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1. Heilage öes Vorwärts
Sonntag, 27. Jebruar 1927
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Lediene dich selbst— für diesen Vorgang einen Werberuf er- schallen zu lassen, könnte angesichts der über 3 Millionen beschöfti- gungsloser Hände unangebracht erscheinen, aber einmal steht der Dienst des Automaten so außerhalb des durchschnittlichen Wirt- schaft?prozesses, daß er für die Frage der Beschäftigungslosigkeit nicht in Betracht kommt, und zum andernmal macht die am Wirtschaft- lichen Horizont auftauchende Automatenhausse sich in einer stärkeren Tätigkeit der Automaten herstellenden Maschinenbauanstalten gel- tend. Ferner auch in der Fabrikation der Gegenstände, die durch den Automaten hauptsächlich geboten werden. In Berlin allein dürften ein paar Dutzend Werkstätten an der Herstellung von Apparaten arbeiten. Die Einstellung öes Publikums. Wer in dem Automaten nur einen Apparat zur Befriedigung der Naschhaftigkeit sieht, wird dem„stummen Diener" des Publikums nicht gerecht. Zn anderen Ländern ist die Verwendungsmöglichkeil und die Verwendungszahl der Automaten zu einer Ausdehnung gelangt, die etwa das Fünf- bis Sechsfache der deutschen Benutzung darstellt. Dänemark zum Beispiel, das wirtschaftlich neuen Pro- bleuten meist mit Riesenschritten nachgeht, hat den Automaten als das erklärt, was er sein sollte: als Berkaufsstelle für Gegenstände, die in dem gewöhnlichen Verkehrswege nicht gerade erhältlich sind, also als einen den Laden ergänzenden Zufaßladen. In Kopen- Hägen kann man seinen Zigarren- oder Zigarettenbedarf nach Ladenschluß dem vom Ladenbesitzer herausgestellten Automaten ent- nehmen— in Deutschland muß man eine Wirtschast besuchen, um ein auftretendes Rauchgelüst befriedigen zu können. Aber, nicht nur Zigarren und Zigaretten, sondern auch Aepfel, überhaupt Obst, Speisen usw werden von Automaten angeboten, und der Klein- bändler sieht in ihm nicht— wie bei uns— einen unbequemen Konkurrenten, sondern einen Helfer, der für die Geschäftskasse auch d~nn tätig ist, wenn Der Geschäftshcrr und seine Gehilfen der Ruhe '-'legen öder die Freuden des Amüsements genießen. Daß in "'-nerika dieser Automatenbetrieb noch größere Dimensionen an- tommen hat, wird begreiflich sein. Biele dieser Berkaufs- /ifchinen sind dem Verschleiß des Kaugummis gewidmet. Dann ist noch eins zu beachten: die Naschhaftigkeitsvorstellung, die aus unserem altpreußischen Sparsamkeitsideal in unseren Verstand über- gegangen ist, hat in den Köpfen der Bewohner jener Länder keinen Bloß. Man lacht oder entriistlst sich nicht über dcn Erwachsenen, Arbeiter oder„Kavalier", der für seine kleine Münze ein Stück Schokolade aus dem Apparat ersteht. Gerade der Süßigkeiten- verkaus hat wirlschasklich und gesundheitlich keine Bedenken: wir
wissen aus den Kriegsjahren, daß Zuckergenuß die Fett« ersetzen kann, und auch von dem Vorurteil, daß Süßigkeiten die Zähne ruinieren, haben wir uns freigemacht. Abnahme oöer Zunahme! Wer vor dem Kriege io den Automatenrestaurants„geschwelgt" hatte, für Ist Pfennig eine„richtiggehende" Auster oder eine dicke Sardine zog, sein Glas mit Portwein vollaufen sah, wird aus dem heutigen Fehlen dieser Ernährungsstätten den Schluß zu ziehen geneigt sein, daß der Automat sich überlebt habe. Aber der Grund der Schließung resp. Richtwiedererössnung jener Anstalten liegt darin, daß heute für 10 Pfennig nichts Anreizendes zu liefern ist. Endlich kann auch das Verschwinden der Musik spendenden Grammo- phone und ähnlicher Kästen mit Hörschläuchen zur Ansicht des Niederganges des Automaten verleiten— aber wie soll diese Musik sich gegen den kostenfrei seine Töne hinausschmellernden„Laut- sprecher" behaupten können, den ein unternehmender Ladeninhaber an der LadeMür aufhängt, um Hörer und— Käufer anzulocken? Nein, die wirtschaftliche Notlage, die Notwendigkeit, jeden Groschen achtsam zu behandeln, ist dem Gedanken, den Automaten als er- weitertes Geschäftslokal zu betrachten, nur günstig, und die Nicht- benutzung dieses an Bedienung nur sin Minimum von Arbeit er- fordernden Hilfsmittels durch den Kleinhandel wäre kein Akt der Klugheit.... Allerdings muß auch die Gesetzgebung ihren bis- herigen einengenden Standpunkt ausgeben und für die Benutzung der Automaten keine Vorschriften über„Ladenschluß" usw. erlassen. Menschliche Arbeitskraft braucht hier nicht geschützt zu werden, da sie nicht in Aktion tritt. Die verschiedenen Wirten. Technische Geschicklichkeit hat für den Gedanken, nach Zahlung einer bestinunten Geldsumme eine genau bestimmte Leistung zu erhalten, so verschiedenartige Aussührungsmöglichkeiten entdeckt, daß die Apparate so vielgestaltig und so voneinander verschieden er- scheinen, daß ihre Zusammengehörigkeit nicht immer gleich erkenn- bar wird. Die für das Publikum wichtigste Art ist der Verkaufs- automat, der Schokolade, Bonbons, Zigarren, Zigaretten, Bücher. Briefmarken, Handtücher, Seife, Streichhölzer, Bahnsteig- und Fahrkarten, Obst, Parfüm, Eßwaren, Blumen usw. spendet, wenn man einen— meist aus 10 Pfennig lautenden— Geldbetrag dem Apparat anvertraut. Auch der Mechanismus der bereits genannten Automatenrestaurants gehört hierher. Ein zweite, ebenfalls dem Publikum vertraute Art ist der Automat als Türössner, namentlich in öfsentlichen Toiletten eingeführt, so auch auf den Bahnhöfen. Ein Versagen gerade dieser Apparate ist peinlich: uns ist ein Fall bekannt, daß auf dem Bahnhof in Guben nach erfolgter Zahlung eine Wiederöffnung der Tür nicht möglich war, der Reisende schon die steile Wand empor„eskaladiert" war, aber dann doch noch von einem Beamten erlöst wurde, der eine technische Erklärung dieses Vorfalles gab, gleichsam, als ob so etwas öfters- vorkäme. Für solche widerspenstigen Automaten kann man sich freilich nicht de» geistern.— Wichtig sind auch di? automatischen Wagen, die dir gleich eine schriftliche Bescheinigung deines Gewichtes in die Hand drücken. Andere Völker haben für'solche„brotlosen" Künste großes Ver- stöndnis; man erzählt, daß in Schweden vier Wagen einen Rein- gewinn van 23 000 Kronen im Jahr ergäben. Und auch bei beut- fchen Wagen rechnet man auf eine Rente von 20 Proz.— Beim Bkünzfernsprecher ist bekanntlich noch nicht der ganze Prozeß auto- matisch: das herbeigerufene Fräulein vom Amt übernimmt die Herstellung der Weiterverbindung. Nach Einführung der Selbst- anschlußämter, von denen bisher nur wenige errichtet sind, würde allerdings der Automatcngedanke wieder einen neuen vollen Sieg davontragen.— Nachahmenswert ist die schon vielfach erfolgte Einführung des Schulsparautomaken. bei dem der kleine Sparer
eine Quittung über den Betrag erhält.— Von dem durch Zahlung zur Abgabe von Gas genötigten Gasoutomaten wird, je mehr die elektrische Beleuchtung sich ausbreitet, weniger Gebrauch gemacht: dagegen hat die Benzinoersorgung der Autos auf den Landstraßen an geeigneten Punkten Lenzinquellen erstehen lassen, die auch durch einfache Zahlung autoinatisch in Bewegung gesetzt werden. Von den bereits oben erwähnten Musikinstrumenten finden sich wohl noch in zahlreichen kleineren Orten Exemplare vor, und das heimtückische Hineinstecken eines Zehnpfsnnigstückes läßt die Töne von„Behüt' dich Gott, es wär' so schön gewesen" in die ernsthaften politischen Debatten des Stammtisches' hinein erklingen. Die Seele öes Automaten. Auch dieser aus Metallstücken zusammengeschlagene technische Organismus birgt in seinem Innern etwas, das eine Verstandes- operation ausführen muß, wie sie sonst nur der Menschenoerstand bewältigt: es gilt, gute und schlechte Geldstücke zu unterscheiden. Dieser Aufgabe dient der in jedem Automaten befindliche Münz - prüser. Gewicht, Stärke und Durchmesser des hineingesteckten Geld- stückes werden von ihm einer Beurteilung unterzogen, und er läßt die„schwarzen Schafe" unerbittlich herunterfallen, ein in Lewe- gungsetzen der Abzughebel ablehnend. Erstaunlich ist zu sehen, wie der Menschengeist diesen Kompler von mechanischen Aufgaben zur Lösung gebracht hat, zunial wenn es sich um so kleine, handgroße Automaten handelt, wie sie jetzt in den Eisenbahnwagen 3. und 4. Klasse für die Abgabe von Schokolade zur Einführung gelangen, und die den oft ol» wenig angenehm empfundenen, weil meist marktschreierisch ausgeübten Handel mit Süßigkeiten in den Bahn- wagen ein Ende machen werden. Wie das Kleinauto dem Minder- bemittelten den Gebrauch des Automobils gestattet, so wird auch der Kleinautomat für die Ausdehnung des Automatenbetriebes Propaganda machen.
Nicht nur der kleine Kaufmann, auch Behörden, Eisenbahn- und Postverwaltung, könnten durch den automatischen Verschleiß ihrer Waren dem Publikum nützen. Gerade in Vororten, auf dem Lande, in kleinen Städten ist der Weg zur Postanstalt oft ein weiter, auch sind die Betriebszeiten sehr abgekürzt, ein oder zwei Auto- maten würden Wunder tun. Das gleiche gilt von den Fahr- karten. Es sind wohl Automaten aufgestellt— aber nicht genügend. Und das alle Wort gilt: je bequemer der Verkehr—. desto stärker die Benutzung.
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Ich gab keine Antwort. Darauf stellte er verschiedene stragen, die sich auf di« Rückkehr meines Vaters bezogen. Er meinte, daß ich dies nie hätte zulassen sollen...Eigentlich bist du ja mit neunzehn Iahren schon das Oberhaupt der Familief es ist wohl eine schwere Aufgabe, aber du darfst den Mut nicht verlieren! Dein Großvater hat sein ganzes Vermögen eingebüßt, als er achtunddreißig Jahre alt war und hat dann noch einmal von vorne angefangen. Du siehst ihm ähnlich, Hoffentlich hast du auch feine Energie geerbt." Er stand auf, nahm aus einer Tischlade einige Banknoten und gab sie mir. „Da hast du, aber sage deiner Mutter, daß ich es nur dir zuliebe tue, verstehst du mich? Nur dir zuliebe." Ich stotterte ein paar Worte des Dankes. „Das ist ja gar nicht der Rede wert." Er zögerte einen Augenblick, ich stand auf und er reichte mir die Hand. „2)u wunderst dich wohl, daß ich dich nicht mit deinen Vettern bekannt mache?" Ich senkte den Kopf. „Offen gestanden, ich habe schon ungemein viel für deinen Dater getan, du weißt auch, daß ich den Berkehr mit ihm abgebrochen habe. Mein« Kinder glauben, daß er gestorben sei und für mich ist er auch tot. Wenn eines Tages stwas Tüchtiges aus dix geworden ist. wird dir meine Tür immer offen stehen uizd ich werde dich dann mit meiner Familie bekannt machen. Verlier' nur nicht den Mut, wenn es auch noch eine Weile dauert und Hab' Geduld." Während des Sprechens hatte er mit größter Aufmerk- keit den Fußboden betrachtet, jetzt öffnete er eine Tür, gab mir einen festen Händedruck und sagte noch einmal:„Viel Glück, nicht den Mut vertieren!" und dann war er ver- schwunden. Ganz verwirrt und toll vor Freud «, das Geld bekommen zu haben, konnte ich mich doch nicht eines Schamgefühls er- wehren, denn, wenn ich mir es genau überlegte, war ich höflich hinausbefördert worden. Aber ich fühlte, daß er mir mit Güte entgegengekommen war. Ich habe den Onkel nicht mehr wieder gesehen und mir ist nur diese sonderbare, wider-
spruchsvolle Erinnerung an ihn geblieben, mit der ich nichts Klares anzufangen wußte. Die Mutter und Andrö erwarteten mich auf dem Bahnhof. Als sie hörte, daß ich ihr das Geld bringe, umarmte sie mich zärtlich. Zu Haufe angekommen, huschte sie in das Zimmer meines Vaters, der sogleich herauskam. Er preßte mich an sich, als wollte er mich ersticken, zwei Tränen fielen ihm in den Schnurrbart. Mit einer Stimme, die vor Erregung zitterte, sagte er:„Ich danke dir tausendmal, mein lieber Jacques, für alles, was du getan hast. Das wird dir Glück bringen. Trost und Mut in den schweren Augenblicken des Lebens. Wir alle sind ja so vielen Widrigkeiten ausgesetzt, besonders die Menschen, die, wie du und ich, sich nicht vom Verstand allein leiten lassen." Seine Stimme belebte sich, er fuhr fort:„Und glaube mir, in dem größten Jammer, wenn einem alles und jedes verläßt, bleibt dir das Bewußtsein, das dich stärkt und immer stärken wird: ich wünsche und hoffe meine Pflicht zu erfüllen und das Böse, das ich vielleicht in den Stunden der Ent- mutigung getan habe, gut zu machen." Wieder wurden feine Augen feucht, feine Stimme klang pathetisch und ich sank, ohne ein Wort zu sprechen, in seine Arme: die Aufregungen des Tages hatten mich ganz erschöpft. Er drückte mich noch fester an sich und fuhr fort:„Ich ver- danke dir das größte Glück meines Lebens, den Beweis, daß sich mein Aeltester für mich aufgeopfert hat! Dank, tausend Dank, ich bin zu ergriffen, und nicht imstande, noch mehr zu sagen." Er hauchte einen flüchttgen Kuß auf meine Stirn und ging aus dem Zimmer, indem er sich die Tränen aus den Augen wischte. Ich fand seine Dankbarkeit übertrieben und-schämte mich für ihn. Gerade als ich zu meiner Mutter gehen wollte, hörte ich lachen, wendete den Kopf und sah Andrö sti der Fensternische stehen. „Bravo, " rief er,„man braucht nicht ins Theater zu gehen, hier gibt es alles gratis und st viel man nur will." „Ich muß zugeben, daß seine Dankbarkeit ein wenig übertrieben ist..." „Wie alle seine Gefühle." setzt« Andrö hinzu. Er stellte sich vor mich hin und bohrte seine Augen w meine. „Aber hüte dich, nach dem Palmsonntag kommt der Oelberg." � „Ich verstehe dich nicht." i
„Und doch ist es ganz klar." „Was meinst du?" „Ich meine, daß ein Gewitter in der Luft liegt, hier bei uns natürlich, und daß ich jemanden kenne, der verteufelt Lust hat, den Judos zu spielen." „Ich verstehe dich gar nicht." „Wirklich? Du wirst mich schon einmal verstehen." Ich wollte ihn noch weiter befragen, aber da kam Alice herein und brachte das Abendessen. Andrö setzte sich in eine Ecke und pfiff eine Operettenmelodie. Der Himmel umwöbkt sich. Zwei Tage nachher mußte ich eine Inspektionsreise in die französische Schweiz machen: ich blieb die ganze Woche aus. Die Mutter schrieb mir zweimal und berichtete über alles, wenigstens war ich dieser Meinung, und sie vielleicht auch. Ich hatte in Neuschatel sehr lange zu tun, st daß ich erst den letzten Zug benützen konnte, es war fast Mitternacht als ich in Genf ankam. Die Tramways verkehrten nicht mehr und ich brauchte eine halbe Stunde vom Cornavinbahnhvf bis zu unserer Wohnung. Als ich vor dem Haufe stand, bemerkte ich einen Lichtstrahl, der aus dem Schlafzimmer meiner Estern kam. Wie gewöhnlich erwartete mich die Mutter. Ich lies die Treppe hinauf, vier Stufen auf einmal nehmend und klopfte leise an. Zu meiner großen Verwunde- rung kam keine Antwort und ich klopfte wieder. Nichts rührte sich. Zum erstenmal war meine ü�utter nicht im Korridor. Meistens hörte sie die Haustür schließen, erkannte meinen Schritt und fragte immer leise:„Jacques, bist du's?" Ich flüsterte:„Ja, Mama!" und wir fielen uns in die Arme. Diesmal mußte ich läuten. Sofort hörte ich, wie eine Tür aufging. Schritte näherten sich, und schon umarme ich meine Mutter. Sie küßt mich in dem finstern Flur und zieht mich ins Speisezimmer. „Wie mich du aber die Stiegen gelaufen bistl Nicht wahr, du hast zweimal geklopft? Ich habe dich ganz gut gehört, aber der Vater meinte, daß du unmöglich schon da sein könntest. Bist du sehr hungrig?" „Seit Mittag habe ich nichts gegessen." „Nimm dir Orangemnarmelade, ich habe sie Mittwoch selbst gemacht, gerade so, wie du sie am liebsten ißt." „Sie ist köstlich.", „Ich koche dir schnell einen Tee, in drei Minuten ist cc fertig." -Gehen wir m die Küche."(Fortsetzung folgtj