Abendausgabe
Nr. 11744. Jahrgang Ausgabe B Nr. 58
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10 Pfennig
Donnerstag
10. März 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Gegen das Notgesetz der Regierung.
Erklärung der Arbeitnehmergruppe des Reichswirtschaftsrats.
Zum Urbeltzeifnotgesetz haben die Arbeitnehmer des Arbeits- einer direkten Einflußnahme auf die Gestaltung des Arbeitsausschusses für das Arbeitsschutzgesetz im vorläufigen Reichswirt- zeitnotgefeges genommen ist, so ist die Stellungnahme der schaftsrat am 9. März folgende Erklärung abgegeben: Arbeitervertreter im Reichswirtschaftsrat nicht bestoweniger von einer Bedeutung, der man sich auch im Regierungslager nicht wird verschließen können.
Regierungsentwurf zur Geltung zu bringen.
Die Abteilung II hat von dem Entwurf des Gesetzes zur Abänderung der Arbeitzeitverordnung Kenntnis genommen. Sie er- Die Erklärung zeigt auch, daß die Vertreter der Wirt klärt, daß dieser Entwurf hinter den berechtigten Erwar- schaftsorganisationen der Arbeiterschaft, gleichgültig ob sie fungen der Arbeitnehmer weit zurüdbleibt. Sie den freigewerkschaftlichen, den christlichen oder den Hirschethebt Einspruch, daß sie durch die verspätete Borlegung gehin. Dunkerschen Organisationen angehören, unter dem Drud dert wurde, die Auffaffungen der Arbeitnehmer gegenüber dem der fatastrophalen Arbeitslosigkeit zusammengeschlossen werden zu einer Einheitsfront. Dieser Druc wird stärker sein als die frampfhaften Bemühungen der Unternehmervertreter im Bürgerblod, die christlichen GewerkAn dieser Erklärung gegen den Regierungsentwurf ist schaften bei der Stange zu halten. Der sozialen, politischen bemerkenswert, daß sie geschlossen abgegeben wurde von und moralischen Unmöglichkeit, bei 2% Millionen ArbeitsBertretern sämtlicher Gewerkschaftsrichlosen der Arbeiterschaft eine längere Arbeitszeit als den Achttungen, die im Reichswirtschaftsrat vertreten find. Wenn stundentag aufzuzwingen, dieser Unmöglichkeit wird niemand dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat auch die Möglichkeit auf die Dauer sich widersehen können.
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Ein Zusammenstoß im Völkerbund.
Vandervelde gegen Chamberlain.
V. Sch. Genf , 10. März.( Eigener Drahtbericht.) In der heutigen Ratssitzung ereignete sich ein furzer aber sehr bezeichnender Zwischenfall, dessen Schärfe trotz aller diplomatischen Höflich
feitsformeln unverkennbar war.
Ueber die Frage der bulgarischen Flüchtlingsan leihe hatte Genosse Bandervelde den Bericht erstattet. Anfnüpfend daran richtete er an die anwesenden Bertreter der bulgarischen Regierung einige furze Worte. Er hob den humanitären Charakter dieser Aktion des Bölkerbundes hervor und sprach die Hoffnung aus, daß es auf diese Art gelingen würde, das Elend dieser bedauernswerten Opfer der bulgarischen Wirren zu mildern. Er ging dann kurz auf die furchtbaren Prüfungen ein, die das bulgarische Bolt in den letzten Jahren ertragen mußte. Es feien entsetzliche Attentate verübt worden, denen harte Vergeltungsmaßnahmen gefolgt seien. In seinem eigenen Namen möchte er die Hoffnung aussprechen, daß das humanitäre Wert des Völkerbundes feine Ergänzung durch eine weitere Beseitigung und Linde rung des Elends in Bulgarien finde. Er glaube, daß der Rat es mit Freuden begrüßen würde, wenn die an seine Mitglieder vor zwei Tagen gerichtete Bitte um Befürwortung einer Amnestie
| staatliche Gebilde" so ausgezeichnet bewährt habe. Die Rebe war ge wiß warmherzig, fast begeistert. Sie machte einen recht günstigen Eindruc; es ist erfreulich, daß jetzt auch Herr Stresemann als Vorsitzender des Rates die Vorzüge des Völker. bundes entdeckt hat.
Jürgens aus der Haft entlassen.
Beschluß des Gerichts.
In der heutigen Berhandlung gegen den Landgerichtsdirektor Jürgens erklärte der Oberstaatsanwalt, daß er heute nicht in der Lage sei, weiter zu sprechen.
Das Gericht beschloß darauf, die Verhandlung bis zum Montag vertagen und verfügte gleichzeitig die Haftentlaffung des angeklagten Ehepaars.
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für die politischen Berbrechen bei der bulgarischen Re- Die deutsch - französischen Zollverhandlungen
gierung Gehör fände.
Auf seine im warmen Ton vorgetragenen Worte erwiderte der bulgarische Vertreter Savrow furz, er dante Herrn Bandervelde für die Gefühle der Sympathie, die er stets den bulgarischen Flücht
Kein Wort mehr!
Sein
lingen entgegengebracht habe. Schweigen gegenüber dem Appell Vanderveldes war bezeichnend und geradezu tatastrophal!
Inzwischen hatte sich Chamberlain zum Wort gemeldet. Sein Gesichtsausdrud war verbissener denn je und beinahe grausam geworden. Mit harter Stimme erklärte er, er wolle zwar nicht die Kraft des Appells Vanderveldes beeinträchtigen, aber er müsse be= tonen, daß der Völkerbund als eine internationale Körperschaft sich in die inneren Angelegenheiten eines Bundesmitgliedes weder einmischen tönne noch dürfe.
Die erste Pflicht des Völkerbundes sei, die volle Souveränität seiner Mitglieder zu respektieren. Sprachs und blieb wieder unbeweglich, ebenso wie der neben ihm sigende britische Generalsekretär Drummond, der die verlegte Bürde eines Gottesmannes nach einer fleinen Religionsstörung zur Schau trug.
Bandervelde erwiderte verbindlich, er sei ganz mit den Grundfäßen und dem Standpunkt Chamberlains über die Unantastbarkeit der Souveränitätsrechte der Mitgliederstaaten einig. Er habe ausbrücklich betont, er spreche nur in seinem persönlichen Namen, er
Ein wesentlicher Fortschritt.
Arabische Probleme.
Der Streit um die britische Vorherrschaft. Bon Dr. A. Abeghian.
wirklich unabhängigen arabischen Länder waren Jemen Die in der Nachkriegszeit international- rechtlich aber auch oder das glückliche Arabien" im Südwesten der arabischen Halbinsel, das zentralarabische Sultanat Nedschd des wahabitenführers Ibn Saud und schließlich das nordSette im Hinterland von Benghasi, östlich von Barka, afrikanische Herrschaftsgebiet des Scheichs der Senussizwischen Aegypten und Libyen . Nun sind diese patriarchalischtheofratischen Fürstentümer als Horte arabischer Selbstänbigkeit und Isoliertheit in die Wasserstrudel internationaler Diplomatie hineingezogen worden. In diesem Zusammenhang haben die arabischen Probleme allgemeines Interesse.
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Geographisch- ethnisch und historisch- kulturell betrachtet, deckt sich der Begriff des nahen Drients ausgenommen das türkische Anatolien , mit demjenigen des arabischen Drients. Eine durchaus arabische Welt ist in der Tat das weit ausgedehnte Landgebiet, das sich von der atlantischen Küfte Maroffos über Nordafrika und Aegypten hin bis zum Perfischen Golfe und Indischen Ozean erstreckt. Das vorder= asiatische Arabertum allein genommen also ohne Nordafrika und Aegypten zählt nicht weniger als 20 Millionen Köpfe. Syrien , Palästina, Transjordanien, Irat, sowie Hedschas , Nedschd , Jemen , Affir, Aden und die übrige arabische Halbinsel das sind fast ausschließlich von Arabern bewohnte Gebiete. Die Araber waren jahrhundertelang in diesen Ländern die Träger einer Kultur, die auch die abendländische in hohem Maße beeinflußt hat. Der Islam ist ein Produkt arabischen Geistes. Mit dem Erscheinen der Türten treten mar die Araber von der Schaubühne der Weltgeschichte zurüd, aber an die jüngste Geschichte des Orients knüpft sich die Wiedergeburt des Arabervoltes. Es ist schon heute ein führender Faktor im nahen Orient. Die Peripherien des arabischen Ausbreitungsgebietes find die Hauptzentren bes arabischen Wiedererwachens: Aegypten und Syrien . Kairo spielt in dieser Hinsicht eine führende Rolle.
Das arabische Küstenland Hedschas , die historische Wiege der arabischen Rasse und Kultur, sowie des Jflams, wurde zum Kerngebiet der politischen Selbständigkeit des Arabertums. England rief den vorher türkischen Hedschas 1916 zum unabhängigen Königreich mit Hussein, dem Großscherif von Mekka , an der Spize aus. Ibn Saud , der Führer der Wahabitenstämme, eroberte 1924 Hedschas , vertrieb Hussein und bestieg deffen Thron. Er proflamierte sich zum König des Hedschas und wird auch als der ausfichtsreichste Kandidat für die Kalifenwürde angesehen. Jbn Sauds Herrschaft dehnt sich heute bis zu den Grenzen Transjordaniens und Syriens im Norden und bis zum Persischen Golfe im Osten aus. Er ist der Träger der groß
arabischen Idee. Heute besteht schon eine ausge
sprochene Solidarität zwischen verschiedenen arabischen Ländern. Die Kluft zwischen den mohammedanischen und christDie Bariser Vorverhandlungen über einen Handelsver trag zwischen Deutschland und Frankreich haben in drei Bunttenlichen Arabern in Aegypten und Syrien wird sichtlich schwächer. ein Entgegentommen der Franzosen gebracht, durch welches die Aussichten auf ein Gelingen der eigentlichen Verhandlungen wesentlich verbessert werden:
1. Die Franzosen geben ihr Verlangen auf, daß die Meist begünstigung erst 14 Monate nach Abschluß des Handelsvertrages in Kraft treten solle und bis dahin eine gegenseitige Differenzierung vorgenommen werden fönne; die Franzosen gestehen die tat sächliche Meist begünstigung fofort mit dem Abschluß des Handelsvertrages zu.
2. Frankreich erklärt sich immer bereit, in den Deutschland interessierenden Positionen geçen entsprechende Zugeständnisse auch unter seinen Minimalzolltarif hinunterzugehen. 3. Frankreich erflärt sich bereit, über die er abseßung feines Mindesttarifes zu verhandeln.
Für die Monate April und Mai d. Is., in denen selbstver ständlich der noch gründlich zu vereinbarende Handelsvertrag nicht in Geltung stehen wird, wünscht Frankreich die Zulaffung eines be stimmten französischen Weinfontigents nach Deutschland . Darüber hat die Reichsregierung noch nicht entschieden.
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meil er gehofft habe, daß ſeine Worte die Menschlichkeitsziele des Ein Ueberfall auf eine sozialistische Zeitung. ige arabische Gebiet Vorderafiens, das unter dem franzö
Bölkerbundes fördern würden.
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Man ging schnell zum nächsten Bunft der Tagesordnung über. Aber das Gefühl blieb zurüd, daß man joeben einem 3ufam menstoß zwischen zwei Weltanschauungen innerhalb des Rates beigewohnt hatte: Zwischen der draufgängerisch- offen herzigen Menschlichkeit der Sozialistischen Arbeiterinternationale und der alten heuchlerischen Mentalität der traditionellen Diplomatie, die im britischen Imperialismus ihren höchsten Ausdrud findet. Bald danach gab es eine neue Ueberraschung. Die Empfeh. hung einer Völferbundsanleihe für Danzig war auf der Grundlage der Borschläge des Finanzlomi.ees zustande gekommen. Der Be. richt diefes Komitees war im Rate erstattet worden. Der Genats. präsident hatte ein paar Worte des Dantes an den Bölferbund ce richtet. Da ergriff plöglich Stresemann das Wort, der offenbar redefchwanger war, da seine bisherige Geschäftsordnungsführung feine rhetorischen Bedürfnisse nicht befriedigt hatte. Und nun be. gann er einen Hymnus auf die praktische Arbeit des Völkerbundes, der sich sowohl in sozialer Hinsicht bei den Flüchtlingsfragen wie auch in wirtschaftlicher Beziehung beim Zustandekommen der Anleihe für Danzig dieses unter schwierigen Berhältnissen entstandene
Polnische Offiziere mit Reitpeitsche und Revolver. Saffowih, 10. März.( Eigener Drahtbericht.) Die polnische sozia liftische Zeitung„ Gazeta Robotniza" hatte die Meldung gebracht, daß ein polnischer Offizier über die Grenze gegangen fei, um fich der deutschen Polizei zur Spionage gegen Polen zur Berfügung zu stellen. Sie verzeichnete das als den zweiten Fall inner halb furzer Zeit, in dem Bofener Offiziere Landesverrat begingen. Darauf erschienen in der Redaktion dieser Zeitung zwei Ofiziere des 73. Regiments, stellten den Redakteur zur Rede und begannen, ihn mit ihren Reitpeitfchen zu bearbeiten. Schließlich zogen fie ihre Browningpistolen und bedrohten den Redakteur, der nur durch das Dazwischentreten seiner Kollegen und des Geßerpersonals vor schlimmeren Tätlichkeiten geschützt wurde.
Die Wahlen zu den Bezirksfagen der 28 fächsischen Amtshauptmannschaften brachten einen vollen sozialdemokrati ichen Erfolg. Während die bürgerlichen Mandate um 20 auf 575 Gige zurücgingen, steigerte die Sozialdemokratie ihre Man. batsziffer von bisher insgesamt 330 Gigen auf 356, also um 26. Die Kommunisten verloren 6 von ihren bisherigen 87 Sißen,
Die arabische Welt bildet den Uebergang vom Westen nach Diten, eine Landbrücke zwischen Mittelmeer und In= dien. Die arabischen Länder sind ein notwen diger Bestandteil britischer Weltpolitit. Ohne England wäre weder Hedschas unabhängig erklärt, noch Hussein zu dessen König ausgerufen worden. England war es aber auch, das 1924 Hussein im Stich ließ, als dieser dabei war, national- unabhängige Ziele zu verfolgen. Troßdem galt er bis zuletzt in den Augen der Araber als der Verräter der nationalen Sache und Söldner Englands. Das ist die Tragödie dieses Mannes. Hussein sigt heute in Zypern als unfreiwilliger Gaft" der Engländer. Allerdings er wartet auch Ibn Saud fein besseres Schicksal, wenn er sich nicht geschickt und rechtzeitig in die weiten Ziele der briti schen Weltpolitik einfügt. Vorläufig braucht aber London gerade ihn als den starken Mann, der auch in der arabischen Belt angesehen und bestrebt ist, Englands Einfluß auszudehnen und zu verstärken. Ein offenes Geheimnis ist es nämlich, daß England auch bezüglich Syriens das ein fifchen Mandat steht- unverhehlte Wünsche hegt. Die englische Presse und Literatur kritisieren gelegentlich das fran zösische Mandat über Syrien am stärksten. Arnold einer der besten englischen Orientfenner, J. Toynlee, charakterisiert ironisch die Tatsache, daß, während die primitive arabische Bölkerschaft des Hedschas ihre Unabhängigkeit sicherte, der syrische Nationalismus blutig unterdrückt wird". England wird sich früher oder später Syriens bemächtigen, dies um so mehr, als die Bagdad - und Hedschasbahn, diese wichtigste Verbindungslinie zu den englischen Einflußgebieten, durch Syrien läuft. Wie ein Reil stedt Syrien in den arabischen Mandatsgebieten Englands und muß früher oder später ausgeschaltet werden. Das verlangen die Inter effen des britischen Weltreiches, ebenso wie der großarabische Gedanke. Ein Stüd Weges gehen also die englischen Imperialisten und die großarabischen Nationalisten zusammen. arabischen Abteilung des Foreign- Office, Sir Gilbert Ferner hat der zwischen Ibn Saud und dem Leiter der Clanton, 1926 geschlossene Bahra Bertrag den 3wed, die Stellung des britischen Reiches in Arabien noch mehr zu befestigen. Kraft dieses Vertrages unterwirft sich