Einzelbild herunterladen
 

Nr. 144 44. Jahrgang

1. Heilage ües Vorwärts

Sonnabenü, 2H. März 1927

Beethoven in Berlin . DerKlavierspieler aus �Wien� und der Kgl. Kapellrueifter.

3m 3ohre 1796 unternahm der junge Beethoven die erste und einzige Konzertreise seines Lebens. Die Hoffnung, sich und seiner Kunst neu« Freunde zu erwerben, und die sichere Erwartung eines größeren, finanziellen Erfolges fühtten ihn von Wien über Prag und Dresden nach Berlin , das damals einen recht guten Ruf als Musikstadt genoß. Der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, wohl der haltloseste und verworfenste aller Hohenzollernfürsten, besaß nur eine gute Seite: er lieble die Musik, wenn sie ihm oft auch nur eine angenehme Begleiterin seines lockeren Lebenswandels war. Er zog auch Beethoven an seinen Hof, und der junge Meister. der zwar als Komponist noch wenig bekannt war, aber doch schon als einer der besten deutschen Pianisten galt, mußte wiederholt vor ihm konzertieren. Hier gab Beethoven den ersten Beweis von der Gewalt seiner Kunst: er brachte es fertig, die leichtfertige Hof- pesellschoft Friedrich Wilhelms so tief im Innersten zu fassen, daß sie alle Beifallsäußerungen vergaß und fast zu Tränen gerührt war. Beim Abschied erhielt er vom König eine goldene Dose mit hundert Dukaten: und er, der sich seines Könnens und seines Wertes stets wohl bewußt und immer fast ängstlich bestrebt war, jeden Schein des Fürstendieners zu vermeiden, stellte doch mit Genugtuung und Stolz die Anerkennung seines Könnens fest, die in der Ueberreichung dieser Dose lag. Denn er erzählte später, daß die Dose des Preußenkönigs keine gewöhnliche Dose gewesen sei, wie sie die anderen bekamen, die bei Hofe konzertierten, sondern daß es eine Dose gewesen sei, wie sie den Gesandten befreundeter Möchte überreicht wurde. Auch ein anderer Vorfall am Königshofe wirft ein bezeichnendes Licht auf die Denkart dieses Fürsten im Reiche der Musik. Beethoven lernte während seines Aufenthaltes in Berlin den Prinzen Louis Ferdinand kennen und gewann an ihm einen treuen und aufrichtigen Verehrer seiner Kunst. Der Prinz war selbst ein vorzüglicher Klavierspieler: ihm spendete Beethoven das höchste Lob, dos er zu vergeben hatte. Nachdem er ein Konzert Louis Ferdinands gehört hatte, sagte er, daß der Prinz gar nicht königlich oder prinzlich, sondern wie«in echter, richtiger Klavier» spieler musiziert habe. Eine Anerkennung, die gleichzeitig das ver- nichtendste Urtell über fürstliche Kunstbetätigung enthält. Diejenigen Kreise der Berliner Bürgerschaft, die sich um ernste Musik mühten, fanden sich damals in der Singakademie zusammen. Sie war erst wenige Jahre vorher gegründet worden und erfreute sich doch schon einer stets wachsenden Anerkennung. Begreiflich, daß Beethoven hier das beste Verständnis fand. Zweimal besuchte er sie in ihrem Heim in der Akademie der Künste Unter den Linden. Nachdem der junge Verein mit dem Vortrag einiger schwieriger Gesänge geglänzt hatte, setzte.Herr van Beethoven , Klavierspieler aus Wien ", wie ihn der Leiter der Berliner Singakademie Fafch in den nüchternen Aufzeichnungen seines Tagebuches nennt, ans Klavier. Seine Stärke war, zu spielen, was der Augenblick ihm eingab. Auch hier hatte er den gleichen Erfolg wie bei Hofe: Er improvisierte fo hinreißend, daß seine Zuhörer am Schlüsse sich um ihn drängten und keiner lauten Aeußerung fähig mit Tränen in den Augen ihm die Hände schüttelten. Der Berliner Singakademie war die Musik eine ernste Führerin durch die ernsten Stunden des Lebens der preußische Königshof liebte sie,' weil sie das ohnehin angenehme Dasein noch angenehmer macht«. Auf beide so völlig verschiedene Kreise übte Beethovens gewaltig« Kunst die gleiche Wirkung aus: sie erzwang sich den Zutritt zu den geheimsten Winkeln ihrer Seelen und rührte an ihr innerstes Menschentum. Und doch: der Meister selbst war mit diesem seinen Erfolg gar nicht zufrieden. Er brauchte den Applaus, den lauten und stürmischen Beifall. Seine Musik sollte die Zuhörer mitreißen, damit er selbst sich wieder an ihrer Begeisterung entfachen tonnte. Die Rührung, in die er selbst Friedrich Wilhelm und seine Umgebung versetzt hatte, war ihm Grund genug, eine königliche Einladung aus- zuschlagen. Er wollte und konnte nichtunter so verwöhnten Kindern" leben. Scharf sprach er es später einmal gegen Goethe aus:Rührung ist etwas für Frauen, wir Männer brauchen Be- geisterung und Feuer." Nach Iahren noch äußerte er gegen Bettina von Arnim seinen Mißmut über diesen seinen Berliner Ersolg:Das ist es nicht, was wir Künstler brauchen, wir verlangen Applaus."

Die Beziehungen, die Beethoven zu den Größen des Berliner Musiklebens anknüpfte, gestalteten sich nicht sehr freundlich. Der Direktor der Singakademie, Fosch, nahm nur kurze Notiz von Beethovens Anwesenheit. Zelter, der Freund Goethes und der Nach- folger Faschs in der Leitung der Singakademie, rang sich erst spät zu einer gerechten Würdigung Beethovenscher Musik hindurch. Mit dem Kapellmeister des Königs, Himmel, überwarf sich der Wiener Musiker sogar. Himmel war ein damals weitbekannter und sehr beliebter Liederkomponist: mit ihm ging Beethoven während seines Berliner Aufenthaltes viel um. Eines Tages forderte der Kapell- meister den jungen Pianisten während eines Spazierganges zu einem musikalischen Wettstreit heraus. Beide traten in ein Cafä, und Beethoven setzte sich, seiner Sache sicher, als erster ans Klavier. Als er geendet, kam die Reihe an Himmel. Er gab sein Bestes und spielte mit der ganzen Kunst, deren er fähig war. Ein« ganze Weile hörte Beethoven geduldig zu, um schließlich den königlichen Günstling zu bitten, daß er nun endlich einmal ordentlich anfangen möge. Dies« Worte aus dem Munde eines kaum Sechsundzwanzigjährigen waren dem verwöhnten Liebling Berlins denn doch p stark. Er nahm sie so übel, daß es einen tüchtigen Zank zwischen beiden gab. Die Versöhnung, die schließlich zustand« kam, dauert« nicht lange. Himmel konnte es sich nicht oersagen, sich über diese Kritik seines Spieles auf wenig schön« Art zu rächen; und hierüber kam es dann zum endgültigen Bruch zwischen beiden Künstlern. Ob nun diese recht unerquicklichen Bekanntschaften schuld daran tragen, oder ob der Berliner von Haus« aus dank seiner Natur» anlage wirklich kein musikalisch produktiver Mensch ist, Tatsache ist jedenfalls, daß Beethoven den Berliner als Musiker nie geschätzt hat. Desto höher freilich achtet« er seine Empfänglichkeit und Auf» nahmefähigkeit, von der er während der Berliner Reise so«indring- liche, wenn auch von ihm zunächst wenig geschätzt« Beweise empfangen hatte. Als die Berliner Oper unter großer Begeisterung der Bürger- schaft im Jahre 1815 den von Mißgeschicken arg verfolgtenFidelio " endgültig aus der Taufe hob, wollte Beethoven zum Dank eine neue Oper eigens für den Berliner schreiben. Der Plan zerschlug sich, weil sich kein geeignetes Textbuch fand. Aber Beethoven vergaß es zeit seines Lebens nicht, daß von Berlin aus unter Führung E. Th. A. Hoffmaims und anderer bekannter Musikschriftstellcr lebhaft für das Verständnis seiner Werke geworben wurde. Reinhold Müller.

Cm Denkmal für öeethovensLeonere�. Die Stadt Berlin hat anläßlich des hundertsten Todestages Beethovens die Grabstätte der Sängerin Anna Milder -Hauptmonn aus dem Hedwigs» Friedhof in der Liesen st raße mit einer Einfassung versehen und einen Grabstein mit folgender Inschrift aufstellen lasten: Hier ruht Anna Milder-Hauptmann Beethovens erste Leonore Ihrem Gedenken widmet diesen Stein am hundertste» Todestage des unsterblichen Meisters die Stadt Berlin 26. März 1927 Aus diesem Anlaß wird auch das Grab heute mit Blumen ge­schmückt werden. Merkwürdig und befremdend ist es, daß in Berlin kein eigenes Beethoven-Denkmal vorhanden ist, denn das einzige am Goldfischteich im Tiergarten stehende Denkmal ist ein Gemeinschaftsdenkmal für Beethoven , Mozart und Haydn , in dieser Art zwar einzigartig, aber nicht erfreulich und einer Stadt wie Berlin keineswegs würdig. Das Denkmal ist vielfach gar nicht bekannt. Ebenso werden die wenigsten wissen, daß Alt-Berlin auch eine Beethoven st raße hat und wo sie sich befindet: sie ist in der Tat so klein, daß sie auf Karten mit großem Maßstabe überhaupt nicht zu erkennen ist und stellt in Wirklichkeit nur ganz kurze Verbindung zwischen der Straße In den Zelten und dem Kronprinzenufer dar. Außerdem gibt, es

Gif.

Das Weib, das den Mord beging. 4s Roman von Fritz Reck-ZNalleczewen. Nein, unter keinen Umständen läßt es der Schwager Lex zu, daß sie in dieser trüben Stimmung nach Hause geht: hinein noch einmal in die Bar und mit weißem Burgunder den Abend eingerenkt! Und wieder sitzt sie in den weichen Klubsesseln des niede- ren Raumes, gießt, um die Traurigkeit loszuwerden, zwei große Kelche Hautes Sauternes herunter, sucht sich zu zer- streuen an dem Theater der großen Hall«: Generalkonsul Studemund aus Hamburg hat doch zwei Zimmer ohne Bad vorausbestellt zum Donnerwetter... Herr Perzinski aus Wien wird von einem Dreikäsehoch in Hotelunisonn ans Tele» phon dirigiert... Frau Generaldirektor Kruse ist die Hand» tasche nebst Bargeld und Schmuck abhandengekommen... Irgend jemand in der Nachbarloge muß sie wohl fixieren! Sie kann nichts sehen, ihr Rücken ist dorthin gewandt... sie fühlt trotzdem deutlich, daß in das Fleisch ihres Uesen Nacken­ausschnittes sich gierige Männerblicke bohren. Und wie sie erneut trinkt, um die Verlegenheit herunterzusfülen. als sie wohltuend das schwere süße Gift durch das Hirn schleichen fühlt, da spürt sie. wie ein Lackschuh auf dem ihren ruht, wie ihr Fuß geliebkost wird von diesem Männerfuß..- Der Schwager Lex!..- nein doch, unmöglich: ist er's gewesen, so ist's eben aus Versehen passiert! Sie ist blutrot geworden, sie zieht den Fuß zurück. Der Schwager Lex er» zählt mit sehr harmlosem Gesicht, daß er verwundet worden sei, er zeigt ihr, von russischen Reiterattacken und dem Vernich» tendcn Feuer seiner Batterie schwadronierend, eine Schrapnell- narbe am Arm... der Schwager Lex hat es bestimmt nicht getan, der Schwager Lcr stößt erneut mit ihr an und schmiegt, während er trinkt, sein Knie dicht an das ihre... Das ist zuviel, und nun wird sie sich einfach der Siwation entziehen, indem sie aussteht und in den Tanzraum gehst Und da. wie sie sich umdreht und den Schwager Lex bittet, sie zu begleiten, da eben entdeckt sie den, der sie die ganze Zeit über fixiert hat: es ist ein Mann mit einem fast knabenhaft zier- lichsn Körver und frauenhaft feinen Händen, die resigniert und höchst lässig mit irgendwelchen Münzen spielen... ja. alles

wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn dieses faltige und doch wieder knabenhafte Gesicht mit den großen und eigentlich traurigen Augen ihr nicht schon einmal begegnet wäre. Wo denn nur... wo? Ja. es ist das Gesicht des Mannes, der sich gestern in der Marienkirche ihr in den Weg gestellt hat, und der dann Plötz- lich verschwunden war... Unsinn, kleine Sif: Phantome trinken nicht in der Bar des Exzelsior-Hotels Capkognak... Es ist, wie auf ihre Bitte der Schwager Lex beim Barmixer erfragt, irgendein exotischer, im Hotel wohnender Miltärattachxi... es ist eine höchst zufällige Aehnlichkeit mit jenem Phantasieprvdukt von gestern, nichts weiter! Aber dann sieht sie doch wieder diese entsetzlichen stillen, traurigen Augen unverwandt auf sich ge- richtet, und dann ist es, als vereinigte sich alles männliche Be- gehren im Saale ringsum... die Gesichter dieser besmoking- ten Halb- und Vollkavaliere, der heiße Atem ihres Schwagers, die Wärme seines Knies... alles, alles in diesem Blicke. Es ist zu bemerken, daß sie sich noch bis zum Bartisch rettet, daß der Schwager Lex es noch fertig bekommt, hier, unter den Blicken dieses Fremden da ihr irgendein Höllengebräu einzu- flößen. Sie kann es aber nicht ändern, daß sie sich im nächsten Augenblick in einem ihrer Herzanfälle, zu dem die Hitze des Raumes, der Zigarettenqualm, der überschwere Burgunder beigetragen haben mag, in ihren Stuhl retten muß. Der Schwager Lex hat sofort einen Wagen besorgt... hinaus und fort von hier! Als sie hinaustritt in den scharfen Schneewind, vorüber- geht an den Zeitungsverkäufern, die sich frierend die Hände reiben, merkt sie, daß sie viel zuviel getrunken hat... die Lichtreklame des Potsdamer Platzes, die Feuerwürmer der Trambahnzüge, die scheinbar schweigend in die Innenstadt flutenden schwarzen Menschenmassen: alles mischt sich zu einem sinnlosen Brei. Nach Hause... ich bitte, nach Hause.. Als sie bei vieler Bitte den Arm ihres Schwagers fester faßt, wird ihre Bewegung durchaus mißverstanden, und wieder fühlt sie seinen Lackschuh auf dem ihren Und dann geschieht es am Brandenburger Tor , wo der Wagen für ihren Weg in die Linden einbiegen müßte, daß eme häßliche Angst nach ihr faßt, daß sie ihn noch einmal flehentlich bittet, sie nach Haufe zu bringen. Pflicht!" fant dr,- Schwager Lex und scheint auf jeder Haarspitzc seines Hiü.�öartcs ein Atom Pflichtgefühl sitzen zu

aber noch Beethoven st raßen in Mahlsdorf . Köpenick . Lichten» rade, Lankwitz und Rosenthal. Wenn einmal die große Straßen- umtaufe kommt, dann wird man hoffentlich auf den Namen des großen deutschen Tonheros auch eine Straße taufen, die nicht gar so abseits liegt, so unscheinbar ist und infolgedessen so unbekannt bleibt wie die heutige Beethooenstraße im Bezirk Tiergarten .

Jungborne für üas Volk. Die Grundlagen einer großzügigen VolkShygicne. In einer gutbesuchten Versammlung der Vorstände und Gc- schäftsführer der Berliner Verbandskrankenkasscn sprach Dr. Wolff(der Dichter desArmen Konrad") über die neuen Methoden der Naturheilkund«. Er ging von der großen Umwälzung in der Medizin während der letzten zehn Jahre aus, die in der Erklärung von Bier in der Münchener Medizinischen Wochenschrift" vom 1. Mai 1926 in seinem Bekenntnis zur Homöopathie ihren Höhepunkt gefunden hat. Bis dahin hatte man in der Medizin nur versucht, die Krank- heit als solche zu heilen, ohne Rücksicht gewissermaßen auf den Menschen, der diese Krankheit hatte. Erst die Forschungen auf dem Gebiete der Konstitution haben uns diese neuen Gesichts- punkte eröffnet. Die wichtigen und wertvollen Erkenntnisse des Naturheilverfahrens wurden bis jetzt schon von Dr. Lahmann imWeißen Hirsch", von Pfarrer Kneipp, dem Lehm» pastor Felke usw. in wohlgeleiteten Sanatorien den besitzenden Klassen zugänglich gemacht. Ausgabe der Krankenkassen. als den Hauptverantwortlichen für die Gesundheit der arbeitenden Masten, ist es, auch von ihrer Seite diesen Heilverfahren in ihren Behandlungsmethoden Eingang zu gewähren und sie auch den min» derbemittelten Kreisen zuzuführen. Bis jetzt sind die Krankenkasten auf Gnind der Gesetzgebung gewissernrahen auf die allopathischen Heilmethoden festgelegt. Trotzdem aber dürften sich die Kranken. lassen große Sympathim bei ihren Mitgliedern erwerben, wenn sie sogenannteI u n g b o r n e" schaffen würden. UnterIungborn" versteht der Referent ein Gelände von zwei bis vier Hektar mit Wasserzufuhr durch Quelle oder Leitung, Lehmmulden, Sandbädern, Rasen, ein« größere offene Liegehalle, zwanzig bis dreißig Schlaf- Hütten für den Kurbeginn und empfindliche Kranke, eine einfach« Speisehalle mit anschließender Küche, und zwanzig bis dreißig Sitz- badewannen, sowie Sportgerät. Die Heilmethoden selbst bestehen in Luft-, Licht- und Sonnenbädern für Skrofulöse und Drüsenkranke, Sand, und Lehmbädern für Rheumatismus und Gicht, Reibesitzbädern und Kneippsche Güsse bei Darin- störungen, Stoffwechselkrankheiien, chronischer Verstopfung usw. Diese Einrichtungen, bei denen der Verfasser besonderen Wert auf ihre Einfachheit legt, dürsten die finanziellen Fähigkeiten der Krankenkasten nicht überschreiten. Die Kranken, die dahin kämen, würden sich meistens aus den Anhängern des Naturheilverfahrens wir können in Berlin chre Zahl mit Familienangehörigen aus etwa 306006 schätzen rekrutieren. Denn so erstrebenswert es ist, daß jeder, der an solchen Krankheiten leidet, einer solchen Radikalkur unterzogen wird, könnten die Krankenkasten bei der« Einstellung eines großen Teiles der Versicherten hinsichtlich des Naturheilverfahrens es nicht wagen, solche Kranke gegen ihren Willen dahin zu senden. Die Ausführungen des' Redners fanden reichen Beifall und hatten eine angeregte Diskussion zur Folg«. Vom sozialhygienischen Standpunkt aus ist es zu wünschen, daß die Ber - liner Kronkenkassen, die durch die Schassung der Ambulatorien bahq- brechend auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge gewirkt haben, durch die Schaffung von Jungbornen sich weiterhin um die Gesundheit ihrer Mitglieder im Interesse des Valksganzen verdieM machten.

Verkehrszählung auf Stadt- und Vorortbahnen. Um ein Bild des diesjährigen Frühjahrsverkehrs an Wochentagen zu erhalten, findet in? Freitag, dem 8. April 19 2 7, auf den Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen eine Verkshrszählung in der üblichen Weise statt. Die Reisenden erholten je nachdem, ob sie Inhaber von Einzelkarten, Wochenkarten, Monatskarten ziveiter oder dritter Klasse sind beim Antritt der Fahrt Zählkarten, die an den Sperren der Ankunftsstationen beim Vorzeigen der Fahrtausweise abzugeben sind. Die Reichsbahn- direktion bittet das Publikum, wie bei den früheren Zählungen lhr durch willige Abnahme und Wiedergabe der Zählkarten bchiljlich zu sein, die Feststellungen reibungslos durchzuführen. haben. Und dann setzt er ihr auseinander, daß er eben Pflicht- vergessen an Robby handeln würde, wenn er sie in diesem Zustande allein ließe. Sie hat den Eindruck, daß der Chausseur, den sie vergebens anders zu dirigieren sucht, und der eben, vhne sich um sie zu bekümmern, die Marschallbrücks überquert, verstohlen grinst bei den Worten des Staatsan- walts: nach fünf Minuten halten sie vor Lex' Wohnung in der Ziegelstraße. Die drei mattenbelegten Treppen eines schäbig-cleganten, verwohnten und muffig riechenden Hauses, ach jeder Zwischen- «tage je eine Gipsbüste von Moltke über Bismarck sich stei- gernd bis zum alten Kaiser ... ein fünfunddreißigjähriges Frauenzimmer, das oben öffnet und mürrisch sie mustert. Eine elegante Wohnung, die Wohnung eines Ritters: ein Wohnzimmer mit Diwan und Kastengrammophon und Plllschvorhängen, die an wagerechten Messingspiehen befestigt sind... mit Mützen und Rapieren des Refonnkorps Palaio- Borussia an der Wand und Leuchtern aus gekreuzten Bajo- netten und einer hochberllhmten Strafrechtlehrerbüste auf dem Schreibtisch, die sich hier wie ein in ein Bordell verirrtev Mathematikprofessor ausnimmt. Der Staatsanwalt dreht das Licht ab: er wird nebenan Kaffee bereiten, sie wird sich derweil hier auf dem Diwan ein wenig erholen, er läßt sie diskret allein. Da liegt sie, kauert sich zusammen in unbestimmbarer Angst, das Herz geht wie das eines jungen Singvogels, nach dem die Hand eines Schulbuben greift: Mann mit blau- cheviotenem Spitzbauch streichelt ihr Knie... Robby ver- prügelt auf dem Boden... Schwager Lex' Knie an das ihre' sich schmiegend... Männerfratzen ringsum... OnestepWhere is Mary"... die Augen, die schrecklichen toten Augen des Menschen vorhin in der Bar... Angst, entsetzliche Angst... Sie fährt auf mit einem Schrei, sie ruft, umnebelt, wie sie ist. Robbys Namen. In das Zimmer tritt der Schwager Lex mst dem zerhackten Beessteak-Gesicht... hinter ihm dieses schlampige Weib mit dem Kaffeetablett. Diese neugierigen Blicke dann, die ihr einfach die Kleider vom Leibe reißen... der widerliche Hauch des Peau d'Espagne aus dem Schlaf- zimmer nebenan... So geht es nicht weiter; sie ist verloren, wenn sie sich nicht zusammennimmt! Sie ordnet ihr Haar, die zerknitterten Kleider, richtet sich auf, der Duft des Kaffees hilft ein wenig. sie sitzt ihrem Schwager gegenüber... (Fortsetzung folgt.)