�nmeftieöebatte im Rechtsausschuß. Sozialdemokratische Kritik am Reichsgericht. Der Rechtsausschuh des Reichstages beschäftigt« sich in seiner heutigen Sitzung mit der Frage einer politischen Amnestie. Genosse Kurt Rosenield trat namens der sozialdemokratlschen Fraktion an der Hand eines umfangreichen Materials für eine umfassende poli- tische Amnestie ein. Er begrüßte, daß die Reichsregierung die von ihr selbst und die von den Kommunisten gemachten, so verschiedenen Angaben über die Zahl der jetzt noch vvrhandenen politischen Ge- sangenen nachprüfen wolle. Es müsse aber zunächst Ueberein- st i m m u n g darüber herbeigeführt werden, in welchen Fällen politische Delikte anzunehmen seien. Rur dann würde sich eine einwandfreie Statistik ergeben. Eine neue Amnestie sei von Reichs wegen schon deshalb not- wendig, weil die HIndcnburg-Amneslie in manchen Einzelländern nicht die Rachachlung erfahren hat, die der Reichstag erwartete. als er sich bei der Reichsomnestie 0"f die durch Urteil des Reichs Verurteilten beschränkte. Baden und Preußen seien noch den Wünschen des Reichstages gefolgt. Thüringen aber z. B. habe eine sehr viel engere Amnestie erlassen. Die damalige Landes- regierung und Landtagsmehrheit des inzwischen gescheiterten Orb- nungsbundes habe weder in Fällen des Landesverrats noch bei den sogenannten Gewalldelikten Amnestie gewährt. Das Reich müsse in Thüringen Remedur schaffen Auch die unzureichende Gnadenpraris der Reichsregierung und des Reichspräsidenten mache ein« neue Amnestie notwendig. Bei der Anrechnung der durch die letzt« Anmestie gewährten zweijährigen Strafermäßigung werde zu wenig Rückstcht auf die Derurteilten genommen. Schließlich müsse die unmögliche Rechtsprechung des Reichs- gerichts in Fällen des hoch- und Landesverrats eine Amnestie zur Folge haben. Das Reichsgericht verurteile Kommunisten wegen Handlungen aus den letzten Jahren immer noch so, als ob es sich um das Jahr 1V23 handle. Wie weltfern fei das Reichsgericht, wenn es zum Beispiel in einem Urteil zum Beweis« für die immer noch hoch- verräterischen Pläne der Kommunisten darau hinweise, daß sie in der Ausjührung der Parlamentsorbest der Verfassung selbst entgegenwirken. Die Mitglieder des Ausschusses könnten das besser beurteilen als der Reichstag . Gerade die Mitarbeit der Kommunisten im Rechtsaus- schuß lasse ihre Wandlung seit den Zeiten, da sie die Reichstags- rerhandlungen zu stören suchten, klar erkenn en. Genosse Rosenjeid(sortsahrend): Rur die Rücksicht auf die be- schränkte Zeit des Ausschusses und des Plenums hindere seine Freunde, hunderte und Tausende von Fehlgriffen deutscher Justiz vorzutragen. Wenn immer weiter be- stritten werde, daß ein« o l l g e mei n e Ztritik an der deutschen Justiz berechtigt sei, dann werde man schließlich einmal einen Unter- suchungsausschuß zur Untersuchung der gesamten deutschen Justiz einsetzen müssen. Genosse Rosenfeld warnte vor einer glatten Ablehnung aller Amnestieantröge und schloß mit einem Appell an die bürgerlichen Parteien, den Opfern der Klassen- und Parleijustiz dusch«ine politische Amnestie zu helfen. Der bayerische Reichsratsbevollmächtigie v. Rühleia erklärte, daß von 1919 her in den bayerischen Gesangnissen oder Festungen niemand mehr sitz». Rur in den Zuchthäusern seien noch etwa IS Personen wegen des sogenannten Geiselmordes und wegen der Erschießungen in Miesbach . Bayern erheb« gegen eine Amnestie Einspruch, welch« auch die Urteile der Landesgerichte betreffe. Reichsjustizminister hergt erklärt, daß er seine ablehnende Meinung gegenüber den Amnestieonträgen bereits im Plenum mitgeteilt habe. Auf die vielen von Dr. Rosenfeld auf» geworfenen Fragen erwidere er, daß ihm die Verhandlungen dar- über keineswegs unbequem feien. Die Reichsregierung habe die Anregung des Reichstage» fiir die Gewährung von Landesamnestien mit der Bitte um wohlwollende Stellungnahme an die einzelnen Landesregierungen weitergegeben. Wenn Thüringen dem aichk gekslgt fel. so werde gewiß die sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag das Rötige tun. Die Veränderungen der Kommunistischen Partei seien in der Oesfent- lichkeit noch nicht zum Ausdruck gekommen. Sie sollten erst in Wort und Tot von ihren Handlungen und Aeußerungen im Jahre 1923 abrücken.(Zwischen- ruf Genosse Rosenfeld! Lesen Sie denn nicht die.Rote Fahne"?) Minister hergt: Da habe ich dos nicht gelesen.(Zwischenruf des Abg. Levi: Sie haben doch auch nicht ausdrücklich ge- schrieben, daß sie umgefallen seien. Heiterkeit.) Abg. Darth von den Deutschnationalen lehnt jede Amne- sti« ab.(Zuruf links: Sie haben sie nW mehr nötig!) Auch die von den Sozialdemokraten verlangten Milderungen würden seine Freunde nicht mitmachen. Der Amnestiefanatismu» der Sozial- dcmokrcien sei eine Revolutionskrankheit, die endlich überwunden werden müsse. Gr«. Oanhsberg: Der Reichsjustizminister habe bedauerlicherweise zu der Frage nicht Stellung genommen, ob das Reich für eine Amnestie für Urteile der Gerichte der Länder zuständig sei. Diese Zuständigkeit könne nicht in Zweifel gezogen werden und sei auch von allen Justizministern, die bisher im Reiche amtiert hätten, anerkannt worden. Ein Landesverrat, der in der Absicht der Schädigung des Landes begangen sei. verdiene selbstverständlich keine Gnade. Wenn der ehemalige deutscbkonservative Abaeordnet« Graf Oppersdorf, der sich darum bemüht habe, ganz Oberschlesien polnisch zu machen, in die Hände der Justiz falle, so sei gegen eine schwere Verurteilung dieses Manne» nicht» zu sagen. In den Fällen aber, in denen seine Freunde die Begnadigung sogenannter Landesverräter verlangten, handle es sich in Wirklichkeit um Fälle, in denen die Täter dem Lande dienen wollten. Denn sie waren der lleberzeugung, daß gewisse Vorgänge, die sie in der Oeffentllchkelt brkanntgnben, eine Gefährdung der deutschen Republik bedeuten. Eine Amnestf« sei notwendig, weil da» Gesetz vom Jahre 1S2S d I» Recht« einseitig begünstigt Hab«. Man habe damals Zuchthausstrafen grundsätzlich ausgeschlossen. dabei aber da» Gesetz so gefaßt, daß da» verfahren gegen Ehrhardt wegen Anstistung zum Meineid, das nur mit Zuchthausstrafe hätte ausgehen können, niedergeschlagen worden sei. Wa» dem Ehrhardt recht sei, müsse anderen billig sein, und das Gesetz müsse auf Zucht- hausstrafen mindestens bis zur Dauer von zwei Jahren bei politischen Verbrechen in Anwendung kommen. Weiter sei eine A'm nestle zugunsten derjenigen erforderlich, die aus Grund des ß 8S Reichsstrafgesetzbuches wegen hochverräterischen Unternehmens bestraft seien, denn der Eni- wurf eines neuen Strafgesetzbuches verzichte aus di'esen Paragraphen und steh« infolgedessen aus dem Standpunkt, daß sein Jnlmtt mit dem allgemeinen Willen nicht übereinstimme. Weiter sei zum mindesten eine Amnestie erforderlich, die sich auf den§ 7 Nr.< des Gesetzes zum Schutze der Republik beziehe. Das Reichsgericht verurteile jeden Funktionär der KPD. , dessen es habhaft werden könne, wegen Zugehörigkeit zu einer st aat's feindlichen geheimen Verbin- d u n g. Diese Spruchpraxi» sei pol'tlsch logisch und juristisch gleich bedenklich. Es lei durchaus denkbar, daß Funktionäre der KPD. genügend ver- mmst besäßen, um da» Unsinnige der Verherrlichung der Gewalt zu erkennen und daß ste ein Portelamt angenommen hätten, um die Anschauungen der KPD. zu reformierrn. Nach der Praxi» des Reichegericht» genüge gleichwohl die Tatsache, daß« sie ein Partei- amt angenommen haben, um sich strafbar zu machen. Der Redner kündigte schließlich Eoentulanträg« seiner Fraktion für die nächst« Sitzung a«,_...______,_____..
Der Kampf um üen Mieterfthutz. Stellungnahme der Parteifunktionäre.
In einer Dersaminlung der Berliner Parteifunktionäre sprachen pestern abend Landtagsabgeordneter Genosse Lüdemann und Landgerichtsrct Genosse Rüben über den Kampf um den Mieterschutz, die geplanten Mieterhöhungen und die Stellung der Sozialdemokratie dazu. Genosse Lüdemann sprach zunächst davon, wie die Kosten der Rationalisierung die Arbeiterschaft tragen müsse, wie alle Ver- suche, die Lebenslage zu bessern, vom Unternehmertum brutal be- kämpft werden, und wie zu dieser beinahe unhaltbaren Lage noch die geplanten Mieterhöhungen kommen sollen. In spä- testens zwei, drei Wochen wird sich das neue �republikanische" Zieichskabinett mit dieser Frage beschäftigen, und dann werden wir sehen, w-rs dabei herauskommt. Bei einer.freien Wohnung»- Wirtschaft", wie ste verlangt wird, würden sich die W o h- nungsmieten enorm st eigern, weil die Nachfrage das An- gebot ganz gewaltig übersteigt. Es fehlen in Deutschland rund 1 Million Wohnungen. Deshalb ist die Aufhebung der Zwangswirtschaft unmöglich. Nun ist ober ihre Erhaltung abliängig von den polttischen Mehrheit?. verhällnissen. Da der Wohnhausbau heute bedeutend teurer ist als früher, so ist eb-n nur unter Zuhilfenahme öffentlicher Mittel der Wohnhausbau möglich Diese öffentlichen Mittel kam- men aus der hauszlnsfteuer. Gegen jeden Versuch, sie zu be- fettigen, müssen wir Sozialdemokraten uns ganz energisch zur Wehr setzen. Und zwar deshalb, weil dabei nur der Grundbesitz profttieren würde. Roch Berechnungen sind durch die Inflation etwa 21 Milliarden Hypothekengelder verloren gegangen. Bei einer Wschassung der Hauszinssteuer würde kein Grundbesitzer etw, an eine Senkung der Mieten denken, sondern der Grundbesitz wird die Mieten auf der allen Höhe belassen und damit nicht die enteigneten Hyvothekengläubiger aufwerten, sondern das Geld selbst in die Tasche st ecken. Bei der Schaffung von Neuwohnungen ist Berlin noch immer am schlechtesten weggekommen. Im Jahre 192S sind etwa 14 000 Wohnungen in Berlin erstanden: die Zahl der wohnungs- bedürftigen Haushaltungen ist aber im gleichen Jahre um das Doppelte gestiegen. Deshalb ist der Berliner an der Er- Haltung de, Mieterschutzes besonders inlereffierl. Unsere Landtags- fiaklion hat neuerdings ein Wohnungsbauprogramm aufgestellt, das den Neubau von 200 000 Wohnungen in Preußen vorsieht. Wie sich die Regierungen dazu stellen werden, wissen wir noch nicht. Aus jeden Fall ist eine Erhöhung der Mieten für die große Masse untragbar. Untragbar besonder» im Zeichen der gegenwärtigen Erwerbslosig- keil und der niedrigen Löhne. Wohlfahrtsminsster H i r t f i e f e r war so optimistisch, zu glauben, daß eine Mietsteiaerung automatisch auch Lohnerhöhungen im Gefolge haben würde.(Lachen im Hause.) Wir sind dieses naiven Glaubens nicht!(Sehr richtig!) Zu fordern ist vielmehr, daß die Erträgnisse der Hauszins st euer restlos für den Hausbau verwandt werden! Genosse Lüdemann ging dann auf die bekannte Hirtsiefer- Verordnung vom November vorigen Jahres ein. Wenn auch im Grunde genommen unsere kleinen Wohnungen von der Verordnung unberührt bleiben, so ist doch das Prinzip d«r Zwangs- Wirtschaft gelockert worden, und gerade dagegen wenden wir uns mit oller Schärfe. Wir hoben im Landtag sofort die Auf- Hebung der Verordnung verlangt, wobei sich ergab, daß nur die Kommunisten für unseren Antrag eintraten, der damit denn auch abgelehnt wurde. Als die Laden- und Gewerberaum- mieter rebellisch wurden, erlebten wir einen Antragsturm der bür- gerlichen Parteien zugunsten des Mieterschutzes. Sie konnten sich diese Demagogie leisten, weil— schon viel früher von diesen Leuten die Lockerung oder Aufhebung des Mieterschutzes verlangt wurde. Selbst die Wirtschaftspartei tonnte feststellen, daß sie die Hirtsieser- Verordnuna nicht verlangt habe—, sie war eben viel früher schon für die Aufhebung der Schutzmaßnahmen für alle Räume. So macht man in Demagogie! Dabei zeigt sich die Wirt- fchaftspartei als die charakterloseste Partei. Nur eine farblose Entschließung blieb übrig, die da» Inkrafttreten bis zum Herbst hinausschiebt. Wenn im Landtag die Rechtsparteien sich für die.frei« Wirt- fchaft" erklärten— auch bei den Wohnungen—, so ist denn doch zu fragen, wo wir denn in Deutschlaich überhaupt eine frei« Wirt- schoft haben? Alles wird durch Kartelle, Trusts und Syndikate geregelt, der Rohstofseinkauf sowohl wie der Verkauf des Fertigfabrikate». Deshalb sind die Jitieressen des
schaffeichen Mittelstandes identisch mit denen der Arbeiter, Auge- stellten und Beamten.(Lebhaftes Bravo!) Der nächste Redner, Genosse Rüben, betont«, daß sich der Kampf um den Mietcrlchutz, um den Neubau von Wohnungen, um die Erhaltung der Zwangswirtschaft durchaus im Rahmen de» Kampfe» zwischen Kapital und Arbeit abspiele. Wenn der Woh- nungsbau nach Beseitigung der Zwangswirtschast nach dem Willen der bürgerlichen Parteien vorgenommen wird, so«st mit einer so starken Steigerung der Mieten zu rechnen, daß die Löhne nicht nur nicht mitkommen würden, sondern wir könnten auch. mit einer neuen Inflation rechnen. Auf jeden Fall kann aus einer privatkapitalistischen Grundlage kein Wohnungsbau erstehen, weil sich der Wohnungsbau einfach nicht rentieren würde. Deshalb ist unsere Forderung nach einem gemeinwirlschasllichen Wohnungsbau heute noch so aktuell wie früher. Genosse Rüden führte einige Beispiele von Wertsteigerungen der Grundstücke seit dem Erlaß der Hirtsiefer-Berordnung an. ein Beweis dafür, wie solche Gesetzes- macherei dem Kapital das Geld in den Sack scheffelt. Durch eine Aufhebung der Zwangswirtschast würde unzweifelhaft der Eigen- nutz und der Widerstand der Hypochekengläubiger erweckt werden: sie würden eine Auswertung ihrer Hypotheken verlangen und so dem Hausbesitz und der freien Wohnungswirtschaft den finanziellen Erfolg strettig machen. So würde sich die Ideologie der Kapitalisten brechen an der Macht der wirtschaftlichen Tatsachen. Die Hirtsieser-Verordnung hat die Wohnungswirtschaft nicht .freier" gemacht, sondern sie hat in den Kreisen, die stets für die Freihett der Wirtschaft eintraten, Widerstand, Eigennutz, Derwir- rung, Proteste und Aufruhr hervorgerufen. Die dadurch geschaffene Lag« können wir für die Propagierung unseres gemeinnützigen und gemeinwirtschasllichen Wohnungsprogramms ausnutzen. Im Kampf um die Besettigung der Wohnungszwangswirtschaft spiest auch der Ruf nach der Beseitigung der Wohnungsämter ein« Heroorragende Rolle: man brauche sie in der freien Wirtschast nicht und die Beamten seien überflüssig. Dabei wird ober vergessen oder oerschwiegen, daß schließlich den Wohnungsämtern doch auch die soziale wohnungssürsorge untersteht und auch dann unterstehen muß, wenn alle Bedürftigen Wohnungen haben. Es ist an der Zell , daß wir Sozialdemokraten neben unserer Forderung nach einer gemeinwirtschastlichen Wohnungspolitit die Forderung nach einem öfsentlichen. sozialen Mielrecht erheben. Di« Wohnung muß Ihre» Charakters als Ware entkleidet werden. Der Kampf der Sozialdemokratie um den Mieterschutz ist nicht begründet in der Forderung nach der Erhaltung«iner Zwangswirt- fchast auf jeden Fall, er gründet sich vielmehr auf unseren Kampf gegen die kapitalistische Wirtschaft, von der die Wohnungs» und Grundstllckswirtschaft nur ein Teil ist.(Bravo !) Der Vorsitzende, Genosse Künstler, teilte, aus der Reichs- tagsfraktion mit, daß die Fraktion einen Antrag vorbereite, nach dem das Sperrgesetz zum Finanzausgleich bis zum 31. März 1928 verlängert werden soll. Bei Annahme dieses Antrages dürften dann also die Mieten bis zu diesem Zeitpunkt nicht über 100 Proz. gesteigert werden. Darüber hinaus soll dafür gesargt werden, daß der Ertrag der Hauszins- st e u e r auch restlos dem Wohnungsbau zugute kommt und nicht für soziale Zwecke oerwendet wird. Nach kurzer Diskussion, in der die Genossen H i n tz e. Adolf H o f f m a n n und N e i ß« r sprachen, wurde folgende R« s o- lution einstimmig angenommen: .Die in den Sophiensälen versammesten Funktionäre der So- zialdemokratischen Partei erheben nachdrücklich Einspruch gegen die von der Reichsregierung geplante Erhöhung der Woh- nungsmieten und die vom vreuhischen Wohlfahrtsminister ein- geleitet« Aushebung des Mieterschutzes. Die unter der Ungunst des Arbeitsmarktes schwer leidenden Kreise der arbeitenden Bevölkerung können eine weitere Belastung ihrer durchweg zu niedrigen Löhne durch erhöhte Mieten nicht ertragen. Eine Beseitigung der Wohnungszwangswirtschaft kann erst in Be- tracht gezogen werden, wenn durch Neubauten der bestehende Raummangel restlos ausgeglichen und durch ein so- ziales Wohnrecht der Schutz der Mieter vor der Willkür der Hausbesitzer sichergestellt ist. Zur Förderung der Neubautätigtest ist in erster Linie«ine Verbesserung der Hauszinssteuer und die Nutzbarmachung ihres gesamten Ertrages für den Wohnungsbau, ferner die Aufnahme von Anleihen ins Auge zu fassen. Von dem preußischen Wohlsahrtsminister erwartet die Der- sammlung. daß er im Interesse der schwer bedrohten Handel- und Gewerbetreibenden seine Verordnung vom 11. November 1928 mit den Wünschen des Landtages in Einklang bringt."
Der Kutsch ermorü bei Eberswalüe. lOOO Mark Belohnung! Zur Aufklärung des Kutschermorde», der am Sonnabend abend auf der Chaussee von Joachimsthal nach Golzow verübt wurde, hat der auf Ersuchen der Staatsanwastschast Prenzlau von dem stell- vertretenden Chef des Landeskriminalpolizeiamtes Berlin , Re- gierungsrats S ch o l tz, entsandte Kriminalkommissar T r e t t i n in Verbindung mit der Landjägerei gestern nachmittag die Ermitt- lungen ausgenommen. Di« Landjägerei hatte bereits ein« Feststellung gemacht, dt« mit den bisherigen Angaben von Zeugen im Widerspruch steht. Zu den Leuten, die den schweroertetzten Kutscher oerbanden, soll dieser ge- äußert haben, daß er, all er sich aus einen Knall umwandte, einen Mann mit grauer Mütze und dunklem Mantel()«» sehen habe, der hinter dem Wagen hergeschlichen sei. Da« soll im freien Feld geschehen sein. Zwei Forsteleven, die im Walde den Holzschlag beaussichtigten, berichteten nun ober dem Landjäger und gestern auch Kommissar Trettin, daß sie zwei Mann aus dem Bierwagen gesehen haben, und zwar im Wald«,«in« halbe Stunde von Joachimsthol entsernt. da» Wessel um 7 Uhr abends altein verlassen Hot. Wessel war ein qutmültger Mensch, der gern Wanderer aufnahm, um sie ein Stuck Wege» auf seinem Wagen fahren zu lassen. Solch einen Wanderer mag er auch am Sonnabend kurz noch der Ausfahrt aus Joachimsthol getroffen haben. Wenn nun aber dieser Fahrgast den tödlichen Schuß abgegeben hat. so ist es rätselhait, daß er nicht die Geldtasche mit den 140 M. geraubt hat. Ob es sich um einen Fern- oder Nahschuß handelt, ist auch noch nicht festgestellt. Eine genau« Untersuchung der Klcidungs- stücke wird darüber vielleicht bestimmte Auskunft geben. Die Stelle auf der Chaussee, an der der Schuß gefallen ist. steht auch noch nicht fest. Die Zeugen, die die Aeußerungen des Schwerverletzten gehört hoben, weisen auf nicht weniger al» drei verschiedene Stellen hin. Im Laufe des heutigen Tages werden alle drei Stellen mit Hilfe von Schulkindern unter Aufsicht der Lehrer und von Polizeibeamten nc-ch dem Geschoß und der Palronenhülse ob- gesucht werden. Während der Ueberfallene nur von einem Knall gesprochen hatte, hat die Untersuchung des Wagens ergeben, daß zwei Schüsse gefallen sein müssen. Eine Kugel Ist In die Rück- wand des Wagen» gegangen und hat ihn durchschlagen, ste kann aber den Kutscher nicht getroffen haben. Ein« Durchsuchung der Herberg« in Joachimsthol hat für die Aufklärung keinen Anhalt geliefert. Bezeichnend für das Wesen de» Erschossenen, der Bater von zwei Kindern aus erster Ehe und zum zweiten Male verheiratet war, ist sein« Sorge um die ihm anvertrauten Pferd«. Als man den Schwerverletzten vom Waaen in die Gastwirtschaft in Golzow trug, war sein erstes Wort:»Deckt«eine Pferde zu, sie sind
naß gelaufen!" Diese Bitte wiederholle er, sobald er nach dem Verbinden aus der Ohnmacht erwacht«.— Auf die Ergreifung des Mörder» hat die Staatsanwaltschaft Prenzlau ein« Belohnung von 1090 M. ausgesetzt._ Selbstmorü vor der Zestnohme. In der Kraftdroschke erschösse«. Ein aufregender Vorfall spielle sich heute vormittag gegen 1412 Uhr an der Ecke Schadowstraße und Unter den Linden ab. Ein Kaufmann P.. der bei einer Berliner Elektrizi- tätsgesellschaft angestellt war, sollte an der eben bezeichneten Straßenkreuzung aus der Autodroscht« heraus verhaftet werden. Noch bevor der Dolteeibeamte zur Festnahme schreiten konnte, jagte sich P.«ine Kugel in die Herzgegend. P. war bei einer Berliner Elektriz'tätsgcsellschast anaestellt. vor einiger Zeit wurde ihm gekündigt. Heut« vormittag erschien er bei dem Personol. direktor, den er wegen seiner Entlassung zur Red« stellte. Im Verlaus der Unterredung, die sehr erregt verlief, soll P. plötzlich einen Revolver hervorgezogen haben, womit er den Direktor be» drohte. Durch das Hinzukommen von Angestellten komtt « ei« Revoloeranschlag. verhindert werden. P. verließ fluchtartig da« Gebäude und bestieg«ine Kraftdrolchke. Zwei Angestellte der tfirma nahmen seine Verfolgung auf. An der Ecke Schadowstraße— Unter den Linden war der Fahrer durch das Derkehrssignal zum Halten gezwungen. Die Verfolger veranlaßten den Verkehrspolizisten, P. festzunehmen. Als der Beamte den Wagenverschlag ösfnet«, richtet« der Insasse die Waffe auf ihn Durch schnelles Zurückweichen konnte sich der Beamte aber in Sicherheit bringen. Im selben Augenblick ki achte im Innern des Wagens ein Schuß. P. hatte sich eine Kugel in die Herzgegend gejagt. Bereits auf dem Weg« zur Unfallklimk in der Z-egelstraße trat der Tod ein. Die Polizei ist noch mit der Klärung der mysteriösen Affäre beschäftigt. Mittelfeu-r in Oberschöneweid«. Ein größeres Feuer kam heute früh um%4 Uhr in ben Städtischen Elektrizitätswerken. Abteilung Oberspree, in der Wilhelminenhofstr. 77/78 in Ober- schöneweide zum Ausbruch. Zwischen den Fabrikgebäuden sind mehrere Schupoen, die einen Komplex für sich bilden. Der Runde machende Wächter bemerkte Brandgeruch und entdeckte, daß ein 15 Meter langer Schuppen bereit» lichterloh brannte. Die Feuerwehr rückte unter Leitung de» Daurat« Sauer mit mehreren Löschzügen herbei. Inzwischen hatte das Feuer auf«inen anschließeis, den etwa 50 Meter langen Lagerschuppen übergegriffen. Durch starke« Wassergeben aus vier Schlauchleitungen gelang es jedoch eine noch größere Ausdehnung zu verhindsrn. Starke Hitze und Qualm- entwicklung erschwerten die Löschattion.