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Abendausgabe

Nr. 19744. Jahrgang Ausgabe B Nr. 95

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10 Pfennig

Mittwoch

27. April 1927

Vorwärts=

Berliner Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Besonnenheit am 8. Mai!

Mahnung des Reichsbanners. Stahlhelm und Kommunisten provozieren.

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vozieren lassen, nun ist wieder der Stahlheim an der Reihe. Die Rote Fahne " veröffentlicht folgende Sonder­richtlinien für den 7. und 8. Mai", die am 25. April von der Stahlhelmleitung herausgegeben worden sind:

Die Gefahr, daß es am 8. Mai zu blutigen Zusammen­stößen tommt, ist sehr ernst. Sie ist gegeben durch die Ab­ficht des Stahlhelms, in den Arbeiterbezirken beson ders auffallend aufzutreten, sie wird verschärft durch Stahl helm Befehle, die mir weiter unten veröffentlichen, 1. Diese Sonderrichtlinien sind unbedingt geheimzu und durch die Absicht der Kommunisten, dem Stahlhelm halten und dürfen von einzelnen Kameraden unter feinen Um­Massen von Demonstranten als Angriffsobjekte entgegenzuständen mitgeführt werden. Kameraden in dauernden bzw. zeit­stellen. weiligen Führerstellen haben diese Sonderrichtlinien zu ver= nichten, sobald Instruktion der Gruppen stattgefunden hat.

Das Reichsbanner hat für das Verhalten der Reichsbannerkameraden am 8. Mai Anordnungen getroffen, in denen es heißt:

Die Berliner Ortsvereine des Reichsbanners find von 9 Uhr morgens am 8. Mai bis 5 Uhr morgens am 9. Mai alarm bereit. In dieser Zeit muß jeder Reichsbannermann, sofern nicht anders über ihn verfügt ist, an seiner Wohnstelle anzutreffen sein, um einem eventuellen Alarmbefehl unverzüglich Folge leisten zu fönnen." ind and

Die Ortsvereinsvorsitzenden haben sich mit den Gewerkschafts-, Bartei usw. Borsitzenden in Verbindung zu sehen, ob für bestimmte Baulichkeiten oder Räume vom Reichsbanner Schuß gewünscht wird. Dieser Schuß ist zu stellen. An Mitnehmen von Verpflegung denken. Ueber getroffene Abmachungen ist dem Gau bis 5. Mai zu melden.

Durch einzelne, für diesen 3med besonders ausgesuchte Kameraden( Beobachtungsgabe, Besonnenheit, zuverlässigkeit in der Berichterstattung) sind die zuständigen Stadtviertel abzuftreifen. Im Falle besonderer Ereignisse sofortige Meldung dem Gaubureau durch Fernsprecher..

Erfolgt der Befehl zum Alarm, erscheint alles in Reichsbanner­Kleidung, komplett, auf den Alarmplägen, die auf dem kürzesten Wege erreicht werden müssen.

Es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sich auf der Straße Propofateure in Reichsbannerkleidung zeigen. Auf diese ein scharfes Augenmert haben. Feststellung der Persönlichkeit! Im Beigerungsfalle evtl. Hilfe der Polizei. Das fehlende Mitgliedsbuch wird den Provofateur entlarven.

Wenn es zu Zusammenstößen zwischen Reichsbannerkameraden und Angehörigen der Rechtsverbände gekommen sein sollte, wird der Gauvorstand den Sachverhalt eingehend prüfen. Ergibt sich hierbei, daß die vorstehenden Anordnungen unbeachtet geblieben

find, dann wird der Gau die Uebernahme des Rechtsschutes ab­lehnen. Ganz abgesehen von den anderen Folgen, die ein Disziplin bruch unnachfichtlich nach sich ziehen wird.

Rameraden, wahrt an diesem Tage die Manneszucht, zu der ihr euch freiwillig verpflichtet habt, in ganz besonderem Maß.

Der Schutz der Straße ist Sache der Polizei. Wer sich provo­zieren läßt, dient nicht der Republit, sondern ihren Feinden. Die Augen aller Republikaner, insbesondere unserer Kameraden im Reiche, find an diesem Tage auf Berlin gerichtet. Wir können das Ansehen unseres Bundes nicht besser wahren als durch Einigkeit, Geschlossenheit und Disziplin."

2. Das Auftreten der St. G. hat nach dem Prinzip zu erfolgen, den Eindruck der Ueberlegenheit und der Herr schaft auf der Straße in alle neutralen und feindlichen Zu schauer hineinzuhämmern. Dies kann erreicht werden a) durch straffès, militärisches Auftreten eines jeden einzelnen,

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b) durch sofortige rüdsichtslose Abwehr eines jeden Angriffs oder Angriffsverfuches,

falls Umstände günstig. c) durch gelegentliche Statuierung eines Erempels,

3. Es ist unbedingt notwendig,

daß bei jedem Zusammenstoß auf die linksradikalen Organi­fationen das Odium des Angreifers fällt.

Aus diesem Grunde find Kollisionen da zu vermeiden, wo die Schuld auch nur in Frage gezogen werden könnte.

4. Nach jedem Zusammenstoß hat der Führer oder betreffende Dienstälteste grundsäglich sofort Anzeige auf der nächsten Wache zu erstatten. In Frage kommen Körperverlegung, Land friedensbruch, eventueller Mordversuch. Es kommt viel darauf an, wer zuerst die Anzeige erstattet, besonders wenn Polizei bei dem Zusammenstoß nicht zugegen war.

5. Jedem angegriffenen oder bedrohten Rameraden ist unver­züglich Beistand zu leisten. Auch eine Abwehr darf keinen schwäch lichen Eindruck machen, sondern muß aus Prestigegründen Don offensivem Geist getragen sein.

6. In den Bezirken C, C, N, und N und 3, 7 ist vor allen Dingen alleräußerste Kampfbereitschaft geboten.

In diesen Bezirken dürfen sich nur Gruppen in mindestens Zugstärke ( 30 Mann) bewegen.

7. Trotz der angemessenen Weisungen an die Schupo ist mit 3u fammenstößen zu rechnen. Meldungen über solche sind sofort an die St. L., Luisenstraße 18, zu richten. Den Weisungen der Schupo ist unter allen Umständen Folge zu leisten. Bei drohenden Exzessen des RFB. haben sich die St.- Kameraden der Polizei zur Hilfeleistung zur Verfügung zu ftellen.

Nochmals: Höchste Kampfbereitschaft und nötigenfalls: Terror gegen Terror."

Das Reichsbanner hält sich bewußt von der Straße tation: offensiver und ausgesprochener noch als die In­Diese Richtlinien atmen den Geist der Provo­zurüd. Es läßt sich nicht provozieren! Die besonnene Ber- struktion der Kommunisten". Das Ziel: Machtkampf um die liner Arbeiterschaft wird mit dem Reichsbanner den Stahl- Straße. Stahlhelm und KPD . wollen den Krieg, sie suchen helm unter sich lassen. sich die Schuld am Kriege zuzuschieben. Die Polizei wird schwere Arbeit haben, jede Provokation zu unterdrüden. Bir hoffen, daß fie angesichts des offenen Stahlhelmbekenntnisses zum Terror, jedes provokatorische Auftreten des Stahlhelms in den Arbeiterbezirken rücksichtslos im Reime er= ft idt!

Provokation von beiden Seiten. Stahlhelm und Kommunisten stacheln durch Instruktio­nen und Sonderrichtlinien die Leidenschaften für den 8. Mai auf. Die Kommunisten haben sich vom Stahlhelm pro­

Wiking- Prozeß vor dem Ende.

Heute Beginn der Plaidoyers. Jm Wifing- Olympia- Prozeß vor dem Staatsgerichtshof wurde die Beweisaufnahme gefchloffen. Die Plädoyers beginnen noch heute, das Urteil ist heute nicht mehr zu erwarten.

( Bericht fiehe 2. Seite.)

Arbeiterlöhne im Reichswehrhaushalt.

Die Milchmädchenrechnung eines Admirals. In der volksparteilichen Täglichen Rundschau" sucht ein Bize admiral a. D. Kahlert wieder einmal schlagend zu beweisen", wie schlecht die Sozialdemokratie ist, weil sie den Reichswehretat abgelehnt hat. Nachdem die Tiraden von der Bedrohung der Landes­verteidigung nicht recht verfangen haben, findet der besagte Marine­offizier, daß die Sozialdemokratie sogar arbeiterfeindlich handele, wenn sie Sparsamkeit von der Reichswehr fordert. Denn so sagt er und rechnet es im einzelnen aus ein großer Teil der Reichswehrausgaben verwandelt sich auf dem Wege über Industrieaufträge in Arbeiterlöhne. Also bewahrt der Reichs­wehretat Zehntausende von Arbeitern vor der Erwerbslosigkeit!

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Eine herrliche Rechnung! Mit ihr fann man beweisen", daß jebe Berschwendung eigentlich doch der größte volkswirtschaftliche Borteil ist. Denn irgendwo werden ja alle Aufwendungen sich in Arbeiterlöhne verwandeln. Wohl oder übel wird man doch endlich auch einsehen, weshalb die hohen Generalspensionen notwendig sind wer tönnte sonst ihre Diener bezahlen, wer würde ihrem Schneider Arbeit geben, wer die Handlungsgehilfen der Militäreffektengeschäfte

unterhalten, in denen die hohen Herrschaften ihre standesgemäße Ausstattung erneuern?

Wir hoffen nun, daß alle Leser der Täglichen Rundschau" fich dafür begeistern werden, 100. Proz. ihres Einkommens an Steuern zu zahlen, damit unsere brave Reichswehr die Arbeits­lofigkeit mit Stumpf und Stiel ausrotten fana.

Doch das steht wohl auf einem anderen Blatt. Wenn von Steuern die Rede ist, hört die nationale Gesinnung der Besitzenden bekanntlich auf. Start gedämpft wird sie bereits, wenn durch Wohnungs-, Straßen- und Kanalbauten die Möglichkeit bereitet werden soll, den Arbeitsmarkt zu beleben und Löhne unter das Bolt zu bringen, um damit dauernde Werte für die Zivilisation zu schaffen. Für den waderen Militaristen sind eben die Erzeugung von Mordwaffen und die Soldatenspielerei die einzigen höheren Werte. Deshalb preisen sie selbst die Verschwendung der Reichswehr als Sozialpolitit was immerhin niedriger gehängt zu werden verdient.

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Der Potsdamer Raubmörder verhaftet.

Heute morgen auf der Straße in Potsdam . Unter dem Verdacht, den Raubmord an dem städtischen Kaffenboten Hammermeister am Ruinenberg in Potsdam verübt zu haben, wurde heute vormittag der Arbeiter Ewald Humbeutel auf der Junkerstraße in Potsdam verhaftet. Humbeutel hat sich durch verschiedene Aeußerungen verdächtig gemacht. Er ift schon feit längerer Zeit von der Polizei beobachtet worden.

Guadalajara .

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Cindenstraße 3

Religiöser Fanatismus und Eisenbahnattentat. Guadalajara dieser fremde, wenig bekannte Ort ist plöglich weltberühmt geworden im Zusammenhang mit der Tat, die in einer Meldung als das erschreckendste Ver­brechen der Geschichte" charakterisiert wurde: in der Nähe von Guadalajara in Mexiko wurde nämlich ein Eisenbahnzug überfallen und verbrannt, und die Reisenden auf die grau­samste Weise ermordet, von Räubern", wie die bürger­lichen Telegraphenagenturen zunächst mitteilten, von ,, katho­lischen Extremisten", wie die merikanische Regierung be­hauptet, indem sie auch die Namen der katholischen Briefter angibt, die den Ueberfall leiteten. Es war jedoch schon nach den ersten Beschreibungen vollkommen flar, daß es sich hier nicht um einen Ueberfall von Räubern handelte, sondern um eine Tat, die mit der bestialischen Grausamkeit des wildesten politisch- religiösen Fanatismus ausgeführt wurde. Wer während der letzten Monate die Ereig­niffe in Merito verfolgt hat, der weiß, wie untrennbar ein derartiger Fanatismus mit dem Namen Guadalajara ver­fnüpft ist.

Guadalajara ist die zweitgrößte Stadt Meritos und die Hauptstadt des Einzelstaates Jalisco . Seit dem Ausbruch des offenen Konflikts zwischen der Calles- Renierung und der fatholischen Kirche wurde Guadalajara zum Mittelpunkt der katholischen Rebellion. In der Umgebung von Guadalajara sammelten sich die Banden der Aufständischen, als den Hauptanführer, der seit einiger Zeit verschwundene me ne 3 genannt wird. ,, Wollen Sie die ganze Wut und Er­Erzbischof von Guadalajara Francisco Orozco y Vi bitterung des Kampfes, der zwischen der Calles- Regierung und der merikanischen katholischen Kirche ausgefochten wird, sehen, fühlen und mit jedem Atemzug einatmen, dann fahren Sie nach Guadalajara ," so schrieb Anfang April ein amerika­nischer Schriftsteller nach seiner Rückkehr von einer Reise durch Mexiko . Ende März wurde in Meriko ein Aufruf der fatholischen revolutionären Junta" verbreitet, worin die Unzulänglichkeit des wirtschaftlichen Boykotts als Kampf­mittel gegen die Regierung festgestellt und alle Katholiken zum bewaffneten Kampf aufgefordert wurden.

Schon vorher hatten die katholischen Aufständischen ge­droht, daß sie nach dem 18. März jeden durch Militär be­wachten Eisenbahnzug überfallen würden. Bereits am 20. März wurde ein Eisenbahnzug überfallen und teilweise Ueberfall von Guadalajara auszeichnete. Ein zweiter Ueber­verbrannt, jedoch ohne die furchtbare Grausamkeit, die den fall, am 12. April, wurde von den Soldaten, die den Zug be= gleiteten, abgeschlagen. Dann folgte der Ueberfall von Guadalajara . Vivo Christo Rey!", Hoch lebe König Christus!"- mit diesem Kampfruf der katholischen Rebellion drangen am 20. März die Angreifer in die Wagen ein, und mit dem gleichen Ruf führten fie die Schreckenstat des letzten leberfalls aus. Wieder, wie schon so oft in der Geschichte, werden jetzt in Merifo in Christi Namen die entsetzlichsten Bluttaten verrichtet.

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Wir geben hier feine offiziellen oder offiziöfen propa­wieder, sondern benutzen absichtlich nur diejenigen( ameri­gandistischen Darstellungen der merikanischen Regierung fanischen) Quellen, deren Sympathien nicht auf Diese Quellen, welche die früheren Vorkommnisse und Zu­seiten der megifanischen Regierung stehen. sammenhänge schildern, laffen feinen 3meifel darüber auf­fommen, daß der letzte Ueberfall feine Einzelerscheinung ist, sondern eine Episode in einem organisierten Kampf, Teil eines systematischen Planes. Die unbeschreibliche Grausam­feit der Angreifer findet ihre Erklärung nur in der psycho­logischen Atmosphäre, welche die streitbare Kirche geschaffen hat. Die merikanische katholische Kirche führt ihren Kampf gegen die Regierung in der Form eines religiösen Bürgerfrieges, obwohl die merikanische Regierung gar Religion zu Zwecken der sozialen und politischen Reaktion be nicht die Religion selbst, sondern nur den Mißbrauch der fämpft. Die Kirche braucht aber diese Verdrehung der Sach­lage, um den religiösen Fanatismus gegen die Regierung mobil machen zu können. Gewiß haben die Bischöfe nicht den Befehl gegeben, Leute zu verbrennen, die mit dem ganzen Kampf vielleicht gar nichts zu tun haben, sie tragen aber trotz­dem die volle Verantwortung für das Verbrechen, das unter den merikanischen Verhältnissen nur die notwendige und un­vermeidliche Folge ihrer Kampfmethoden war.

Besteht nach dem schrecklichen Vorfall von Guadalajara wenigstens die Hoffnung, daß die Kirche nach solchen Folgen vor ihren eigenen Kampfmethoden zurückschrecken wird? Diese Frage richtet sich nicht nur an die merikanische Kirche; war sie doch bisher nicht imstande, ihre Politik selbständig zu be­stimmen, oder zum wenigsten tat sie so, als ob sie dies nicht dürfe. Als vor etwa einem Monat die merikanische Regierung durch einen Vermittler den Versuch unternahm, mit den führenden Bischöfen zu verhandeln, scheiterten die Berhand­lungen schon beim ersten Zusammentreffen, weil die Bischöfe, wie ein Vertreter des Episkopats bekanntgab, erflärten, die Kirche bedürfe für jede Handlung der Ge­nehmigung von Rom , während die Regierung forderte, die merikanische Kirche solle ihre Beschlüsse selbständig faffen, ohne die Genehmigung Roms abzuwarten. Die Calles­Regierung wünscht die Entwicklung der merikanischen Kirche zu einer nationalen Kirche, die im Rahmen der geltenden Gefeßgebung wirkt und nicht den Staat im Namen einer