Nr. 19444.Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Das Familienbad im Lunapark.
Das Untertauchen in fühlende Gewässer, verbunden mit nedischem Badeleben", rangiert zweifellos unter die sommerlichen Vergnügen und wird an heißen Tagen und schwülen Abenden den bisherigen üblichen Vergnügungspartbelustigungen bestimmt den Rang ablaufen. Noch ist der stolze Bau, der in seiner muchtigen Größe die größte Schwimmhalle Europas repräsen tieren soll, nicht beendet; aber man sieht immerhin bereits ein Riesenbassin, das 600 Personen gleichzeitig Platz bieten soll, zmei große Terrassen, für 2000 Personen berechnet, und am Dach wird sich ein großes Sonnenbad etablieren. Mit Rücksicht auf die zu erwartenden badenden Massen soll das Wasser nach einem neuartigen Verfahren dauernd gereinigt, entfeimt und batterienfrei gemacht werden. Die Halle hat eine Durchschnittshöhe von 20 Meter, bei einer Grundfläche von 34 X 52 Meter. Eine 6 Meter hohe Glaswand umläuft alle vier Wandseiten, die durch schmale Pfeiler aus Eisenkonstruktion in einzelne Fenster getrennt find. Die Decke hat ein 700 Quadratmeter großes Oberlicht, so daß der Licht und Luftzufuhr keine Schranken gesetzt sind. Die Halle fann nach allen Seiten geöffnet und bei schlechtem Wetter mittels Hebeldruck sofort verschlossen werden. Künstliche Meereswellen vervollkommnen den„ Seebad- Ersag", für Schwimmsportler sind alle nötigen Apparaturen vorhanden, Masseure und Friseure für Schönheitsbeflissene.
Der übrige Teil des Vergnügungsparkes bekommt ein Suda nesendorf unter der Regie von John Hagenbed, eine elektrisch betriebene Autorennbahn, dem amerikanischen „ Coney Island " entlehnt, und andere einschlägige Neuheiten von drüben; die Berg und Talbahn wurde ins klassische Altertum verlegt und führt dieses Jahr über die Akropolis ohne Umsteigen nach Halensee ! Feuerwert, Fontaine, Lumineur, Musik, tausend Luna- Girls und andere Vorführungen ergänzen den Unterhaltungskomplex. Am 1. Mai soll's losgehen. Monats- und Saisonfarten zum Preise von 5 M. bzw. 12 M., ein Freifaffee für Nachmittagsbefucher,
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Gif.
Das Weib, das den Mord beging.
Roman von Fritz Red- Malleczewen.
Dieser Tag beginnt insofern unglückselig, als in einer der unten noch zu erwähnenden Arrestzellen des Hauses noch vor dem Wecken die gestern eingelieferte Peggy Strater einen hysterischen Anfall bekommt, bei dem sie hemmungslos zu fchreien beginnt. Dann ergibt eine Inspektion der Zelle, daß die Insassin in diesem Anfall wie ein junger Hund mit den Zähnen ihre Bettdecke zerpflückt hat... vollkommen rätselhaft, wie es diese kleine zarte Person zustandegebracht hat, mit der Decke, dem Laten, mit allem fertig zu werden, was das Haus der„ Confederation of good works" an Mobiliar für diese Zelle aufwendet.
Dann ist durch das Gekreisch endlich die Wärterin Mary herbeigerufen worden, dann wird man persönlich für den Inventarverlust verantwortlich gemacht, dann wird man schließlich aufgefordert, den mitgeführten Rohrstock der Wärterin Mary zu einer Züchtigung von Peggy Strafer zu benügen. Da die kleine Sif nun zwar alle bisherigen Beschimpfungen stumm hat über sich ergehen lassen, da sie aber unbegreiflicherweise diesen doch eindeutig gegebenen Befehl der Oberschwester Mary mit einem finsteren Gesicht und passivem Widerstand erwidert, so wird ihr eröffnet, daß sie schon längst des Ein verständnisses mit den weiblichen Insassen dieses Hauses verdächtig sei, daß sie einen falschen Baß habe, daß sie selbst nichts anderes als eine gemeine Straßendirne sei, daß man mit ihr aber fertig werden werde..
Da man ohne die geringsten Zeichen ernstlicher Befferung von sich zu geben bei seinem finstern, trogigen Gesicht verharrt, so geschieht es plöglich hier in Arrestzelle Mr. IV, daß die Oberschwester und Steppenstute Mary der kleinen Sif aus voller Kraft einen Rohrstochieb über das Gesicht zieht... über jenes Gesicht, das der Kunstmaler Robby zum Vorwurf einer Madonna in Blau und Gold benutzt hat.-
Es hat einen tiefen Stirnriß gegeben, und zunächfi geschieht es wohl, daß sie, halb blind vor Schmerz und Blut, nach dem Stocke greift, ihn zerbricht, daß sie schließlich den pferdezähnigen alten Satan bei den Haaren zu fassen be= tommt. Da aber nun einmal die physische Kraft alter
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sollen dem Publikum zeigen, daß vor allem Wert darauf gelegt wurde, weiteren Kreisen der Bevölkerung den Besuch zu ermög lichen.
Ein 66 Jahre alter Arbeiter ertrunken. Erfolg reiche Wiederbelebungsversuche an sechs weiteren
Personen.
Ein schweres Bootsunglüd ereignete fich gestern nachmittag furz nach 4 Uhr in der Nähe der Halbinsel Tornow bei Potsdam . Auf der Halbinsel befindet sich die Holzbearbeitungsfabrik von Gebrüder Dreßler. Um den hier beschäftigten Arbeitern den Weg von und zu der Arbeitsstelle abzukürzen, stehen vier große Ruderboote zur Verfügung, die je etwa zehn bis zwölf Personen faffen. Sie werden auch Tag aus, Tag ein benutzt, weil der Weg zum Bahnhof quer über die Halbinsel eine 4 Stunde in Anspruch nimmt, während mit dem Boot die Stadt Potsdam in fünfzehn Minuten zu erreichen ist.
Nachdem am Montag nachmittag um 4 Uhr Feierabend gemacht worden war, bestiegen etwa achtzehn Arbeiter das nur für zwölf Fahrgäste berechnete Boot, um sich überzusetzen. Kurz vorher war eine heftige Regenbö niedergegangen und das Wasser der Havel war noch start bewegt. Infolge der Ueberlastung war der Bootsbord nur etwa fünf Zentimeter von dem Wasserspiegel entfernt. Einige besonnene Leute, die um weniger Minuten willen nicht ihr Leben aufs Spiel sezen wollten, sahen das Unheil fommen und verlangten, daß die Kollegen zurückkehren und die überzähligen Personen an Land setzen sollten. Der verständige Rat fand aber leider bei den anderen fein Gehör. Die Fahrt wurde fortgesetzt. Das befürchtete Unglüd tam nur allzubald. In der Mitte des
Dienstag, 26. April 1927
Stroms schlugen die hochgehenden Wellen in das Boot und brachten es zum Kentern. Die gellenden Hilferufe der mit dem eisigen Waffer Kämpfenden alarmierten die ganze Gegend. Vom Fabrikgelände aus hatten zurückbleibende Angestellte das Fahrzeug mit Sorge beobachtet und unter Führung des Besizers Dreßler machten sie sofort die drei anderen Boote los und ruderten der Unglücksstelle entgegen. Zu gleicher Zeit eilte der Reichswasserschuh, der seinen Posten am alten Stadtkanal hat, mit zwei Motor- und zwei Ruderbooten zur Hilfeleistung herbei. Den vereinten Bemühungen gelang es, den größten Teil der Verunglückten, die schon halb erstarrt waren, zu retten. Bei sechs Personen mußten Wiederbelebungsversuche angestellt werden, die von Erfolg waren. Sie wurden zur Nachbehandlung in das Potsdamer Krankenhaus gebracht. Die übrigen eilten in ihren nassen Kleidern, so rasch sie konnten, nach Hause, ohne auf zurufe zu hören. Soweit bisher festgestellt werden konnte, scheint die Fahrlässigkeit aber doch ein Todesopfer gefordert zu haben, da die Zahl der Geretteten nicht mit der Zahl der ursprünglichen Fahrgäste übereinstimmt. Daß fie schwimmend hätten das Ufer erreichen können, ist kaum zu hoffen. Erst eine genaue Nachfrage in den Wohnungen wird hier Klarheit bringen.
Wie wir in später Abendstunde erfahren, gelang es dem Reichswasserschutz die Leiche des 66 Jahre alten Tischlers Frizz Schiof aus der Moltkestr. 54 zu Potsdam zu bergen. Bei Einbruch der Dunkelheit mußten die Nachforschungen aufgegeben werden. Es wird als sicher angenommen, daß das Unglück feine weiteren Opfer gefordert hat.
„ Schulrekruten."
Was sie einst verwarfen, loben sie jetzt.
Es herrscht Freude im Himmel über jeden Sünder, der Buße tut, so heißt es in der Schrift. Wie die Dinge heute liegen, überrascht es immer am meisten, wenn man ausgerechnet beim Ber= liner Lofal- Anzeiger" des Herrn Hugenberg Bußfertigfeit findet. Und doch lesen wir in der Weiten Welt", der illustrierten Sonntagsbeilage des Scherl- Blattes, einen Artikel Schulretruten", der uns diese seltene Ueberraschung gewährt. Zwei Bilder sieht man da nebeneinander, unter dem einen steht: Wie es früher war: Spaziergang in den Bausen in strengster Ordnung", und daneben bemerkt man auf einem Bilde tollende Kinder und die Unterschrift:" Und wie es heute ist: Den Schülern jede Freiheit!" Im Tert aber findet man gar diese interessanten Eröffnungen:
,, Unser modernes Schulmesen wird nicht nur auf die Bildung des Berstandes eingestellt; die Gesunderhal tung der fleinen Menschen, vielfach sogar erst die Er ziehung zur Körperpflege und übung ist heute eine ebenso michtige Aufgabe der Schule geworden.... Die plögliche förperliche und geistige Bändigung nötigt das Kind zu einer starfen Anspannung seiner Kräfte, die wohl zu gesundheitlicher Schädigung führen fönnte, menn nicht der Kampf gegen die berüchtigten " Schulfrankheiten" heute von Anfang an zielbewußt aufgenommen würde. Für Kurzsichtigkeit, Rückgratverfrümmung und Blutarmut darf man heute die Schule nicht mehr verantwortlich machen. Helle, luftige Schulzimmer, Bänke, in denen man bequem fizen und gerade aufstehen kann, verstän diges Achten der Lehrer auf cute Haltung beim Lesen und Schrei ben sind in fast allen Schulen selbstverständlich geworden. Kurzstunden, sonnige Schulhöfe mit wirklicher Bewegungsfreiheit, Schulspaziergänge und Unterricht im Freien bringen die Kinder auch während der Schulstunden mit Luft und Sonne in Berüh rung. Vor allem hat die moderne Turn- und Spielst unde eine ganz andere Bedeutung für die gesundheitliche Ertüchtigung als früher. Das zeigt schon ihre Stellung im Lehrplan und als Prüfungsfach."
Bravo , bravissimo! Wir stimmen der Verfasserin dieses schönen Artikels, Dr. med. Edith v. Löhlöffel, vollinhaltlich zu. Aber wir stellen die bescheidene Frage: Seit wann haben sich denn die Verhältnisse geändert, seit wann çönnt man den Schülern jede Freiheit"? Baßt nicht auf die Gymnasien und Volksschulen in der Beit des glorreichen Wilhelminismus das Bild: Wie es früher war: Spaziergang in den Bausen in strengster Ordnung"? Sind nicht alle die Neuerungen, die vom Lokal- Anzeiger" mit so lautem Munde gerühmt werden, Errungenschaften der ††† Republik?
Sei dem, wie ihm wolle: Wir freuen uns herzlichst, wenn auch die Hugenberger ausnahmsweise Anwandlungen von Ein sicht bekommen.
Steppenstuten der von blaugoldenen Madonnen gemeinhin| sie davon, daß zur Stunde die im Oktober verschwundene überlegen ist, so wird sie sehr rasch überwältigt, wird, während Kunstmalerfrau Sif Brudner in diesen Akten keineswegs... Peggy Strafer diesen Teil der Szene mit einem befreienden hysterischen Gelächter begleitet, angeſpien, mit den Füßen getreten, auf das allerergiebigste verprügelt und schleppt sich schließlich hinkend und mit einem eigentlich als verwüstet anzusprechenden Gesicht aus dem Raum. -
Nicht etwa, daß man von diesem Ereignisse sonderliche Notiz nähme: ach nein, man ist ja so abgestumpft, man ist ja längst ein klein fühllos Stückchen Kot geworden..
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Da nun aber einmal in diesem Tage der Teufel feine Hand hat, so geschieht es, als sie zwei Stunden später in der Office des Manager Hobson ein Verzeichnis derjenigen Gegen stände zusammenstellt, die dem Hause der Confederation of good works" von mildtätiger Hand zu Weihnachten über wiesen sind... vier Paar zerriffener Schuhe, Wolljacken, drei gebundene Exemplare von Reverend Barkers Goldenen Himmelspfeilen für den Gebrauch im Hause", zehn Pfund abgeschnittene Zigarrenspißen und ein verbogenes Papageien bauer... ja, da geschieht es, daß sie in dieser Arbeit unterbrochen wird von einem Besuch, bei dem sie aufspringt vor Entsetzen, das Tintenfaß über den Bericht mildtätiger Gaben gießt und an dem Eintretenden vorüber zur Tür hinaus in ihr Zimmer rennt. Der da in der Office des Manager Hobson erschienen ist, ist der Schmallippige.
In ihrem Zimmer schleicht sie sich an die Wand, legt das Ohr an den Türspalt. Kann nicht genug Englisch , um jedes Wort der zwischen Hobson und dem Fremden geführten Unterhaltung zu verstehen, fann ab und zu einen Broden nur erwischen, stöhnt nach den ersten Sägen schon auf in hilflosem Entsetzen: ihr Name ist es, der da nebenan ausgesprochen worden ist... nicht Anita Thefiger, nicht der, den die apofryphe Sekretärin eines apokryphen Hochstaplers trug... es ist ihr alter, sauberer, vertrauter Name, der dort genannt worden ist!
Ach, was weiß sie, das fleine verängstigte Ding, zur Stunde von den nach Berlin übermittelten Fragen der argentinischen Polizei nach der Identität jenes jungen Frauenzimmers, das an dem und dem Oftobertage in der Gesellschaft des Agostino Gomez, alias Obersten Miramon im Erzelfior hotel gesehen sein müsse? Was weiß sie davon, daß gerade dieses von Barmiger, Empfangschef, Portier, weiß Gott von mem beachtete Tanzen in den Atten der Berliner Polizei als die legte Spur einer seither Bermißten figuriert? Was weiß
Nein, es ist nicht meine Mission, den Ereignissen vorzugreifen durch Angabe dessen, was zur Stunde in den heute mir vorliegenden Akten der Kunstmalerfrau Sif Brudner nicht enthalten ist. Nicht meine Aufgabe ist es, darzulegen, meswegen in dieser Stunde, in der der Schmallippige mit Ismael P. Hobson unterhandelt, warum es die kleine Sif ein einziges Wort foften würde, um zu Robby zurückzukehren... nicht meine Sache, zu untersuchen, warum es ihr versagt bleibt, dieses Wort ihren richtigen Christennamen auszusprechen, nicht meine Sache, zu fragen, weswegen fold dunkles Geschick über den Wegen schuldloser armer Menschenfinder waltet...
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liegt fie auf ihrem Bett, gräbt die Nägel in ihr Fleisch, Alles Weitere versinkt ihr in einem Rebel von Angst. Da flüstert vergeblich die Worte, die sie schon einmal in einer anderen Stunde ohne wesentlichen Nuzen gesprochen hat...
wollte es nicht tun, wollte es nicht, wollte es ja nicht Und nach drei Tagen ist Weihnachten in Deutschland , und zu Weihnachten wollte man mit Robby...
Barmherziger Gott, was wollte man denn mit Robby? Was hat man denn getan, daß man gepeitscht wurde von einer Schuld zur anderen, von einer Schmutzpfüze in die andere? Die weißen Wände ringsum wissen es nicht, die Tafel mit dem Puritanergebot, sich rein zu halten außen und innen, weiß es auch nicht. Und ebensowenig mag es über dieser fatanischen Stadt der weißglühende Himmel wissen oder die zerlumpten Lancheros auf dem Kai, die jener felbe Gott dorthingestellt hat, daß fie einen räubigen Köter mit einem Fußtritt ins Wasser befördern, einer schwarzen Wäscherin eine neu erfundene 3ote nachrufen und in der Nacht hinter den Zäunen der Isola Maciel ihrem Gegner das frumme Messer in den Unterleib rennen.
Hund, Schinder, Folterknecht...
Daß die kleine Sif derjenigen Instanz, die, wie gesagt, oft einigermaßen dunkel über den Menschenwegen waltet, in dieser Not mit harten Worten ihr lebhaftes Mißfallen ausspricht, ändert an dem Gange der Ereignisse insofern nichts, als sie nach ein paar Minuten von der alten Mary in die Office geschleppt wird. Da steht sie nun allein drei Feinden gegenüber, hört wie damals in der Berliner Marienkirche bis in den Hals hinauf ihr armes wehes Herz schlagen, weiß, daß es ein Gefecht geben wird auf Leben und Tod.
( Fortsetzung folgt.)