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Abendausgabe

Nr. 12944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 64

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Vorwärts

Berliner Dolksblaff

10 Pfennig

Donnerstag

17. März 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Die Reichswehr als Angeklagte.

Die Verteidigung im Fememordprozeß beschuldigt die Reichswehrleitung der Anstiftung und Begünstigung.

lion den Edelt festzunehmen und abzuliefern. Staatsanwalt Lesser: Wer hatte Ihnen bei der Division den Auftrag hierzu erteilt? Angefl. Budzinsky: Ich hatte von Hauptmann Reiner dazu den schriftlichen Befehl bekommen. Staatsanwalt effer: Bei Edelt ist ein Brief des Leutnants Reichelt von der Infanterieschule Potsdam gefunden worden, in dem sich der Bermert befindet:

Jch erinnere Sie an das beschworene Schweigen."

In Moabit ist es heute vormittag zu einer Ermann auf dem Polizeirevier, um im Auftrage der Divi­plosion gefommen. Die Verteidigung der Feme­mörder, die nicht mehr, hinter verschlossenen Türen wie vor der Bombekammer und öffentlich vor dem Landsberger Ge­richt, in ,, nationalen" Tönen schweigen tann, die zum ersten mal erleben muß, daß mit einiger Konsequenz die Fäden der Feme in der Schwarzen Reichswehr aufzudecken versucht wird, diese Bertsdigung verliert plöglich ihre Nerven. Sie hat ganz offen ausgesprochen, daß die eigentlich Schuldigen an den Blutgerichten nicht die Angeklagten, fondern leitende Reichswehroffiziere feien, die in jener Zeit auch die Schwarze Reichswehr betreuten. Sie hat, ein bisher unerhörter Vorfall, den als Zeugen an wesenden Hauptmann Rainer vom Wehrfreis III offen beschuldigt, daß er eigentlich mit auf die An flagebant gehöre!

Diese Beschuldigung ist nicht von ungefähr. Aus foge­nannten nationalen Gründen haben die gleichen Verteidiger bisher in all den Fememordprozessen dafür gesorgt, daß die ,, niederen" Teilhaber an den Morbtomplotten verurteilt wur­ben, die Schwarzen Offiziere. aber frei ausgingen. Jetzt im Wilms- Prozeß, dem letzten seiner Art, wird zum ersten Male von der Berhandlungsleitung mit einer erfrischenden Rück fichtslosigkeit der nationale Schleier beiseitege choben und die blutige Frage des Mordgefellentums in ihrer Blöße enthüllt. Die deutschnationalen Berteidiger ge raten darüber aus dem Häuschen. Noch im letzten Augenblick versuchen fie, durch Knalleffette die Aufmertfamteit vom Kern der Dinge abzulenten. Mit der Drohung, die Ber teidigung niederzulegen und damit diese ganze Prozeßführung illusorisch zu machen, begann das Verzweiflungsmanöver; mit der offenherzigen Beschuldigung leitender Reichswehroffiziere wurde es fortgefeht und zunächst wenigstens soviel erreicht, daß heute die Verhandlung abges brochen und vertagt werden mußte. Es sollen zunächst mili= tärische Sachverständige vernommen und dazu die Genehmigung des Reichswehrministers eingeholt werden.

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rat Hahn: Reineswegs, denn Ihre Einstellung, Herr Bor­fihender, war ja foeben noch die, daß der Oberleutnant Budzinsky sich der Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat, als er befehlsgemäß einen Mann festnahm. Die von uns benannten Sachverständigen aber werden Ihnen sagen, daß alles das, was damals geschah und was sicherlich nicht rechtmäßig war, nicht auf die Schultern derer gelegt werben fann, die je gt auf der An­flagebant fißen, und der Schuldkomplex gegen Oberleutnant Schulz wird Ihnen dann auch in einem ganz anderen Licht er­ Der Borsigende

verlas darauf den Brief. Schulz: Das scheinen. R.-A. Bloch( ebenfalls erregt): Seit acht Tagen wird in Borgehen Reichelts mar natürlich eine Dummheit diesem Saale vom Gericht und von der Staatsanwaltschaft an ge­Auf Befragen der Verteidigung und des Vorsitzenden, ob öfters bermiffen Dingen geflissentlich vorbeigeredet. Ich betone im voraus: Es ist nicht unsere Schuld, wenn artige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Reichswehr ent standen seien, und was in folchem Falle zu geschehen hatte, erklärte Hauptmann Rainer, es sei immer darauf angekommen, was der betreffende Mann getan habe. An und für sich habe man ja bei einfachem Beglaufen teine Strafgewalt über ihn gehabt. Wenn er jedoch zur Ententefommission gehen wollte, wie dies wiederholt vorgekommen sei,

dann wäre jedes Mittel recht gewesen,

das zu verhindern. Vor allen Dingen hätte deswegen zuerst flar geftelt werden müssen, was für Absichten der Mann habe. Justizrat Hahn: Es war doch wohl so, daß zwischen dem Reichs: wehrminifterium und dem preußischen Innenministerium eine Ber: einbarung darüber bestand, was man wollte, daß bieles Gin­verständnis aber nicht bei den untergeordneten Stellen verhanden war. Hauptmann Rainer: Jawohl. Dazu war die Zeit für den Aufbau diefer Formationen zu furz gewesen. An und für fich war also das Bestreben Budzinskys richtig, ob auch fein Borgehen, laffe ich dahingestellt. Borf.: Sie finden das alfo nicht auffällig? Staatsanwaltschaftsrat effer: Sechs Wochen vorher hatte der Fall Pannier genau lo angefangen. Bannier hatte sich auch unter den Schutz der Bolizei gestellt und wurde dann auf Beranlaffung Stantiens zur Division anwaltschaftsrat Lesser: Jedenfalls wirft das ein Licht auch auf gebracht. R.-A. Bloch: Nicht auf Beranlassung Stantiens. Staats­diesen Fall und auf das Berhalten Umhofers.

Rainer: Mein.

Der Angeklagte Dr. Stantien gab bann eine Darstellung, weshalb Bannier von der Polizei abgeholt worden sei. Hauptmann Stainer erflärts Stantiens Borgehen für torreft.

Herr Geßler ist in diefem Augenblick durch einen Als die Verteidigung dann über diesen ganzen Fragentompler die Bernehmung des Oberstleutnant Held und des Hauptmanns Trauerfall in seiner Familie ihm ist der zweite und Rainer als Sachverständiger verlangte, mies die Staatsanwalt lette Sohn plöglich verstorben wahrscheinlich wenig in schaft darauf hin, daß hierfür erst die Genehmigung des Stimmung, sich mit diesen Dingen persönlich zu beschäftigen. Reichswehrministeriums eingeholt werden müffe. Das Er hat aber im Reichstag offen zugesagt, daß nichts vergab zu großer Entrüstung auf der Berteidigerbank Anlaß, da heimlicht und verfuscht werden solle. Wir zweifeln man hier angenommen hatte, daß Sachverständige geladen feien. deshalb nicht daran, daß er auch die Genehmigung zur Aus- 3eugen, jonbern auch als badge biele beiden Offiziere nicht nur als fage als Sachverständige allen Offizieren geben wird, die Justizrat Hahn: Ich beantrage, die Verhandlung abzu dazu vorgeschlagen und genannt sind. Selbst wenn einige brechen und sofort die Genehmigung des Reichswehrminiſters ein­und Budzinsky in diefen Fällen als Offiziere Schwarzen Behinderung an der Aussage nicht die Bereinigung des Reichswehr traft ihres Amtes gehandelt haben. Rechtsanwalt Schandfledes hinausgeschoben werden, den die Schwarze Bloch: Ich schließe mich diesem Antrage an, zum Beweise da Reichswehr mit all ihren Begleiterscheinungen in der Ge- für, daß schichte unseres Bolles darstellt.

dieſer Offiziere mit schuldig fein follten, barf burch ihre

das Bifier jetzt endlich gelüftet werden muß. Ich bedauere, daß ich das Herrn Hauptmann Rainer ins Gesicht lagen muß, mas jegt folgt:

Wenn man fchon Leute auf die Anflagebant feht, die für die Borgänge im Jahre 1923 büßen follen, warum sitt dann Hauptmann Kainer nicht neben Oberleutnant Budzinsky? ( Große Bewegung im ganzen Saale .) Wir haben es bisher in allen Prozessen erleben müffen, daß man auf die Schultern der Angeklagten, der untergeordneten Persönlichkeiten, der Opfer anderer Leute die Schuld välzen will, die in Wirt­lichkeit doch ganz andere Leute trifft. disse

Aber auch ich erfläre: Wir paftieren nicht länger mit diesen Herren.( Große Bewegung.) Erster Staatsanwalt Rombrecht: 3ch protestiere bagegen, daß die Staatsanwalt schaft an den Dingen bisher vorbei geredet hat. Hauptmann Rainer bittet bann, von seiner Berfon nach den letzten Aus­führungen des Rechtsanwalts Bloch Abstand nehmen zu wollen. Nach turger Beratung beschloß das Gericht, als Sachverständige ben Oberst v. Od und den Oberfileutnant v. Sam merstein zu laben und fich die Bernehmung weiterer Sachverständiger vorzu­

behalten.

Leutnant Benn und Feldwebel Stein als Beugen aus der Haft Der Borsigende ließ dann die im Pannier- Prozeß verurteilten vorführen. Daraufhin verlangte jedoch die Berteidigung, daß diese Bernehmung in Gegenwart der vom Gericht nunmehr be nannten militärischen Sachverständigen und des Majors Buch­ruder stattfinden solle Diefe Forderung verursachte Schwierig feiten insofern, als Oberst v. Od Regimentstommandeur in Kolberg ist, von dort erft telegraphisch herbeigerufen merden muß und nicht vor morgen erscheinen fann. Der Borsigende legte daraufhin der Verteidigung nochmals nahe, auf diese Sach verständigen zu verzichten Da die Verteidigung auf diese An­lung abgebrochen und auf den morgigen Freitag früh Uhr regung nicht einging, mußte um 12 Uhr vormittags die Berhand­vertagt werden.

juholen. Es handelt sich für uns darum, ob Storien in margen Volksbeglückung auf Bajonetten.

die Auffaffung der legalen Reichswehr dahinging, Ceute, die von der Polizei feffgehalten wurden, zu ihren Arbeitskommandos zurückzubringen, um ihnen den Mund zu stopfen.

Das Aufbrausen und die Erregung der Verteidiger furz vor Abschluß des Prozesses ist mehr als verständlich. Sie wollen verhindern, daß die Angeschuldigten als gemeine Mörder verurteilt werden. Deshalb die Ablenkungsvers folgt eine erregte Debatte zwischen Staatsanwalt und fuche, deshalb das Herbeischaffen von immer neuen Zeugen, die bisher in der Berborgenheit geblieben waren. Der Staats­anwalt sollte sich überlegen, ob er diese plötzlich auftauchenden neuen Zeugen, die bisher ihre angebliche Wissenschaft geheim gehalten hatten, nicht nachträglich wegen Begünstigung Don Mordbuben zur Rechenschaft ziehen müsse. Auf jeden Fall darf man der Fortseßung der Verhand­fung in den nächsten Tagen mit noch größerem Inter effe entgegensehen als das bisher schon der Fall war.

Nach Eröffnung der Berhandlung beschwerte fich der Belastungs­zeuge Rentsch darüber, deß er von dem Zeugen Becker angepöbelt und, falsches Subjeft" beschimpft worden sei. Der Vorsigende Berwarnte dann Becker sehr ernstlich.

Dann ging das Gericht noch einmal auf den Fall der ver­fuchten Festnahme des A.- Mannes Edelt ein, der befanntlich auf nordnung des Oberleutnants Budzinsky bur Imhofer feilgenom­men werden sollte. Umbofer hat nach Aussage des Kriminalai ftenten Droschert erflärt, baß Edelt von der Reichswehr rocgen Fahnenfiucht und Berrates militärischer Geheimnisle sted. brieflich gesucht werde, und daß er ihn in die 3itabelle zu bringen habe. Der 3euge stellte jedoch feft, daß diese Angabe Um­hofers nicht stimmte. Daher hat der Zeuge Eckelt der Ab­teilung IA des Berliner Polizeipräsidiums augeleitet. Be' ter befundete Polizei ffiftent Dreschert, er habe einen Mann namens Meyer von der Technischen Nothilfe vernommen, der aus­fagte, daß Budzinsky ihn gebeten habe, den Edelt festzunehmen, falls er zu ihm fommen sollte. In diesem Falle sollte Meyer Budzinsky unter dem Stichwort Seelenachse" in der Zitadelle anrufen.. Am Tage nach der Einlieferung des Edelt in das Polizeipräsidium

jei dann

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ein Leutnant mit 10 Mann

getommen der Beuge glaubte, daß es Budzinstn gewesen fei­um Edelt abzuholen. Angefl. Budzinsky: Ich war mit zwei

Betrogene Betrüger.

Bon der italienischen Grenze wird uns gefchrieben: Jebe Diftatur muß aus der Phase der gewaltsamen Er­cberung in die der Wolfsbeglüdung überzugehen suchen; am dringendsten ist diese Notwendigkeit natürlich für eine Diftatur, die ein demokratisches Regime abgelöst hat. Berteidigung. Erfter Staatsanwalt Rombrecht: Wir stemmen Es figt fich bekanntlich ungemütlich auf Bajo­uns ja nicht geçen die Bernehmung der genannten Herren, wir vernetten. Freilich hat sich der Faschismus von Anfang an fangen nur, daß die Genehmigung des Reichswehrminifteriums vor auf die Spige der Bajonette ein dices und breites her ordnungsmäßig eingeholt wird, damit hier teine Revisions Riffen fapitalistischer Interessen gelegt. Aber Italien ist gründe geschaffen werden. u arm, um einer Blutofratie eine langjährige Herrschaft zu fichern. Eine auf Entrechtung der Arbeiterschaft gegründete Vorherrschaft des Kapitalismus und der Hochfinanz wird in einem Lande mit geringen Rapitalien und ge­ringer Entwicklung der Industrie notwendig parafitär, und die italienische Volkswirtschaft hat nicht, wie etwa die der Ber­einigten Staaten, die Möglichkeit, eine breite Schicht von Schmaroßern fett zu machen, ohne langfam an Ent­fräftung zugrunde zu gehen.

Justizrat Hahn: Ich habe den Standpunkt der Regierungs­stellen, des Justizminifteriums und des Gerichts, in aller Deffentlich. feit zu verhandeln, bisher afzeptiert.( Erregt): Aber wie sieht es denn in der Praxis aus. Als nut das Wort Ruhreinfall" hier fiel, da bremste man von allen Seiten ab.( In hoher Erregung):

Ich verteidige in diefem Saale nicht einen Schriff weiter, wenn das Gericht nicht einen Beschluk herbeiführt, die genannten Herren als Sachverständige zu hören. Sie sollen die Dinge fagen, wie fie gewefen sind, die, die es angeht, damit es hinterher nicht heißt, die Berleidigung habe Landesverrat getrieben. Staatsanwalt effer: Jch widerspreche der Bernehmung des Oberstleutnants Held und des Hauptmanns Stainer; wenn das Gericht Sachverständige für notwendig hält, fo möge man nicht die von der Berteidigung vorgeschlagenen Difiziere hören. Das Reichs mehrministerium hat uns den Oberst v. Hammerstein vorge fchlagen, der diefe Dinge ganz genau fennt, der aber als Zeuge nicht in Frage fommt, da er mit den zur Berhandlung stehenden Straj taten gar nichts zu tun hatte. Justizrat Hahn( fehr erregt): Ich erkläre dem Gericht nochmals, daß ich niederlege, wenn der Antrag der Berteidigung nicht durchgehen sollte.

Wir legen allen Wert darauf, daß hier Oberstleutnant Held und besonders Hauptmann Kainer darüber un er Eid gesagt werden, ob nicht alle Fäden der Schwarzen Organ Jafionen in der Hand des Hauptmann Kainer zufammenliefen.

Ich nehme an, es liegt der Regierung, hem Justizministerium und auch dem Gericht daran endlich einmal Aufklärung über diese vielumstrittenen Fragen zu schaffen. Wir und die ganze Deffentlich feit waren im Berlauf dieses Prozesses der Ansicht, daß nicht das geringste mehr verborgen werden soll. or.: Genügt es Ihnen, wenn das Gericht all biefe Fragen als wahr unterstellt? Justig

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Daher fucht der Faschismus jetzt, fich auf dieselbe breite Maffe zu stüßen, die er entrechtet hat. Mit der Miliz allein geht es nicht, denn diese beansprucht einen so breiten Spiel­raum der Illegalität, daß an ihm jedes moderne Staatswesen über furz oder lang zugrunde gehen müßte. Das Idyll zwischen Faschismus und Hochfinanz ist auch nicht mehr so ungestört, wie in den ersten Jahren. Der Handel ist un­zufrieden über die Steuerlaft und über die Ungerechtig leit ihrer Berteilung sowie über die obligatorischen Abgaben an die Faschistische Partei wie über die obligatorischen Schmiergel de r. Die Industrie empfindet den Kapital. mangel schwer, wie er sich aus der Deflationspolitif ergibt. Die Banten flagen über die Bevorzugung gewisser Gruppen und über die nie endende gefeßliche Einmischung. Der ganze Kapitalismus muß seinem Wesen nach der beständigen Bevor­mundung widerstreben, die die Seele der mussolinischen Ges febgebung ausmacht. Der Staat als große Kinderstube fann vorübergehend den Kapitalisten angenehm und bequem sein, weil dabei die bösen Buben unschädlich gemacht und abgestraft werden, aber auf die Dauer braucht jede moderne Wirtschaft