Abendausgabe
Nr. 87 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 43
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10 Pfennig
Montag
21. Februar 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der Kampf um den Achtstundentag.
Aussperrung und Verhandlungsbeginn in Sachsen . oberschlesischen Bergarbeiter.
J. St. Dresden, 21. Februar.( Eig. Drahtber.) Heufe vormittag 10 Uhr follten die Verhandlungen im fächsischen Arbeitsminifterium beginnen, um zu versuchen, eine Einigung in dem großen konfliff in der sächsischen Metallindustrie herbeizuführen.
Die Unternehmer schienen jedoch noch nicht recht einig unter sich zu sein. Es ist ganz offenbar, daß innerhalb der Unternehmer große Gegenfäße bestehen. Das geht schon daraus hervor, daß die Aussperrungsorders nicht überall durchgeführt werden.
3n Dresden allein haben fechs Großbetriebe mit rund 7200 Arbeitern nicht ausgesperrt, desgleichen das große Lauchhammerwerk in Riesa mit 4000 Arbeitern. In Chemni iff, soweit Nachrichten vorliegen, die Aussperrung wohl besser durchgeführt worden, jedoch haben viele Unternehmer unter dem Vorwand der Ausführung von Rotstandsarbeiten eine große Zahl Arbeiter zurückgehalten. Eine genaue Uebersicht über den Stand der Aussperrung dürfte vor morgen nicht möglich sein, außerdem tommt noch hinzu, daß der Arbeitgeberschuhverband nicht aussperrt.
Wie groß also die Zahl der ausgesperrten Arbeiter schließlich sein wird, wird voraussichtlich erst der morgige Tag ergeben. Die Metallarbeiter nehmen die Aussperrungsorder mit vollkommener Ruhe auf. Am Siz des Metallarbeiterverbandes in Dresden herrscht cifriges Leben; während in den Bureaus die Betriebsräte ein- und ausgehen und Meldungen bringen, wird unten im Sigungsfaal über die notwendigen Maßnahmen beraten.
Die Verhandlungen beginnen.
Bevor es zu Berhandlungen fam, berieten die Unternehmer ziemlich lange unter sich. Als die Parteien schließlich zu Beratungen zufammentraten, ftellte es sich heraus, daß für die Unternehmer nicht nur die Bertreter des Bezirks Leipzig , sondern auch die Ber freter des Gesamtverbandes der Metallindustriellen Deutschlands aus Berlin und die Bertreler des fafifchen metallindustriellenverbandes zu den Verhandlungen erschienen waren, während der Deutsche Metallarbeiterverband nur seine Vertreter für Leipzig delegiert hatte, da nach Auffaffung des DMB. ein Tariffonflikt nur für Leipzig besteht. Auf Antrag der Vertreter des DMB. wurde dementsprechend nur für Leipzig beraten; die Beratungen fanden zunächst getrennt statt. Die Metallarbeiter fordern die 46- Stunden- Woche, die Metallindustriellen die 52- Stunden- Woche.
Der Schiedsspruch des fächsischen Schlichters ging bekanntlich noch darüber hinaus, jedoch ist der Schiedsspruch durch die Ablehnung der Berbindlichkeitserklärung, nachdem der DMB. den Schiedsspruch abgelehnt hatte, als erledigt zu betrachten. Die Unternehmer forderten zunächst, daß die Bertreter der Arbeiterschaft Borschläge machen sollten. Diese wiesen jedoch darauf hin, daß es an den Unternehmern sei, Borschläge zu machen, da es ja die Unternehmer waren, die unter Ablehnung der Verhandlungen zur Aussperrung gegriffen haben.
Forderungen der
In den Verhandlungen schien auf seiten der Unternehmer eine gewiffe Neigung zu Konzessionen hervorzutreten, die in der Hauptsache darauf zurückzuführen sein dürfte,
daß innerhalb des Unternehmerlagers große Gegenfäße bestehen.
Ein großer Teil der Unternehmer hält es für verfehlt, angesichts der riefigen Arbeitslosigkeit auf die Berlängerung der Arbeitszeit zu be stehen. Zu bemerken ist noch, daß die Mitglieder des Arbeitgeber. schutzverbandes, der nicht ausgesperrt hat, in Sachsen etwa 20 000 bis 25 000 Arbeiter beschäftigen.
Arbeiterforderungen in Oberschlesien .
Verkürzung der Arbeitszeit, höhere Löhne. Hindenburg , 21. Februar.( Eigener Drahtbericht.) In 14 öffent. lichen Bergarbeiterversammlungen des oberschlesischen Industriegebietes fprad) am Sonntag eine große Zahl von Bergarbeiter. führern aus dem Reich, darunter die Reichstagsabgeordneten usemann, Limberg, Beder, Janfchet und die Landtags abgeordneten Jatob, Otter, Franz und Genosse Schmidt Bochum, über den Kampf um die Arbeitszeit. Die oberschlesischen Bergarbeiter haben bekanntlich zum 28. Februar 1927 das Arbeitszeitablommen gefündigt. Die einzelnen Referenten wiesen auf die Sonderstellung des oberschlesischen Industrie. gebietes hin, das die günstigste wirtschaftliche Situation hat,
der
Bon H. G. Bells.
H. G. Wells in der ganzen Welt als feffeln Romanschriftsteller bekannt ift neben G. B. Sham eine der interessantesten Erscheinungen des englischen Sozialismus. Bei den Unterhause wahlen vom Dezember 1923 hat er sich, allerdings ver gebens, als Kandidat der Labour Party um einen den Universitäten zustehenden Barlamentsiz beworben. Seine Berte find in Deutschland verbreitet, seine auss gezeichnete Weltgeschichte hat die weiteste und günstigste Aufnahme gefunden. Der Borwärts" hat fich jetzt das deutsche Publikationsrecht für vier Auffäße von H. G. Bells gesichert, von denen drei weitere in der nächsten Zeit folgen werden. Ist der Faschismus die Erfindung und die Waffe Muffolinis oder ist Mussolini das Geschöpf des Faschismus? Ist der Faschismus etwas, das mit ihm stirbt, oder hätte er seine Rolle in der Welt gespielt, wenn jene so hervorragend theatralische Gestalt niemals geboren worden wäre?
Zweifellos war von Anfang an der Faschismus auf das engste mit Mussolini berbunden. Aber troßdem er Namen und Führer seitdem behalten hat, hat sich sein Wesen völlig geändert. Er begann als etwas Neuartiges; aber er hat jeglichen Anspruch, etwas Neues zu bedeuten, längst aufgegeben. Noch 1919 hatte Muffolini seiner Partei noch nicht Seele und Besen eingeflößt. Wenn man das erste faschistische Programm jetzt, nach sieben Jahren, noch einmal liest, so widerspricht es in fast unglaublicher Beise allem, was der Faschismus heute verfündet; republikanisch, pazifistisch. er forderte die Ab schaffung der Titel, Fretheit der Presse, Bersamm fungsfreiheit, Agitationsfreiheit, Besteuerung des Reichtums, Einziehung des unproduttiven Reichtums, Aufhebung der Banken und Börsen, Landverteilung an Dorf sowjets usw. Er war tatsächlich eine neue Organisation radi taler Sozialisten außerhalb der Gewerkschaften. Seine Stärke lag nicht in seinen Ideen, sondern in der Geschicklich
dabei aber die niedrigsten Löhne, die längste Arbeitszeit und ffändig fteigende Unfall- und Erkrankungsziffern befiht. Die oberschlesischen Unternehmer haben in den letzten Tagen in der Reichspreffe und bei den Schlichtungsverhandlungen immer wieder betont, daß eine Kürzung der Arbeitszeit eine Berminderung der Produktion darstellen würde. Demgegenüber haben die Refe renten an hand des amtlichen Materials nachgewiesen, daß im Berkeit, mit der er organisiert war. gleich zur Vorfriegszeit troß der Berkürzung die Friedens. produktion um mehr als 15 Pro3. überschritten ist| Sie wiesen weiter auf das Steigen der Unfall- und Ertranfungsziffern hin und betonten vor allem das tata ftrophale Anschwellen der Unfallziffern. Während allein im Jahre 1925 insgesamt 11 324 Unfälle zu verzeichnen waren, find im Jahre 1926 allein in zwei Quartalen 808 Unfälle festgestellt, fo daß die Unfallziffern für 1926 die Zahl von 1925 um mehrere Taufend überschreiten wird.
Die Bersammlungen nahmen überall einen glänzenden Verlauf. In allen Versammlungen wurde einstimmig eine Resolution angenommen, in der die oberschlesischen Bergarbeiter zu nächst ihren Standpunkt begründen und das Reichsarbeits. minifterium auffordern, dem Bestreben der oberfchle fischen Unternehmer, die oberschlesischen Bergarbeiter mit Hilfe des Schlichters ihrem Willen zu unterwerfen, teine Folge zu leisten. Die Resolution betont zum Schluß, daß
er mar
Sinnbildlichkeit, die die Gemüter der Jugend ergriff, er Er begann von vornherein mit einer undramatischen den, wie es die Jugend verlangt. Er war ein heilloser Spaß. war abenteuerlich, angriffsluftig, streitbar und entschie Aber er steckte die wilden italienischen Futuristen in Uniform, und lehrte sie, auf römisch zu grüßen. Er entwickelte sich im Kampf mit den Sozialisten und der katholischen Volkspartei. Er benutzte die Gemeindewahlen von 1920 als eine glänzende Chance; er unterstützte die Giolitti Regierung und hatte dafür deren Billigung. Er erhielt, auf geheime, aber ausreichende Weise, Waffen, und eine entsprechend instruierte Polizei begegnete ihm mit freundlicher Nachsichtigkeit. Als er nächstes Jahr eine richtiggehende, im Parlament vertretene Partei geworden war, wandte er sich gegen seinen Nährvater Giolitti, wie er das von Rechts wegen verdient hatte.
Das ursprüngliche Programm verschwand schon damals aus dem Gesichtskreis; er wäre heutzutage gänzlich ver gessen, wenn nicht Sturzo und Nitti immer wieder darauf
die Berkürzung der Arbeitszeit bei entsprechender Erhöhung der Löhne ein zwingendes Gebot nicht nur im Intereffe der Bergarbeiter, sondern auch der ober. hinweisen. Mussolini aber ging immer mehr die Wege, die am
Torgen Verhandlungen.
Ob es zu einer Einigung bei den nur schwer in Gang zu bringenden Berhandlungen fommen wird, ist vorläufig noch ganz undurchsichtig. Die Bertreter des DMB. werden jedenfalls auf| schlesischen Wirtschaft insgesamt sei. der 46- Stunden- Woche bestehen und auch darauf, daß, wenn infolge wirtschaftlicher Notwendigkeiten Ueberstunden verlangt werden sollten, diese nur unter gewiffen Borausseßungen geleistet werden dürfen, insbesondere die 3ustimmung des Betriebsrats und einer höheren Bezahlung zur Voraussetzung haben müssen.
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Verschärfung in Schanghai . Maffenhinrichtungen von Arbeiterführern Allgemeine Empörung- Der Streif breitet sich aus. London , 21. Februar.( Eigener Drahtbericht.) 3n Shang hai tam es in den letzten 48 Stunden nach den hier vorliegenden Meldungen zu schweren 3usammenstoßen. Die Ursache
Der Reichsarbeitsminister hat die Organisationsvertreter für Dienstag, vormittag 10 Uhr, in Berlin zu Schlichtungsver. handlungen über die Arbeitszeit und über den Manteltarif eingeladen. Zum Schlichter ift Affeffor Dr. Brahn bestellt.
( Die Brovinz Dünnan liegt im Südwesten des Machtbereichs der revolutionären Regierung, also gewissermaßen in deren Rücken, und war bisher in den Händen von tantonfeindlichen Generälen. Reb. d.„ B.")
Objekive Justiz!
bildete u. a. die Berhaftung und fofortige Hinrichtung von 5 Monate Gefängnis wegen Reichskanzler- Beleidigung
für einen Kommunisten.
20 Agitatoren der Südregierung im Auffrage von General Sun. Die Köpfe dieser Männer wurden in der Chinesenstadt in Schanghai aufgehängt. Die Empörung in der Bevölkerung foll urteilte den verantwortlichen Redakteur des fommunistischen Effen, 21. Februar. ( WTB.) Das hiesige Schöffengericht ver ungeheuer sein und man erwartet infolgedessen weitere Zusammen- Ruhr- Echo" wegen Beleidigung des Reichstanz Stöße.
Die Zahl der in den Ausstand getretenen Arbeiter hat bereits am Sonntag 100000 überffiegen. Es wird erwartet, daß sich heute 200 000 Personen an dem Streif beteiligen werden und bis zum Dienstag der Streit allgemein wird.
Am Sonnabend ist in Santau ein englisch - chinefliches Abkommen unterzeichnet worden, über deffen Inhall vorläufig nähere Einzelheiten nicht verlaufen.
Erfolge der Revolutionäre auch in Yünnan . Hongkong , 21. Februar. ( Chinesische Nachrichtenagentur.) Der Kommandeur der 16. Revolutionären Armee, Fan Hai- Sen, hat die Truppen des Gouverneurs der Provinz Dünnan, Tang Chi Yao, vernichtend geschlagen. Fan Hai Sen hat schon fast ganz Oft Dünnan mit der Stadt Chow Be ( 180 Kilometer östlich von der Hauptstadt Dünnan- Fu und 90 Kilometer östlich von der Vünnan- Annam- Eisenbahn entfernt) besetzt. Die Truppen Jan Hai- Sens rücken gegen die Eisenbahnlinie vor.
lers Marg zu fünf Monaten Gefängnis. Die Beleidischluß an einen Bortrag des Reichsfanglers im Herbst v. 3. erschienen gung wurde in einem Artikel des Ruhr- Echo" erblickt, der im An war und die Ueberschrift Vaterländischer Schwindel" Artifel den obersten Beamten der Reichsregierung in der schwersten trug. In der Urteilsbegründung führte der Borsigende aus, daß der Form beleidigt und damit die republikanische Staatsverfassung in der Deffentlichkeit herabgewürdigt und beschimpft habe.
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Als Herr Marg als Reichsjuftizminister in der niederträchtigsten Weise von rechtsstehenden Hezorga nen verleumdet, der Korruption beschuldigt und beschimpft wurde, fand er so wenig gerichtlichen Schuß, daß er von der Reichstagstribune herab erklärte, er werde feinen Strafantrag mehr stellen, da er feinen Schuß finde.
Aber ein Kommunist, das ist etwas anderes als ein Böl fischer. Fünf Monate Gefängnis!
meisten den Sehnsüchten der gewalttätigen Teile der italienifchen Jugend entsprechen. Er ist schließlich in der Rolle geendet, die d'Annunzio ihm schon fünfzehn Jahre früher auf den Leib hätte schreiben fönnen, die Rolle des gewissenlosen Retters und Neuorganisators Italiens . Bis 1919 hatte er mit radikalen tapitalistischen Idealen geliebäugelt. Erst mit dem Sturze Giolittis segte er endgültig auf Patriotismus, Natio nalismus, Kirchenglaube und Reaktion. Dabei scheint er mehr von dem schnellen Begriffsvermögen des geborenen Schauspielers und Demagogen für das, was zieht", getrieben worden zu sein als durch verstandesmäßige Ueberlegung.
Man braucht mur ein paar aus der Unzahl der Photographien zu sehen, die man heute über die Welt flattern läßt, um zu erkennen, daß er ein Ereignis ist und nichts Schöpfe sches darstellt. Dies runde, start- schwache Geficht ist das Ge fich eines populären Schauspielers. Gewöhnlich starrt es mit gedankenleeren Augen ins Weite, als wenn es fragen wollte: ,, Was haft du gegen mich? Ich verwahre mich dagegen!" Es ist das Geficht eines ungeheuer eitlen Mannes, der bei Furcht vor einem Mörder, der ihm nachstellen könne, sondem geringsten Geräusch in Angst gerät. Bielleicht nicht in der in tödlicher Angst vor der Wahrheit, die Tag für Tag vorausschreitet. Darum hinweg mit all den Männern, die Matteotti , Salvamini, Sturzo, Turati. Jeder dieser schimpflich ihn beobachten und fritisieren. Hinweg mit Nitti, Amendola, ermordeten, geschlagenen und verbannten Männer ist ein In Wahrheit hat Mussolini in Italien nichts geschaffen. Er befferer Mann als dieser Schauspieler auf der Bühne Italiens . ist nur ein Produkt Italiens . Stürbe er, er würde einen ähn lichen Nachfolger finden. Die Schwierigkeit mürbe wohl nur die sein, daß er zuviel Nachfolger befommen würde.
Das schlimmste am Faschismus ist feine völlige, systematische und raffinierte Zerstörung jeder Kritik und jeder Opposition. Er hat keine Möglichkeit für eine andere Regierung gefassen Er zerstört die Hoffnung auf einen Wieder aufstieg. 3mar mag der König eines Tages ausgegraben merden, der Valitan wieder von sich hören lassen, auch be steht der katholische Sozialismus der Populari noch weiter.