Reichsarbeitsmittister nach§ 7 als besonders gesundheitsgefährlich bezeichnet hat. Also: erst stellt der Reichsarbeits- minister die besondere Gesundhcitsgefährdung fest und dann wird zur Förderung der Gesundheit die Uebcrschreitung des Zehnstundentages genehmigt. So sehen die Absichten der Bürgerblockregierung aus. Hinter den Kulissen wird jetzt verhandelt, ob nicht für alle Mehrarbeit, sei es durch Tarifvertrag oder behördliche Ge- nehmigung, ein Zuschlag zu zahlen ist. Auch das trifft, wie wir gezeigt haben, nicht den Kern der Dinge. Die Kundgebung der gewerkschaftlichen S�itzenverbcinde hat mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß die Verkürzung der Arbeitszeit die Vorbedingung für die Rückführung des Arbeitslosenheeres in die Betriebe ist. Das aber kann nur erreicht werden durch die von der sozialdemokra- tischen Reichstagsfraktion eingebrachten Vorschläge aller Gewerkschaften. Her mit dem gesetzlich gesicherten Achtstundentag! Das ist das Gebot der Stunde.
Rechtsblock für Mieterhöhung. Tie Beibehaltung der Friedensmiete abgelehnt. Sofort nach dem Bekanntwerden der geplanten Verordnung der Reichsregierung über die Erhöhung der Friedensmiete um 10 Pro,;. am 1. April und weitere 10 Proz. am 1. Oktober hat die sozial- demokratisch« Reichstagsfraktion den Antrag gestellt, die bisherige Friedens miete auf ein weiteres Jahr bis zum 31. März 1028 beizubehalten. Der Reichsrat hat jedoch der Per- ordnung der Reichsregierung zugestimmt. Auch im Wohnungs ausf chuß des Reichstages, in dem der sozialdemokratische Antrag am Freitag beraten wurde, ist es nicht gelungen, eine Mehrheit gegen die Mieterhöhung zu erreichen. Der sozialdemokratische Aulrag wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. Kommunisleu, Demokraten und völkischen abgelehnt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß im Stcuerausschuß des Reichstages, den das Problem im Zusammenhang mit den Beratungen über den Finanzausgleich ebenfalls in den nächsten Tagen beschäftigen wird, ein anderer Standpunkt eingenommen wird. Die Reichsregierung dürste ilifmge dessen ihre Verordnung bekanntmachen, so daß mit der er- höhten Miete ab 1. April gerechnet werden muß. Wie die Mieterhöhung um 10 Proz. verwendet wird, ist noch nicht bestimmt. Obwohl die Möglichkeit besteht, durch die R e i ch s gesetzgebung den Ländern die Verwendung des erhöhten Mieteteils vorzuschreiben, lehnt die Reichsregierung eine solche Maß- nähme ab. Die Länder wollen in der Verwendung der erhöhten Miete frei sein und die Reichsregierung beugt sich ihrem Willen. Wenn auch anzunehmen ist, daß z. B. in Preußen von der Ivprozentigen Mieterhöhung etwa 8 Proz. für den Wohnungsbau verwendet wird, und 2 Proz. für Soziolausgaben, so ist doch in anderen Ländern mit einer Begünstigung des Haus- b e f i tz e s und einer wenigstens teilweise» Verwendung zu allge- meinen Verwaltungszwecken zu rechnen. Die Befürchtung also, daß der Rechtsblock sich als ein B e s i tz b ü r g« r b l o ck erweisen wird» ist jetzt bereits bestätigt. Der Hausbesitz wird begünstigt, die Mieterschaft benachteiligt. Und zwar gerade diejenigen Mieter am meisten— Kleinrentner. Mittelständler, Gewerbetreibende und freie Berufsangehörige—. die die geringsten Möglichkeiten zum Schutze ihrer Lebenshaltung gegen die Mietsteigening haben.
Atter und Sorftg. Wer war Hitlers Gönner? Der völkische Abgeordnete Jürgen v. R a m i n hat, wie bekannt, öffentlich erklärt, daß Hitler von großindustriellen Gönnern Geld und Instruktionen erhallen habe. Das„Berliner Tageblatt' hatte dazu festgestellt, daß es sich bei einem der Großindustriellen um Herrn v. B o r s i g handele. Jetzt veröffentlicht Herr v. B o r s i g in der gleichen Zeitung eine Zuschrift, wonach er im Jahre 1921 oder im Frühjahr 1922 zweimal mit Hitler zusammengetroffen ist. einmal
anläßlich eines Vortrags, einmal zu persönlicher Unterredung über die arbeitsfriedlichen Ziele Hitlers :„Später habe ich keinerlei Verbindung mehr mit Herrn Hitler gehabt, insbesondere habe ich mich in keiner Weise seiner späteren auf politischem Gebiet liegenden Betätigung angenommen. Davon, daß ich der„Gönner" der Hitlerschen Bewegung oder gar, wie der„Vorwärts" behauptet, „ihr Geldgeber" gewesen sei, kann gor keine Rede sein." Man wird nun abwarten müssen, wie Herr v. Ramin den aus- drücklich angebotenen Beweis für seine Behauptungen erbringen wird. Interessant ist es ober auch in diesem Falle festzustellen, wie leicht der Führer eines großindustriellen Werkes und der Arbeit- gebervereinigung einem ausgesprochenen Putschisten persönliche Rücksprachen gewährt, wenn dieser nur mit arbeitsfriedlichen und nationalistischen Phrasen um sich wirft. Dieser Mangel an Menschenkenntnis findet sich ja nicht nur in Berlin , son. der», wie die Affäre Domela gezeigt hat, auch anderwärts. Und diese Art„Wirtschaftssührer", die ihre Unfähigkeit zur Beurteilung von Schwadroneuren so eklatant beweist» verlangt von der Arbeiter- schaft Vertrauen in ihre überragend« Lcitnng! * Di« Firma C. B e ch st e i n teilt uns mit, daß der völkische Herr Edwin Bechstein vor längerer Zeit wegen seiner politischen Tätigkeit aus dom Geschäft„abgefunden", d. h. herausgesetzt worden ist. Alleiniger Inhaber dar Pianofortefabrik ist Herr Carl Bechstein , der jeden Zusammenhang mit politischen Bestrebungen des gleichnamigen Edwin entschieden in Abrede stellt. Die Mitteilung erfolgt auf einem Briefbogen. In dessen Kopf sich die Fabrik als „Hoflieferant" bezeichnet und mehr als ein Dutzend gekrönte oder abgefundene Fürftennamen zu Reklamczwecken aufführt.,.
Anschlag gegen üie Sauernorgaaisationen. Fälschung und Diebstahl im Dienst des Landbunds. Der Reichslandbund hat, um den Deutschen Bauern- b u n d zu sprengen, dessen Vorstandsmitglied Hackbarth mit hohen Gehaltsoersprechungen bewogen, sich von der Organisation zu trennen und unter Bedrohung anderer Geschäftsführer den An- fchluß an den Landbund zu propagieren. Hackebarth hatte dazu eine vom Landbunde finanzierte, gefälschte Sondernummer des Organes„Deutscher Bauernbund" herausgegeben und an die widerrechtlich angeeigneten Adressen zum Verfand gebracht. Wie sich jetzt herausstellt, ist das Kopfklischee der Zeit- schrift„Deutscher Bauernbund" aus der Hauptgeschäftsstelle ent- wendet und in einer deutschnationalen Druckerei in Stendal für den Druck dieser Sondernummer zugerichtet worden. Dieses Klischee ist jetzt mitsamt den entwendeten Listen der Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Bauernbundez durch Einschreiben von Hackbarth zurückgesandt morden. Damit ist bestätigt. daß das Klischee durch einen dreisten D i e b st a h l in die Dienste des Landbundes gestellt ist. Offenbar ist die Uebersendung des Klischees und der Listen auf Grund der Maßnahmen erfolgt, die im Zu- sammenhong mit der strafrechtlichen Verfolgung unternommen worden sind. vorüerEntscheiüungüberüieKanalprobleme Der Haushalt des Berkehrsministeriums. Der heute, Sonnabend, im Ausschuß für den Reichshaushalt beginnenden Beratung des Etats des Reichsvertehrs- Ministeriums kommt in diesem Jahre erhöhte Bedeutung zu, weil in dieser Beratung die Entscheidungen über die verschiedenen schwebenden Kanalfragen fallen werden, die wirtschaftlich und finanziell für die Zukunft Deutschlands von größter Bedeutung find. Das Reichsoerkchrsministerimn ist eines der wenigen Ministerien, das über größere eigene Einnahmen verfügt. Aus Kanal- abgaben, Schleppgebühren, Lotsengeld, Miet- und Pachtzinsen und ähnlichen Quellen bezieht es Einnahmen von 30 Millionen Mark. Trotzdem erfordert es noch einen Zuschuß von 254 Millionen. Dem Ministerium unterstehen eine Reihe größerer und kleinerer Rcichsbehörden, wie die Seezeichenverwaltung, die deutsche See-
warte, das Reichskanalamt, der Reichswasserschutz und ander«. Große Teile der fortdauernden Ausgaben entfallen auf die Bcr- waltung der am l. April 1921 auf das Reich übergegangenen Wasserstraßen der Länder(rund 62 Millionen) und aus Bewilligungen zur Förderung wissenschaftlicher und allgemcinwirtschaft- licher Zwecke auf dem Gebiet des Lust- und Kraftfahrwesens(rund 17 Millionen). Für einmalige Ausgaben verlangt das Ministerium ein« Summe von ruird 66 Millionen, darunter 28 Millionen zur För°> derung der dem regelmäßigen öffentlichen Berkehr dienenden Luft- fahrtunternehmungen und für 600 000 Mark für Vor- und EM- Wurfsarbeiten zur Prüfung der Bauwürdigkeit des Hanfa-Kanals. Im außerordentlichen Haushalt werden 40 Millionen Mark zur Fortsetzung des Baues des Mittellandkanals östlich Hannover einschließlich des mit dem Bauzweck im Wirtschaft- lichen Zusammenhang stehenden Grunderwerbs und für Vor- arbeiten und Bauausführungen am Südfliigel oder Beteiligung des Reichs an einer oder mehreren für die Fortsetzung des Baues zu bildenden Gesellschaften verlangt. Bei Uebernahme der Wasser- strahen hatte die Reichsregierung mit den Ländern Preußen, Sachsen . Braunschweig und Anhalt eine Vereinbaning getroffen, in der sich das Reich verpflichtet, diesen Mittellandkanal baldigst zu voll- enden, soweit die finanzielle Lag« des Reichs dazu die Möglichkeit bietet. Bei Annahme einer Ueberteuerung von 30 Proz. gegenüber dem Kostenanschlag erfordern die noch nicht in Angriff genommenen Strecken des Mittellandkanals 448 Millionen. Von dieser Summe entfallen auf den Hauptkanal von Peine bis Burg mit Elb- Überführung und Zweigkanälcn 273 Millionen, auf die Verbindung mit dem Wirtschaftsgebiet der oberen Saale (Südflügel) 175 Mi- ionen. Zwei Drittel dieser Beträge, nämlich 182+ 117— 299 Millionen, hat nach den Vereinbarungen das Reich zu tragen, während der Rest von den Ländern aufzubringen ist. Das Reichsverkehrsministerium verfügt Wer ein Personal von 1985 Beamten, 2876 Angestellten und 1903 Arbeitern. Unter den Beamten befinden sich 1711 planmäßige Beamte, 135 Diätare uM> 139 WartegSldcmpsänger,
Das heilige Eigentum. Der Privatbesitz geht vor daS Gemeinwohl! Der 29. Ausschuß des Preußischen Landtags , der den Entwurf eines Städtebougesetzes zu beraten HM, war dieser Tage zur sachlichen Beratung des ersten Abschnittes des GefetzeMwurfes: Flächenaufteilungspläne zusammengetreten. Die ausge- dehnte Debatte spitzte sich immer mehr auf die Eutschädigungsfrage zu. Der Gesetzentwurf sieht eine Entschädigung nur bei Enteig- n u n g von Grundstücken vor, die Rechtsparteien fordern eine Ent- fchädigung auch dann, wenn Grundstücke durch Flächenoufteilungs- Pläne in ihrer Nutzung beschränkt werden. Eine solche Entschädigungspflicht besteht nach den geltenden rechtlichen Bestimmungen nicht. Die Staatsregierung steht auf dem Standpunkt, daß in der Entfchädigungspflicht keinesfalls über die bisherigen Bestimmungen hinausgegangen werden soll. Dem schlössen sich auch unsere Genossen im Ausschuß an. Von der Wirtschaftspartei wurde verlangt, daß, eh« in die Ein» zelberMung des Gesetzentwurfs eingetreten werde, der Ausschuß b» schließen soll, daß bei jeder Nutzungsbeschränkung, welch« sich aus der Einführung der Flächenaufteilungspläne ergibt, volle Entschädi- gung zu gewähren ist. Die Rechtsparteien erklärten, grundsätzlich mit dieser Forderung einverstanden zu sein; nur hielten sie diese Form der Beschlußfassung nicht für richtig. Das Zentrum konnte sich zu einer strikten Ablehnung dieser Entschädigungspflicht nicht aufschwingen. Und so wurde es den Rechtsparteien möglich, mit Hilfe des Zentrums einen Beschluß durchzudrücken, daß er st die Entschädigungsfrage gc- regelt werden soll, ehe die Weiterberatung des Gesetzentwurfs stattfindet. Darauf beschloß der Ausschuß, die Verhandlungen für heute abzubrechen, damit die einzelnen Fraktionen des Ausschusses zu der veränderten Sachlage Stellung nehmen können.
Eövarö Münch. Von Dr. Paul F. Schmidt. Heute mittag ist die große Munch-Ausstellung eröffnet worden, die sämtliche Räume des.Kronprinzenpalais" füllt. Die Eröffnungsrede hielt nicht der um Münch Verdienteste, der Direktor des Osloer Museums Jans Thiis, sondern unser Kultusminister. Dos Verdienst an dieser außerordentlichen und schwierigen Unternehmung gebührt wie immer Ludwig Iusti. dem sein Kustos Thormählen mit Hingabe und Aufopferung zur Seite stand. Ohne den Idealismus solcher Männer(für deren Wirken wir lieber Dank bezeugen sollten, statt, wie es in manchen Kunstschriften und Akademien geschieht, ihnen Knüppel in den Weg zu schmeißen) würde niemals ein« Ausstellung wie diese zustande kommen. Es handelt sich hier nun allerdings nicht um deutsches Kunst- leben, fondern um Edvard Münch. Aber wer gehörte jenem mit tieferer Beziehung an als der größte Maler Skandinaviens ? Niemals dürfen wir vergessen, wie er vor 35 Jahren von der Berliner Künstlerfchast behandelt worden ist, die ihm, nach wenigen Tagen Skandals ohnegleichen, das Gastrecht in roher Form aufsagte und seine unsterblichen Werke aus dem Ausstellungshaus entfernte. Zwar find in dem verflossenen Menschenalter in Deutschland viele Dinge geschehen, die ihm Genugtuung für die Schmach des Künstler- v-reins boten, von der Ausstellung feines„Lebens-Friefes" 1902 bis zu Schieflcrs und Glasers Büchern über ihn und der schonen Ausstellung der Mannheimer Kunsthalle im vergangenen Herbst (deren Bestände ein Drittel der hiesigen bilden). Die wahrhaft gründliche Satisfaktion aber hat Münch erst jetzt durch die National- galsri« erhalten. Denn eine so umsassende Ausstellung seines Lebenswertes(von 1880 bis 1926) ist noch niemals dagewesen, und sie ist nur zu vergleichen mit den mächtigen Ehrungen Hans Thomas und Lovis Eorinths a» derselben Stelle, und mit der, Berlin leider vorenthaltenen, Geiamtschau Emil Noldcs, die eben jetzt in Dresden annähernd die gleiche Zahl von Bildern der Oeffent- lichkeit darbietet. Es ist ebenso verlockend, Münchs Werk mit dem Noldes zu »«rgleichen und ihrer beider Bedeutung für uns zu beschreiben, wie es unmöglich ist, allein schon aus Rücksichten des Raumes. Denn es müßte richtigerweis« eine Broschüre geben und die ganzen Be- Ziehungen der Kunst zu unserem Leben und beinah« auch die uns wesentliche Kunstgeschichte(nämlich unlerer Epoche) entHallen. Wir wollen uns darauf beschränken, anzudeuten, was den Besuch dieser in jedem Sinne überwältigenden und herrlichen Schau auch für den der Kunst ungewohnten Menschen durchaus lohnt und zur Rot- wendigkett macht. Zunächst ist hier die Vorstellung des heldischen Mannes als eines sitttichen Vorbildes anschaulich zu erleben. Ein Held unserer Zeit ist mit Notwendigkeit Zivilist. Die Zivilcourage dieses, jähr- zehntelang von aller Welt verhöhnten Malers unserer Nöte steht über allem Zweifel erhaben. Wir wüßten keinen großen Künstler seiner Zeit, der so tapfer und unumwunden die Wahrheit gegen eine Walt von Widersachern behauptet hätte. Unter den Malern ist ihm nur die tragische Gestalt van Goghs zu vergleichen,
Das Evard Münch seine Rechtfertigung und mit ihr seinen Ruhm erleben durste, weil er alt genug wurde— ist das nicht viel- mehr ein Zeichen seiner ausrechten Tapferkeit als des einmal richtig tappenden Glücksgolles? Man braucht nicht„Heldenocrehrung" zu treiben, um die unermeßlichen Kräfte zu bewundern, die diesen Streiter durch Widrigkeiten zum Siege führten. Denn der Sieg, und das ist die zweite und wichtigste Lehre aus dieser Versammlung großer Kunstwerke, galt nicht einer Kunstform oder einem beliebigen Prinzip: er gall der Wahrheit über den modernen Menschen schlechthin, der psychologischen Erkenntnis. Was die Dichter seiner Frühzell, voran Ibsen und»trindberg. in Dramen niedergelegt haben, deren Vergänglichkeit heute außer allem Zweifel steht, hat der größere Künstler Münch zu dauernden Symbolen ge- formt. Man muß au große Maler der Vergangenhell denken, um dies Verhältnis richtig zu verstehen. In Dürer » und Grunewalds Bildern kristallisierte sich die Religiosität des Mittelalters, deren Schriftwerk uns«licht mehr anspricht: Rubens vermittelt uns die geistige Haltung des Absolutismus mit der gleichen Unmittelbarkeit wie Rcmbrandt die Weltfrömmigksit Spinozas, den heute nur noch die wenigsten zu lesen wissen. So und mit dem gleichen Verhältnis der Ausdrucksstärke und Zugänglichkeit wird Edvard Münchs Lebenswerk späteren Jahrhunderten lebendiges Zeugnis ablegen von den seelischen Kämpfen um sozial«, sexuelle, psysische Freihett in unserer Epoche, wenn unsere Dichter verschollen sein werden. Schon heut empfinden wir die größere Unmittelbarkeit seiner bildhasten Darstellung gegenüber den Oifeiibarungen des geschriebenen Wortes. Nie ist Münch ein Propagandist irgendwelcher Lehre der Gegen- wart wie Strindberg oder Hauptmann: und nichts ist verkehrter, als seine Bilder„literarisch" zu schelten. Unendlich höher aber steht das Problem der menschlichen Seele, die von all den geistigen Frage- stellungen der Zeit erschüttert wird. Deren Nöte hat er gemalt und einfache und verständliche Symbole daraus geschaffen. Wie� umfassend seine Seele fühlt und sein Geist denkt— in Gleichnissen denkt—, beweist die fabelhafte Spannung in seinem Gesamtwert, zwischen dem feststellenden Monismus der frühesten Impressionen des Zwanzigjährigen, zwischen dem Dunkel seiner Verzweiflungen in den 90er Jahren, dos strindbergisch gequäll und wellschnierzhast tief aus Schopenhauerschen Erkenntnissen dringt. — und der lichten Bejahung der körperhaften Sonnenseligkeit in den letzten Jahren. Der ewige Kampf zwischen dem Traum der ver- stoßenen Seele und dem Glücksoerlongen des blühenden Lebens hat Gestalt gewonnen, symbolisch gesteigerte Form in der Arbeit von vierzig Jahren, in denen Münch den Kampf der Generationen um Seelen- oder Sinnenglück stärker erlebt als irgendein anderer. Denn soviel ersehen wir aus feinem hier gewalliz ausgebreite- ten Wert, daß ihm die Darstellung d«r Seelenproblematil um 1890 nur«ine erste Stufe bedeutete. Daß Münch nicht nur der gewallige Begründer der nordifch-deutschen„Ausdrucks kunst" ist, sondern auch der Führer zu neuen Idealen. Die Werke des Sechzigfährigen sind Hymnen auf die Herrschaft des gesunden Körpers und eine heiter genossene Natur. Sie deuten eine optimistischere Lösung des Mensch- heitsproblems an und eine Absage an den tiefen Pessimismus seiner Jugend. Diese Wandlung des großen Malers läßt uns Hoisnung auf eine Erneuerung der europäischen Menschheit: denn der Künstler ist Prophet semer Zell,
Die Franzosen im..Theater de» Westens". Der Unstern, der die französischen Schauspieler in das Theater des Westens geleitet hatte, ist noch nicht erloschen. Die Pariser Künstler täuschen sich weiter vollkommen über das, was sie in Berlin zeigen sollten und dürften. Jetzt, da sie nach dem romantischen Müsset die mo- dernen Dramatiker spielen wollen, zeigen sie uns auch noch ein antiquiertes oder wenigstens ein nebensächliches Theater. Sie ent- hallen uns mit Befllssenheit alles vor, was uns innerlich anpacken oder wenigstens äußerlich erregen könnte. Die kleine Salonplauderei von Edmond See , die„Das Flämmlein" betitelt ist, und die ganz niedlich die Schliche der gewandten Liebeskünstlerin entlarvt, reicht nicht aus, um uns witzig anzukitzcln. Es verpulvert aller Geist, obwohl die Franzosen ganz leidlich ihren Text herunter- reden. Auch das bäuerliche Volksstück„B l a n ch e t t e" von B r i e u x, das die schlechten Folgen des Hochmutes beweist und die in Aufgeblasenheit verfallend« Bauenllochter in den Hafen einer robusten Ehe als reuige Sünderin zurückführt, reicht nicht aus, damit wir aus unserer alltäglichen Mißstimmung herausgerissen werden. Nun wollen wir nur noch das große romantische Ritterschauspiel „Ruy Blas" ansehen. Vielleicht, daß der herrliche Schwung des Victor Hugoschen Wortes die durch ihr Mißgeschick sicher behinderten Künstler zu unoerhofftem Sturm befeuert. M. 5). Eine neue Forschungsreise Sven Hedin ». Nach Verhandlungen. die mehrere Monate gedauert haben, hat Sven Hedin die Zustim- nnmg der chinesischen Regi«rung zu seiner geplanten neuen Expedi- tion nach Zentralalien erhalten. Gewisse wissenschaftliche und päda- gogische Organisationen Chinas hallen bis jetzt diesem Plan Widerstand geleistet mit der Begründung, daß eine solche Expedition China seiner historischen Altertümer und Kunstschätze berauben werde. Sven Hedin gab die Versicherung ab. daß er' rein wissen- schaftliche Ziele oerfolge, und die chinesisch« Regierung hat sich nun. mehr über die Absichten des Forschers für beruhigt erklärt und die gewünschte Zustimmung erteilt. Erstaussührunzen der Woche. INUt«. K animersblele:„Toni" Donnerst ZSalln-r-TH.:.Küiie in der Nacht«. T h. i. d. Lilbowftr.- „Die Frau ohne Mann".- Arrit. S ch a afp i«lh a u»:.«in besserer Herr�.TH. d. Westen»: Grotze Schwarz-Revue'.— Sonnab. Tb. am Schiffbau erda m rn;„Tragödie der Liebe".— Sonnt. Th. i. d. Kloster- stratze:„Die Siebzehnjährigen-.
Hertha vehmlow wlld beim letzten Bortrag von Leo Kestenbcrg über „Bee Hovens Lieder und Sesänge- am lt.. abends L Uhr. im Bürger. ,,,, Rathauses u.a.„In questä tornba",„Andenken-, .Ame LitM, neues Leben-,„Ich liebe dich-,„Mit ewem gemalten Band-, zm» Vortrag bringen. Karten an der Abendkasse. StosSÄ S' tt5ffnel«--lekiiv.