.7..?. Seilage ües Vorwärts
Freitag, IS./lpril 1927
Schließlich ist es ja immer das Karnickel, das überall anfängt. Dieses äußerst rührige und produktive Tierchen hat uns letzten Endes auch unsere ganze gegenwärtige Pelzmode beschert; viele der braunen, grauen und schwarzen Pelzkragen, mit denen die Damenkonfektion jetzt die Mäntel putzt, haben denselben Ursprung-. das schlichte, bescheidene Kaninchen, das bereitwilligst sein und seiner Sippe Fell, allen Modelaunen zur Verfügung stellt. Man glaubt gar nicht, welch großartige Karriere so einem Tierchen nach seinem Tode offen steht— bis zum eleganten Sealelectric kann es da» schlichte Kaninchen bringenl Es scheint ober, als ob nun der Teufel des Ehrgeizes in die Karnickel gefahren ist, so daß sie an diesem postmortalem Ruhm nicht mehr genug haben, sondern sich jetzt bereits zu Lebzeiten unter die edlen Pelzträger drängen wollen, denn der neueste Stolz der Familie Karnickel ist das C h i n ch i l l a k a n i n, das mit Fug und Recht auf die Bezeichnung.Edelkaninchen"' Anspruch erhebt. Es ist augenblicklich Favorit auf dem Pelzmarkt, und es ist das erste Kaninchen, dessen Zucht auch in Deutschland im größten Maßstabe im Farmbetrieb erfolgt. Die Serliner Kaninchenfarm. Bisher bestanden neben Großzüchtereien, die die Zucht aber in herkömmlicher Weise noch in Kastenställen betrieben, nur zwei Farmbetriebe dieser Art in Deutschland , einen bei Hamburg und einen in Süddeutschland . Run ist bei Verlin, in Lichten- rade aus dem Gelände der ehemaligen Silbersuchssarm, der drille eingerichtet worden. Zehn lange Drahtgehege, deren Loden mit Klee besät ist, stehen den Tieren zur Verfügung; in jedem Gehege gibt ein Stall ihnen bei rauher Witterung den notwendigen Schutz. Die erste Zeit werden die Tiere freilich noch in Kasten- ställen gehalten, damit sie erst langsam an die„Freilufterziehung" gewöhnt werden, denn sie kommen ja alle aus den verschiedensten �Wohnverhältnissen", weil der Züchter vorläufig alles ouikaust, was er krieaen kann.— Chinchillakaninchen sind augenblicklich eine ge- fragte Ware, und Ihre Zucht ist nicht nur das Neueste, sondern auch das Lukrativste, was bisher aus diesem Gebiete da war. Der Herr der Farm erzählt darüber: Die Karnickel haben noch'ne Zu- kunft— man kann ja ihren Pelz gar nicht von echtem Chinchilla unterscheiden, und die echten Chinchillas haben sie in Südamerika ja reine ausgerottet— ein Fell tostet jetzt 1lX> Mark! Da ist ein
Ehinchillakanin doch selbst bei den jetzt noch gezahlten Preisen er- heblich billiger: der Durchschnittspreis eines solchen Kaninchenfelles ist etwa 8 Mark, aber für besonders schöne Felle wird bis zu 20 Mark gezahlt! Der hohe Preis erklärt sich daraus, daß heute nur überzählige Rammler abgeschlachtet werden, denn wir können gar nicht genug Zuchttiere kriegen. Eine Häsin kostet heute 3Z bis 50 Mark, dos heißt, in Deutschland ; Amerika zahlt für ein Zucht- tier 150 Mark! Und trotzdem die Karnickel dreimal im Jahr werfen. sie können die Nachfrage gar nicht befriedigen. Ich habe einen Auftrag von Amerika auf 200 Zuchttiere, die ich rüberbringen soll, und ich habe um Aufschub bitten müssen, weil ich nicht genug zu- sammenkauscn konnte; jetzt wollen sie warten, bis meine Nachzucht heran ist. Das Kaninchenfleisch wird nach Berlin in großen Restaurants verkauft. Die geben für'n ausgeschlachtetes Pfund neunzig Pfennig, und da sollen angeblich die meisten unserer Karnickel als Hühnersrikassee Auserstehung feiern. Ein ausge- schlachtetes Kaninchen wiegt ungefähr 5 Psund, und so lohnt sich die Sache ganz gut, besonders weil die Felle der Kaninchen von einer Farm immer beste Preise erzielen, denn das Fell wird so viel dichter und schöner, als bei den wirklichen„Stallhasen". Die Zukunft der Pelztierzucht. Auch in den Kreisen der anderen Pelztierzüchter verspricht man anscheinend dem Chinchillakanin eine große Zukunft. Die vier Rassen echter Chinchillas, die es in Amerika gab, gehörten ja gleich- falls zu den kleinen Nagetieren, und durch die schonungslosen Jagdmethoden Südamerikas sind sie so gut wie ausgerottet. Das Fell der Chinchillakaninchen gleicht aber dem der edlen Verwandt- jchaft nach der Verarbeitung genau, wenigstens kann ein Laien- auge keinen Unterschied feststellen. Bei der Verarbeitung werden
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die langen, dunklen Grannenhaare, die über das Fell des lebenden Kaninchens einen dunklen Schimmer breiten, gerupft, und dann präsentiert sich das silbrig schimmernde Fell mit dein dunkleren Unterhaar ganz genau wie das des echten, jetzt so seltenen und sündhaft teueren Chinchilla . Die Pelztierzucht als Erwerb findet auch in Deutschland immer mehr Eingang, es gibt bereits ein Fachorgan„Der Deutsche Pelztierzüchter"(München , Brienncr- straße 3). Was einst der edle„Hirschtötcr" oder andere Helden- gestalten in den Jnd-ianerbüchern unserer Jugend als Jäger und Fallensteller mühsam erbeuteten, ist jetzt gänzlich unromantische Grundlage einer aussichtsreichen Industrie geworden. 3n Amerika werden säst alle Arten der edlen Pelztiere gezüchlet, statt gejagt, und neben den Fuchsfarmen, aus denen man sowohl Blau- wie Silberfüchse zieht, gibt es dort Katzen- und Bisamrattensarmen, wo, ähnlich wie bei der„Arbeitsgemeinschaft" Fuchs-Karnickel, die Ratten gleichzeitig als Katzensutter dienen. Neuerdings geht man auch dazu über, Nerze(gleichfalls in Farmen), Otter und Marder zu züchten, und der Begründer der Blaufuchsindustrie, Dr. V. R. Cline, prophezeit der Pelztierzucht eine große Zukunft. Er erklärt:„Seit dem Auskommen der Antomobilindustrie hat sich die Nachfrage nach Pelzen stark vergrößert, und zwar im Winter wie im Sommer. Man bedenke nur, wie die Nachfrage sich mit dem Aufschwung der Lustschiffahrt steigern wird! Eins ist sicher: Wenn wir uns in der Luft mit derselben Leichtigkeit bewegen werden, wie auf der Erde im Auto, dann wird die Nachfrage nach Pelzen noch mehr steigen. Dann wird die Nachfrage weniger von der Jahres- zeit abhängen, als von der Flughöhe und die Pelzkleidung wird dann eine größere Rolle spielen, als die Kleidung aus Geweben." Kaninchens Karriere. Wenn Dr. V. R. Cline der Pelztierzucht so auf Grund der technischen Entwicklung eine große Zukunft prophezeit, hat das Kaninchen noch eine besondere Schutzpatronin, die sich seiner„liebe- voll" annimmt. Es ist Frau Mode, die, seit sie die vielseitige Ver. wendbarkeit des Kanins entdeckt hat, es zu ihrem Favoriten machte. „Bios Karnickel"— diesen enttäuschten Ausruf kannte nur die vorige Generation. Jetzt trägt auch die Modedame Sealtanin, und es gibt sogar Kaninchen, die als echte Parvenüs nicht einmal durch den Namen an ihre Abkunft erinnert werden wollen. Allerdings gelingt ihnen dies erst nach ihrem Tode, aber dafür vermutet dann auch niemand in dem vornehmen Sealelectricnmntel die beschei- denen Stallhasen mehr; und es ist mit dem echten Seal so gegangen, wie es nun auch dem Chinchilla ergeht: zuerst durch schonungslose Jagd dezimiert und fast vernichtet, dann durch Imitationen(Seal- bisam, Sealtanin und Sealelectric) auf dem großen Markt ersetzt und fast vergessen.— Neben dieser bisher vornehmsten Imitation aber gab es eine Unzahl weniger beliebte: Skunkskanin, Hermelin— überhaupt jeder Edelpelz wurde mit mehr oder weniger Glück aus Kaninchenfell imitiert. Das Chinchillakanin verspricht nun der Stolz der Familie zu werden. Die Rasse wurde zuerst in Südfrankreich gezüchtet, sie ist noch verhältnismäßig jung, und es lassen sich deut- lich zwei Stämme unterscheiden: schwere Tiere, die bis über zehn Pfund wiegen und eine mittelschwere Rasse, die ungefähr sieben Pfund als obere Gewichtsgrenze hat.— Außer in den wenigen Farmbetrieben werden Kaninchen in Deutschland hauptsächlich von kleinen Züchtern gezogen, denen die Kaninchenzucht halb Sport, halb willkommener Nebenerwerb ist: Ein Vergnügen, das den Vorzug hat, noch etwas einzubringen. Nun wird sich die Zucht ja für den kleinen Züchter, der alles Futter kaufen muh(während es die Farm selbst anbaut), stets etwas weniger gewinnbringend ge- stallen. Darum ist es gerade für ihn besonders wichtig, nur gute und gewinnbringende Rassen heranzuziehen. Das Chinchillakanin ist nicht anspruchsvoller im Futter als andere Rassen, es verlangt auch sonst keine besondere Pflege, nur peinlichste Reinlichkeit der Kastenställe. Bei den hohen Preisen, die jetzt noch für Chinchillakanin ge- zahlt werden, ist die Anschaffung eines solchen silbrig-grauen Oster- Hasen vielleicht das beste Geschenk, das sich ein Kleinzüchter machen kann— und vielleicht gibt das Laubenland sogar genügend Platz für«ine Miniawrtarnickelfarm her!
Die juristische Sprechstunde fällt am Sonnabend, den IS. d. Ultk, und am Dienstag, den 13. d. 211(6. aus.
Gif. Das Weib, das den Mord beging. 21j Roman von Friß Reck-Itlalleczeweu. Als«r, um zu gehen, die Tür öffnet, ist draußen die Sattelnase des Dieners Theodorowitsch sichtbar, der hier wohl gelauscht hat. Der Oberst Miramon geht, ohne sich darum zu kümmern... die Schritte verhallen auf dem Gange. — Allein gelassen in dieser heißen Grabkammer, allein mit seiner würgenden Angst, von der man ja nun doch über» wunden ist. Am geschlossenen Fenster gesessen mit brennen- den Augen, errechnet, daß heute Samstag ist, daß man heute vor drei Wochen geheiratet hat: Robby... Münchener Hofs- nungen... Häuschen in den Bergen... oh, wie das alles doch wehe tut, wie entsetzlich weh das tut..- Kopf hoch, kleine Sif. keine Tränen in die Augen ge- lassen..- nein, vor allem nicht geweint! Fenster geöffnet. Käferschwärme summen plötzlich auf bei dem Geräusch, ekelhafte fremdartige Bestien, die wie Kontrabässe brummen. Dann krächzen wieder diese Bogel in ihren schmutzig-rosa Federn, dann spürt man diesen, nach uralten, unbeschreiblichen Untaten duftenden Geruch des Hauses' dann sieht man im Lichtschein, der von dem Gesinde- räum kommt, daß hier jemand in das Glas die Schriftzüge „Anita M." und ein vorjähriges Datum eingeritzt hat... dann fragt man sich, was für«in Schicksal wohl der Folter- knecht da dieser Anita M. bereitet haben, ob sie alz wurm- zerfressene Leiche unter den Steinfliesen da unten liegen mag, wie man selbst vielleicht im nächsten Jahre als armer Menschenrest dort zu finden sein wird.... Aufgesprungen, stöhnend im Zimmer herumgelaufen. Schließlich Licht gemacht vor Angst, die Wände abgeleuchtet: die Tür ist verschlossen. Dann ist da in der Seitenwand eine Tapetentür, die man ebenfalls verschlossen vorfindet und durch die weiß Gott welch Grauen in der Nacht hier eindringen wird.. Dann die vergitterten Fenster untersucht, durch die man ja doch nicht entkommen kann, und die überdies hinunterführen in diesen verfluchten stinkenden Hof, auf dem es dann als einzigen Ausgang wieder nur den Hausgang und das große
verrammelte Portal gibt: was soll man tun... mein Gott, was soll man denn nur tun? Lachen da unten im Gesinderaum: das zerlumpte Jndi- oiduum von vorhin, das jetzt dort einen kleinen, oerhungerten Fuchs verzweifelte Kunststücke vormachen läßt. Dann ein alter Sünder mit einer abenteuerlichen, das Gesicht abscheu- lich entstellenden Krankheit, der seine Kumpane damit unter- hält, daß er die eine Hand mit gespreizten Fingern auf dem Tische rasch hin und her bewegt und geschickt mit dem spitzen Dolchmesser, ohne die Finger zu treffen, in die Zwischen- räume sticht: schmierige Hunde, die auf das Weib dressiert sind und auf sie gehetzt werden sollen... Zusamengefahren bei einem feinen, von der Tür kom- Menden Geräusch: nein doch... nichts... eine Täuschung... Dagesessen mit diesen weit aufgerissenen Augen, in die immer wieder diese verfluchten Tränen kommen wollen: nein, nicht weinen... mutig bleiben und Widerstand leisten, so lange es geht... Wieder das Scharren an der Türl Nein, nun hat sie sich nicht getäuscht: nun hat sich draußen ganz leise der Schlüssel gedreht, nun sieht sie den Türdrücker langsam, ganz langsam sich senken, nun schiebt sich der Kopf des Russen Theodorowitsch in den Raum. Sie greift nach diesem lächerlichen Dolch, sie steht wieder da wie eine kleine, ihre Ehre rächende Lucrezia. Da macht der Mensch da eine Gebärde, daß sie schweigen soll... ganz stille... schließt behutsam die Tür, hält sich vorsichtig im Schatten des Lampenschirmes, macht ein umständliches Zeichen: hinaus... ruhig mitkommen... durch die Tür, über den Gang, durch das Patio, hinaus durch den Haus- gang... die Hand deutet energisch nach der Richtung der Stadt... Sie steht noch immer unschlüssig mit ihrer Waffe. Er hebt beteuernd die Hände hoch... in den von einem viel größeren Manne wohl für all erstandenen Reithosen, deren Beutel ihm bis auf die Knöchel herunterhängen, sieht er eigentlich mehr lächerlich als bedrohlich aus. „Licht aus!" Ganz leise gewispert. Sie versteht, daß er hier nicht gesehen werden darf, gehorcht, behält ihn scharf im Auge. Hastig auseinandergesetzt, daß er das Schweigen der anderen da unten erkaufen müsse... der Türschließer, die Alte..- morgen schon, wenn sie nicht mehr da sei, werde der Oberst ihn verantwortlich machen... ja, wieviel Geld sie eigentlich geben könne?
Sie atmet die Stickluft dieses verfluchten Gefängnisses, überlegt: am Ende doch eine Aussicht zu entkommen... oh, großer Gott, im Notfalle alles wagen, sei es auch nur für Ende außerhalb dieses Menschenkäfigs.... Ihre ärmlichen drei Zehnkronenscheine hingereicht— ihre ganze kleine Barschaft— hilflos dann die Gebärde der leeren Hand gemacht. Der Diener Theodorowitsch schüttelt be- dauernd den Kopf über eine so lächerliche Summe, der Diener Theodorowitsch ist trotzdem ein Kavalier, der ihr helfen wird ... alle anderen da unten sind ebenfalls verschwiegene hilfs- bereite Kavaliere. Und der Diener Theodorowitsch steckt das Geld ein, be- deutet ihr, daß sie warten, daß sie sich fertigmachen solle, verschwindet geräuschlos wie ein Geist. Sie steht am Fenster des dunklen Zimmers, wartet. Ein Schatten schleicht nun durch das Patio: das ist wohl schon der Russe Dann, wie auf ein schon verabredetes Zeichen, erlischt dort drüben das Licht. Dann schlurfen die Schritte von zwei, von drei Menschen über den Kies. Dann beginnt in seinem Käfig einer der armen Versuchshunde zu heulen... sehr lange und kläglich. Dann werden alle Geräusche verschlungen von dem ersten Donner des heranziehenden Gewitters. Robbys Bildchen aus der Handtasche genommen, im Biertellicht des verdeckten Mondes die Züge eines kleinen, lieben Jungen betrachtet: nun ja, leb' also wohl, wenn es das letztemal sein solle... leb' wohl, leb' wohl.... Dann die Schuhe ausgezogen, dann das verzagte kleine Sif-Herz wieder einmal fest in die Hand genommen. Türe geht: der Diener Theodorowitsch ist zurück. Leise durch den Gang, wo die Dielen so verwünscht knarren... leise, um Gotteswillen leise! An der Ecke, wo nun bald die zum Patio hinabführende Treppe beginnen muß, legt er warnend die Hand auf ihren Mund, deutet seitwärts, wo aus einem Türspalt ein Lichtschimmer kommt:„Oberst...» Dort wacht das Grauen, der Henker, der Tod... oh, so entsetzlich ist die Furcht vor dieser Tür, daß sie am liebsten anpochen, sich selbst angeben würde, nur um diese entsetzliche Angst und Spannung loszuwerden... Ach nein, alles ist ja so gut vorbereitet, der Russe hat wirklich nicht zuviel versprochen: die Treppe mit den Stein- fließen, die nicht knarren, der Gang durch den Hof, der dunkle, nach der Haustür führende Korridor, den man eben erreicht, ehe ein theatralischer erster Blitz diese verfluchte Steinfestung und ihre Flucht grell beleuchtet. (Fortsetzung folgt.)