fr. 194 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 99
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Dienstag, den 26. April 1927
Der Sieg in Deutschösterreich.
Die Sozialdemokratic mustert fast 45 Prozent der Gesamtstimmenzahl.
Wien , 25. April. ( Eigener Drahtbericht.) Auf Grund des am Montag abend vorliegenden vorläufigen Wahlergebniffes gewinnt die Sozialdemokratie für den Nationalrat vier Mandate, während die Einheitsfront sechs verliert, davon zwei an den Landbund.
Ziffernmäßig hat die Sozialdemokratie in Wien 687 291 Stimmen und im übrigen Staat 875 129 Stimmen, zusammen 1 533 720 Stimmen erhalten. Das sind von 3 589 498 insgesamt abgegebenen Stimmen fast 45 Prozent. Die Einheitslifte erhielt mit den 414 397 Wiener Stimmen insgesamt 1 743 700 Stimmen. Die kommunisten verloren im Vergleich mit der Wahl im Jahre 1923 mehr als 8000 Stimmen, d. h. über ein Drittel! Für ihre Liste stimmten 14 570 Wähler in ganz Desterreich gegen 22 600 im Jahre 1923.
Der Landbund hat 223 000 Stimmen aufgebracht. Er ist ziemlich reaktionär, manche seiner Führer haben sich an der ( erfolglofen) Berleumdungsfampagne gegen die Sozialdemokratie beteiligt. Da jedoch die Einheitslister dem Landbund die Mandate abknöpfen wollten, besteht zwischen beiden ein ftarter Gegenfah. Ueber die Mehrheitsbildung im Nationalrat läßt sich noch nichts sagen.
Seipel hat die Wahlschlacht verloren!
V. Sch. Wien , 25. April. ( Eigener Drahtbericht.) Wie auf Kommando versucht die gesamte regierungsfreundliche Presse den sozialdemokratischen Erfolg in einen bürgerlichen Erfolg umzufärben, indem sie die finnlose Behauptung aufstellt, die Sozialdemokratie hätte gehofft, die absolute Mehrheit bei diesen Wahlen zu erobern; da jedoch die bürgerliche Mehrheit, wenn auch geschwächt, fortbesteht, so sei das ein Sieg des Bürgertums, und die Sozialdemokraten feien enttäuscht". Eine lächerlichere Fälschung ist kaum denkbar: Umgekehrt hätten die Bürgerlichen durch die Bildung der Einheitsfront geglaubt, daß sie den Sozial demokraten eine empfindliche Schlappe beibringen würden, während die Sozialdemokratie es schon als einen beträchtlichen Erfolg angesehen hätte, ihren bloßen Befihstand gegenüber dem vereinigten Ansturm und nach der beispiellosen Schlammflut, die man über sie während des Kampfes ergoffen hatte, zu behaupten. Daß fie oben
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drein noch gewonnen hat und zwar an Stimmen verhältnismäßig mehr als an Mandaten, bedeutet für die Partei einen eflatanten Erfolg.
Die Arbeiter 3eitung" hat schon im voraus auf diese Fälschung der Tatsachen geantwortet und die Taktik des geschlagenen Bundeskanzlers ins Lächerliche gezogen. In ihrer morgigen Nummer veröffentlich. die ,, Arbeiter- Zeitung " einen
Aufruf des Parteivorstandes,
der feststellt, daß Seipel und seine Einheitslifte die Wahlschlacht verloren haben. Dann heißt es weiter in dem Aufruf:
Unsere Stimmenzahl ist über alles Erwarten gestiegen. Obwohl sich infolge der Konzentration der bürgerlichen Stimmen auf eine Liste unser Stimmenzumachs nicht voll ständig in der Mandatszahl ausdrückt, haben wir unsere Mandate auf Kosten der kapitalistisch- flerifalen Einheitsliste vermehrt.
Während im bisherigen Parlament die Chriftlichsozialen um 14 Mandate mehr hatten als wir, haben sie jetzt höchstens
4 Mandate mehr als wir.
Das Wahlergebnis zeigt, daß mir auf dem Marsche zur Macht sind.
Besonders glänzend ist unser Erfolg in Wien . Die fozial demokratische Berwaltung Wiens , gegen die der haßerfüllte Angriff der kapitalistischen Parteien vor allem gerichtet war, hat sich glänzend behauptet.
Wien bleibt rot für immer. Das Biener Rathaus bleibt die wichtigste Machtposition der österreichischen Sozial
demokratie.
Dann spricht der Aufruf den Dank der Parteileitung an alle, die an dem großen Erfolg der Partei mitgewirkt haben, aus und schließt mit einem Appell, am 1. Mai den sozialdemokratischen Triumph zu beträftigen.
Alles spricht in der Tat dafür, daß die diesjährige Maidemonstration die größte sein wird, die Wien jemals gehabt hat. Gie wird den Auftakt zum verstärkten Kampf der Sozialdemokratie und der Agitation geçen die fnappe bürgerliche Mehrheit bilden. Einst. weilen dürfte sich allerdings an der Zusammensetzung der Regierung nicht viel ändern, aber man fann schon jetzt sicher sein, daß angesichts des sozialistischen Vormarsches die Angriffsluft der Seipel- Regierung gegen die Sozialdemokratie beträchtlich nachlassen wird.
Abrüstungskonferenz gegen Gaskrieg
Werden die Regierungen dem Gutachten folgen?
Die vertragschließenden Staaten untersagen jede Ber wendung von Giften, betäubenden und ähnlichen Gasen oder Flüssigkeiten und jeglicher bakteriologischer Mittel im Kriege. Sie verpflichten fich weiter, weder eine Einfuhr, noch eine Ausfuhr, noch eine Herstellung von chemischen und bakteriologischen Mitteln, die im Kriege verwendbar sind, in ihren Gebieten zuzulaffen."
Genf , 25. April. ( Tul.) Die Abrüstungsvortonferenz behandelte| dem Tegte noch eine sogenannte„ moralische Bilanz" für die das Verbot des Gastrieges. Es lag folgender von Belgien , Polen , Deffentlichkeit beizugeben, in der auf die großen Schwierig Rumänien , der Tschechoslowakei und Jugoslawien unterzeichneter feiten wegen des Zusammenhanges der Abrüstung mit den Fragen Antrag vor: der Sicherheit und der Schiedsgerichtsbarkeit hingewiesen werden soll. Graf Bernstorff wollte der Beigabe dieser„ moralischen Bilanz" zwar fachlich nicht widersprechen, hob aber hervor, daß in den letzten Jahren auf dem Gebiete der Sicherheit und Schiedsgerichtsbarkeit vieles getan wurde, für die Abrüftung aber nicht; der Antrag Sokal fehe darum mehr nach einer Entschuldigung aus gemäß dem Sprichwort: Wer sich entschuldigt, klagt sich an! Diese Bemerkung hatte ihre gute Wirkung, indem der französische Vertreter die moralische Bilanz" seines polnischen Kollegen nur in der Form einer furzen Einleitung befürwortete, welcher dann auch zugestimmt wurde.
Zu dem Antrag gab der deutsche Delegierte Graf Bernstorff eine längere Erklärung ab. Er wies darauf hin, daß er bereits im Mai vorigen Jahres in der vorbereitenden Abrüstungskommission die völlige Aufhebung des chemischen Krieges gefordert habe. Damals fei in der Kommission darauf hingewiesen worden, daß dieses unmöglich sei, da in einem zukünftigen Kriege jedem Staate alle Mittel, über die er verfüge, zu seiner Verteidigung überlassen werden müßten. Auf der privaten Waffenhandelskonferenz habe Deutschland sich bereiterklärt, ohne Vorbehalt jede internationale Regelung anzunehmen, die eine Beseitigung der chemischen Waffen zum Ziele habe. Diese Erklärung erneuere er heute.
Graf Bernstorff beantragte eine Abänderung des vorliegenden Antrages in der Richtung, daß nicht nur die Verwendung von Gasmitteln im Kriege, sondern auch jede Vorbereitung in Friedenszeiten in der Konvention verboten sein soll.
In der Diskussion schlossen sich sämtliche Delegierte bem vorliegenden Antrag sowie dem deutschen Zusatzantrag an. Der amerikanische Delegierte machte hierbei den Vorbehalt der endgültigen Stellungnahme der amerikanischen Delegation in der zweiten Lefung geltend. Der Antrag sowie der deutsche Zusak
antrag wurden sodann einffimmig angenommen.
Die abgelehnte, moralische Bilanz". Genf , 25, April. ( Eigener Drahtbericht.) Im Verlauf der Beratung des gesamten Abrüstungs- Konventionsentwurfs, wie er aus ber ersten Befung vorliegt, wurde auf polnischen Antrag beschlossen,
Einheitsfront im Gewerkschaftskampf. Die englischen Konsumgenossenschaften helfen finanziell.
London , 25. April. ( Eigener Drahtbericht.) Die oberste leitende Körperschaft der fünf Millionen zählenden britischen konsumgenossenschaften hat am Montag befchloffen, mit der Labour Party und den Gewerkschaften gemeinsam vorzugehen und den kampf gegen das Gewerkschaftsgesetz attivo zu unterstützen. Die Zentrale erklärt in einer Resolution, das Gesetz gefährde die Grundlage, auf welcher die britische Demokratie aufgebaut worden sei und verpflichtet sich, den Gewerkschaften ihre großen materiellen Mittel für ihre Kampagne gegen den Gefeßentwurf zur Verfügung zu stellen. Der Beschluß ist umso bemerkenswerter, als die Genoffenschaften selbst während des Generalftreiks und des Kohlenkampfes nur zögernd und äußerst zurückhaltend der Gewerkschaftsbewegung beigeftanden find.
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Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstr. 3.
Die Arbeitsmarktorganisation.
Kritisches zu den Vorschlägen des Städte und Landkreistages.
Der Ausschuß des Reichstages für soziale Angelegenheiten wird in den nächsten Tagen in die Beratung der wichtigen Frage der Organisation, der Arbeitslosenversicherung eintreten. Die ursprüngliche Konstruktion des Regierungsentwurfs wurde von allen Parteien des Reichstages abgelehnt. Die neuen Vorschläge der Regierung über den Träger der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung liegen dem Reichstage in Form eines Antrages Esser vor.
Es ist verständlich, daß angesichts der bevorstehenden Entscheidung durch den Reichstag der Deutsche Städte= tag gemeinsam mit dem Deutschen Landkreistag in letzter Stunde den Versuch machten, die endgültige Ge= staltung der Arbeitsmarktorganisation und ihre Selbstverwaltung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Diesem Zwecke diente die von ihnen einberufene Arbeitsnachweistagung am 22. April in München . Ueber den Verlauf dieser Tagung haben mir bereits berichtet. Es ist jedoch notwendig, im Hinblick auf die zutage getretenen Unflarheiten noch einmal das entscheidende Problem mit aller Deutlichkeit aufzuzeigen.
Die Vorschläge des Deutschen Städtetages und des Deutschen Landkreistages für die Neuorganisation des Arbeitsnachweises und der Arbeitslosenversicherung leiden in organisatorischer Richtung an einem unlösbaren Widerspruch. Er ist das notwendige Ergebnis der falschen grundsätzlichen Auffassung, daß Arbeitsnachweis und Arbeitslosenversiche= rung Teile der gemeindlichen Verwaltung bleiben oder werden müssen. Weil das jedoch mit Rücksicht auf die parlamentarische Lage nicht zu erreichen ist, finden sich Städtetag und Landkreistag damit ab, daß eine Reichsanstalt Träger der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung wird. Der Grundsatz soll mit der parlamentarischen Lage in Einklang gebracht werden. Und so ist das Ergebnis keine einheitliche Arbeitsmarktorganisation, sondern eine Vielheit von Rechtspersönlichkeiten in Form von Arbeitsämtern, Landesarbeitsämtern und Reichsanstalt.
Der innere 3usammenhang des gesamten Arbeitsmarktes als einer Einheit und die daraus entspringenden Aufgaben einer sozialen Arbeitsmarktpolitik wird dadurch zerstört. Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Durchführung der Arbeitslosenversicherung find nicht nur von lokaler Bedeutung, es sind gleichzeitig Funktionen einer bestimmt gerichteten Arbeitsmarktpolitik von zentraler Bedeutung. Das gleiche gilt von der Erforschung der Zusammensetzung und Bewegung des Arbeitsmarktes, von der qualitativen Steigerung der Arbeitskräfte in Zeiten ihrer unfreiwilligen Muße durch Berufsausbildung, Berufsfortbildung und Berufsumschulung. Hier wird der Zusammenhang mit den Strukturveränderungen der Wirtschaft und einer bewußten Beeinflussung der Wirtschaftsentwicklung sichtbar, die das zentrale Problem einer wirksamen Befämpfung der Arbeitslosigkeit auf weite Sicht ist. die freien Gewerkschaften in Uebereinstimmung mit der sozialAus dieser grundsäßlichen Beurteilung der Dinge fordern Arbeitsmarttorganisation. Aus der Natur ihrer demokratischen Reichstagsfraktion die einheitliche aufgaben folgt aber auch, daß ihre Gliederung von den eigenen Bedürfnissen und nicht von jenen der gemeindlichen nachweisgesetz lehnt dem Grundsatze nach den letzteren ZuVerwaltung bestimmt werden muß. Bereits das Arbeitsfammenhang ab. Was jetzt geschehen soll durch Schaffung der Reichsanstalt mit einem zweckvollen Unter- und Mittelbau ist nur die Konsequenz dieser Einsicht. bau ist nur die Konsequenz dieser Einsicht.
Die neuen Vorschläge des Städtetages und Landkreistages sollen nach den Erklärungen in München eine Neuorganisation in der Richtung bewirken, daß an Stelle der jeht vorhandenen 900 öffentlichen Arbeitsnachweise zwei- bis dreihundert treten. Wir lassen dahingestellt sein, ob dieser Unterbau genügt; praktisch bedeutet dieser Vorschlag für eine Neuorganisation das Eingeständnis großer Mängel in der gegenwärtigen Organisation. Damit ist aber auch zugegeben, daß gar kein Zusammenhang mit der gemeindlichen Verwaltung möglich ist. Dennoch wird er hineinkonstruiert, scheinbar für alle Gemeinden, in Wirklichkeit nur für die Forderung, die zwei- bis dreihundert Arbeitsämter nicht als großen Gemeinden. Deshalb kommt man zu der unmöglichen Teile einer einheitlichen Arbeitsmarktorganisation, sondern jedes einzelne Arbeitsamt als Persönlichkeit des öffentlichen Rechts zu errichten. Organe des Arbeitsamtes sollen Verwaltungsausschuß und Vorstand sein, die zu je einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Gemeinden bestehen. Den Vorsigenden wählt dieser so zufammengesetzte Verwaltungsausschuß im Einvernehmen mit der Mehrheit der Vorstände der beteiligten Gemeinden und Gemeindeverbände: Der Einfluß des einzelnen Borstandes einer Gemeinde wiederum soll sich nach Maßgabe eines Schlüssels(% Einwohnerzahl,% Zahl der Bersicherten) richten. Damit ist die ganze Wahl des Borsigenden zu einer