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Abendausgabe

Nr. 79 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 39

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Vorwärts

Berliner   Volksblaff

10 Pfennig

Mittwoch

16. Februar 1927

Berlag und Anzetgenabteilungs Gefchäftszett bts 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff   292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Offener Brief an Marx.

Von einem deutschen   Landarbeiter.

Ein gemaßregelter Landarbeiter aus dem Kreise Königs­ berg  ( Neumark  ) hat an den Reichskanzler Marg einen feines Inhalts wegen besonders lesenswerten Brief ge fchrieben. Damit der Reichstanzler es auch wirklich zu Gesicht bekommt, geben wir das Schreiben hier in seinem Wortlaut

wieder:

Sehr geehrter Herr Reichstanzler!

Wie ich durch die Zeitungen erfahren habe, ist der Besitzer von Hohen- Lübbichow und frühere Landrat des Kreises Königsberg ( Neumark), Herr v. Reudell, Mitglied der jetzigen Regierung. Auch habe ich erfahren, daß Sie, Herr Reichstanzier, Herrn v. Keu­bell gegen die Kritif republikanischer Parteien in Schutz genommen haben.

Herr Reichstanzler, dies hat mich schwer enttäuscht, und zwar 1.,

meil ich bei der Wahl des Reichspräsidenten   am 26. April 1925 von meinem damaligen Arbeitgeber Herrn v. d. Often in Barniz   aus der Arbeit enflaffen wurde, weil ich bei der Wahl meine Stimme für Sie, Herr Reichstanzler, abgegeben hatte,

und 2., weil ich weiß, daß Herr v. Reubell   und Herr v. d. Often politische Freunde und Gegner der deutschen Republik sind.

Durch meine Stimmabgabe für Sie, Herr Reichstanzler, habe ich mit meiner Familie, bestehend aus 9 Rindern, große not leiden müssen. Ich mußte sofort meine Kuh abfchaffen, meil ich für diese kein Futter mehr erhielt. Herr v. d. Often sagte fogar damals zu mir, ich solle mir von Ihnen, Herr Reichs fanzler, eine Rub geben laffen! Bon dieser Kuhhaltung hing aber die Existenz meiner Familie start ab. Die Abschaffung

"

Landesverratshehe auch in England. Ein Minister droht mit An- die- Wand- stellen". London  , 16. Februar.  ( BTB.) Der Generalstaatsanwalt Sir Douglas Hogg sagte gestern abend in einer Rede über China  , Rußland   und die induſtrielle Gefeßgebung, Macdonald babe bewiesen, daß er nur ein Werkzeug der Ertremisten sei. Der Generalpoftmeister Thomson fam in einer Rede auf die Er­flärungen sozialistischer Führer zu sprechen, die gesagt hätten, daß sie, wenn es zum Kriege tame, ihr Bestes tun würden, um die Zu

sammenziehung britischer Truppen zu verhindern; Thomson bemerkte

dazu, wenn sie das täten, dann würden sie an die Mauer gefiellt und erschossen werden. Es sei gut, daß fie das von vornherein wüßten.

Die französische   Antwort an Coolidge  .

Unzweidentige Ablehnung.

Paris  , 16. Februar.  ( WTB.) Die französische   Ant. Die französische   Ant mortnote auf das amerikanische   Memorandum über die Flotten abrüstung ist gestern abend veröffentlicht worden. Sie erinnert zu nächst daran, daß Frankreich   unaufhörlich Beweise seines entschloffe nen Friedenswillens gegeben habe. Frankreich   wisse also mehr als irgendeine andere Macht die edle Initiative der amerikanischen   Re­gierung zu schätzen und wäre glücklich, wenn sie den amerikanischen  Borschlägen vorbehaltlos beitreten fönnte. Sie fürchte aber, daß dadurch der Erfolg des in Genf   begonnenen Wertes gefährdet werden könne. Die Fünferfonferenz von Washington im Jahre 1921 über die Haupteinheiten" fei berechtigt gewesen, da die auf der Kon­ferenz vertretenen Mächte allein über Schiffe dieser Kategorie ver fügt hätten. Aber heute seien die Verhältnisse anders, da der Völkerbund   ein Ablommen über die Fabrikation und den Handel DON Waffen ausarbeite und eine allgemeine Rüstungsbeschränkungsfonferenz in Borbereitung fet.  Zweifellos dente Amerifa nicht daran, sich von diesem Werte zurüd­zuziehen, aber sein Borschlag würde die vorbereitende Abrüstungs­fommission des Bölferbundes ihrer Aufgabe entheben und eine Sonderkonferenz der Weltmächte bedeuten, deren Beschlüsse später von den übrigen Mächten angenommen werden müßten. Das würde die Autorität des Bölferbundes schwächen und den Grundsatz der Gleichheit sämtlicher Staaten, an dem Frankreich   entschlossen festhalte, schädigen. Außerdem befäßen fämt liche Staaten leichte Striegsschiffe, über die jetzt verhandelt werden folle, so daß sämtliche Nationen an den Verhandlungen teil­nehmen müßten. Frankreich   komme es allein darauf an, seine Küsten zu verteidigen und feine Seeverbindungen zu sichern. Frankreich  habe in Genf   3 wei Grundsäße vertreten: 1. daß die Abrüstung nur Erfolg haben könne, menn man jeder Macht eine Gesamt. tonnenzahl zubillige und 2. daß Frankreich   vollkommen ohne Bindung hinsichtlich der Verteilung der Tonnenzahl bleiben müsse. Andererseits müßten die Fragen der Abrüstung zu Lande, zu Wasser und in der Luftverbunden werden. Der ameri tanische Vorschlag schließe diese Grundfäße aus. Deshalb würde die französische   Regierung, wenn sie ihm beitrete, sich selbst wider sprechen und ihre Grundsäge öffentlich dementieren müssen. Das Beispiel der Konferenz von Rom   im Jahre 1924 gestatte nicht die Hoffnung, daß das gewünschte Resultat erreicht werde. Denn die nicht vertretenen Mächte würden nicht Grundsäge annehmen, welche ohne sie beschlossen worden seien. Entgegen dem Plan der ameris fanifchen Regierung sei bie franzöfifche Regierung bei dem gegen

war für mich eine besondere Härte. Auch war ich längere Zeit arbeitslos, ohne eine Unterſtügung zu erhalten. In die Zeit der Erwerbslosigkeit fiel auch das Weihnachtsfeft 1925. Für meine Kinder war es tein Fest der Liebe, und nur die Hilfsbereitschaft meiner Gesinnungsfreunde, welche selbst arm sind, und der Wille, unferem Baterlande, der deutschen   Republif zu dienen, hat uns die Kraft gegeben, diese schwere Zeit zu überwinden. Vor einer sonst üblichen Wohnungsräumung wurde ich nur dadurch geschüßt, daß ich die Wohnung meines alten Vaters benutzen konnte.

Viele Republikaner, besonders aber Arbeiter in der Cand- und Biele Republikaner, besonders aber Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft, mußten damals mit ihren Familien derartige Bruta­litäten durch die Parteifreunde des Herrn v. Keudell erdulden, weil Sie, Herr Reichskanzler, zum obersten Beamten der deutschen   Repu­blit ausersehen waren.

Sorgen Sie nun dafür, Herr Reichstanzler, daß die Partei­freunde des jezigen Innenministers, des Herrn v. Reubell  , in Zukunft derartige Roheiten gegen Republikaner   unter­laffen und sich in der deutschen Republik wie anständige men

schen betragen.

Hochachtungsvoll

gez. Ernst Graffe, Arbeiter.

Was dentt der Reichstanzler jetzt über den Fall Reubell­often? Er hat den Bontott dieser Raste gegen den Jung­deutschen Tresdom gedect. Will er auch den wirtschaft lichen Boykott der Junter gegen die Arbeiter deden, die um ihrer Stimmobgabe für ihn selbst in Not und Hunger ge­trieben wurden? Wir erwarten auf den offenen Brief eine offene Antwort!

wärtigen Stand der Arbeiten der vorbereitenden Abrüftungs wärtigen Stand der Arbeiten der vorbereitenden Abrüftungs­tommission des Bölferbundes der Ansicht, daß diese unter der Be­dingung, daß fämtliche in ihr vertretenen Nationen, wie Frankreich  selbst, den festen Willen zu einem Abschluß zu fommen, hegten, i'n selbst, den festen Willen zu einem Abschluß zu fammen, hegten, i'n der nächsten Session Beschlüsse faffen tönne, die geeignet feien, mit ernſten Aussichten auf Erfolg die allgemeine Abrüftungs­tonferenz herbeizuführen. Die französische   Regierung sei daher der Ansicht, daß von dieser vorbereitenden Abrüstungsfommiffion des Böllerbundes der amerikanische   Borschlag geprüft werden fönne.

Deutsch französisches Handelsprovisorium.

Weitere Verlängerung um brei Monate.

Das Schicksal unserer Schulen.

Die Schulpolitik der Sozialdemokratie. Bon Heinrich Deiters  .

Die Mannheimer   Tagung, zu der die füdwestdeutschen Gruppen der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer und Lehrerinnen" am 30. Januar versammelt waren, hat in doppelter Beziehung eine Klärung über die Schulpolitik der Bartei gebracht und verdient deshalb besondere Beachtung. Die Sozialdemokratie ist seit dem Erfurter Programm   in Deutschland   die Partei der weltlichen Schule. Die Re­polution schien Gelegenheit zur Berwirklichung dieser For­derung zu geben, aber schon in der Nationalversammlung hatte sich die Lage der Partei so verschlechtert, daß die in der Reichs= verfaffung festgelegte Schulverfassung von der einheitlichen, weltlichen Schule unseres Programms weit abwich. Seitdem hat sich die schulpolitische Lage in Deutschland   unter dem maß­gebenden Einfluß des Zentrums meiter nach rüdwarts ent­widelt, und heute scheint die konfeffionelle Zerspaltung unserer Bolksschule vollends unüberwindbar geworden zu sein. Selbst die Konfeffionalisierung der höheren Schule ist heute eine ernste Gefahr geworden.

Unter diesen Verhältnissen ist die kräftige Entwicklung der weltlichen" Schulen in Westfalen   und am Niederrhein  , sowie in Berlin   und Mitteldeutschland  , die rechtlich nur Sammel­schulen der vom Religionsunterricht abgemeldeten Kinder find, mit Freuden zu begrüßen. Sie stellen schon heute eine Tatsache dar, mit der die kommende Gesetzgebung im Reich und in Preußen rechnen muß, und abgesehen von dieser schul­politischen Bedeutung schaffen sie als Lebensgemein­fchaftsschulen pädagogisch eine neue Schulreform, der die 3utunft gehört. Aber sie bringen auch die Gefahr einer meite­ren Zerreißung unserer Volksschule mit sich und bedrohen die schulpolitischen und pädagogischen Anstrengungen des Sozia lismus mit Absperrung von der Gesamtheit unseres Schul­wefens.

Mit diesen Gefahren beschäftigte sich die Mannheimer  Tagung vornehmlich. Es war deshalb ein eindrucksvoller Augenblid, eindrucksvoll besonders für den, der jene Sorgen lebhaft fühlt, als einer der ruhigsten und erfolgreichsten Bor­fämpfer der weltlichen Schule in ihrer Gegen­warts form, Genosse Löwenstein, betonte, daß diese sich durchaus als allgemeine, umfassende Schul­form betrachte. Demnach will also die weltliche Schule auch in der gegenwärtigen Lage vermeiden, sich zu einer Welt­anschauungsschule zu verengen und damit der Versteifung des Ronfessionalismus unbeabsichtigte Hilfe zu leihen. Aber daß hier eine Gefahr besteht, fonnte nicht bestritten werden. Die politische Berantwortung für eine weitere Berreißung unseres Schulwesens trifft ganz allein unsere Gegner, aber die Folgen dieser Entwicklung fallen auch auf uns.

Heute mittag dürfte in Baris Don Briand und Hoesch Demgegenüber haben die Vertreter der südwest­ein blommen unterzeichnet worden sein, wodurch das deutschen   Länder Nassau  , Freistaat Hessen, Baden   und deutsch  - französische Handelsabkommen um drei Monate ver Rheinpfalz auf der Mannheimer   Tagung mit Nachdruck den längert wird. Die Franzosen hatten nur eine Verlängerung um Wert ihrer eingelebten und bewährten Simultanschule fechs Wochen gewünscht und angekündigt, daß fie für die Zeit nachher betont. Sie stellt heute diejenige Schulform dar, in der sich ein deutsches Entgegenkommen für die französische   Weinausfuhr der Charakter der allgemeinen Bolfsschule als einer Ver­nach Deutschland   haben wollten. Auf eine so furze Verlängerung anstaltung des Staates am reinsten ausgeprägt hat und sind die deutschen   Unterhändler nicht eingegangen, weil sie es für die Ansprüche der Ronfeffionen die flarste Beschränkung er­ausgeschlossen hielten, daß in einer so furzen Zeit der endgültige fahren haben. Indem sie andererseits den überlieferten For­Handelsvertrag vereinbart werden tönnte, also immer weitere Berderungen an einen fonfeffionellen Religionsunterricht ent­längerungen notwendig sein würden. Man hat sich nun dahin ge- gegenfommt, zeigt sie dem Realpolitiker den Weg, auf dem einigt, um drei Monate zu verlängern, wobei Frankreich   sich das eine leberwindung der fonfessionellen Gegenfäße in der Schule Recht vorbehalten hat, am 21. März zum 31. März von der Ver- erfolgreich unternommen werden kann. Dabei wird nicht längerung zurückzutreten, wenn Wünsche, die es vorbringen werde, verfannt, daß ihr Charakter heute umstritten ist und besonders bis dahin nicht erfüllt werden. Diese Wünsche gehen dahin, daß die Teile der demokratischen Partei ihr den Stempel einer Weineinfuhr aus Frankreich   derjenigen aus Italien   und christlichen Schule aufprägen möchten. Demgegenüber Spanien   zolltariflich gleich gestellt werde. fordert die Sozialdemokratie von der Simultanschule die ehr­liche Gleichberechtigung aller Konfessionen und Welt­anschauungen für die Schüler und vor allem auch für die Lehrer. Wird auf diese Weise ihr ursprünglicher Charakter erhalten oder, wo es nötig ist, erst voll herausgearbeitet, so wird fie eine Borstufe des Aufstiegs zur vollen Weltlichkeit der Schule.

Deutschland   hat wiederholt erklärt, daß es zu dieser Gleichstellung bereit sei, wenn Frankreich   die deutsche   Einfuhr an Industrie produkten der englischen   und amerikanischen   zolltariflich gleich ftelle. Dazu ist aber Frankreich   bisher nicht geneigt gewesen, obwohl -nach deutscher   Meinung- das Zugeständnis gleicher Bedingungen für deutsche   Einfuhr beineswegs eine besondere Gefährdung der eng lischen und amerikanischen   Einfuhr bedeute, so daß der französische  Beinbau die Kosten der Bevorzugung der englischen   und amerikani fchen vor der deutschen   Industrie zahlen müsse.

Der französische   3olltarif liegt noch nicht vor, erst wenn das der Fall ist, können die Verhandlungen über den end. gültigen Handelsvertrag beginnen.

Desertierte Sowjetflieger.

Bloße Defraudanten oder auch Enthüller? Rürzlich landeten bei der aus dem Weltkrieg befannten Stadt ud in Bolhynien, die jetzt zu Polen   gehört, 3 met ruffische Fliegeroffiziere mit einem russischen Militärflugzeug. Die polnische Presse behauptet, daß die beiden Russen angegeben hätten, daß fast alle russischen Militärflugzeuge von Deutschland   ge­liefert worden seien. Offiziere des deutschen   Flugwesens leiteten unter falschem Namen die Fliegerschule der Sowjets fowie eine große Fabrit von Giftgalen in Schartom, mo große Mengen folcher Giftgafe aufgeftapelt feien.

Bon anderer Seite wird erklärt, die beiden russischen Offiziere feien wegen Defraudation   desertiert und diesen Umstand hätten die Polen   benutzt, um alle möglichen Erzählungen aus ihnen herauszupressen.

Wichtiger noch als diese Entscheidung für eine beweg lichere Taffit in den schulpolitischen Kämpfen der Partei war das grundsägliche Bekenntnis der Tagung zu einer sta at s= politischen und fachlichen Schulpolitit. Die Sozialdemokratie ist die entschlossenste und Klarste Vor­fämpferin des Boltsstaates; sie weiß dabei sehr wohl zwischen der Republik   in ihrem gegenwärtigen Zustande und ihrem wahren Inhalt zu unterscheiden, aber sie bedient sich auch heute schon der demokratischen Formen und fämpft für den Bestand des Staates. Demnach ist auch ihre Schule nicht das Werkzeug irgendeiner meltanschaulichen Gemeinschaft, son­dern ein Organbereinen und unteilbaren deut schen Republit. Sie ist aber auch die Schule, in der sich, befreit von allen Bindungen an Mächte außerhalb der Schule, die Kräfte einer autonom gewordenen Pädagogit am stärksten entfalten können. Der Sozialismus ist seinem Willen nach die Zusammenfassung aller gesellschaftlichen Kräfte, die dun gegenwärtigen Zustand durch eine höhere Form des gesellschaftlichen Lebens überwinden wollen. Er dient deshalb überall seinen eigenen Zielen am besten, wo er den sachlichen Forderungen eines Lebensgebietes dient. Die Sozialdemo fratie wird in dem Maße zur Führerin im Schul­fampfe werden und die Massen um sich sammeln, wie sie für die beste Schule tämpft und für nichts außerdem.