Abendausgabe
Nr. 18944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 93
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SW
Berliner Volksblaff
10 Pfennig
Freitag
22. April 1927
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Englands China - Militarismus.
Kein Mensch denkt an Verhandlungen. - Die Truppen find für den Kampf im Innern bestimmt. Londen , 22. April. In Anbetracht der fortgesetzten Truppentransporte nach China nimmt ein Teil der liberalen englischen Presse jetzt scharf gegen die Politik des konservativen Kabinetts Stellung. Auch Blätter, die den Chinakurs der Regierung bisher unterstützt haben, beteiligen sich an diesen Angriffen. In der Tat gewinnt man mehr und mehr den Eindrud, als ob England beabfichtigt, Truppen in das Innere Chinas zu werfen. Der ,.Manchester Guardian" erblickt darin eine Aenderung der bisherigen Regierungspolitik und verweist insbesondere darauf, daß in den Aemtern heute kein Mensch mehr daran dente, ernsthaft mit den Machthabern in China Verhandlungen zu führen. Der zweiseitige Charakter der englischen Politif, den man noch vor wenigen Monaten verspürt habe, sei nicht mehr vorhanden und erfetzt durch eine Politik rein militärischen Charakters.
150 ausländische Kriegsschiffe!
Die Zahl der augenblicklich vor Hantau befindlichen fremden Kriegsschiffe beträgt insgesamt 43, die Zahl der vor Shanghai liegenden Schiffe ift wesentlich größer. Im ganzen liegen in chinesischen Gewässern nicht weniger als 150 fremde Kriegsschiffe.
Tschiangkaischek verhandelt mit Tschangtsolin und den Kommunisten.
London , 22. April. ( WTB.)„ Daily Telegraph " meldet aus Schanghai : Der Krieg zwischen dem Norden und dem Süden ist zeitweilig eingestellt; attive Verhandlungen haben seit Tagen zwischen Tschiangtaischek und Tschangsolin stattgefunden.
Ton kin
Hwang- no
Hankau
Jang
Mukden TORE.
B
Tschili Golf
Nanking
se kiang
200 400
km.
600 800
Weihaiwei
Kiautschau
Ost- Chin
Schanghai
Ning po Meer:
Canton
Formosa
4 17542
Es wird erklärt, wenn die Behörden in Hantau der Kontrolle Rantings zustimmen, so werde Tschiangkaischek versuchen, den Konflikt freundschaftlich beizulegen. Wenn jedoch Wider stand erfolge, würden Zwangsmaßnahmen angewandt werden. Es wird angenommen ,,, da Nanking jetzt die de facto- Regierung ist", daß die Mächte ihre Note der Nankinger Regierung überreichen werben. Das nationale Hauptquartier sagt voraus, daß die Regierung fofort allen Forderungen nachkommen werde, da sie wenigstens für den Augenblick nicht beabsichtige, die Gefahr irgendwelcher Schwierigkeiten mit den Mächten auf sich zu nehmen.
„ Times" meldet aus Schanghai : Tschiangtaischer genießt in Ranting die offene Unterstützung der bekanntesten Mitglieder der Kuomintang und der Intelligenz. Auch die Mittelklasse ift vollkommen auf seiner Seite. Es wäre jedoch ein Irrtum, anzunehmen, daß die kommunistische Macht gebrochen sei.
Reuter meldet...
Die Lockspitzelpolitik des„ Wiking".
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Sodenstern wollte einen kommunistischen
E. K. Leipzig , 22. April. ( Eigener Drahtbericht.) Das Puppenspiel um Ehrhardt hat jetzt eine überraschende Wendung genommen. Derselbe Rechtsanwalt Bloch, der gestern Ehrhardt als unabkömmlich entschuldigte, fündigt heute bei Beginn der Sigung an, daß er Ehrhardt auf 12 Uhr mittags geladen habe. Bathetisch verkündet Herr Bloch mit Beziehung auf eine Bemertung, die der Vertreter des preußischen Staatsministeriums getan hat, daß Herr Kapitän Ehrhardt eine Röntgendurchleuchtung seiner Persönlichteit nicht zu scheuen habe. Man wird darüber geteilter Meinung sein können.
3m übrigen bleibt zweifelhaft, ob Ehrhardt überhaupt als Zeuge vernommen werden könne.
Die Vertretung der preußischen Regierung behält sich einstweilen ihre Anträge vor. Der Vorsitzende Niedner wirft aber schon jetzt die Frage auf, ob Ehrhardt nicht als Vertreter der einen Partei, nämlich des Wikings zu betrachten sei, weshalb er als Beuge nicht in Betracht komme. Dieselbe Zweifelsfrage ergibt sich übrigens bei den als Zeugen geladenen Herren Oberst Lud und v. Sodenstern.
Nunmehr wird der angefochtene Beschluß des Kleinen Senates vom 13. Oftober 1926 verlesen. Dieser Beschluß erklärt bekanntlich das von der preußischen Regierung ausgesprochene Verbot der Verbände Wiking und Olympia für ungerechtfertigt. Die Begründung ist außerordentlich lang. Man staunt über die Naivität, mit Der Herr Niedner und seine Beisitzer der Beschluß ist einstimmig ergangen die faulen Ausreden der Wikingleute Knauer, Lud usw. geglaubt haben.
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Zwischendurch wird die Berlesung unterbrochen. Ministerialrat Schönner fündigt neues Material an. In Schmalkalden hat eine Durchsuchung stattgefunden und ergab,
daß der Wiking dort froh des Berbotes fortbestehe.
Bei dieser Gelegenheit wurde neues wichtiges Material gefunden. Ministerialrat Schönner regte weiter an zu entscheiden, ob nach dem vorgetragenen Material überhaupt noch eine Zeugenvernehmung notwendig sei oder ob nicht das vorgelegte Material bereits genüge. Der Borsitzende hat Bedenken gegen eine Beschlußfassung in diesem Stadium.
Es erfolgt nun der Aufruf der auf. 10 Uhr ge labenen Zeugen. Zunächst ist die Gruppe des Jungdeutschen Ordens da vertreten durch Mahraun , Bornemann, General Salzenberg, Käsehage, sodann die geladenen Biting und Olympia , vertreten durch ein Dutzend Personen, von denen es niemand unter dem General oder Oberst en a. D. tut. Im Zivil machen sich die Gestalten der Lud, Sodenstern, Knauer usw. so imposant, wie sie sich der Laienverstand als Führer des Witingbundes vorstellt. Herr Senatspräsident Niedner zerfließt natürlich vor diesen militärischen Größen in Höflichkeit, die man gegenüber linksstehenden Angegriffenen feineswegs gewohnt ist. Er bedauert außerordentlich, daß die Zeugen bis 12 Uhr haben warten müssen.
Außerordentlich merkwürdig ist, die Eidesbelehrung, die Herr Niedner gibt. Er weist nämlich die Zeugen darauf hin, daß über ihre Vereidigung Beschluß gefaßt werden wird und meint: Wenn Sie dann schwören sollen, fönnen Sie ja immerhin Ihre Aussage vor der Beeidigung noch widerrufen. Die Zeugen werden vermutlich daraus die Lehre ziehen, daß fie erst die Wahrheit zu sagen brauchen, nachdem das Gericht ihre Beeidigung beschlossen hat. Wenn man an Ehrhardt und seine merkwürdige Auffassung des Eides denkt, ein äußerst bedenkliches Vorzeichen.
Ehrhardt zur Stelle.
Um 12 Uhr ist Ehrhardt tatsächlich zur Stelle. Er sieht wohlgenährt und gut gepflegt aus. Ihm zur Seite nimmt sein Adjutant Liebig Plaz. Auf die Frage des Vorsitzenden erklärt Ehrhardt, daß er seit seiner Rückkehr aus dem Auslande, also
jeit Mai 1926 gefehlicher Bertreter des Wiring ist. Es erhebt sich eine Debatte darüber, ob Ehrhardt der Verhandlung beiwohnen darf. Die preußischen Vertreter haben Be denten, weil Ehrhardt auch als Zeuge in Frage tommt. Das Gericht steht auf dem Standpunkt, daß Ehrhardt als gefeß licher Vertreter nicht gleichzeitig 3euge sein tönne. Rechtsanwalt Martin meint, das träfe nach der Zivilprozeß
aber eine Einigung dahin zustande, daß Ehrhardt der Berhandlung beiwohnen darf. Auch Liebig darf es, obwohl er nach Angabe der preußischen Vertreter als Zeuge für das neue Material in Frage kommt.
Schanghai , 21. April. ( Reuter.) Die neue Regierung Tschiang- ordnung, aber nicht nach der Strafprozeßordnung zu. Schließlich faischets in Nanting hat die Hankauer Regierung vollständig verdrängt. Tschiangtaifchet hat Borodin und alle seine Mitarbeiter fowie drei tommunistische Minister entlassen. Das nächste Ziel Tschiangtaischets besteht darin, die Mächte zu besänftigen(!), die Kommunisten zu entfernen und der Drohung des Vormarsches Tschangfolins zu begegnen.
Kanton, 22. April. ( Ch. Nt.) Hier traf eine Delegation der fommunistischen Gewerkschaftsinternationale ein.
Tschiangtaischek erklärte ihr, daß die Ausschließung der chinesi sischen Kommunisten aus der Kuomintang erfolgt wäre, um die Unruhen innerhalb der Nationalbewegung zu beenden. Die von Sunjatjen in ihren Grundzügen festgelegte und von den Barteitagen bestätigte Politit der Kuomintang erleidet nicht die geringste Beränderung.
Rechtsanwalt Sad ist sehr neugierig und will durchaus das neue Material jetzt schon fennen lernen. Die Bekanntgabe wird jedoch noch zurückgestellt. Wie wir erfahren, handelt es sich bei dem in Schmalkalden beschlagnahmten Material um neue Urkunden, aus denen hervorgeht, daß die Ortsgruppe den Wiking trotz des Berbots fortsette und dabei
den Mitgliedern unbedingte Gehorsamspflicht und unbedingte Schweigepflicht auch gegenüber den Behörden auferlegte. Nunmehr wird endlich in die 3eugenvernehmung eingetreten. Erster Zeuge ist Herr Käsehage vom Jungdeutschen
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Ehrhardt zur Stelle.
Orden. Er hat seinerzeit vor dem Bundeskanzler Bornemann ein sogenanntes Protokoll über die Besprechung der Führer der Baterländischen Verbände in Berlin am 11. März 1926 abgegeben. Aus diesem Protokoll ist namentlich wichtig die Erklärung Sodensterns, der ausführte: ein Butsch der Rechtsseite sei zum Scheitern verurteilt, solange nicht ein Kommunistenputsch vorangehe, Wenn dieser kommunistenputsch nicht von selber komme, fo müsse er eben erzwungen werden,
indem die großen Firmen ihre Arbeiter aussperrten und auf die Straße sezten. Die Vaterländischen Verbände sollten sich zu Anfang dieses provozierten Kommunistenputsches passiv verhalten und erst der Regierung zu Hilfe tommen, wenn diese mit der Errichtung einer nationalen Diktatur einverstanden sei. Käsehage soll angeblich die Ausführungen dieses Protokolls später widerrufen haben. In der heutigen Verhandlung bleibt er aber durchaus dabei, daß seine Angaben in allen wesentlichen. Punkten richtig sind. Er ist als Geschäftsführer des Jungdeutschen Ordens , Gruppe Berlin , ständig zu den Sigungen der Baterländischen Verbände hinzugezogen worden. Das in Frage tommende Schriftstück sei allerdings fein während der Sizung abgefaßtes Protokoll, sondern ein nach der Sigung für die Ordenslegung angefertigter Bericht.
„ Wiking" wollte provozieren.
Käsehage erklärt, daß er auch nur insofern das Protokoll berichtigt habe, als Sodenstern vielleicht in den einzelnen Punkten sich etwa vorsichtiger ausgedrückt habe. Den Sinn habe er durchaus richtig wiedergegeben. Es sei feine zusammenhängende Rede gewesen, sondern eine Unterhaltung. Sodenstern habe den hier in Frage kommenden Gedantengang auch nicht nur das eine Mal ge äußert, sondern ihn öfters ausgesprochen, namentlich in den Sizungen, die etwa alle 14 Tage in der Bülowstraße abgehalten
wurden.
Senatspräsident Niedner macht den merkwürdigen Einwand: Wenn v. Sodenstern nur gesagt habe, eine nationale Umwälzung habe nur dann Erfolg, wenn ein fommunistischer Putsch vorangehe, fo fei dagegen vielleicht gar nichts einzuwenden.(!!!)
Es fragt sich nur, ob v. Sodenstern auch noch geäußert habe, der kommunistische Putsch müsse eventuell provoziert werden.
Käjehage: Er hat bestimmt gesagt, wenn der Butsch nicht kommt, dam muß dafür gesorgt werden. Er hat gesagt:" Dann muß er eben kommen!" Ich konnte das nicht anders auffassen, als daß dieser Butsch künstlich herbeigeführt werden sollte.
So offensichtliche Mühe sich Senatspräsident Niedner auch gibt, den Zeugen zu erschüttern, bleibt er doch fest bei seiner Aus= age.
Verfassungsbruch in Württemberg ? Reichstagsabg. Hoernle verhaftet.
Die Rote Fahne " meldet, daß die Redakteure der„ Süd= deutschen Arbeiterzeitung", Reichstagsabgeordneter oernle und Mar Hammer, sowie ein Sekretär der„ Roten Hammer sei schließlich Hilfe" am Donnerstag verhaftet wurden. wieder freigelassen, Hoernle dagegen in Haft behalten worden. Der Grund für diese Verhaftung bestehe in einem Abdruck von drei Briefen russischer Arbeiter und Rotarmisten an die politischen Gefangenen Württembergs. Die betreffende Ausgabe des Blattes wurde beschlagnahmt. Die Anklage gegen die verhafteten Personen lautet auf Borbereitung zum Hochverrat". Die fommunistische Reichstagsfraktion habe bereits Protest gegen die Verhaftung ihres Mitgliedes Hoernle bei dem Reichstagspräsidium erhoben. Sie bezeichnet die Verhaftung als willkürlich, da sie unter Immunitätsbruch erfolgte. Ob das Vorgehen der württembergischen Polizei gegen die läßt Süddeutsche Arbeiterzeitung" notwendig war, sich ohne Kenntnis der Briefe nicht beurteilen. Aber es ist bekannt, daß neben der bayerischen Regierung das württembergische Kabinett Bazilles den Kommunisten gegenüber häufig Methoden anwendet, die mit dem Geist der Reichsverfassung nicht mehr zu vereinbaren find. Wenn sich die Nachricht von der Verhaftung des Reichstagsabgeordneten Hoernle bestätigen sollte, so handelt es sich hier ohne weiteres um einen glatten Berfassungsbruch, der nicht geduldet werden kann. Die Mitglieder der Parlamente find immun. Ihre Verfolgung darf nur in die Wege geleitet werden, wenn das zuständige Barlament seine Einwilligung dazu gegeben hat. Das Vorgehen der württembergischen Polizei bedeutet deshalb
zu gleicher Zeit einen Anschlag auf die Rechte des Reichstags.
Reichsfinanzminister Dr. Köhler hat sein Mandat zum Badischen Landtag niedergelegt, da er seinen Wohnsiz mit seiner Familie endgültig nach Berlin verlegt.
Die Räumung Saarlouis ' von französischem Militär scheint bevorzustehen.
Die Einberufung zweier Refervejahrgänge in Albanien foll nur rein polizeilicher Natur sein fagt bie albanische Gesandtschaft in Paris .
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