Nr. 176 ♦ 44. Jahrgang
1. Oeilage öes Vorwärts
Donnerstag, 14. �pril 1427
�rekenwalSe- GSerberg— Lunow. In Freienwalde wollen wir unsere Osterfahrt beginnen. Wir erreichen diese Vergstadt am südlichen Rande des großen Ur- stromtals, auf dem Westufer des Oderbruchs mit dem Fernzug vom Stettin « Bahnhof aus. Sonntagsrückfahrkarte 3. Klasse 3,(50 Mark. 4. Klasse 2,70 Mark. Pom Bahnhof wandern wir nördlich über die Oder nach Schiffmühle auf der Neuenhagener Insel und am Südostrand der Insel über Neu-Tornow nach Gabow. In steilem Anstieg geht es auf die 75 Meter hohe Granittoppe nördlich vom Dorf. Sie bietet eine prächtige Aussicht üb« dos Oderbruch und die Höhenzüge des Barnim , der Uckermark und der Neumark . Noch Westen steigen wir herab von der Granitkoppe zur Chaussee noch Neuenhagen . Wir durchwandern dieses Dorf und kommen noch Oderberg . Bor der Oderbrücke sehen wir l'nks, zwischen Chaussee und Alter Oder, den..Bärenkasten"', einen Ueberrest der 1372 er- bauten Festung. Oderberg liegt am Südhang der uckermärkischen Höhen, auf dem Nordufer des Urstromtals . Die große südbaltische Endmoräne erreicht hier das Tal. Der Ort wird bereits 1238 ge- nannt. Vom Nordende des Städtchens wandern wir auf der Straße nach Lunow. meist durch Wald, am Forsthaus Breiteleg« vorüber, nach dem großen Dorf Lunow, einem bedeutsamen Fischer- und Schifferort an der Oder. Entfernung Freienwalde— Oderberg elwa 12 Kilometer, Oderberg — Lunow etwa 8 Kilometer. Lunow— Stolpe— �ngermünüe. Bon Lunow gehen wir hinunter zum Oderwall und wandern auf diesem gen Nord. Schöne Ausblicke auf den Oderstrom und die gegenüberliegenden neumärkischen Höhen mit Bellinchen. Auf dem linken uckermärkischen Ufer taucht bald Stolzenhagen auf.
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dessen Häus« in die Schluchten des Uferhangs hineingebaut sind. Lieblich schmiegt sich das Dorf mit seinem bescheidenen Kirchlein an die stellen Uferwände. Wir wandern auf dem Wall weiter. Die Oder wurde in den sechziger Iahren des vorigen Jahrhunderts neu eingedeicht, eine Verwallung wurde angelegt.. Dadurch wird die längs des Stromes sich erstreckende Niederung vor Ueberschwemmungcn geschützt. Beim Stolper Dammhaus verlassen wir den vderwall. Durch die von alten Oderarmen und Gräben durchzogene Niederung und über den Kanal kommen wir nach Stolpe, das wir schon lange in Sicht hatten. Der Ort, jetzt ein Dorf, war ehemals ein Städtchen, der Hauptort des Stolpischen Kreises, der bis 1816 bestand. Das Wahrzeichen von Stolpe ist der Bergfried oder „G r ü t t p o t t", wie er von den Bewohnern der Gegend genannt wird. Er krönt eine Bergkuppe als letzter Ueberrest der Burg Stolpe. Um 1200 wurde er erbaut und trutzig stehen noch heute seine ge- waltigen Mauern, die zwei Meter dick sind. Der Turm ist 40 Meter hoch, er reicht zwölf Meter tief in die Erde, sein Durchmesser be- trägt 6,50 Meter. Unten an«in« Stelle des Berges führt ein schmal« Gang hinein in die Erde, zu einer schweren eisernen Tür, der Pforte des Turmes. Einen prächtigen Rundblick genießen wir von der Kuppe. Auch vorgeschichtliche Siedlungsspuren sind hi« ge- funden worden. Am Talrand erstand um 1420 Schloß Stolpe , das als einziges unversehrt den Dreißigjährigen Krieg überdauerte, 1917 abbrannte, aber inzwischen wieder aufgebaut wurde. Stolpe ist der Geburtsort des berühmten Geologen Leopold von Buch , der hier 1774 das Licht der Welt erblickte. Vom Westende von Stolpe wandern wir an dem von hohen Bergen eingeschlossenen Stolper Mühlenfließ und durch die Gellmersdorfer Forst, einem schönen Mischwald, nach Gellmersdors. Hier ist das alte Kirchhofsportal bemerkenswert. Nördlich der Kirche zum Dorf hinaus und dann gen West bergan. Bon d« Höhe schöner Rückblick zur Oder und den bewaldeten Bergen jenseits des Stromes. Bor uns etwas rechts Kloster und Marienkirche von Angermünde und im Vordergrund Neu-Künkendorf am Fuß des bewaldeten Gottesb«ges. Allenthalben sehen wir Ge- schiebehaufen: am Weg« und aus den Feldern sind sie aufgetürmt. Durch Neu-Künkendorf und am Gottcsberg(links) und Voßberg (rechts) vorüber, kommen wir nach Herzsprung, am nördlichen Zipfä des Paarstein« Sees gelegen. Von hier aus gen Nord nach Angermünde . An mittelolt«lichsn Bauten weist die Stadt be- sonders die gewaltig« Marienkirche und das Kloster auf. Auch ein Teil der Stadtmauer mit dem Puloerturm ist noch erhalten. Ent» f e r n u n g Lunow— Stolpe etwa 10 Kilometer, Stolpe— Angermündc etwa 14 Kilometer. �ngermünde— �oachimstal. Südlich von Anzermünde, an der Cberswalder Chaussee, liegt der Stadtpark. Wir wandern halbrechts durch den Part und kommen auf dem südwestlich führenden Wege nach Schmargendorf , einem stattlichen Vauerndorf in ein« Mulde inmitten der bergigen Grundmoränenlandschast. Nach Urkunden aus dem 14. Jahrhundert hieß es ursprünglich Markgrafcndorf. Der weißgetüncht« Kirchturm mit seiner schwarzen Haube leuchtet weithin üb« das Dorf. In einiger Entf«nung ziehen sich die weitausgedehnten Laubwälder der südlichen Uckermark hin. Vom Südende des Dorfes wandern wir gen Nordwest, am Rojatenberg«(links) vorbei zum Anfang des Waldes und nun am Waldronde entlang nach Forsthaus Albrechts- höhe. Vom Wege schöne Ausblicke üb« die im unregelmäßigen
Wechsel sich folgenden Bergkuppen und Talsenken der Grundmoränen. landschaft und den großen Paarstciner See. Dann durch schönen Mischwald, der hauptsächlich aus Buchen besteht, in den Eichen, Birken, Fichten und Kiesern eingesprengt sind, nach G r u m s i n. einer kleinen Siedlung, die etwas nördlich der Straß« liegt. Auf dem Waldboden sehen wir die Laubwaldbodenslora, Anemone, Leberblümchen, Sauerklee, in schönster Blüte. Weiter nach Nord- west, aus einer schmalen Chaussee, die durch jungen Wald führt, der zu den schönsten Teilen des Grumsin gehört. Etwas links abseits liegt der Große Grumsinsee. Wir kommen zum D o v i n s e e, dem die Welse entfießt. Bald haben wir Forsthaus Bären- dikte am Ende der Forst Grumsin erreicht. Gleichsam zum Ab- schied erblicken wir diesen schönen Wald der Uckennark noch einmal in sein« größten Herrlichkeit. Schlanke Buchensäulen, hochan- strebende Fichten umrahmen lieblich das Forsthaus. Die auf dem Waldboden allenthalben verstreut liegenden Gcschiebeblöcke, häufig von dicken Moospolstern überzogen, zeigen uns an, daß wir in einem steinreichen Moränengebiet aus der Eiszeit wandern. Kurz hinter Bärendikte verlassen wir die Straße und wandern nach Süden zum Grimnitzsee. Der Boden ist sandig(Dünensand), hier gedeiht nur die anspruchslose Kiefer. Der Grimnitzsee liegt un- mittelbar hinter der Endmoräne: er ist ein Stausee, der Rest eines einst viel größeren Staubeckens. Er ist nahezu kreisrund und flach:
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Das Weib, das den Mord beging. 201 Roman von Fritz Reck-Alallcczewea. Und dann die Straßen längs dem Damm der La Plata- Lahn , die Lichter der Schiffe zur Linken, die Gewitterbank über der See, die neunzig Stundenkilometer der Maschine... Ja, es ist eine seltsame Fahrt: der Diener Theodorowitsch, der Zeuge des Auftritts gewesen ist, unterläßt es jetzt durchaus, sie zu belästigen, der Oberst Miramon, auf der Plaza, unter den Augen des Korsos angeschrien und abgekanzelt von seiner Sekretärin, schweigt in der Rolle des für dieses Mal jedenfalls an seinem Opfer vorbeigesprungenen Löwen. Und die kleine Sif hat jedenfalls zum erstenmal den unmittelbaren Triumph über ihn erlebt... ja. nun hat sie das sichere Gefühl, sich wehren zu können gegen ihn, oh. sich zu wehren, wenn es not mit scharfen Weiberkrallen... Zwanzig Minuten nach den letzten Häusern— sie merkt sich gut die Zeit— endet diese Fahrt inmitten der ungeheuren Sumpfwälder vor einer Pforte mit zwei Steinphinxen. Ein Gartenweg dann, auf dem die Scheinwerfer allerlei künstliche Grotten und Porzellanvögel beleuchten, dahinter mit ver- gitterten Spitzbogenfenstern das übliche, rot angestrichene spanische Haus. Ein halbnacktes männliches Individuum öffnet und be- mächtigt sich stumm der Koffer, dann schließt sich, als sie auf dem Hausgange sind, hinter ihnen die Tür, der Schlüssel wird mehrfach herumgedreht, ein Riegel gehandhabt. „Ich habe die Ehre, Sie auf Ihr Zimmer zu begleiten." Der Gang führt direkt in das Patio, in diesen rundum von dieser Hausfestung umbauten Innenhof mit seinem obli» gaten Prunnen. Exotisches Federvieh schläft angekettet in seinen Ringen, vor der Gesindestube, wo noch Licht brennt, sind in ihren Käfigen die armen Versuchstiere des Obersten Miramon untergcbacht. Dann die Steintreppe, die aus diesem Hof hinansührt zu den oberen Stockwerken, dann ein altes, traumhaft häßliches, farbiges Weib, das oben wartet, ihnen leuchtet über den Gang mit den knarrenden Dielen. Dann �am Ende dieses Ganges , der wie in eine Grabkammer führt, öffnet die Aste ein entsetz» lüh dumpfes» enges Loch mit vergitterten, auf das Patio hin-
ausführenden Fenstern, mit einer Luft, die seit Fernando Cortez nicht mehr erneuert worden ist, mit einem riesigen Bett, das wie ein Schafott aussieht... murmelt etwas, verschwindet, läßt sie allein mit ihrem Herrn und Gastgeber. Der Oberst läßt sich in einem der zerfetzten Rohrsessel nieder, zündet sich höchst umständlich eine Zigarette an:„Sie sind von etwas kurzem Gedächtnis, Madame. Sie sind durch meine Hilfe in Freiheit geblieben, und Sie geben mir zum Dank eine Probe von Ihren barbarischen Sitten, indem Sie mir auf der Plaza eine Szene machen! Ich fuhr mit Ihnen dorthin, weil..." „Weil Sie mich quälen wollten, wie es heute früh an Bord Ihre Absicht war, mich zu quälen, weil Sie... „Weil es meine Absicht war, Sie an diese Dinge zu gewöhnen. Weil Sie sich in Zukunft nicht vor Dingen fürchten sollen, die Ihnen in Zukunft noch oft begegnen werden. Weil Sie vorerst noch eine kleine Anfängerin, eine kleine Mord- dilettantin sind, der hinterher ihre Opfer leid tun. Weil ich Ihnen Ihre verfluchte deutsche Sentimentalität abgewöhnen will, weil," nun ist er aufgestanden und steht dicht vor ihr, „weil Sie begabt und entzückend sind, weil.. Pause, in der man draußen im Patio den Diener Theo- dorowitsch in etwas deplacierter Weife die vergessene Zaren- Hymne pfeifen hört, in der durch das offene Fenster das fpezi- fische Varfüm dieses Hauses— Heliotrop, Blumcnduft, mit mephistophelischen Gestänken vermischt von Tierkot und prähistorischem Unrat— Pause, in der man d.ie physische Nähe dieses Menschen da, den heißen begehrlichen Atem spürt... entsetzliche Pause, in der im Patio eine dieser angeketteten Vogelkreaturen aufkreischt, der Oberst Miramon das Fenster schließt, zurückkommt, die Hand langsam ausstreckt nach seinem Opfer... Stille gestanden, dicht an die Wand gepreßt, mit ver- bissenem Mute die Hand des anderen im Auge behaltend: „Wagen Sie es doch nur... oh, wagen Sie es..." Im selben Augenblick ist es freilich schon geschehen, daß diese Hand zufaßt, einen Sekundenbruchteil auf ihrem Fleische liegt, daß der kleine Frauenkörper sich zusammenkrampft zu einem im Grunde ja doch verzweifelten Widerstande daß grüne und rote Funken vor ihren Augen tanzen, daß diese kleine Faust mit der gleichen jähen Wut, mit der sie die Witwe Grandjean erwürgte, den Nachtalb da vor die Brust trifft... ja. so energisch, so mit dem Einsatz der ganzen Persönlichkeit, daß der Oberst Miramon auf den schmutzigen Dielen dieses ehrlosen Raumes liegt.
Lächerlich auf jeden Fall ist ein von einem Weibe nieder- geworfener Mann... ja, es ist nicht zu leugnen, daß sie nun wirklich lachen muß, daß ihr letztes bißchen Mut einen erheb- lichen Sukkurs erhält durch den Anblick des Daliegenden:„Wer sind Sie denn eigentlich... ah, wer denn? Sie spielen den Dämon, den Satan... ich glaube, daß Sie manchmal hinken und Hörner tragen! Ich fürchte Sie nicht," schreit sie, um sich Mut zu machen, mit doppeltem Forte,„ich fürchte Sie durchaus nicht. Ich verachte Sie... oh, wie ich Sie verachte!" Der Oberst Miramon hat sich sehr ruhig erhoben. Er ist nicht im mindesten beeindruckt von diesem Ausbruch: er ist, während er leise einen der Onesteps aus dem Exzelfiorhotel pfeift, zunächst damit beschäftigt, seinen beschmutzten Rock zu säubern. „Ich fürchte Sie durchaus nicht," schreit, da sie keinen Widerhall gefunden hat, noch einmal die kleine Sif,„ich werde Sie schlagen, wenn Sie sich mir nähern... o ja, wagen Sie es doch nur ein einziges Mal.. In diesem Augenblick steht der Oberst Miramon vor ihr. Und nun ist es eigentlich nicht das, was ihr unmittelbar und physisch drohen mag von dem Manne da in diesem einsamen Raum... es ist doch etwas anderes, was ihr den exaltierten Mut wieder nimmt: die Unverletzlichkeit des anderen, die töd- liche Ruhe, diese eiseskühle Bereitschaft, zu foltern, wie einst in diesem blutüberströmten Lande feine Vorfahren gefoltert haben mögen... Ganz sanft läßt sich die Stimme da drüben hören:„Sie bilden sich ein, daß ich mich Ihnen auf eine primitive, eine etwas abgebrauchte Weise nähern will... ja. ich sagte Ihnen ja schon, daß Sie eine Dilettantin sind. Es ist mir, Madame, nicht geläufig, selbst eine Flasche zu entkorken, die ich auszu- trinken gedenke. Es gibt," nun hat er sich ihres Handgelenkes bemächtigt, hat sie an das Fenster gezerrt...„ja. es gibt in jedem Falle elegantere Methoden, eine Frau zu besitzen, die widerstrebt. Die Leute da unten," er zeigt nach dem er- leuchteten Gesindezimmer des gegenüberliegenden Flügels, wo man eben seine zerlumpten Leute bei der Abendmahlzeit sehen kann,„werden Sie gegebenenfalls zur Raison bringm, meine arme Kleine. Wissen Sie, was ich tun werde? Ich werde mir erlauben, Sie diesen Kavalieren und katholischen Christen zu überlassen... ja, früher, als Sie denken. In jedem Falle habe ich die Ehre, für heute Ihnen eine gute Nacht zu wünschen, Madame... eine durchaus gesegnete Nacht." J (Fortsetzung folgt.!