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fr. 102 44. Jahrg.

Ausgabe A nr. 52 cm

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Mittwoch, den 2. März 1927

Frankreich baut Festungen.

Heeresreform: ,, Das Volk in Waffen".- Festungsbau vor Rheinräumung. Paris , 1. März.( Eigener Drahtbericht.) Der Berichterstatter auf, nicht etwa die französische Nation zu mobilisieren, sondern ihre ber Armeekommission für die Heeresreform Paul Boncour , Defensivorganisation nach Möglichkeit bereits im Frieden hat dem Soir" über Inhalt und 3wed der Reform auszubauen. einige Erklärungen abgegeben, die um so größeres Interesse er­weden, als Baul Boncour gleichzeitig Delegierter Frankreichs im Bölkerbund ist und die Rammer am Donnerstag mit der Gene­raldebatte über den Heeresreformentwurf beginnen wird. Der Ent­wurf lehnt sich an die bekannte Jaurès - Lehre der bewaffneten Ration an. Es besteht alſo, ſo betont Baul Boncour, reber über feinerlei Gegensatz zwischen der neuen französischen Heeresorgani­fation und dem Genfer Friedenswert. Im Gegenteil, der Ent wurf bezmedt,

mit der Kasernenluft und dem Wettrüsten aufzuräumen. Da aber der Anreiz hierzu nicht genügt und die Organisation sich nur auf die nationale Berteidigung bezieht, so hat sich Frank reich völlig damit begnügt, die Dienstzeit auf ein Minimum zu be. Iränken, und gleichzeitig das Londoner Abkommen gemäß dem Entwurf so gestaltet, um allen Gefahren in dieser Hinsicht die Stirn zu bieten.

Das betont hauptsächlich der Artikel 2 des Reformentwurfs, der besagt: Die allgemeine Mobilisation darf nur für den Fall eines Angriffs angeordnet werden und nur aus der Notwendig. feit heraus, sich zu verteidigen, oder in den vom Völkerbund por. gesehenen Fällen. Der Entwurf betont weiter ausdrücklich, daß die französische Regierung die volle Verantwortung für die Kriegführung in den Händen behält. Sie jetzt die Kriegsziele fest und stelle dem Oberkommando die Mittel zur Kriegführung zur Berfügung. Die Kriegführung selbst sei Sache der Heeresleitung. Die Pflicht aller, an der Landesverteidigung teilzunehmen, erftrede fich auf alle Franzosen ohne Unterschied des Ge­schlechts. Im Striegsfalle bleibe das Parlament in Funktion. Die Abgeordneten erhielten die Freiheit, sich zum

Waffendienst zu melden oder nicht.

Der Rest des Entwurfs behandelt die wissenschaftliche und in dustrielle Mobilisation Frankreichs , aber immer nur in Hinsicht dar.

Im ähnlichen Sinne hat sich über die französische Heeres­reformvorlage der für fie formell verantwortliche Kriegs­minister Painlevé geäußert. Für die deutsch - französische Ver­ständigungspolitik wichtig war dabei sein Hinweis auf den Festungsbau im Westen.

Im Hinblick darauf teilte Painlevé mit, daß die Ar­beiten im Juli in Angriff genommen und voraussichtlich Jahre hindurch fortgeführt werden würden. Als notwendige Gesamtausgaben werden nicht weniger als vier Mil­liarden französische Franken(= 500 Millionen Goldmart) genannt. Painlevé bezeichnete es als eine Berleumdung, daß Frankreich dauernd am Rhein bleiben wolle. Damit hat zum im Temps" lanzierten These bekannt, daß der Rheinland­erstenmal ein französischer Minister sich zu der vor kurzem räumung der Ausbau des Festungsgürtels vorhergehen müsse. Damit beginnt die französische öffentliche Meinung all­mählich eine neue Haltung in der Frage der frühzeitigen Rheinlandräumung einzunehmen. Diese wird als grundsäglich notwendig bezeichnet, aber bis zur Durchführung des Festungs­baues verschoben. Bon Kompensationen von der Art der in Thoiry erörterten, ist weniger und weniger die Rede. Festungsausbau als Borbedingung der Frühräumung fordert, Daß die französische öffentliche Meinung jetzt den zeigt in überraschender Weise, daß die Wertschäzung des Ver­trages von Locarno zurzeit abnimmt. Frankreich hat die Vertragszusage erhalten, daß Deutschland niemals wieder einen Krieg unternehmen werde; diese Zusage ist zugleich von England wie von einem Bundesgenossen garantiert worden. Deutschland hat auf die Wiedergewinnung des Elsaß ver­zichtet, und dennoch: das Sicherungsbedürfnis Frankreichs ist auf. Frankreich bietet das Schauspiel eines großen Volkes, das fcheinbar unerfättlich. Immer neue Sicherungswünsche tauchen sich aus fachlich unberechtigten Angstgefühlen zu ungeheuren Militärausgaben und der dauernden Beibehaltung einer Riesenrüftung gezwungen fühlt.

Deutschland und Polen .

Auf der Suche nach dem Kompromiß.

Die deutsche Regierung hat die Wiederaufnahme der ab­gebrochenen deutsch - polnischen Verhandlungen über einen Handels­vertrag davon abhängig gemacht, daß Polen Sicherheit gegen systematische Deutschenausweisung gebe. Die in Warschau gemachten Versuche haben bis jetzt wenig Erfolg gehabt. Dem deutschen Wunsch nach einer bindenden Regelung dieser Materie wird von polnischer Seite entgegengehalten, daß Aus­weisungen als eine innere Angelegenheit jedes Staates zu betrachten sind und man außerdem nicht wünscht, durch irgendwelche betrachten sind und man außerdem nicht wünscht, durch irgendwelche Bindungen die Möglichkeit weiterer vor Schiedsgerichten oder anderen internationalen Instanzen auszutragender Debatten zu schaffen. Trotzdem werden auf Grund der Rücksprache, die der Gesandte Rauscher in Berlin gehabt hat, die Bemühungen fortgesett, mit der polnischen Regierung zu einer Verständigung zu gelangen, die eine Wiederaufnahme der Wirtschaftsverhandlungen ermöglicht. Rauscher wird nach seiner Rückkehr in Warschau zu­nächst eine Besprechung mit dem polnischen Außenminister 3 a 1 efti haben. Weitere Besprechungen sind zwischen dem deutschen und dem polnischen Außenminister anläßlich der Ratstagung in Genf geplant. Man will eine Formel suchen, die Polens Staatshoheit nicht antastet, aber doch die deutschen Besorgnisse zu beruhigen geeignet ist. Hauptsache ist natürlich nicht die Theorie, sondern die Braris der Ausweisungen; und da ist gewiß bemerkenswert, daß aus Oftober­Schlesien feineswegs nur Reichsdeutsche, sondern auch Tschecho­flomaten, Ungarn , ja sogar Franzosen und Engländer ausgewiesen worden find.

Bolen will im Handelsvertrag Deutschland die volle Meist begünstigung gewähren, also auch für die Einreise, den Aufenthalt und die Niederlassung Reichsdeutscher. Jedoch will Polen nicht die Niederlassungsbestimmungen vor dem übrigen Handelsvertrag und außerhalb deffen regeln. Durch die fatale ostoberschlesische Aus weisungspragis und besonders durch die letzten vier Fälle gerade in einem sonst ganz günstigen Augenblick der Berliner Verhandlungen ist es zum Abbruch und zu dem Verlangen nach vorgängiger Regelung des Niederlassungsrechtes gekommen und durch all das zu ber neuen Spannung und den neuen Schmierigkeiten. Beide

Barteien versichern aber, daß sie die Wiederanknüpfung und günstige Entwicklung der eigentlichen Wirtschaftsverhandlungen wünschen.

Wenn es so ist, müßte man eigentlich doch vorwärtstommen tönnen. Abgebrochen ist allerdings leichter als miederangeknüpft!

Zurücknahme einer Ausweisung.

Die Kattowiger Polonia" meldet, daß die Ausweisung des schlagnahme feines Bermögens zurüdgenommen sei. Aller­Henckel- Donnersmardschen Generaldirektors Schulz sowie die Be­dings hatte das Gemischte Schiedsgericht diese Maßnahmen für rechtswidrig erklärt.

Mussolini gefährdet den Frieden.

Ein Warnruf Macdonalds. London , 1. März.( Eigener Drahtbericht.) In einem auf­fehenerregenden Artikel des Evening Standard" vom Dienstag be­spricht Abg. Genoffe Ramsay Macdonald die Gefahren der Politit Muffolinis. Mussolinis Verachtung für den Völkerbund sei fein Geheimnis. Seine auswärtige Politik werde einzig und allein im 3nteresse des italienischen 3mperialismus geführt, und er denke weder an den Völkerbund noch an die Völker­bundsmaschinerie, wenn er sein Auge auf den Balfan, Kleinasien , Tunis oder irgendwelche andere Länder wende. Wenn es seinen Plänen paffe, würde er morgen den Krieg beginnen. Im gegen­wärtigen Augenblid verfolge er zwei verschiedene, gleicherweise ge­fährliche politische Linien. Solange es noch einen Mussolini gebe, tönnte man nicht hoffen, daß sich auf dem Balkan das Gefühl der Sicherheit einstelle. Baltanallianzen feien neuerdings fchon gar europäische Gefahr geworden. Diese allgemeine Unsicherheit werde durch zahlreiche Verträge, die Italien abgefchloffen hat, noch erhöht. Es sei kein Zweifel, daß diefe Verträge Geheim­tlaufeln enthalten. Mussolinis Gesamtpolifit fei eine ernste Drohung für den Frieden. Niemand fönne heute erkennen, wohin die Mussolinische Politit noch führen werde.

Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Bostichedtonto: Berlin 37 536 Banffonte: Ban! der Arbeiter. Angeftelten und Beamten, Wallstr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Devoktentaffe Lindenstr. 3.

Das Reich der Stille.

Die abgebaute Oeffentlichkeit.

Von der italienischen Grenze wird uns geschrieben: Es gibt bis jetzt kein Gesetz in Italien , daß dem Bürger verböte, sich um Politit zu bekümmern. Nur muß die Bekümmerung, um ungefährlich zu bleiben, trititfrei sein.

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Nun scheint aber fritiffreie Politik nicht größere An­ziehungskraft zu haben als nikotinfreie Zigarren. Keiner will fich recht damit befreunden. Es gibt in Italien feine Deffentlichteit" im politischen Sinne mehr. In erster Linie merken das die Zeitungen an dem beständig zurüd­gehenden Absatz, der der Faschistischen Partei schwere Sorgen macht. Wenn man davon reden kann, in Mailand den ,, Ambrogiano" einzustellen und das Secolo" mit dem ,, Corriere della Sera " zu verschmelzen zwei Zeitungen, deren jede einmal dicht an eine Auflage von einer Million herangekommen ist, dann muß es wirklich schon übel stehen. Und jeßt will man gar in Rom das, 3 m pero" eingehen lassen, ein Lieblingskind Mussolinis, das durch Schwulst, Unflat und Erpressungen Italiens politische und kulturelle Weltherrschaft vorbereiten sollte. Es scheint all seinen Unflat verausgabt zu haben. Die Tendenz geht ganz offen dahin, in der Tat ist die Eintönigkeit so verzweifelt, daß 3. B. in einem jeder größeren Stadt nur eine Tageszeitung zu dulden. In am Morgen erscheinendem Blatte nichts drin steht, was nicht z. entweder in der Abendzeitung von gestern stand oder in der von heute stehen wird. Wenn man nicht den Sport oder die halbnackten Filmsterne hätte, müßte man überhaupt an der Mission der Presse" irre werden.

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Da der Faschismus eine öffentliche Meinung nicht haben will, fie nicht duldet und nicht verträgt, ist dies langsame politischer Schaden. Das Ausland fann man durch Inter­Abfaulen seiner Bresse von innen heraus für ihn weiter kein views und Lobesartikel aufklären, die, auch wenn sie noch so kostspielig sind, immer doch weniger fosten als eine Zeitung. Aber, was tut man mit all den abgebauten Journa listen? Man kann sie doch nicht alle als Präfekten, Bot­Schafter oder Milizgenerale durchfüttern! Und noch weniger fann man sie, die in das Getriebe tiefe Blicke getan haben, arbeitslos und ohne Einkommen lassen; dabei fönnte man Bresse durch das italienische Publikum bedeutet eine große sehr üble Erfahrungen machen. Die Ablehnung der heutigen finanzielle Sorge für Regierung und Partei: die Krippe wird fleiner!

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Unter völligem Ausschluß des öffentlichen Interesses haf Ende Februar die Kammer ihre Arbeiten wieder aufgenom men. Keinen interessiert es, was da verhandelt wird. Jeder weiß, daß die Kammer in ihrer heutigen Form dem Tode geweiht ist, um als Gildenparlament" wieder aufzustehen; jeder hat den Eindruck, daß sie schon jezt tot und begraben ist. Die armen faschistischen Abgeordneten sind es müde, ihre Statiftenrolle für 15 000 Lire im Jahre zu spielen und wollen sich nun für jede Teilnahme an einer Sigung 100 Lire Trinkgeld auswerfen, wofür, wie es taftvoll in dem offiziellen Kommuniqué heißt, der Ueberschuß dienen soll, der fich aus dem Mandatsverlust der Abgeordneten des Aventin ergibt. Und das in Zeiten wachsender Not und erdrückender Steuerlast und zugunsten einer jedes Ansehens beraubten Institution!

Da die Blätter nur drucken dürfen, was ihnen offiziell mitgeteilt wird, erfahren wir fein Sterbenswörtchen über die Gründe der Vertagung des Prozesses 3aniboni. eine Woche vorher hieß es, daß keinerlei Bertagung stattfinden Dieser war bekanntlich für den 21. Februar anberaumt. Noch würde. Nach einer Boruntersuchung von 16 Monaten konnten die zehn Angeklagten auch wohl endlich die Hauptverhand­

lung beanspruchen. Nun soll der Präsident Influenza bekommen haben. Wir glauben eher, daß der Hauptbelastungs­zeuge Quaglia sich noch nicht weit genug aus dem Staube gemacht hat, denn es wäre direkt ein Karnevalscherz, wenn der Mann unter seinem Eide aussagen sollte, wie er das Attentat im Auftrage der Polizei ein­gefädelt hat, um dessentwillen die Angeklagten seit 16 Monaten im Gefängnis fizen, bei einer Behandlung, die wehrhaftig nicht so fidel ist, wie seinerzeit die der Mörder Matteottis. Denn der juristische Kern des ganzen Proze, Jes liegi darin, daß der einzige, der zweckdienliche Hand­lungen zur Ausführung des Attentats vollzogen hat, auf freiem Fuße als Belastungszeuge auftritt, während den Angeklagten nichts anderes zur Last gelegt werden tann und tatsächlich nichts anderes zur Last gelegt wird, als daß sie die Absicht des Attentats gehabt hätten, was 3. B. beim General Capello noch nicht einmal der Fall ist. In die Fast­nachswoche hätte ein solcher Prozeß gepaßt, wie selten einer. lieber die wirklichen Ereignisse in Italien ist man inohi im Auslande beffer unterrichtet als im Lande feloft. Durch geheime Flugschriften erfährt man dort von dem Berfuch gewaltsamer Breffionen auf den Rönig, der die Ursache dafür sein soll, daß nunmehr der Chef des Generalstabs direkt vom Ministerpräsidenten abhängt. Auch Nachrichten über einen Aufstand in Sardinien mit