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Abendausgabe

Nr. 131 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 65

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Vorwärts

SW

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Freitag

18. März 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands

Rückzug vor der Reichswehr .

Der Femeprozeß auf morgen vertagt.- Rechtsanwalt Bloch entschuldigt sich vor Hauptmann Kainer.

Oberst v. Bod.

In dem Schwurgerichtssaal, in dem der Wilms- Prozeß statt.| teidigung geäußert. R.-A. Bloch: Ich verzichte ebenfalls nicht auf findet und zu dem heute besonders starter Andrang herschte, war noch vor Beginn der heutigen Verhandlung in Anbetracht der gestrigen Vorfälle und in Erwartung der kommenden Dinge eine ftarte Spannung zu verzeichnen, die noch zunahm, als fich infolge eingehender Beratungen zwischen Berteidigung und Gericht der Sigungsbeginn start verzögerte.

Ein Schachzug der Verteidigung. Zunächst gab es außerhalb der eigentlichen Verhandlung eine fleine Sensation: Kaum waren die drei Reichswehroffi­ziere, Oberleutnant Held, Graf v. Brodsdorf und Haupt­mann Rainer erschienen, als ein Gerichtsvollzieher auf sie zutrat und ihnen eine von Rechtsanwalt Dr. Gad beantragte

Ladung als Sachverständige

überreichte. Die Offiziere, die von diesem Borgehen völlig über­rascht waren, nahmen die Ladung auch an. Dieser Schachzug der Verteidigu, ist strafprozessual berechtigt, da die drei Offiziere sich nicht an ihrem Wohnsiz befinden, ihnen also diese Ladung überall von einem Justizbeamten zugestellt werden darf. Auf Grund dieser Ladung muß auch die Bernehmung der drei Offiziere als Sach­verständige erfolgen, vorbehaltlich allerdings der Ge. nehmigung des Reichswehrministers.

Fuhrmanns Vorstrafen.

Erst nach 10 Uhr eröffnete Landgerichtsdirektor Siegert die Verhandlung. Zunächst teilte Oberstaatsanwalt Rombrecht mit, daß nunmehr weitere Vorstra fatten des Angeklagten Fuhrmann eingetroffen feien, aus denen sich ergebe, daß er die Unwahrheit gefagt habe, wenn er von harmlosen Sachen, Straf­auslegung und aus Not begangenen Betrügereien nach den zur Anklage stehenden Vorfällen sprach. Es habe sich nicht um harm­lose, sondern um erhebliche Betrügereien gehandelt, das Gericht habe tamals

eine besonders ehrlose Gesinnung bei ihm festgestellt, Strafausfegung Jei ihm bisher nicht gewährt, und vor allen Dingen seien diese Betrügereien zum Teil bereits 1921 begangen worden, so daß er bei seinem Eintritt in die Schwarze Reichs. wehr bereits vorbestraft gewesen sei. Der Angeklagte Fuhrmann bestritt, daß er behauptet habe, es handele sich nur um fleine Sachen. Jedenfalls habe er gebüßt und versucht, ein an­ständiges Leben zu führen, er habe sich vom Adressenschreiber zu einem Angestellten in fester Pofition emporgearbeitet. Die ihm vorgehaltenen Tatsachen selbst bezeichnete er als zutreffend.

Neue Beweisanträge.

Dann erhob sich Rechtsanwalt Dr. Sa d, um neue Be weisanträge zu stellen. Er teilte dem Gericht zunächst mit, daß er entsprechend seiner geftrigen Ankündigung Oberstleutnant Held, Hauptmann Graf Brocksdorf und Hauptmann Kainer nun­mehr als Sachverständige direkt habe laden lassen.

Bors.: Als Sachverständiger ist der Oberstleutnant v. Hammer­stein erschienen, dem das Reichswehrminis rium unbeschränkte Aus­fagegenehmigung erteilt hat, dagegen fonnte Oberst v. Bock noch nicht erreicht werden.

Justizrat Hahn( sehr entschieden): Ohne Oberst v. Bod fann ich nicht verhandeln. Gerade er hat sich in dem Küstriner Prozeß unter Ausschluß der Deffentlichkeit im Sinne der Auffaffung der Ber­

Auf Wunsch der Verteidigung trat darauf eine kurze Pause ein, um der Berteidigung Gelegenheit zu geben, sich darüber schlüssig zu werden, ob nicht vorläufig ohne diefen Sachverständigen ver­handelt und eventuell sein späteres Erscheinen abgewartet werden solle.

Die Verteidigung will Vertagung. Fühlung genommen hatten, wurde dann die Berhandlung fortgesetzt, Nach einer längeren Bause, in der die Verteidiger miteinander und Justizrat Hahn gab folgende Erklärung ab: Die gesamte Berteidigung steht duf dem Standpunkt, daß ohne Oberst Bod nicht verteidigt werden kann, und wir bitten, mit der Fortführung der Verhandlung zu warten, bis der Sachverständige erschienen ist. Ferner bittet die Verteidigung um Aussehung der gesamten Verhandlung bis Montag, damit wir Gelegenheit haben, inzwischen die Aften im Falle Pannier fennenzulernen.

Erster Staatsanwalt Rombrecht: Ich bitte gleichfalls um eine Verhandlungspause bis Montag, da ich leider nicht die Feme­prozesse in Landsberg zu hören Gelegenheit hatte. Auch der Fall Bannier ist mir unbekannt, da ich in der nicht beneibenswerten Lage bin, daß ich die Anklage erst drei Tage vor Beginn des Pro­Bors.: Ich habe immerhin Bedenken, den Prozeß auszusehen und bitte um Angabe der Gründe, weshalb die Verteidiger vorläufig nicht verhandeln wollen.

zeffes übernehmen mußte.

Justizrat Hahn: Der Herr Vorsitzende hat uns nach den Gründen gefragt, weshalb wir ohne Sachverständige nicht weiter Gründen gefragt, weshalb wir ohne Sachverständige nicht weiter verhandeln wollen.

Es ist, furz gesagt, die Tatsache, daß die Verteidigung jetzt wird Fragen stellen müssen, die einen glatten Berrat der Landes­verteidigung bedeuten.

Jaipur .

Ein Gefängnis als foziales Musterbild.

Bon Franz Josef Furtwängler .

Anfang März.

Das Land der Radschputen im Westen von Britisch- Indien zeigt die Ueberbleibsel seiner kriegerischen Vergangenheit nicht nur in verschiedenen Museen, sondern auch auf den Bergketten und schroff aufsteigenden Regelbergen, von wo die Ritter­burgen teils zerfallen, teils gut erhalten oder renoviert auf den Reisenden herniederschauen. Die Einwohner dieser Pro­vinz sind wohl neben denen des Bandschab die größten und träftigsten Menschen in Indien und sind zusammen mit diesen diejenigen beiden Boltsstämme, welche der englischen Armee radschaftaates in der Radschputana, wurde erst im 18. Jahr­die eingeborenen Soldaten stellen. Jaipur , die Hauptstadt des gleichnamigen Maha­hundert von einem der Maharadschas nach einheitlichem Plan erbaut. Die modern aussehende Stadt gruppiert sich um ein System gradliniger Hauptstraßen, welche sich in großen öffent­lichen Plägen rechtwinklig schneiden. Die Häuserreihen dieser Hauptstraßen bestehen aus uniformen, zweistöckigen rötlichen Blodbauten mit ebenen Dächern. Dies verleiht der Straßen­flucht beim ersten Anblick das Gesicht der ,, Mainstreet"( Haupt­straße) einer amerikanischen Kleinstadt. Ja es gibt sogar hier baulich wohlgepflegte Bürgersteige, die aber als Kleinmarkt für Getreideverkauf benügt werden, wodurch sie sich wesentlich pon denen der amerikanischen Mainstreet unterscheiden. An den Enden der Hauptstraßen sind Tore mit Edtürmen, was wieder an deutsche Kleinstädte denken läßt. Aber trotz all dieser fremdartigen Anklänge ist das Leben der Stadt unver­fälscht indisch.

N.-A. Dr. Sad: Auch ich muß erklären, daß wir ohne Oberst manen sich in Sänften befördern lassen. Auch ein lebens­Bock überhaupt nicht auskommen.

Ein Rückzug vor der Reichswehr . R.-A. Bloch: Wir brauchen Oberst v. Bock bei der Ver­nehmung des Beugen Stein, um dann von dem Sach­verständigen zu hören, ob Stein mit seinen Andeutungen und Be hauptungen Recht oder Unrecht hat, ob die Zusammenhänge auf Hauptmann Kainer hier oder auf höhere Zentralstellen zurückzuführen sind. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch ein Wort an Hauptmann Sainer richten.

In der Oeffentlichkeit und bei Herrn Hauptmann Kainer ist der Eindruck entstanden, als hätte ich mich mit meinen gestrigen Aus­führungen gegen ihn persönlich wenden wollen. Das ist nicht der Fall, denn ich habe nicht die Ehre, den Herrn Hauptmann zu fennen. Ebenso hat es mir ferngelegen, mir, der ich mit Stolz des Königs Rod getragen habe, mich gegen die Reichswehr zu wenden. Meine Ausführungen dienten lediglich dem Wohl meiner Klienten, und es ist meine heilige Pflicht, für ihr Schicksal alles zu tun, was in meinen Kräften steht.

Nach kurzer Beratung verkündete Landgerichtsdirektor Siegert den Beschluß des Gerichts, daß die Verhandlung auf den morgigen Sonnabend 9% Uhr verlagt wird. Bis dahin foll versucht werden, Oberst v. Bock herbeizuholen und sowohl für ihn, wie für die drei von der Verteidigung als Sachverständige benannten Offiziere die Aussagegenehmigung des Reichswehrministeriums zu erlangen.

Das Land ohne Regierung.

Thüringer Regierungsbildung mit Hindernissen.

Aus Weimar wird uns geschrieben: Am 23. Februar hatte, nachdem der 4. Thüringer Landtag in zwei furzen Sizungen das Präsidium gewählt und die Ausschüsse zufammengesetzt hatte, Landtagspräsident Leber dem Abgeordneten Genossen Brill den Auftrag erteilt, als Unterhändler mit den Landtagsfraktionen wegen der Regierungsbildung zu sprechen. Da Genosse Brill nur mit den Kommunisten und Demo fraten verhandelte, so war seine Mission im negativen Sinne balbigft erledigt. Denn die Kommunisten wollten zwar eine sozialdemokra tische Minderheitsregierung unterstüßen, aber die Demokraten durften nicht dabei sein. Da aber Sozialdemokraten und Kommunisten ( SPD . 18, KPD . 8) zusammen nur 26 Mandate von 56 besitzen, war das Verlangen der Kommunisten Unsinn. Die Verhandlungen mit den Demokraten verliefen nicht anders. Die Demokraten wollten von einer Regierung nichts wissen, bei der die Kommunisten jeder zeit den Sturz der Regierung in der Hand hätten. So gab am 1. März der Unterhändler Brill feinen Auftrag als unerlebigt an den Präsidenten zurüd.

Als zweiter Unterhändler wurde noch am selben Tage der Landtagsabgeordnete Baum bestimmt. Baum hatte zwar ben Auftrag angenommen, aber am Sonnabend, den 5. März war auch feine Mission gescheitert. Am 7. März gab er seinen Auftrag gleich falls als unerledigt an den Präfidenten zurüd. Baum hatte während der Berhandlungen in der Hauptfache nur mit seiner eigenen Fraktion in Verbindung gestanden und auch über die Demokraten hinaus mit feiner Fraktion verhandelt.

Der Bräfident beauftragte nun als dritten Unterhändler den Abgeordneten Bauer von der Deutschen Volkspartei . Nachdem

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Bauer, der frühere Staatsminister von Sondershausen , sich mit seiner Fraktion verständigt hatte, nahm er den Auftrag des Präsidenten an. Die Verhandlungen sollten nun am Donnerstag, den 10. März, mit der sozialdemokratischen Fraktion beginnen denn Bauer hatte dem Präsidenten mitgeteilt, daß er den Verhandlungskreis nicht so eng begrenzen will, wie seine Vorgänger aber infolge anderweitiger Inanspruchnahme der sozialdemokratischen Fraktionsführer an diesem Tage fonnten die Verhandlungen deshalb erst am Montag, den 14. März beginnen.

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Inzwischen kam wieder ein neues Hindernis in den Weg. Abg. Bauer ertranfie an der Grippe, und nun wurde Abg. Dr. Wiz­mann von der Deutschen Volkspartei als Unterhändler bestimmt. Nachdem Dr. Bigmann am 14. März mit den sozialdemokratischen Führern furs verhandelt hatte, traten am 17. März die Fraktion der Deutschnationalen, des Landbundes, der Deutschen Volkspartei und der Wirtschaftspartei fast vollzählig zusammen. Der Landbund hatte noch ein paar Führer, Dr. Wernick und Madelden, die nicht dem Landtag angehören, mitgebracht, um Herren der Situation zu bleiben. Auch bei diesen Berhandlungen fam man feinen Schritt weiter. Zuerst befam Dr. Wizmann vom Landbund eine Abreibung, weil er sich erlaubt hatte, in den Beratungen mit der Sozialdemo­fratie zu sagen. daß er auch im Namen des Landbundes verhandle. Dann wurde befchloffen, ehe man mit der Sozialdemokratie in sech liche Beratungen eintritt, erft zu fragen, ob sie überhaupt eme große Koalition wolle.

Wenn die Verhandlungen über die Thüringer Regierungsbildung in diesem Tempo weitergehen, fommt bis Ostern noch feine Regie­rung zustande.

feiert das sogenannte Sonnenfest. In dem Festzuge, der Heute ist besonders großer Tag, denn die Bevölkerung fich durch die Stadt bewegt, marschiert an der Spize ein Elefant, ein Riefentier, wie wir es selbst in Indien bisher noch nicht gesehen haben, Kopf und Rüssel bunt bemalt. Dann folgen Kolonnen von Kamelreitern, hinter denen fette Brah­großes Götterbild wird in einer Sänfte getragen. Daran schließt sich Militär des Maharadscha: Reiter mit Lanzen und roten Turbanen, Infanteristen mit Bündnadelflinten und blauen Wickelgamaschen. Auch sind mehrere Musikkapellen im Zuge, welche indische Weisen spielen. Am schönsten aber ist auch hier wieder der Anblick der buntgekleideten Volksmenge, in den Straßen und auf Dachvorsprüngen dicht zusammen­gedrängt: noch greller, bunter, leuchtender als in den Ghats von Benares .

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Am Morgen des Festes ging ich in die Stadt, um einige Aufnahmen zu machen, und verabredete, meine Reisegefährten erst nachmittag wieder treffen zu wollen. Das Photographie­ren war indeffen bald geschehen, und so ersuchte ich meinen indischen Führer, mir in der Zwischenzeit etwas Sehenswertes zu zeigen. Dieser hatte einen guten Gedanken, indem er meinte: Wenn Sie durch Indien fahren, um Textilfabriken zu besichtigen, dann sollten Sie sich auch einmal die Arbeit im hiesigen 2 andesgefängnis ansehen." Die Zweifels­frage, wie er sich denn meine Zulassung zur Besichtigung dieser Anstalt ohne jede schriftliche oder mündliche Empfehlung an die Verwaltung vorstelle, schlug er mit einer eleganten Hand­bewegung nieder. Besichtigungen, meinte er, brauchen nur in britischen Gefängnissen angemeldet zu werden, damit man fie zur Parade bereitmachen könne. Im übrigen möge ich einfach ihn für mich sprechen lassen, fügte er selbstbewußt hinzu. So überließ ich mich seiner Führung. Im Vorhof der Anstalt ließ er den Gefängnisfommandanten rufen, einen bärtigen Radschputen, der in seiner Uniform wie ein russischer Groß­fürst aussah. Diesem Offizier, der nicht englisch verstand, stellte der Führer mich vord. h., er sprach etwas zu ihm in einem mir unbekanntem indischem Idiom. Nach der Art, wie ich darauf behandelt wurde, muß ich annehmen, daß er über mich und meine Stellung irgend etwas erdichtete. Der Kom­mandant grüßte mit sichtlichem Respekt und gab seinem Ad­jutanten eine Weisung, worauf dieser die Gefängniswache alarmierte, welche fich in Doppelreihe vor dem schweren, eisen­beschlagenen Holztor des Gefängnisses aufstellte. Da ich mich an den vermuteten Anmaßlichkeiten meiner Einführung völlig unschuldig wußte, glaubte ich mich zu Nachforschungen nicht veranlaßt, sondern schritt, wie ehemals der Landesvater meines heimatlichen Bundesstaates, mit schweigender Würde durch die furze Stahlröhrenallee präsentierter Zündnadelgewehre. Knarrend gingen die Flügel des Gefängnistores auseinander.

Im Innern des umfangreichen Mauervierecks standen mehrere Einzelgebäude. Die Räume zwischen ihnen waren durch gepflegte Wege, Bäume und grünen Rafen ausgefüllt: Pfauen stelzten durch das Grün, andere hockten auf den Bäu­men; in einem Gefängnis( ich fenne sonst keines) wahrschein­lich ein ungewöhnliches Bild.

Von einem Bauwerk zum andern marschierte in Kolonne zu zweien ein Trupp Gefangener. Sie trugen Ketten und Eisenringe an den Füßen, die im Tafte des Gleichschrittes weithin hörbar rasselten. Diese Art der Fluchtsicherung innerhalb des hohen Gemäuers, über das fein Seiltänzer einer indischen Gauflertruppe flettern würde, erschien mir ebenso mittelalterlich- barbarisch wie unnötig. Dann zeigte man mir die Sträflinge- diesmal ohne Retten bei ihrer Arbeit. Diese wurde im Freien ausgeführt und bestand in der Aus­übung der verschiedensten Handwerke: Ausstopfen von Bögeln, Reh- und Tigerfellen, Tischlerarbeiten, vor allem aber in