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Nr. 145 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 72
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26. März 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Vier Todesurteile im Wilms- Prozeß.
Schulz als Anstifter, Fuhrmann, Klapproth und Umhofer wegen Mordes verurteilt, die übrigen Angeklagten freigesprochen.
3m Fememordprozeß Wilms verkündete heute um 12 Uhr 40 Minuten der Schwurgerichtsvorsitzende Sie. gert das folgende Urteil: Die Angeklagten Fuhrmann, klapprofh und Umhofer werden wegen gemeinschaftlichen Mordes zum Tode verurteilt. Der Angeklagte Schulz wird wegen Anstiftung zum Morde zum Tode verurteilt. Die Angetlagten v. Pojer, Dr. Stanfien und Budzinsky werden frei. gesprochen. Die Kosten des Verfahrens fallen, soweit nicht Freisprechung erfolgt ist, den Angeklagten zur Last.
Die Urteilsbegründung:
Der Borsitzende Landgerichtsdirettor Siegert führte in der Urteilsbegründung u. a. aus: Die Ereignisse, die diesem Prozeß zu grunde liegen, gehen auf die Jahre 1922/23 zurüd, auf die Zeit, als das Deutsche Reich durch Frankreich schwer bedroht wurde. Die Reichswehr schien nicht imstande, dieser Drohung allein gewachsen zu sein, deshalb entstanden die Arbeitsfommandos, Formationen, die bestimmt waren, für die Reichswehr die Reserve zu bilden, ein Schußmall für die Insurgenteneinfälle im Osten zu sein. Diese Gebilde wurden als Rahmenorganisationen für Dffi. ziere und Unteroffiziere gestaltet, die die Mannschaften auszubilden hatten. So sollten Truppen gefchaffen werden, die gegebenenfalls aufstünden, um den Rüden der Reichswehr zu decken.
Schulz hatte das erste derartige Arbeitskommando in Küstrin vorbildlich aufgezogen. Bald darauf entstanden ähnliche Arbeits. tommandos in Spandau , Döberiß, Rathenow , Potsdam . Buch. ruder war es, der in dem Wehrkreis 3 die organisatorische Leitung AK.'s innehatte, Schulz war seine rechte hand. Die Funktionen und die Aufgaben dieses UK.'s war derart, daß
nichts von ihnen in die Deffentlichkeit dringen
follte, sollten der Staatsregierung feine Schwierigkeiten entstehen. So war die Geheimhaltung das A und O der ganzen Einrichtung. Um die Geheimhaltung zu erzwingen, wurde zu dem schwersten Terror gegriffen.
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Selbst vor Tötung schredte man nicht zurück. Solch eine Tötung beschäftigte auch in diesem Prozeß das Ge: richt. Die Urteilsbegründung fommt dann auf die bekannten Ereignisse zu sprechen, die Wilms Eintritt in die Arbeitskommandos vor. ausgehen, auf seine Berfehlungen, auf seinen Transport nach Span. dau und Rathenow und auf die Art, wie er betrunken gemacht und ermordet wurde. Fuhrmann, Klapproth und Umhofer find als Täter überführt worden. Fuhrmann ist am Tage der Tat in Rathenow erschienen. Er ist dem von Schulz verfproche nen Auto entgegengefahren und er hat Sommerfeld gegenüber ein Geständnis abgelegt. Alap proth hat bereits seinem eigenen Geständnis nach eine ähnliche Tat, wegen der er in Lands berg verurteilt worden ist, begangen. Berdächtig erscheint es, daß er sich auf seine Anwesenheit in der„ Neuen Welt" nicht besinnen will, weil er betrunken gewesen sei. Nicht betrunken war er jedenfalls, als er das Auto nach Rathenow brachte. Zeugen haben ihn aber als Chauffeur im Auto gesehen, als dieses die Neue Welt" Derließ. Umhofer war derjenige, der sich von Anfang an
an Wilms Fersen geheftet
hat. Er war auch mit an der Havel .
Was Schulz anvetrifft, so muß schon von vornherein auffallen, daß sich bei der Tat verschiedene Personen zusammengefunden haben, die zu verschiedenen Formationen gehörten. Es fonnte sie nur ein gemeinsamer Wille vereinigt haben. Der gleiche Wille, der in ihnen auch den Entschluß, Wilms zu töten, hervorgerufen hat. Die Entscheidung fonnte jedoch nur zentral getroffen sein. Denn fein Unterführer hätte die Berantwortung für die Ermordung auf die eigene Kappe genommen. Berantwortlich für die ganze Arbeit der Arbeitskommandos war aber der Angeklagte Schulz. Er allein hatte die Macht, Poser den Befehl zu erteilen, Bilms der Sommission zu übergeben. Da der Prozeß feinen Beweis dafür erbracht hat, daß jemand von den Reichswehroffizieren den Befehl erteilt hat, so fonnte nur Schulz derjenige gewesen sein, der ihn gegeben hat. Gutknecht fonnte dies allein auch nicht getan haben. Hinzu fommt noch, daß daß auch andere Fälle mie die Ermordung Paniers oder Gröschtes nur auf den Befehl der Zentrale haben ausgeführt werden können.
Es ergab sich eben aus der ganzen Situation, daß eine Geheimhaltung erzwungen werden mußte, und so lag es nahe, daß die Feme von den A. nach dem Vorbild von Oberschlesien über nommen wurde. Das Gericht ist überzeugt, daß es sich hier um die Femeorganisation gehandelt hat. v. Bojer, Stantien und Budczinski find zwar in höchstem Maße verdächtig, Beihilfe geleistet zu haben. Das Material gegen fie hat jedoch nicht ausgereicht, um fie zu verurteilen.
Die bürgerlichen Ehrenrechte hat das Gericht nicht abertannt. Und zwar aus folgenden Gründen: Die Angeklagten
haben die Tat begangen. Es war eine scheußliche und verwerfliche| Tat, für die sie die ganze Verantwortung tragen; sie haben sie aber nicht aus Eigennuß und nicht aus eigenfüchtigen Gründen begangen; sie glaubten, damit einer guten Sache zu dienen, und dieser gute Glaube tann ihnen nicht abgesprochen werden. Eine gewisse Ent schuldigung und eine Erklärung für ihre Tat ist auch darin zu finden, daß die Reichswehr bei der Einrichtung der Arbeitskommandos hätte sich dessen bewußt sein müffen, daß sie Formationen fchafft, die geheimzuhalten sind. Wenn fie die Löfung diefes Problems allein dem Arbeitskommando überlaffen hat, so hat fie auch auf sich eine große Verantwortung übernommen, da sie sich hat jagen müffen, welche Erscheinungen daraus entstehen würden. Sie hätte die Arbeitskommandos einer scharfen Kontrolle unterziehen müssen, um derartige Erscheinungen zu verhindern. Das ist nicht geschehen. Trotzdem tragen die Täter die volle Berantwortung für die scheußliche Tat. Sie ist nicht zu entschuldigen. Das Gericht hat fich ferner die Frage vorgelegt, ob es nicht in anderer Weise für sie eintreten soll. Es hat deshalb beschlossen, den Gnadenweg zu
beschreiten.
Auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie Erklärungen abzugeben hätten, erklärt der Angeklagte Fuhrmann, daß er Revision einlegen wolle. Die anderen Angeklagten enthalten sich jeder Erklärung. Die anderen Angeklagten enthalten sich jeder Erklärung Das Urteil nahmen sie alle gefaßt entgegen.
Mit diesem Urteil hat der leßte der Fememord progeffe vorläufig feinen Abschluß gefunden. Im vollen Lichte der Deffentlichkeit ist es den Winkelzügen der Angeklag
ten und ihrer Verteidiger nicht geglückt, die Schuld von der Ermordung des Wilms von sich abzuwälzen und auf geflüchtete Mittäter abzuschieben. Es ist endlich auch der Organis fator des Ganzen, der Angestellte des deutschnationalen Landarbeiterbundes, Schulz, als Mordanstifter gebrandmarkt, nachdem es ihm bisher immer gelungen war, fid) mit der Toga des nationalen Reiters zu behängen.
der Schwarzen Reichswehr " und damit die Zur Schau stand in diesem Prozeß vor allem das System Reichswehr selbst. Daß Mordbuben ein Opfer niederschlagen und den Leichnam verscharren, das ist in der Neuzeit leider nicht mehr so selten, daß es noch besonderes Aufsehen erregen fönnte. Auch der ermordete Wilms würde die Deffentlichkeit faum noch so lange beschäftigt haben, wenn er nicht ein Opfer der Feme war und wenn sich nicht die aus der Geheimorganisation der Schwarzen Reichswehr kommende Feme zu einer Gefahr für das ganze Volk entwickelt hätte.
Dieser Mordfall Wilms war eben nur ein Glied in einer langen Kette ganz gleichgearteter Fälle. Bedenklich war es, Die zusammenhängenden Glieder zu zerreißen und das Gericht über die Schwarze Feme in eine Reihe von Einzelprozessen zu verzetteln.
Da war eine Berhandlung in Schwerin hinter verschloffenen Türen, eine andere in Berlin , von der Deffentlichkeit bombensicher abgeschlossen; dann die drei Berfahren in Landsberg mit wechselnder Aufmachung und nun diese und
Das Brot wird noch teurer!
Erhöhung des Mehlzolls- aber kein Geld für Kinderspeisungen.
Der Bürgerblod, der im Etat die für Kinderspeisungen vorgesehenen Ausgaben von 5 Millionen Mart angeblich aus Geldmangel gestrichen hat, überraschte den Reichstagsausschuß für Handelspolitit mit einer Vorlage, wonach der Mehlzoll ab 1. April von 10 m. auf 12,50 m. je Doppelzentner erhöht werden sollte. Trotz des scharfen Einspruches der Sozialdemokratie, die diefes große Geschenk an die Großagrarier und an das Mühlenkapital auf Kosten der Berbraucher verhindern wollte, setzte sich die bürgerliche Mehrheit über alle Bedenken hinweg und beschloß heute diese Maßnahme, die eine neue Berteuerung des Brotes für die notleidenden Massen der arbeitenden Bevölkerung, eine neue Berfürzung der Lebenshaltung der ohnehin zum Hunger verurteilten Erwerbslofen bedeutet.
Diesem Beschluß gingen Beratungen vorauf, die das ganze System des Rechtsblods und seine Brotwucherpolitik auf das drastischste kennzeichneten.
Spekulation mit Reichsgeldern auf Kosten der Verbraucher!
Seit rund einem Jahre hat Deutschland eine Getreidehandelsgesellschaft. Sie wurde durch ein Reichsgesetz gegründet, mit dem Ziele, die Preise für landwirtschaftliche Produkte zu stabilisieren, das heißt, in bezug darauf einen billigen Ausgleich zwischen Produzenten und Konsumenten herbeizuführen. Zu diesem Zweck stellte ihr das Reich einen Kredit von 30 Millionen Mart zur Verfügung. Die Sozialdemokratie stimmte feinerzeit gegen den betreffenden Gesezentwurf, weil sie die Befugnisse der Getreidehandelsgesellfchaft als nicht ausreichend betrachtete. Wie recht sie damit hatte, zeigte fich jetzt, als ihre Bertreter im Handelspolitischen Ausschuß die Regierung fragten, was eigentlich die Getreidehandelsgesellschaft im ganzen ersten Jahre ihrer Tätigkeit eigentlich getan hat.
Die Regierung ließ durch ihren Vertreter zunächst erflären, daß die Getreidehandelsgesellschaft anfänglich eigene fleine Bor. räte an Getreide abgestoßen habe, ohne allerdings damit eine große Wirkung auf dem Markte zu erzielen, und daß sie später zum Termin handel an der Börse übergegangen sei. Mit dieser Erklärung gaben sich jedoch unsere Bertreter nicht zufrieden. Genosse Schmidt( Stopenid) erklärte rund heraus,
daß
die Getreidehandelsgesellschaft immer nur dann eingegriffen habe, wenn es galt, die Getreidepreise hochzutreiben; fie habe sich also lediglich im Interesse der Produzenten, nicht der Konsumenten betätigt. Und Genosse Hilferding griff das ganze System dieser Art von Wirksamkeit der Getreidehandelsgesell schaft an. Diese Gesellschaft, so führte er aus, habe die 30 Mil fionen zu 1% Prozent erhalten, aber mit wenigstens 7 Prozent bei der Bant angelegt, wie aus der Regierungserklärung herDorgehe.
Dazu feien aber Reichstredlte nicht da, daß sich eine Gefellschaft private Zinseinnahmen verfchaffe,
dazu feien im besonderen diefe 30 Millionen nicht gegeben worden. Weiterhin ergebe sich nun, daß die sinkenden Terminnotierungen der letzten Zeit von der Getreidehandelsgesellschaft künstlich herbeigeführt worden wären, aber anscheinend nur, um auf finfende Preise verweisen zu können, denn der tatsächlich gezahlte Breis werde davon doch nicht wesentlich beeinflußt. Infolgebeffen würden von der Getreidehandelsgesellschaft mit staatlichen Mitteln auch noch Berlust geschäfte und
gemacht. Das müsse die Regierung verbieten und dagegen völlig finnlose Börsenspekulationen sollten sich alle Parteien gemeinsam mit der Sozialdemokratie wenden. Jedenfalls zeige fich nun mit aller Deutlichkeit, daß die stehen bleiben könne, daß sie namentlich die Befugnis haben Getreidehandelsgesellschaft in ihrer jezigen Berfassung nicht be= müsse, alljährlich eine bestimmte Menge von Brotgetreide zollfrei
aus den anderen Ländern einzuführen.
Die Regierung war nun wohl oder übel gezwungen, wenigstens etwas weiter aus sich herauszugehen. Sie erklärte, daß es sich bei der Beteiligung der Getreidehandelsgesellschaft am Ter minhandel nicht um fiftive Geschäfte gehandelt habe, sondern um Abgaben, die durch tatsächliche Antäufe im Ausland ge deckt worden seien. Um wieviel es sich dabei handele, wolle sie nicht sagen, weil sonst die Wirkung dieser Art von Betätigung verloren ginge. Im übrigen vertrat sie den Standpunkt, daß die Getreidehandelsgesellschaft nicht ihr ganzes Kapital ausgeben dürfe, weil sie Reserven an sich und darüber hinaus eine Möglichkeit haben müsse, etwaige Berluste zu decken.
In der weiteren Auseinandersetzung, an der sich auch die bürgerlichen Vertreter lebhaft beteiligten, verlangte Genosse Hilferding , daß die Regierung doch endlich einmal flipp und flar fagen folle, wieviel die Getreidehandelsgesellschaft eigent lich ausgegeben habe, damit man alles flar sehen könne. Genoffe Wissell wies darauf hin, daß es entsprechend den Mitteilungen der Regierung nur logisch fei, wenn nun die Befugnisse der Ge treidehandelsgesellschaft besonders nach einer bestimmten Richtung hin erweitert würden. Deshalb stellte er im Namen der sozialbemokratischen Ausschußmitglieder folgenden Antrag:
„ Die Getreidehandelsgesellschaft wird ermächtigt, zur Senfung des inländischen Roggenpreises zollfrei Roggen aus dem Ausland einzuführen.
Dazu erklärte selbst ein bürgerlicher Abgeordneter, Professor Dessauer( 3.), daß ernstlich nachgeprüft werden müsse, ob nicht der Getreidehandelsgesellschaft tatsächlich größere Befugnisse zuzubil ligen wären, wobei er offen zugab, daß solche Spekulationen mit Staatsmitteln nicht schön seien und außerdem die Gefahr bestände, daß einmal eine stärkere Hand im Auslande dagegen operiere.
Die bürgerliche Mehrheit lehnte jedoch bei der Ab. ftimmung den fozialdemokratischen Antrag, der die Getreidehandelsgesellschaft zu einem Instrument des Schutzes gegen übermäßige Broffornpreise machen wollte, unter nichtsjagenden Borwänden ab!