Drei Republiken flugverbunüen. Berlin — Prag — Wien . Vis nun mußte die Fluglinie Berlin — Wien den rechten Winkel übet München schlagen, jetzt endlich verfolgt sie die gerade Linie über Prag : sie verkürzt die Reisedauer von fast 14 auf knapp 5 Stunden. Es sind zunächst nur kleine Volks- teile, die von dieser Schnelloerbindung Gebrauch machen können, denn das kostet etwa soviel als der Schnellzug I. Klasse mit Schlafwagenzuschlag. Aber das wird sich mit der Zeit sicher bessern und soll uns fürs Erste nicht die Freude an diesem großen Fortschritt verkümmern. Drei Republiken sind hier flugverbunden und die mittlere davon ist die republikanischste. Die Zeit des tschechischen Königtums liegt so weit hinten in nebliger Vergangenheit, was an Monarchie folgte, war so volksfremd und oft genug auch so tschechenfeindlich, daß es heute im Tschechen- volk so gut wie gar keine Monarchisten gibt. Dies um so weniger, als die Tschechen längst nicht mehr einen nationalen Adel haben: was da adlige Großgrundbesitzer gewesen sind— denn sie sind großenteils enteignet— das waren die Nachkommen landfremder Söldnerführer, die in den Religionskriegen usw. den Habsburgern Henkersdienste gegen die tschechische Selbständigkeit und Auflehnung geleistet und dafür mit den konfiszierten Gütern der hingerichteten tschechischen Grundherren und Rebellen belohnt worden waren. Auch in den Minderheitsvölkern der Tschechenrepublik gibt es keine monarchistische Bewegung. Von Habsburg haben selbst die bürgerlichen Sudetendeutschen mehr als genug und nach Hohenzollern sehnen sie sich schon gar nicht. Die neue Fluglinie schließt in Wien , der größten sozialdemokratisch verwalteten Stadt der Welt. Deutsch- österreich hat, wie die Tschechoslowakei , sofort beim Entstehen den Adel abgeschafft, die Habsburger , soweit sie nicht einfache Bürger der Republik sein wollten, enteignet und verbannt, es hat überdies ziemlich starke Sicherungen gegen anti- republikanischen Mißbrauch der Wehrmacht getroffen. Die Sozialdemokratie ist im Staate den Christlichsozialen un- gefähr gleich stark, aber auch unter den Christlichsozialen bilden monarchistische Elemente längst nicht die Mehrheit und ebensowenig wünschen die Landbündler und Groß- deutschen die Monarchie zurück. Nur kleine, allerdings freche Zirkel ehemaliger Habsburg-Offiziere und ihr Anhang möch- ten gern, dürfen es aber nicht wagen, das verhaßte Schwarz- gelb öffentlich zu zeigen.„Fest steht und treu" die Wacht der sozialistischen Arbeiterschaft gegen eine nur von Ungarn her allenfalls drohende Wiederaufrichtung der Monarchie. Wie es in der reichsdeutschen Republik damit steht, braucht man Berliner Lesern nicht auseinanderzusetzen— wenn sogar Keudell und Hergt mit SOprozentiger Billigung Westarps die Republik zu schützen schwören! Zur größeren Sicherheit aber ist ja auch noch Preußen und einiges Andere da. So verbindet die neue Fluglinie drei Länder von gleicher Staatsform und, was auch nicht übersehen werden soll, von ziemlich gleicher Kultur. Mag zwischen Reichsdeutschen und Ostslawen ein Kulturunterschied bestehen— die Tschechen sind wahrhaftig nur durch die Sprachverschiedenheit von uns getrennt: wäre die und sonstige Aeußerlichkeiten nicht, man merkte überhaupt keine Differenz. Vielleicht trägt die Luft- Verbindung Berlin — Wien über Prag auch dazu bei, die tschechische Politik zu bewegen, ihren ungerechten Widerstand gegen die Heimkehr Deutschösterreichs ins Reich aufzugeben. Da nun die neue Fluglinie drei Republiken verbindet, ist es nur selbstverständlich, daß sie das München der Rupprecht, Soden, Kahr und Held— seitwärts liegen läßt!
Ein Abrüstungsanlrag im dänischen Folkelhing, von der Radikalen Partei eingebracht, fordert eine Voltsabstimmung über eine Verminderung der Militärausgaben um jährlich 40 Mil- lionen auf 16 Millionen.
Freunde der Justiz. Wie Deutschnationale Kritik üben. Wenn die Sozialdemokratie offensichtliche Verfehlungen von Iustizorganen feststellt, wie sie erst eben wieder in dem Verhallen des Strafanstaltsoberpfarrers Pentfchks kraß zutage getreten sind, erhebt die Rechte jedesmal ein Wutgeheul und behauptet, wir wollten„den letzten Grundpfeiler des Staates" untergraben. Ihre eigene Methode sachlicher Kritik kann man aus der„Deutsche n Zeitung" lernen. In einem gehässigen Ausfall gegen den Staatsanwalt des Gießener Fememordprozesses schreibt diese: Es verdient in diesem Zusammenhang der Erwähnung, daß der Staatsanwalt seine Stellung erst der Revolution verdankt. Er ist vor dieser Zeit Gerichtsschreiber gewesen. Wir kennen die Laufbahn des Staatsanwalts Weidemann nicht. Sollte er aber wirklich früher zu den mittleren Justiz- beamten gehört haben— die sich heftig gegen die Bezeichnung „Gerichtsschreiber" wehren, und darin sonst die liebevolle Unter- stützung der— Deutschnationalen finden!— so können die mittleren Iustizbeamten aus der„Deutschen Zeitung" ersehen, mit welcher Freundlichkeit ihre angeblichen Gönner von rechts ihrem Berufe und ihren Aufstiegsmöglichkeiten gegenüberstehen.
DieDürgerblockregierung in öerMinüerheit. Ein wichtiger Aufwertungsbeschluh des Rechtsausschusses Bei Beratung des Gesetzentwurfes über die Verzinsung ausgewerteter Hypotheken erlitt die Regierung heute im Rechtsausschuß eine Niederlage. Der Entwurf schlug vor, daß im Falle der Aufwertung einer gelöschten Hypothek der Aufwertungs- betrag ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Wiedereintragung der Hypothek ab 1. Juli 1926 zu v e r z i n s e n ist. Das bedeutet, daß der Zins von diesem Termin an auch geleistet werden muß, wenn die Wiedereintragung infolge Ueberlastung der Grundbuch- ämter später erfolgt. Der Wirtschaftsparteiler Dr. Joerissen be- antragte statt den 1. Juli 1926 den 1. Januar 1927 zu setzen, blieb aber mit diesem Antrag allein. Die Demokraten beantragten statt des 1. Juli den 1. Januar 1926 einzufügen. Trotzdem Reichs- justizminister Dr. Hergt mit aller Schärf« den Entwurf vertrat und in Rücksicht auf die entlasteten Schuldner jede weitere Zurück- datierung ablehnte, wurde der Antrag der Demokraten mit 15 gegen 9 Stimmen angenommen. Außer der Linken stimmten einige Abgeordnete des Zentrums für den Antrag. Die Deutschnationalen und die Deutsche Volkspartei stimmten geschloffen dagegen. Im Verlauf der Sitzung gab Abg. Dr. Landsberg die Erklärung ab, die sozialdemokratische Fraktion habe beschlossen, dem Abg. Dr. Dest, der infolge Auflösung der völkischen Arbeitsgemeinschaft keinen Sitz mehr im Ausschuß hat, einen ihrer acht Sitze abzutreten. Sie verfolge damit nur den Zweck, dem ausgezeichneten Kenner des Auf- wertungsrechts und dem ersten Vertreter der Sparinteressen die Möglichkeit zur vollberechtigten Teilnahme an den Verhandlungen zu gewähren. Eine gegenseitige Bindung sei nicht vereinbart, die Anträge, die Herr Best stelle, würden von den Vertretern der Sozial- demokratie von Fall zu Fall vorbehaltlos geprüft werden. Abg. Dr. Lest nahm dieses Anerbieten an und sprach der Sozialdemokratischen Fraktion seinen Dank aus. „öerichtigte Aeuaenaussaae.� In einem Plauener Prozeß wegen Beleidigung Stresemanns hatte der deutschnationale Spionageagent Knoll, der Intimus des Assessors Kußmann, als Zeuge ausgesagt, er habe ein Stresemann belastendes Aktenmaterial über die Evaporatur A.-G. auf Veranlassung des Generalstaatsanwalts Lindow und des Ober- ftaatsanwalts Linde von Kußmann ausgehändigt erhalten und dem Journalisten Bacmeister als„Treuhänder" zur Aufbewahrung über- geben Auf eine kleine Anfrage des Genossen Kuttner antwortet jetzt das preußische Justizministerium, daß Knoll bei seiner Vernehmung im Disziplinarverfahren Kußmann diese Aussage„berichtigt" habe. Der Generalstaatsanwalt Lindow und der Oberstaatsanwalt Linde
bestreiten entschieden, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Auch Knoll hat seine Behauptungen gegen die beiden Herren nicht auf- recht erhalten Die Sache hat jedoch einen Haken: die Aussage Knolls im Plauener Prozeß war eine eidliche Zeugenaussage, die vor einem beauftragten Richter abgegeben und von diesem protokolliert wurde. Herr Knoll hat seine protokollierte Aussage beschworen. Hin- terher„berichtigt" er sie in wesentlichen Punkten. Da Herr Knoll be- hauptet,„Hilfsbeamter" oder„Vertrauensmann" der Staatsanwalt- fchaft gewesen zu sein, wird er zweifellos wissen, wie der Staats- anwalt so etwas juristisch nennt.
Die gefährdeten Europäer. Tic Missionare wollen bleiben. Schanghai , 25. März, �lcuter.j Die Lage in Nanking ist noch unklar. Es scheint, daß die gestern gelandeten Truppen den Sokony- Hügel, worauf sich die Ausländer zusammengefunden hatten, ohne Widerstand erreichten. Es geläng ihnen, 31 Ausländer mitzunehmen, doch werden 159 Amerikaner und 17 Engländer, darunter der verwundete Konsul, noch vermißt. Die Marinebehörden ersuch- ten den Befehlshaber der südchinesifchcn Truppen um den Schutz der in Nanking vertriebenen Ausländer, sie erhielten aber keine besriedi- gende Antwort. Die meisten der zurückgebliebenen Ausländer sind Missionare, die sich weigern, trotz der Warnungen der Konjular- beamten, die Stadt zu verlassen. Gegensätze in der kuomintang-partei. Die Lage in Schanghai ist nach wie vor undurchsichtig. Die Meldungen über Zusammen st öße zwischen den eingerückten Südtruppen und Arbeitern, bzw. Studenten mehren sich. Sie sind nur erklärlich durch die G e g e n s ä tz e, die sich bereits seit mehreren Wochen innerhalb der Kuomintang- Partei bemerkbar machen. Es ist hier schon wiederholt hervor- gehoben worden, daß diese Partei keineswegs einheitlich ist und daß sie neben ihrem extremistischen Flügel, der stark unter Moskauer Einfluß steht, in ihrer Mehrheit rein nationale Ziele verfolgt. Erst kürzlich hat R a d e k. der in Moskau als Chinaspczialist gilt, auseinandergesetzt, daß mit dem weiteren Vorrücken der Kanton-Truppen der Gegensatz zwischen den bürgerlichen und den proletarischen Kräften der Kuomintang-Partei akuter werden würde. Demgegenüber warnte die„Prawda" vor dem übereilten Rat, den einzeln«„Sachkenner" an die chinesischen Kommunisten richtelc«, nach der Einnahme von Schanghai aus der Kuomintang-Partei aus- zutreten und den Kampf selbständig fortzuführen. Daß die Gegensätze sowohl politischer wie auch sozialer Natur sehr stark sind, geht schon daraus hervor, daß die militärischen Befehlshaber der Kanton-Truppen in Schanghai die Bevölkerung zur Wiederaufnahme der Arbeit aufrufen, während kommunistisch beeinflußte Arbeiterführer die Fortsetzung des Streikes proklamieren. So dürften auch die Meldungen über die erwähnten Zusammenstöße zu erklären sein. Ebenso tritt dieser Gegensatz in der Frage des Verhaltens der siegreichen Nationaltruppen zu den ausländischen Staatsangehörigen in die Erscheinung. Die militärischen Führer erstreben offenbar eine friedliche Vereinbarung mit den Konsuln über die Besetzung und Verwaltung der Konzessionsgcbiete: die Ertremisten dagegen, die seit lvlonaten eine lebhafte Propaganda für die Aus- trelbuttg Heb' Fremden entfalten: haben es anscheinend darauf abgesehen, durch Generalstreik und Kamps die Ausländer zur Räumung von Schanghai zu zwingend''n Diese bolschewistische Taktik ist nicht neu, aber sie ist gerade für die Arbeiterschaft überaus gefährlich. Sie erinnert stark an die Ver- suche der KPD . und der KAPD . im Ruhrgebiet nach der Nieder- werfung des Kapp-Putsches durch Fortsetzung des Streiks und des Kampfes die„Revolution weiterzutreiben". Auf diese Art ist fast immer nur den reaktionären Kräften Gelegenheit gegeben worden, sich wieder„unentbehrlich" zu machen. Moskau scheint auch in China auf dem besten Wege zu sein, durch die Wiederholung solcher Fehler die Revolution zu o e r p f u s ch e n.
öeethoven-�ahrhunöertfeier. Von Emile Vanderoelde. Die Regierungen Frankreichs , Deutschlands und Belgiens und vieler anderer Länder werden am 26. März bei den Feiern zum 199. Todestag von Beethoven oertreten sein. Das ist nur eine Selbstverständlichkeit. Worüber man sich viel mehr wundern müßt« — sofern man sich auf dem Gebiete der nationalistischen Borniertheit überhaupt noch über etwas wundern darf—, das ist, daß noch vor drei oder vier Jahren eine solche Zusammenkunft von Europäern auf den Wiener Festlichkeiten in gewissen Kreisen endlose Bedenken hervorgerufen haben würde, und daß, wenn Beethoven anstatt im Jahre 1827 z. B. schon im Jahre 1829 gestorben wäre, man auf- fallende Lücken bei seiner Todesgedenkfeier hätte feststellen müssen. Man begreift es zwar sehr wohl, daß während des Krieges in einem besetzten Lande wie Belgien auch diejenigen, die die deutsche Musik als eine unentbehrliche geistige Nahrung betrachten, sich zu Hause eingeschlossen haben, um die Kreutzersonate und die Sonate palhetique zu spielen, und daß sie lieber das belgische Nationallied, die„Braban?onne", in den Kirchen gehött haben als den Einzugs- marsch aus dem„Tannhäuser" oder das Vorspiel der„Meistersinger" in den von der Besatzung veranstalteten Konzerten. Aber viel bezeichnender sllr die Geistesverfassung vieler Menschen ist es, daß auch später und jahrelang in Frankreich und noch mehr in Belgien die Bourgeoisie, obwohl sie gern mit ihrem Kunstsinn prahlt, hartnäckig die deutschen Komponisten, ob tot ooer lebendig, aus dem Konzertproxramm streichen ließ. Dieser„patriotische" Boykott mochte nicht einmal vor Beethoven halt, vor jenem Beet- Hoven, den Belgien Deutschland schenkte— denn es ist bekannt, daß seine Großeltern aus Belgien stammten— und den Deutschland so- dann der ganzen Welt schenkte, vor jenem Beethpven, dessen„Hymne an die Freude" das prachtvollste Bekenntnis darstellt, das jemals zur Brüderlichkeit zwischen den Menschen und zwischen den Völkern abgelegt wurde. Schließlich mußten unsere Ueberpatrioten die ungeheure Lächer- lichtest selbst erkennen, mit der sie sich bedeckten, indem sie Wagner, Beethoven oder Johann Sebastian B a ch für die Handlungen des Reichskanzlers von Beethmann-Hollweg oder für die Kriegs- erklärungen des Kaisers verantwortlich machten. An der Brüsseler Oper werden wieder„L o h« n g r i n" und„Tannhäuser " — übrigens ziemlich schlecht— ausgeführt. Wir haben kürzlich zum erstenmal am Brüsseler Konservatorium da»„Lied vo» der Erde " von Gustav M a h l e r gehört, und am Sonntag, dem 27. März, werden die Vertreter Frankreichs und Belgiens neben dem Bundeskanzler Seipel und den. deutschen Reichsinnenminister der„Missa solemnis" beiwohnen. Eine solche Zusammenkunft besitzt unter den gegenwärtigen Ver- Hältnissen eine geradezu symbolische Bedeutung. Mögen wir auch
wirklich in einem Gedanken vereint sein, wenn wir zusammen beim .Axnus dei, das die Posaunen und Trompeten der haßerfüllten Mächte übertönt, die Klage und die Forderung der unzähligen leiden- den Massen vernehmen werden: dlisercre, da nobis pacem!(Er- barme dich unser, gib uns Frieden!) Ich freue mich jedenfalls bei dem Gedanken, daß ich auf den Feiern der Stadt Wien zahlreiche Freunde und Kampfgenossen finden werde, mit denen ich nicht nur den größten aller Komponisten, sondern auch den Weltbürger ehren werde, dessen lebendiges Bild Romain Rolland gezeichnet hat: Beethoven ist der Mann, dessen Bewunderung für Bonapart« an jenem Tage verschwand, an dem dieser nach der Kaiserkrone griff, der an Wegeler schrieb:„Dann soll meine Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen", und von dem sein intimster Freund aus den letzten Lebensjahren, Schindler, sagen konnte:„Er war ein Anhänger der uneingeschränkten Freiheit und der nationalen Unabhängigkeit.... Er wollte, daß alle an der Regierung des Staates teilnehmen.... Er wollte für Frankreich das allgemeine Wahlrecht und lzatte gehofft, daß Bonaparte es ein- führen und damit die Grundlagen des Glückes der gesamten Mensch- heit schaffen würde." An jenem Tage, an dem diese Hoffnung betrogen wurde, taufte er seine Symphonie„Bonaparte" um und gab ihr einen anderen Namen, dessen Bedeutung zugleich rührend und rächend ist:„Sym- phoni« Eroica "... um die Erinnerung an einen großen Mann zu verherrlichen". Aber der große Mann, dessen Gedenken heute gefeiert wird, und zwar in jenem Wien , wo es keinen Kaiser mehr gibt und wo künftig. alle an der Regierung des Staates teilnehmen, das ist der geniale Vorläufer, das ist der Sänger der Freude, das ist er selbst— Beethoven! Ein umftömöliches Luftspiel. Eine schöne Uebereinstimmung zwischen Autor, Bühne und Stück ist bei dem Lustspiel„A p r i l w e t t e r" des Engländers St. John G. E r v i n e festzustellen. Selbst Petrus bemühte sich, mitzuwirken. Bei Beginn der Vorstellung im Renaissance- t h e a t« r wehte draußen laue Frühlingsluft, bei Schluß des Stückes regnete es in Strömen. Aprilwetter im März. Als der Verfasser, möchte ich wetten, den ersten Akt schrieb, wußte er noch nicht, wie er die Sache weiter fingern sollte.„Aprilwetter" macht von der ersten bis zur letzten Szene einen improvisierten Eindruck: und wie der Regisseur Viktor Schwannecke die General- probe abgeschlossen hatte, wußte er bestimmt noch nicht, ob die Pre- miere kloppen würde. Da» Hauptverdienst am Gelingen de» gestrigen Abends hatte denn auch die Souffleuse, die sich anerkennenswert dafür einsetzte, den Rollen das nun einmal notwendige Leben einzu- blasen. Kürzer ausgedrückt, ein schluderiges Stück in schluderiger Inszenierung. „Aprilwetter" spielt in einem englischen Pfarrershaus, das die berühmte Schauspielerin Mary in wirbelnde Aufregung oersetzt. Der
Pfarrerssohn hat nämlich ein Drama verfaßt, dessen Hauptrolle von ihr kreiert werden soll. Schon das Versesen der Komödie scheitert an den Launen der Diva. Sie hat an den sensationellen Vorgängen des Lebens mehr Interesse als an den Ereignissen einer Dichtung. Augenblicklich verlobt sie sich ständig.„Was soll man denn aus dem Lande anderes tun?" entschuldigt sie sich. Natürlich ist die locker« Lebensauffassung der Schauspielerin für die prüde Pfarrerssamilie etwas so Außerordentliches, daß ihre gesitteten Formen außer Rand und Band geraten. Dieses wirblige Hin und Her wird vom englisdien Autor mit viel Humor und geistreicher Witzelei, aber auch mit viel Umständlichkeit behandelt. Wenn trotz der Längen das„Aprilwetter" im Zuschauer einen freundlichen Eindruck'hinterläßt, so hat das Reoaissancetheater das in erster Linie Rosa Valetti zu verdanken, die die ältliche Schau- spielerin Mary mit bewunderungswürdiger Verve und wohltuender Ursprünglichkeit hinlegt. Wenn sie«ine besonders groteske Wendung zu sprechen hat, sieht sie mit freundlichem Kinderblick ins Publikum und scheint jedesmal zu fragen:„Na, wie Hab' ich das gesagt?", was ein« ganz originelle Betonung des Witzes ihrer Rolle bedeutet. Hans Heinrich v. Twardowski spielt mit unnachahmlicher Würde, Nöligkeit und geruhsamer Tranigkeit einen blasierten jungen Dichter, den nichts aus der Fassung bringen kann. Renate Müller wäre eine der ersten Schauspielerinnen Berlins , wenn sie so natürlich» anmutig spielen würde, wie sie aussieht. Ernst Degner.
„Die Frau aus Aulellscheine". Eine Kokott«, die Ihren Beruf bisher sehr rationell betrieben hat, wird plötzlich von der Liebe ge- packt und geht mit einem Habenichts auf und davon. Ihren Gläubigern hinterläßt sie eine wohleingerichtete, aber mit lobendem und totem Inventar durchaus unbezahlt« Villa. Di« Gläubiger, naä) «inigen Verzweiflungsausbrüchen, kommen auf einen genialen Ein- fall. Sie suchen für die Verschwundene eine Nachfolgerin. Gleiche Größe, damit die Toiletten passen, und Geschäststüchtigkeit Bedin- gung. Sie wird gefunden in einem kleinen, unkultivierten und durchaus nicht hübschen Barmädchen, das jetzt, da die notwendige Aufmachung da ist, schnell Karriere macht. Hohe und höchste Herr- schaften reißen sich um sie. Aber sie betreibt ihr Geschäft rein kauf- männisch mit Telephonzentrale und doppelter Buchführung, ist und bleibt die„Frau aus Anteilscheine"— die natürlich den Gläubigern gehören. Das wäre für Kleist, wenn er im 29. Jahrhundert gelebt hätte, vielleicht Stoff zu einer Anekdote gewesen. Man hätte auch ein Lussspiel voll grimmigen Humors und ätzender Satire aus diesem Einfall machen können. Aber schlechten Köchen nutzt selbst der beste Braten nichts. Sie verderben ihn durch eine ungenießbare Sauce. Paul vrmont und L. Marchand sind sehr schlechte Köche. Drei Teile Eindeutigkeiten, mit einem Teil« sentimentalsten Liebes- kstsche« verrührt, kitzelt selbst den anspruchslosesten Gaumen nicht mehr. Und vor lauter Uebelkeit hätte man es höchstens bis zum zweiten Akt im Residenztheater ausgehalten, wenn«inen nicht die Neugier gepackt hätte: Wie lange machen eigentlich die Schauspieler diesen Unfug mit? Aber mst einer schier unfaßbaren Lieb« zur Sache stecken Grete Freund , Martin Kettner und eine Reihe anderer nicht unbegabter Darsteller in ihren pein- lichen Rollen. T e».