum betreffend die Seeabrüftung wird matische Berichterstatter der„ Agence Havas" glaubt mitteilen zu fönnen, daß die französische Antwort dahin gegen werde, Ameritas Borschlag dem Bölferbund zu überweisen, da dieser qualifiziert sei, die Abrüstungsfrage zu behandeln. Frankreich als Bölterbundsmitglied maße sich nicht das Recht an, durch Annahme des französischen Borschlages den Bölkerbund zu umgehen und zur Bernichtung seiner Autorität beizutragen. Außerdem würde die von Amerika vorgeschlagene Konferenz die anderen Seemächte, die an der eventuellen Regelung des Baues von Hilfsflotten interdie an der eventuellen Regelung des Baues von Hilfsflotten intereffiert seien, taltstellen. Endlich hätten die französischen Bertreter immer den Standpunkt betont, daß die Maßnahmen, die geeignet feien, die Abrüstung sicherzustellen, sich gleichzeitig auf die Streitfräfte zu Waffer, zu Lande und in der Luft erstrecken und auch der geographischen Lage der Staaten Rechnung tragen müßten, um die Freiheit der Berbindungswege sicherzustellen. Diese Grundsätze hätten sich in der vorbereitenden Kommission für die Abrüstungstonferenz durchgesezt. Die franzöfifche Regierung, welche die meisten Staaten dafür gewonnen habe, fönne fich also nicht selbst besanouieren.
Prozeß gegen Emminger.
Landgerichtsdirektor und Schwurgericht.
Jene Ermächtigungsgesetze, die das erste Kabinett Marg mit dem bayerischen Staatsanwalt Emminger als Justizminister einführte, um die Wirrnisse der Inflation nach Mög-. lichkeit abzukürzen, brachten uns auf allen möglichen Gebieten Ersparnis und Abbauvorschriften. Aus Ersparnisgründen wurde unter dem Namen Emmingers von den Beamten des Reichsjustizministeriums auch eine Reihe von Eingriffen in die Justiz pflege diftatorisch verfügt, die, zunächſt auf Zeit gedacht, praktisch zu einer Dauereinrichtung geworden sind, da der Reichstag sich nach Ablauf der Ermächtigungsgefeße nicht dazu hat entschließen können, mit der Emmingerei Schluß zu machen.
Eine der wichtigsten Einrichtungen, die diesen Ersparnisgelüften der höheren Juristenzunft zum Opfer fiel, war das alte Schwurgericht, das, aus den Zeiten der Märzrevolution als freiheitliche Einrichtung geboren, trotz mancher Mängel sich doch ein gewisses Maß von Vertrauen im Bolfe bewahrt hatte. Dem Schwurgericht war nach der alten Gerichtsverfassung eine Anzahl besonders schwerer Verbrechen zur Entscheidung überwiesen. Wenn es sich um das Leben eines Menschen handelte, also um Mord oder Totschlag, oder etwa um Brandstiftung, Meineid oder ähnliche schwere Delikte, dann sollte nicht allein das fachjuristische Kollegium der gelehrten Richter über das Schicksal der Beschuldigten entfcheiden, sondern die Männer aus dem Bolte, die als Ge fchworene berufen waren.
Die Geschworenenbant segte sich aus zwölf Männern zu sammen. Im alten Breußen wurde auf Grund eines beson deren Siebeverfahrens zwar die flassenmäßige Abschneidung der Arbeiterschichten planvoll und zielsicher durchgeführt, aber es blieb doch auf den Geschworenenbänken immer noch zu einem großen Prozentsatze der sogenannte Mittelstand. Die Verhandlung vor einem solchen Schwurgericht erforderte besondere Sorgfalt und besondere Ausführlichkeit, um den Laienrichtern, die schließlich allein über Schuld oder Nichtschuld zu entscheiden hatten, ein möglichst vollkommenes Bild von den in Frage kommenden Personen und Tatsachen zu vermitteln.
Nach Abschluß der Beweisaufnahme und der Anklageund Verteidigungsrede mußte dann der Borsitzende des Gerichts den Geschworenen eine Rechtsbelehrung erteilen, nachdem alle den Geschworenen zur Beantwortung vorgelegten Fragen aufschuldig" oder„ mildernde Umstände" vorher vom Gericht unter öffentlicher Mitwirkung des Staatsanwalts und der Verteidigung festgestellt waren. Die Rechtsbelehrung durch den Vorsitzenden durfte nicht für oder gegen den Angeflagien Stellung nehmen. Sie mußte sich darauf beschränken, die Rechtsgedanten zu erklären, die in den von Anklage und Verteidigung angezogenen Gefegesbestimmungen um schrieben sind.
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Troß dieser Beschränkung waren diese Rechtsbelehrungen aus dem Munde erfahrener Richter oft fleine Meisterwerte an juristischer Darstellungskunst. Die Entscheidung jedoch hatten die Geschworenen für sich und allein zu fällen. Sie mußten sich in das Geschworenenzimmer zurückziehen, und es war dafür gesorgt, daß während ihrer Beratung sie von niemandem aufgesucht oder gestört werden durften. Sie wählten aus ihrer Mitte einen Obmann, der ihre Berhandlungen zu führen hatte und der ihren Spruch schließlich, wie das Gesetz vorschrieb ,,, auf Ehre und Gewissen" dem Gericht zu verkünden hatte. Dieser Spruch fonnte immer nur auf die förmlich gestellten Haupt- und Nebenfragen mit Ja oder Nein antworten. Lautete er in der Hauptsache auf Ja, so mußte hinzugefügt werden, daß der Spruch mit mehr als sieben Stimmen erfolgt sei.
leber das Strafmaß entschied dann der Gerichtshof, der sich aus drei beamteten Richtern einschließlich des Vor
fizenden zusammensetzte. Hatten sich die Geschworenen nach einmütiger Auffassung der gelehrten Richter zuungunsten des Angeklagten geirrt, fo fonnte das Gericht diesen ungünstigeren Beschluß dadurch außer Kraft feßen, daß es die ganze Berhandlung vor ein späteres Schwurgericht zur neuen Entscheidung verwies.
Der Kerngedante der alten Schwurgerichte war, daß das unmittelbare Boltsempfinden und der Entscheidungen haben und behalten solle. Mit dieser in allen unverbildete Laien verstand das Schwergewicht bei den fortgeschrittenen Ländern vorhandenen Braris hat die Emminger- Berordnung radikal Schluß gemacht. Sie hat an Stelle der alten Schwurgerichte neue Schwurgerichte" gesetzt, die in Wirklichkeit nichts anderes darstellen als erweiterte Schöffengerichte. Sie hat die Zahl der Geschworenen von zwölf auf fechs herabgesetzt und, was das wichtigste iſt, die Alleinentscheidung der Geschworenen aufgehoben. Bei diesen Emmingerschen Schwurgerichten beraten und beschließen die Geschworenen mit den gelehrten Richtern gemeinsam. Das läuft in der Braris darauf hinaus, daß sie von dem Vorsitzenden und den Beisißern in Zweifels fällen fo lange mit juristischen Spitfindigkeiten bearbeitet werden. bis sie sich mehr oder weniger widerstrebend dem Spruch der gelehrten Richter unterwerfen und höchstens in bezug auf das Strafmaß ein wenig hemmend wirken können. Der Charakter des Schwurgerichts als eines aus der bürgerlichen Revolution stammenden Boltsgerichtes ist damit vollständig umgewandelt und die jetzigen Geschworenen bilden nur noch ein für gemisse Richter willkommenes, aber von