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Abendausgabe

Nr. 12144. Jahrgang Ausgabe B Nr. 60

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Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Sonnabend

12. März 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszett 8 bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher Dönhoff 292-297

sid

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Bürgerblock und Sozialrentner.

Verschleppung der Hilfe. Die Blockparteien kuhhandeln.

Im sozialen Ausschuß des Reichstags unterbreitete Ministerial direktor Grieffer am Sonnabend die Vorschläge des Reichsarbeits. ministeriums zur Aenderung der Invalidenver­sicherung. Die Steigerungsfäße zu den Invalidenrenten sollen in den einzelnen Lohntlaffen auf 3, 6, 10 und 15 Bf. erhöht werden. Ferner ist eine Beseitigung der bestehenden Ungleichkeiten zwischen den alten, vor dem 1. April 1925 festgesetzten und den neuen Hin. terbliebenenrenten geplant. Das bisherige Berjagen des Kinderzuschusses bei den vor dem 1. Januar 1922 festgelegten und noch laufenden Invalidenrenten soll fünftig aufhören. Schließlich wird eine Gleichstellung der 65jährigen Witwen mit den Invaliden­wiiwen vorgeschlagen. Zum Ausgleich des Fehlbetrags in der In­

| diesem Antrag abzubringen. Die Sozialdemokratie hält ihren An. trag aufrecht, dem sich auch die Kommunisten anschließen. Innerhalb der bürgerlichen Parteien der Regierung herrscht auch in dieser wie in allen anderen sozialpolitischen Fragen ein wirres Durcheinander, so daß ohne den starken Druck der Deffentlichkeit keinerlei Sozialreform zu erwarten ist. Die Invalidenrentner, bie zu Sonntag große De monftrationen veranstalten, werden dem Befitbürgerblock die verdiente Antwort geben.

Wiederspruch im Plenum.

Kampf um den Achtstundentag.

Worauf es ankommt.

Die bisherigen Auseinandersetzungen über die gesetzliche Neuregelung der Arbeitszeit zeigen, daß die Regierung des Bürgerblods und ihre Parteien bemüht sind, eine wirkliche Berkürzung der Arbeitszeit zu verhin dern. Das können sie natürlich nicht mit dieser brutalen Deutlichkeit aussprechen. Deshalb wird mit einem un­geheuren Aufwand um Formulierungen gefämpft", die den Kern der Dinge gar nicht treffen. Den Arbeitern und An­gestellten, soweit fie sich noch im Schlepptau der bürgerlichen Parteien befinden, foll blauer Dunft vorgemacht werden.

validenversicherung schlägt das Arbeitsministerium eine Erhöhung Reichstags beantragt vor Eintritt in die Tagesordnung Aba. und die endgültige Regelung vorwegnehmen darf. Es foll

die endgültige Bereinigung zwischen Angestellten. und Invalidenversicherung erfolgen. Die Invaliden persicherung ist mit einer Abfindung von 40 Millionen Mart ver. gleichsbereit, während die Angestelltenversicherung höchstens 5 Mil.

lionen zahlen will. Jebe Bermittlung durch das Reichsarbeits. ministerium ist gescheitert. Der Arbeitsminister verlangt nunmehr

die Entscheidung durch den Reichstag .

Bei Beginn der Diskussion wird wiederum vergeblich auf Wort meldungen der Regierungsparteien gemartet. Schneider( Dem.) vermißt in der Erklärung des Arbeitsministers die Bereitwilligkeit zur Erhöhung des Reichszuschusses und beantrage Serab fegung der Altersgrenze in der Angestelltenversicherung von 65 auf 60 Jahre. Ministerialdirektor Griesser mendet sich sehr erregt das gegen, daß die Spannungen in den Leistungen zwischen Angestellten. und Invalidenversicherung immer noch verschärft werden sollen. Da die Regierungsparteien immer noch teine Anstalten machen, um sich überhaupt zum Regierungsvorschlag zu äußern, ziehen die vorge mertten Redner der Sozialdemokraten und Kommunisten ihre Bortmeldungen zurück, damit die Regierungspartelen sich äußern fönnen. In dieser Berlegenheit nimmt Andre( 3tr.) das Wort zur Geschäftsordnung und deutet an, daß zwar die Regierungsvorlage nicht ausreichend erscheine, die Regierungsparteien aber heute eine Stellung nicht nehmen können. Er macht auch weder positive Borschläge, noch werden irgendwelche Anträge eingebracht.

Ho ch( Soz.) hält darauf den Regierungsparteien noch einmal zusammenhängend. Die geradezu standa löse Berschleppung, wie sie von ihnen betrieben wird, vor. Nachdem erst über zwei Wochen die Sabotage im Unterausschuß betrieben worden und für die heutige Sitzung die Entscheidung vorgesehen war, hüllen sich auch heute wiederum die Regierungsparteien in der fachlichen De batte in Stillschweigen. Angesichts der furchtbaren Not der Invaliden wird die Sozialdemokratie dieses Spiel der Re­gierungsparteien durchtreuzen. Er beantragt deshalb, daß nummehr die Frage einer Erhöhung der Invalidenrenten fofort vor das Plenum des Reichstags gebracht wird. Andre( 3tr.), Schwarzer( Bayr. Bp.) versuchen die Sozialdemokraten von

Bei Beginn der heute auf 1 Uhr festgefeßten Sigung des Karsten- Beine( Soz.), den Antrag der Sozialdemokraten auf Erhöhung der Renten aus der Invalidenversiche. rung als ersten Bunft zu behandeln. Dieser Antrag sei bereits im Dezember 1925, also vor anberthalb Jahren eingebracht worben, vor eineinviertel Jahren wurde er bem fogial politischen Ausschuß überwiesen. Im Frühjahr wurde von der Regierung erklärt, daß fie erst eine Vorlage über die finanzielle Belastung machen müsse. Schließlich wurde erreicht, daß der Antrag einem Unterausschuß überwiesen wurde; dort sei aber feine prat tische Arbeit geleistet worden, weil die Regierungsparteien immer erklärten, ohne die Unterlagen der Regierung feine fachliche Stel lung bazu nehmen zu können. Der Redner tommt bann auf die heutigen Vorgänge im Sozialpolitischen Ausschuß zurüd und erklärt, daß die Sozialdemokratie nicht gewillt sei, dieses

Spiel mit der Not der Invalidenrentner noch länger anzusehen. Innerhalb der Regierungsparteien verhandle man schon seit drei Wochen darüber, was geschehen solle. Es müsse jegt im Plenum des Reichstags darüber verhandelt werden, denn es jei unerträglich, daß am 1. April die Wohnungsmieten erhöht werden sollen, ohne daß auch die Invalidenrenten erhöht werden.

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns beruft sich auf seine geftrigen Ausführungen bei der Beratung des Etats und auf die Ausführungen des Regierungsvertreters in der heutigen Sigung des Sozial. politischen Ausschusses. Die Verschleppung des sozialdemokratischen Antrages sei aus der außerordentlich starten Belastung des Reichs­tags mit gesetzgeberischen Arbeiten zu erklären, die Regierung habe aber den Wunsch, daß die Renten aufgebessert werden. Er bittet darum, diese Frage heute nicht zu behandeln, sondern die weitere Beratung noch einmal dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überlassen. Abg. Rädel( Komm.) wünscht gleichfalls die sofortige Verhand lung im Plenum.

Abg. Schneider( Dem.) hält die Erhöhung der Invalidenrente für außerordentlich dringlich. Im Hinblick darauf, daß der Ausschuß die Materie schon am Dienstag verhandeln soll, erhebt er gegen die Auffezung des Antrags auf die Tagesordnung Widerspruch. Das Haus jetzt sodann die Beratung des Reichshaushalts des Arbeitsministeriums fort.

Ostoberschlesische Schuleinigung.

Die Saarfrage ungeklärt.

Seuf. 12. März.( WTB.) Die heutige Ratssigung, die wegen Berspätung des chinesischen Delegierten Tschao erst um 11 Uhr begann, brachte die Erledigung der oberfchlesischen Schulfrage. Es handelt sich dabei, wie aus dem Bericht Urrutia( Rolumbien) hervorgeht, um eine Lösung, die lediglich eine einverständliche Regelung für die gegenwärtig umstrittene Frage der Schulzugehörigkeit bringen will und soll. Im Interesse der zurzeit des Unterrichts beraubten Kinder und der durch Zwangs maßnahmen betroffenen Eltern foll dadurch ein Weg geschaffen werden, um die fofortige Einschulung der Kinder herbei. zuführen. Eine schnell funktionierende oberste Entschei. dungsstelle soll für alle etwa noch vorliegenden Streitfälle ge­schaffen werden. Das bereits im wesentlichen bekannte Berfahren läuft darauf hinaus, Kinder mit deutscher wie auch solche mit dop. pelter Sprache, soweit die Eltern das wünschen und die Möglichkeit aur Verfolgung des Unterrichts gegeben ist, Minderheits chulen zuzuführen. Die letzte Entscheidung liegt beim Präsidenten Calonder, der auf Roften Bolens durch einen schweizeri. fchen Pädagogen bei der Behandlung dieser Frage unterstützt wird. Im Schlußfaz betont der heute vom Rat genehmigte Bericht, daß es sich lediglich um eine Sondermaßnahme zur Regelung eines burch das Genfer Abkommen vom 15. Mai 1922 nicht vor. gesehenen Falles handelt, daß aber das vorgeschlagene Berfahren in teiner Weise dahin ausgedeutet werden dürfe, als umfaffe es eine Abänderung der Bestimmungen dieser Ronvention. Auf diese Tat. fache wies Dr. Stresemann hin, er führt babet folgendes aus: V. Sch. Genf . 12. März, 1,15 Uhr nachmittags.( Eigener Draht Die beutsche Regierung betrachtet den Vorschlag als einen Aus­reg aus den Schwierigkeiten, die hinsichtlich der Minderheitsschulen bericht.) Eine Einigung in der Saarfrage tonnte bisher nicht entstanden waren Ich möchte nicht verfehlen, den an dem Vorschlag erzielt werden. Nach einer längeren Rede Strefemanns, deren beteiligten Ratsmitgliedern für ihre Bemühungen zu danken. Ich Ueberlegung in beiden Sprachen bis 2 Uhr dauert, wurde auf möchte aber auch darauf hinweisen, daß ber Bericht, wie es ins- feinen Antrag die Sizung unterbrochen und eine neue Sigung läßt. Die Genfer Konvention über Oberschlesien bestimmt ohne auf Uhr nachmittags einberufen. Es ist noch nicht zu ersehen, Sweifel, daß die Erklärung der Eltern und Erziehungs. ob ein Rompromiß zustande fommen aber eine Mehrheitsabstimmung beregtigten weber nachgeprüft noch angefochten nötig werden wird,

werden darf. Es muß deshalb als rechtlich unzweifelhaft angesehen werden, daß sogar ein Kind mit ausschließlich point her Sprache zur deutschen Minderheitsschule zugelaffen mer den tann, falls das von den Eltern oder Erziehungsberechtigten gewünscht wird. Dieser Grundfaß wird auch in Zukunft in vollem umfange aufrechterhalten werden. Ich freue mich, darauf die Freie Stadt Danzig vom 19. Juni 1921 wegen der dortigen polnischen Minderheitsschule sich ebenfalls auf den Standpunkt gestellt hat, daß für den Besuch der Schule ausschließlich die ge chriebene Erklärung der Erziehungsberechtigten genügt, und daß Die Schulbehörden fein Recht zur Nachprüfung dieser Erklärung haben. Wir befinden uns also mit Bolen auf dem gleichen Standpunkt. Was jest tatsächlich in Oberschlesien einge führt werden soll, wird dieser Rechtslage nicht in allem gerecht. Benn troßdem die deutsche Regierung der vorgeschlagenen Lösung auft im mt, so nur deswegen, weil es sich um die Ab ftellung eines Rotstandes, der nicht vorhergesehen werden konnte, handelt. Eine Möglichkeit, die Rechtsfrage für diesen Fall bereits zum Ausbrud zu bringen, bestand nicht, da fonft die betroffenen Schultinder noch monatelang ohne Schulunterricht hätten bleiben müssen. Die deutsche Regierung häte ihre Zustimmung nicht er. teilen fönnen, wenn sich die Regelun auch auf fünftige Streit fälle bezogen hätte. Ich begrüße deswegen die Erklärung des Berichterstatters, der wir zustimmen. Sollte ein gleichliegender Streitfall später wieder aufgeworfen werden, so müßten wir die Rechts frage zur Entscheidung bringen.

Die Sigung unterbrochen, nachmittags Saarentfcheidung.

Es ist deshalb notwendig, noch einmal mit aller Deut­lichkeit zu zeigen, worauf es eigentlich ankommt. Die Be­gründung zu dem Regierungsentwurf erklärt, daß eine Not­regelung nicht das geltende Arbeitszeitrecht völlig umftürzen Dagegen wenden sich jedoch die Gewerkschaften aller Rich­Dagegen wenden sich jedoch die Gewerkschaften aller Rich­tungen. Der von ihnen gemeinsam ausgearbeitete Ent­murf eines Notgefeßes zur Verfürzung der Arbeitszeit will eine gründliche Abtehr vom geltenden Arbeitszeit­recht. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat die Be rechtigung dieser Forderungen sofort anerkannt und den Ent­wurf im Reichstage eingebracht. Die bürgerlichen Parteien werden also Farbe bekennen müssen.

Der Kern dieser Forderungen besteht darin: d 1. daß durch die Streichung des§ 3 der geltenden Arbeitszeitverordnung der Arbeitgeber nicht mehr an dreißig Tagen im Jahre Mehrarbeit bis zu zwei Stunden täglich verrichten laffen kann;

2. daß durch Streichung des§ 5 der geltenden Arbeits­zeitverordnung die Möglichkeit beseitigt wird, durch Tarifvertrag ganz allgemein eine regelmäßige tägliche Arbeitszeit bis zu 10 Stunden zu vereinbaren.

Diese gefeßliche Vorschrift ist die Grundlage für die Schlichtungsbehörden, im Schlichtungsverfahren ihre berüch tigten Schiedssprüche mit den langen Arbeitszeiten überhaupt fällen zu fönnen und ihre Anerkennung durch Verbindlich­teitserklärung zu erzwingen. N

Nur die Streichung des§ 5 tann diesen Mißstand be­feitigen;

3. daß durch die Streichung des§ 6 der geltenden Ar­beitszeitverordnung auch den Behörden die Möglich­feit genommen wird, überall dort, wo feine Berlängerung der Arbeitszeit durch Tarifvertrag erfolgt ist, diese Ber längerung durch behördliche Genehmigung zuzulassen.

Der§ 6 ist aber eine Art wirksame Ergänzung des§ 5. Funktioniert die Verlängerung der Arbeitszeit nicht auf dem Wege des Tarifvertrages, dann treten die Behörden in Funktion.

Auch diese Bestimmung muß natürlich beseitigt werden, soll der Achtstundentag gesichert sein.

4. daß die Straffreiheit bei Annahme sogenannter freiwilliger Mehrarbeit(§ 11 Abs. 3) aufgehoben wird. Es soll damit erreicht werden, daß die Innehaltung des Acht stundentages auch strafrechtlich gesichert ist.

Bon diesen entscheidenden Forderungen erfüllt der Re­gierungsentwurf des Bürgerblods feine einzige, denn im Rahmen seiner Borschläge ist die vorgesehene Aufhebung des § 11 Abs. 3 praktisch nicht so bedeutungsvoll, weil ja nach wie Dor zugelassen bleibt, auf dem Wege des§ 5 oder 6 ben 3ehnstundentag zu erreichen, nötigenfalls tann durch behördliche Genehmigung sogar eine Ueberschreitung dieser Arbeitszeit zugelaffen werden. In all diesen rechtlich zulässigen Fällen einer Verlängerung der Arbeitszeit ist natürlich auch Bestrafung ausgeschlossen. Es zeugt von der ungeheuren Borniertheit des deutschen Unternehmertums, daß ihnen all das nicht genügt und sie auch straffrei bleiben wollen bei Arbeitszeiten, die noch darüber hinausgehen. Der Regierungsentwurf will den§ 5 überhaupt nicht ändern. Die nach§ 6 zulässige Verlängerung der Arbeitszeit durch behördliche Genehmigung soll sich bei abgelaufenen Tarifverträgen im Rahmen der hier bisher vorgetragenen Arbeitszeit halten, vorausgefeßt, daß der Tarifvertrag feit nicht mehr als drei Monaten abgelaufen ist. In allen übrigen Fällen fönnen die Behörden bis zu zehn Stunden täglich genehmigen, mit der Maßgabe, daß ein angemessener Zu­schlag gezahlt wird. Liegt teine Bereinbarung darüber vor, bann gelten 25 Broz. als angemessen. Kommt über die Berechnung des Zuschlags feine Einigung unter den Be­teiligten zustande, so entscheidet darüber die zulaffende Be­hörde endgültig.

Die Angestellten und Lehrlinge sind von dieser Regelung überhaupt ausgeschlossen. Diese Aus nahme wird damit begründet, daß für Angestellte und Lehr­linge eine derartige gefeßliche Vorschrift nicht geeignet er­scheint, da die stundenweise Berechnung der Mehrbezahlung häufig Schwierigkeiten verursachen würde. Man sieht, die Regierung des Bürgerblods ist um Ausreden nicht verlegen.

Diese Berbesserungen" werden tompensiert durch eine Berschlechterung des§ 9. Die Regierungsbegründung er flärt, daß die strengere Nachprüfung der gesetzlichen Voraus fegungen es ermögliche, die Ueberschreitung der 3ehn. stundengrenze fünftig auch für die Gewerbezweige zuzulassen, in denen fie nach dem Wortlaut des§ 9 zurzeit überhaupt nicht möglich ist, nämlich für den Steinfohlenberg­bay unter Tage und die sonstigen Gewerbezweige, die der