Zur Entgegnung erhebt sich das chaupt des Departements für Ruhe und Ordnung» der„Lome Secretary", Innenminister. Er ist ein sympathisch eussehcnder, schon etwas filberköpfiger Engländer» der in Figur und Antlitz ein wenig an Asquith erinnert. Die Stimme kontrastiert mit seiner Leibesfülle» ist dünn» die Rede hastig und darum schwer ver� stehbar. Ein Wort nur sagt er deutlich und oft:.»Kavoltition" oder, wie er es englisch artikuliert:„Ko�oluKscstöu". Schauerlich wie ein Totenvogel schwirrt der langgezogene U-Bokal über die Häupter und die mitklingenden Zischlaute kriechen gänsehautgebärend über weiße Rücken. Das Wort hat Starkstromwirkung hier wie einst im Zarenland. Ja, die Furcht regiert dos Land, und wenn grölende Kommiß- jungcns in der Bengalcnhauptstadt whiskybefeuchtet durch nächtliche Straßen torkeln oder der Kater die mediceische Benus vom Wandsims wirft» mag der fettbesoldete Ordnungs- vogt wohl erschreckt emporfahren und» die Hand am Ohr- läppen, ins Dunkel wispern,„is that rewolnhschev?" Der Redner der weißen Ordnung hat vor sich einen Stoß Akten, der zur Einäscherung eines Hinduleichnams ausreichen würde. Aus der Spanne eines Dezenniums hat er alle Schand- taten registriert» die irgendwo in der Provinz Bengalen be- gangen wurden, wobei er auch Raubmorde und Einbruchs- diebstähle unter die Borbercitungsaktionen der„Eewohiti- schon" zählt. Aber den Elou und Knalleffekt hat er sich für den Schluß- und Höhepunkt seiner Rede aufbewahrt: zwei Re- volver— und nicht genug damit: ein ganzes Tafchentuch voll Patronen hat die Kriminalpolizei in der Wohnung zweier junger Leute„entdeckt" genau vor einem Monat. Oft schallt aus braunen Gesichtern ihm helles Lachen ent- gegen. Widerholt wird er von den Fraktionsbänken der Ein- geborenen he? mit Widerspruch, Z w i s ch e n f r a g c n, Berichtigungen unterbrochen. Jedesmal setzt er sich, manierlich, nach englischer Parlamentariersitte, bis der Zwischenredner, der seinerseits sich erhob, seine Einwände vorgetragen hat. Manchmal wickeln sich in diesem Spiel von Setzen und Aufstehen ganze Zwiegespräche ab, vornehm und böslich geführt auf beiden Seiten. Er kommt jetzt„zum Schluß seiner Ausführungen", entschuldigt sich» daß er mit der Fülle seines vorgetragenen„Materials" soviel Zeit raubte und betont nochmals» daß von einer Aenderung der Rc- gierungspolitik in dieser Sache nicht die Rede sein könne» solange die„Eovoluhschen" vor der Pforte lauert. Lauter Beifall der weißen Ordnungsfraktion zahlt seiner Mühe Schweiß. Einer unserer britischen Reisegefährten sagt mir, nie in seinem Leben habe er eine armseligere Verteidigung von Regierungsmaßnahmen gehört. Mag fein. Der Mann, der jetzt sich niedersetzt und mit dem Taschentuch die Stirn wischt, hätte— davon bin ich überzeugt— im Unterhaus zu London sich die Rechtfertigung mehr Mühe kosten lassen. Hier aber, vor Leuten, die letzten Endes nichts zu sagen haben und mit denen man sich doch bloß unterhält, um vom heimischen Parlamentarismus einen matten Schein zu wahren, mußte jede weitere Anstrengung ihm als Vergeudung von Mundspeichel und Hirnessenz erscheinen. Er hat eine schlechte Sache schlecht vertreten» weil er die Mühsal eines besseren rethorischen Verputzes nicht für nötig hält. Er hätte ebensogut sagen können:„Keine Aufregung, meine Herren. Die Regierung weiß ebensogut wie Sie, daß ein Rasenlappen voll Terzcrolpatronen im Besitz zweier jugendlicher Idealisten die Grundlagen britischer Herrschaft nicht erschüttert. Auch brauchen wir, um diese Knaben ein- zukarzern, weder Extravollmachten noch Birma-Sibirien . Aber Bengalen hat nicht nur diese kleinen Verbrecher, sondern mit die fähigsten Politiker und Journalisten eures Volkes, die man nicht bei dem Zeitvertreib überrascht, Patronenhülsen zu sammeln und Handgranaten zu montieren, die aber in aller Loyalität und mit verdammt viel Klugheit die politische Bewegung der Provinz führen, wie die B o s e, M i t r a, Ghosh, Chatterjce, Bannerjee. Für solche Hälse brauchen wir eine elastische Schlinge, deshalb die Ver- bannungsverordnungen und damit basta!" Dies Sprüchlein wäre leichter zu sagen gewesen, und jeder im Land hätte ge-
mußt, daß es die brutale Wahrheit ist. Aber so geräuschvoll darf man jetzt nicht auftreten, und— wo der Reihe nach die Völker der Kolonien und„Interessensphären" und daheim auf der Insel die Proletarier aufmucken— nicht offen sagen, daß der eigentliche Feind, den man fchrchtet und mit Zaren- Mitteln verfolgt, die loyale, politisch-parlamen- tarische Freiheitsbewegung sei, die nun einmal in Bengalen am wirksamsten geführt wird. Und deshalb braucht'ma� das Schreckensblld der blutigen„Rovoluh- sehen", mag es noch so läppisch und plump an die Wand gemalt sein. Es scheint sogar, daß manche Leute eine unüber- legte Rebellion des gedrückten Bengalen als Anlaß zu einer Amritsar -Schlächterei und einem folgenden verschärften Gewaltregiment nicht ungern sehen würden. Doch könnte eine solche Rechnung auch falsch sein--. Und Bengalen wird seinen Weg machen.
Kommunistentaktik. Mecklenburg als Schulsall.— Rüffel für die Mecklenburger Kommunisten. Die beiden kommunistischen Abgeordneten des Mecklenburger Landtags, die in der vorigen Woche die Linksregierung Schröder-Asch-Möller im Bunde mit den Junkern gestürzt haben, haben bei der Neuwahl der Regierung dieselbe Regierung wieder gewählt. Wegen dieser Haltung werden sie von der„Roten Fahne" getadelt und mit Disziplinierung bedroht: „Das Verhalten der kommunistischen Abgeordneten im Mecklcn- ourg-Schweriner Landtag ist ein schwerer politischer Fehler. Anstatt nach sozialdemokratischer Art und Weise die ver» hängnisvollc Taktik des„kleineren Uebels" zu be. folgen, wäre es Ausgabe der kommunistischen Abgeordneten gewesen, ihrerseits alles zu tun, um zunächst die Auflösung des Land- tags zu erzwingen. Dazu wären sie in der Lage ge- wesen, indem sie bei den Wahlen weder für einen Koolitionspolitiker, noch für ihre Gegenkandi- d a t e n stimmten. Ein Zusammenlosen der ganzen Regierung wäre lächerlich gewesen, es wäre nichts übrig geblieben als die Auf- lösung. Das Zentralkomitee der KPD. wird seinerseits noch zu den Vorgängen in Mecklenburg Stellung nehmen." Die einzig wahre kommunistische Taktik, die hier offiziell empfohlen wird, ist die höhere Parlamentsmathematik. Dabei muß man jedoch mit den Zahlen von 1 bis SO rechnen können, und das kann die kommunistische Zentrale nicht. Sie macht folgende Rechnung auf: w e n n die beiden KPD -Abgeordneten sich der Stimme enthalten, dann txitt Stimmengleichheit ein, dann muß der Landtag aufgelöst werden. Wenn— denn. Aber der Mecklenburger Landtag hat 49 Abgeordnete. 23 Stimmen haben Sozialdemokraten, Demokraten und Mieter. 24 Stimmen hat die Rechte. Enthalten sich beide Kommunisten, so siegt die Rechte, und der Reaktionär Branden- stein wird gewählt. Will also die Zentrale der KPD . mit Hilfe der höheren Parlamentsmathemaiik die Auflösung durchführen, so muß sie befehlen, daß ein KPD -Abgeordneter f ü r die Linksregierung stimmt, der andere aber sich enthält. Wenn nun durch Zufall ein Abgeordneter der Rechten aushält, wo bleibt dann die ganze überschlaue Taktik? Wenn ein AbgeordneterderLinken erkrankt? Müssen dann beide Kommunisten für die Links- regierung stimmen, um Stimmengleichheit zu erzielen? Und wenn zwei Abgeordnete der Rechten ausfallen, muß dann e i n Kommunist für die Reaktion stimmen, und der andere sich enthalten? Wir können uns ausmalen, wie die beiden unglücklichen KPD -Abgeordneten im Mecklenburger Landtag sich ver- zweiflungsvoll fragen:„W a s sollen wir nun eigentlich? Stimmen wir für die Rechte— so erhalten wir Prügel von der Zentrale. Stimmen wir für die Linke— erhalten wir auch I
Prügel. Stimmen wir garnicht, und die Lircke wird gewähkk — so beziehen wir wieder Prügel. Können wir im voraus berechnen, ob nicht ein Abstimmungszufall eintritt? Wir sollen Taktik machen, haben aber eine Unbekannte in der Rechnung. W a s um Gottes willen sollen wir tun?"
das NeichstenSenzgericht. Die Urteilsbegründung im Prozeß Harzer. Wie bereits gemeldet, wurde der kommunistische Buch� Händler H ä r z e r, Jena , am Dienstag vom Reichsgericht in Leipzig zu zwei Jahren Festung und 200 Mark GeDstrase v e r u r te i l t, weil in seinem Verkauf kommunistischer Schriften eine ganze Reihe von Delikten, wie Verstoß gegen das Republikschutzgesetz, hochverräterische Um- triebe, gesehen wurde. Das Urteil erhält eine allgemeine Bedeutung durch die Begründung. Diese stellt ausdrück- lich fest, es handle sich nicht um einen Buchhändlerprozeß: Soweit der Angeklagte als selbständiger Gewerbetreibender tätig gewesen sei, seien ihm keine Vorwürfe über sein Verwalten gemacht worden. Es schaltet somit aus, was er in seinem Geschäft an Werken nichtkommunistischer Verlage bezogen habe. Rur seine Tätigkeit hinsichtlich der k o m m u n i st i s ch e n Literatur sei unter Anklage gestellt. Hier sei er nicht als selbständiger Buch- Händler, sondern als Funktionär der KPD. tätig gewesen. Es komme hingegen ein Eingriff in die Pressefreiheit oder in die Tätigkeit des Buchhandels gar nicht in Betracht. � Was die Kommunistische Partei betreffe, so habe sie im Jahre 1923 zweifellos die Absicht gehabt, die Verfassung des Deutschen Reiches zu stürzen. Der Bürgerkrieg wurde in einzelnen Gegenden, so in Hamburg und Mitteldeutschland , durch das Losschlagen der KPD. inszeniert. Die Heeresmacht des Deutschen Reiches habe aber diesen Aufstand genau so wie den Hitler -Putsch niedergeschlagen. Nachdem die KPD. sich überzeugt hatte, daß auf diese Weise nichts zu erreichen sei, habe sie sich anders eingestellt und versucht, die Massen durch Literaturpropagandg an sich zu schließen. Die Gemüter sollten vorbereitet und die Missen einem gewaltsamen Umsturz geneigt gemacht werden. Ste' so l lten bewaffnet werden, um losschlagen zu können. Damit sei die Sachlage ge- nügend konkretisiert, ß 8S Strafgesetzbuch bestrast jede andere im § 85 nicht erwähnte Handlung als Hochoerrat. Es könne keine Rede davon sein, daß die durch Literaturoertrieb hervortretende hochver- räterische Handlung nicht strafbar sein könnte. Das Reichsgericht redet in der Begründung selbst vom H i t l e r p u t s ch. Dabei ist ihm offenbar nicht aufgefallen» daß dieser von rechts erfolgte, nicht nur geplante Ver- s u ch eines gewaltsamen Umsturzes jahrelang von der völ- ktschen und von der deutschnationalen Presse geistig vor- bereitet worden ist, daß viele Hunder tevonSchriften im Umlauf waren und sind, die von rechtsgerichteten Buchhandlungen vertrieben werden und die dos Ziel ver- folgen, um dessen willen die Tätigkeit für die KPD. als hoch- verräterisch bezeichnet wird:„Die Gemüter sollen vorbereitet und die Massen einem gewaltsamen Umsturz geneigt gemacht werden". Die Urteilsbegründung zeigt den politisch tendenziösen Charakter des Reichsgerichts in unglaublich grotesker Weise. Wegen des Bertriebs völkischer Schriften ist noch kein Buchhändler als Hochverräter vor das Reichs- gericht z i t ie r t worden. Das Volk muß also annehmen, daß nach dem Verhalten des Reichsgerichts hochverräterische Umtriebe von rechts erlaubt sind. Ist das richtig— und nach der Praxis des Reichsgerichts gibt es keine andere Auslegung —, so ist nach diesem Urteilsterror folgender Fall möglich: Hätte Härzer aus den sattsam bekannten völkischen Verlagen Schriften verkauft— er durfte ja straflos andere Bücher vertreiben!—, so kam Anklage und Urteil vor dem Reichsgericht auch dann nicht zustande, wenn nachgewiesen wurde, daß diese Schriften den Putsch von 1S23 oder einen Ministermord gefördert haben! Bestraft wird nicht der Hochoerrat der Tat, sondern die Propaganda der Gesinnung und auch dann nur, wenn sie links-, keinesfalls wenn sie rechtsrevolutionär ist.
Der Untergang öes Aarentums. Letzte Briefe der Zarin. Die französische Presse varöfsenilicht in diesen Tagen die ersten Auszüge aus dem 6. Band der sowjetamitichen Publikationen über i*n privaten Briefwechsel des Zarenpaares. Dieser jetzt erschienen« Band umsaßt di« Korrespondenz des H-rrscherpaares innerhalb der letzten sechs Monat» vor dem Ausbruch der Revolution. Auch dieser Briefwechsel bestätigt, welch großen Einfluß die ehemalige Prinzessin Alice von Hessen auf ihren Gatten und so auf die Ge- schicke Nußlands ausübte. Die Briefe der Zarin zeigen aber auch, wie sehr si« unier dem unheilvollen Einfluß des Scharlatans Rasputin stand, eines Men- schen, bei dem sich Bauernschlauheit mit krasser Unwissenheit, mystische Priestorschaft mit niederster Gemeinheit paarte. Aber- glaube und damit verbundene geistige Nachgiebigkeit lieferten das Zarenpaar bedingungslos diesem mystischen Trunkenbold aus und ließen so zu, daß Rußland in den letzten Monaten des Zarismus in Wahrheit von Raspulin beherrscht wurde. Vom Herbst 1916 bis zum Winter 1917 war die Lage an den Fronten immer schwieriger geworden, dazu kam eine fühlbare Krise des Verpflegungs- und Transportwesens. In der Duma bildeten Liberale und Gemüßigte einen„Fortschrittlichen Block", der täglich eine durchgreifende Lerwaltungsrcsorm forderte. Am Hose ebar Raspulin der Alleinherrscher, vor dem sich alle beugen mußten. Nur die klügsten Militär- und ZIvilbcamtvn sahen damals ent- imitiat und angewidert dem rospurtnischen Treiben zu und sahen die Katastrophe voraus, die kommen mußte. Der Zar sticht« ver- geblich nach einem Manne, der die Situation hätte bessern können, er wechselte sein« Minister, wie andere Menschen Kragen und Hemden. Und damals war es die Zarin, die von Rosputin in- spiriert, den Zaren zu törichten und launenhaften Maßnahmen drängte, die den Untergang des Zarismus beschleunigten. Während an den Fronten die Kanonen brüllten, schrieb die Zarin ihren» Gatten ins Hauptquartier: „Hier im Hinterland bin'ch Dein Auge und Dein Ohr! Ich fühle mich auch nicht mehr von den Generalen und Ministern eingeengt, vor denen ich mich nicht fürchte. Ich spreche mit ihnen russisch in Wasserfallsgeschwindigkeit... Sie haben erkannt, daß ich geladen bin mit Energie» und völlig Dir ergeben, daß ich alles sehe und alles höre und Dein fester Rückhalt in der Heimat bin." Der Zar antwortete:„Du leistest mir und dem' Land« einen ungeheuren Dienst! Ich bin schr glücklich, daß Du nunmehr«ine Tätigkeit gefunden hast, die Deiner würdig ist. Ich kann jetzt, wenigstens was die inneren Angelegenheit«» anlangt, beruhigt sein."(!)-- Rasputin hat die Ernennung Protopopoffs durchgesetzt, eines moralisch völlig minderwertigen Menschen, der obendrein an fort» geschrittener Paralyse litt, jedoch der Dynastie schrankenlos ergeben war. Die Zarin schrieb sofort mahnend an ihren Mann:„Sage ihm, daß er in allen Dingen dem Rat unseres Freundes(Rasputin ) folgen soll, zeige ihm, daß Du Pertrauen in ihn(Rasputin ) setzft!.. „Sei Peter der Große . Iwan der Schreckliche und Zar Paul. zerbrich alle diese Menschen da! Ich würde mich von ganzem
Herzen freuen, wenn Du so mit denen verfahren würdest, die Dich zu beherrschen versuchen!"... Als der Minister Stürmer, dem man Deutschfreundlichkeit nachsagte, und der trotzdem eine Kreatur Rasputins war, durch Trepoff ersetzt wurde, schrieb die Zarin ihrem Gatten flehende Briefe, in denen sie fordert, daß der Zar. auf jeden Fall Proto- poposf halten müsse. „Befiehl Trepoff, mit ihm(Rasputin ) zu arbeiten. Er wird es nicht wage». Dir zu widersprechen. Erhebe Deine Stimme! Wäre es nicht notwendig, Lieber, daß ich auf«inen Tag zu Dir käme, um Dir Mut und Festigkeit zu geben?— Unser Freund (Rasputin ) fleht Dich an, fest und stark zu bleiben und Trepoff in nichts nachzugeben..... warum erlaubst Du ihm. Dich zu zu lenken und nicht unserem Freunde, der Dich mit Hilf« Gottes lenkt.....?" Und der Zar antwortete ihr:«Trepoff ist sanftmütig und gehör- sam gewesen und hat nicht von Protopoposs gesprochen.� Wahr- scheinlich war ihm meine harte und unfreundliche Miene nicht sehr angenehm." In einem anderen Briefe entschuldigt sich Nikolaus bei der Zarin:„Es widerstrebt mir. mit einem Menschen wie Trepoff zu tun zu haben, den ich nicht schätze und zu dem ich kein Vertrauen habe. Aber zuerst muß man für ihn«inen Nachfolger gefunden haben und kann ihn erst sortschickcn, wenn er olle sein« Sachen erledigt hat. Ich will damit sagen, daß man ihn erst entlassen kann, wenn er die Duma geschlossen hat. So werden alle Verantwortlich- keilen und alle Schwierigkeiten auf ihn fallen und nicht auf seinen Nachfolger." Am 22. Februar 1917, drei Tage vor Ausbruch der ersten Unruhen, schrieb die Zarin:„Die Lage scheint sich zu bessern. Sei nur fest! Zeige, daß Du der Herr bist! Das wollen die Russen. Du hast ihnen Güte gezeigt, lasse sie von Zeit zu Zeit auch die Faust spüren. Sie selber wollen das so. Letzthin sagten mir einige Leute: Wir brauchen die Knute!— Das ist eigenartig, liegt aber in der slawischen Natur! Sie müssen es lernen. Dich zu fürchten!" Am 25. Februar bricht der Aufstand in Petersburg aus. Die Zarin schrieb:„Das ist eine Revolte von Rowdys! Halbwüchsige Burschen und Mädels rennen in den Straßen umher und schreien, daß sie kein Brot haben. Damit»vollen sie die Gemüter erhitzen! Dasselbe wn auch die Arbeiter, die andere an der Arbeit zu hindern suchen. Wenn es kalt wäre, würden sie alle schön zu Hause sein." Am 2. März stellt sie fest, daß alles fürchterlich wird und die Ereignisse sich mit unbeschreiblicher Schnelligkeit vollziehen, glaubt aber immer noch daß alles put enden werde. Alle Verbindungen nach der Front sind abgeschnitten, die Delegierten der Duma, der Zentnmismann Goutchkosf und Choulguine von der Rechten fahren zum Zaren, um ihn zur Abdankung zu beuxgen. Die Zarin ist voll Sorge und Angst. „Ich weiß nicht, wo Du augenblicklich bist! Ich habe versucht. Dich durch Vermittlung des Hauptquartiers zu erreichen. Rodzianko (Dumapräsident) tut so. als ob er nicht weiß, warum man Dich isoliert. Es scheint mir klar, daß»»a», Dich hindern will, mich zu sehen, bevor Du irgendein Schriftstück unterzeichnet hast, eine Ver- sassung oder irgendeine andere Scheußlichkeit(!) ähnlicher Art. Was kannst Du allein, wie«ine Maus in der Mausefall« gefangen, ohne die Arme« tun? Vena man Dich zu Konzessionen zwingt, bist Du
nicht verpflichtet. Deine Versprechungen zu erfüllen, denn sie sind Dir durch unwürdige Zwangsmaßregeln entrissen worden." Und am nächsten Tag:„Ich weiß gar nichts mehr, ich höre nur den widerroäriigen Lärm, der einen zum Wahnsinn bringen kann!" Dann endlich, als sie die Abdankung erfährt, schreibt die Zarin: „O, mein Held, ich velstehe Deine Tat! Aber ich schwöre Dir bei meinem Leben, daß wir uns wieder auf Deinem Thron sehen »Verden , Dein Volk und Deine Armee werden Dich dorthin tragen, zum Ruhme Deiner Herrschaft." Und einen Tag später schreibt sie von Entsetzen gepackt:„Eine Bewegung beginnt innerhalb der Truppenteile... Ich fühle, daß die Armee revolutionieren will! In Deutschland ist Revolution aus- gebrochen. Wilhelm ist getötet worden. Ueberall sieht man die Hand der Freimaurerei ..!" Einige Tage später kam der Zar unier starker Bedeckung m Zarskoje Selo an, wo er bis zu seinem Abtransport in die Tobolsker Verbannung als Gefangener gehalten wurde. Und dann fanden beide im fernen Sibirien den Tod.
„Der Hampelmann" im Berliner Thealer. Operetten mit einiger- maßen diskutabel«» Textbüchern sind Raritäten geworden. Ein Hampelmann, also auch der, an dessen Strippe dos Berliner Theater das Publikum drei und eine halbe Stunde zappeln ließ, ist keine Rarität. Also schwelgen wir über die Herren G u st a v Beer und Fritz Lunzer, di» ihn zurecht geschneidert haben. Daß man sich immerhin an dieser reichlich plump geratenen Spielerei belustigen tonnte, ist das Verdienst von Robert Stolz , der dem ungeschickten Gebilde lustige musikalische Farbtupfen aufsetzte, lind aller derer, die dafür sorgten, daß es in ununterbrochen flotter Bewegung blieb. Das mag, weiß Gott , ei>»e schwere Arbeit ge- wesen sein. Siegsried Arno, Arthur Hell, Oskar K a r l w e i ß legten sich dafür ins Zeug, dazu die anmutige Hella K ü r t y und die sehr nette, flotte Kammerzofe Gretel Fintler. Die Ausführung hatte Tempo und Schmiß, und sie wäre noch ver- guüglicher gewesen, wem» man den ganz grundlos in die Läng« gezogenen zweiten Akt auf ein vernünftiges Maß zusammengestrichen hatte. Robert Stolz , ohne gerade durch Originalität zu verblüffen, hat immerhin eine Musik geschaffen, die der Aufführung— und damit eines besseren Textbuches— würdig»vor. Ein recht gelungenes spanisches Quartett im dritten Akt und der Schlager„Im Monat Mai geschehen viele Wunder" blieben im Ohr haften. Tes. Tänze der Zulla klmnk- Schul:. Ein rastloser, unermüdlich nach neuen Zielen strebender, nach neuen Pfaden suchender Geist herrscht in dieser Schule. Jede ihrer Veranstaltungen ist reich an Anregungen, an intcressanrcm Neuen Jedes Jahr bringt Fortschritte, oft in Erreichtem, stets in Gewolltem. Auch der Abend im Schar» wenka-Saal trug zum Teil experimentellen Charakter. Ele> mentar« Grundlagen abstralten Tanzstils in der Abwandlung eines einfachen Kreismotivs, mit straffer Konzentration und wuchtiger, sehr cindnicksvvller räumlicher und zahlenmäßiger Erweiterunz. Prachtvolle Gruppemeilung und-ballung eines Lento mit disharmo» nischem Thema. Kombinatiönen maschineller und körperlicher Arbeits» ryychmen.«ingeleitet durch technisch vollendete Schwünge unl» Spannungen eines von Ja Dt scher meisterhaft protmziute»,