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Abendausgabe

fr. 19944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 98

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10 Pfennig

Donnerstag

28. April 1927

Vorwärts=

Berliner Volksblaff

Berlag und Anzeigenabteilung Geschäftszett 8 bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292- 297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Stresemann gegen Schiele.

Gegen wirtschaftliche Absperrung Deutschlands. - Tagung des Maschinenbaus.

Schwierigkeiten der Handelspolitik

zum Ausdruck. Heute entscheide sich, ob im wirtschaftlichen Verhält­

nis der Völker ein Fortschritt, Stillstand oder ein Rückschlag erfolge.

Auf der heutigen Tagung des Vereins Deutscher Maschinenbau -| maßen als den Repräsentanten der internationalen Wissenschaft vor anstalten nahm für den beurlaubten Reichswirtschaftsminister seinen Mitgliedern den bekannten Professor Gustav Cassel sprechen Dr. Curtius und im Namen der Reichsregierung und Preußens auch zu lassen, der in seiner grundsätzlichen Auffassung über die Probleme der Reichsaußenminister Dr. Stresemann das Wort. In seiner Rede der Weltwirtschaftskrise längst als fast tomisch wirkender Ein­flangen deutlich die Widersprüche hindurch, die die gegen gänger erfannt worden ist und von weiten Kreisen der Wissen wärtige Politik des Rechtsblocks deutlich erkennbar erfüllen. fchaft abgelehnt wird. Im tiefsten Grunde sieht Professor Cassel Besonders scharf brachte das der Reichsaußenminister für die alle Schwierigkeiten der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise darin, daß die Arbeit ihre Beweglichkeit verloren" habe und insbesondere für bestimmte Berufsgruppen zu hohe Löhne durchgeführt worden seien. Er steht auf dem Standpunkt, daß es nicht nur der Monopolismus einzelner Industrien, sondern auch der Monopo­( ismus der Gewerkschaften sei, die die Beweglichkeit und die Fruchtbarkeit der Produktivkräfte hemmen. Die Fortdauer der Arbeitslosigkeit in Europa werde durch die künstliche Hochhaltung der Arbeitslöhne in gewissen Berufsgruppen ebenso gefördert wie durch die staatliche Arbeitslosenunterstüßung. Diese Denkweise ist in seiner manchesterlichen Dogmatit so verbohrt fon­sequent, daß es jeden Zusammenhang mit dem Leben und mit den Tatsachen der Wirtschaft verloren hat. Es kann nicht genug bedauert werden, daß der Verein Deutscher Maschinenbauanstalten, der auf seinen früheren Tagungen feineswegs alles sozialpolitische Berständ­nis hat vermissen lassen, seinen Vereinsmitgliedern, die vielleicht ein einziges Mal im Jahre sich mit diesen Dingen beschäftigen, durch Professor Cassel ein so unzulängliches und bestenfalls nur für theoretische Diskussionen geeignetes Bild geben ließ. Die dem Vortrage von Professor Caffel folgende Rede des Ge­schäftsführers Direktor Lange nahm insbesondere zur Lohnfrage und auch zu Frage der Eisenpreise Stellung. Bemerkenswert war die Schärfe, mit der Herr Lange insbesondere auch sich gegen war die Schärfe, mit der Herr Lange insbesondere auch sich gegen den Partikularismus und für eine zentralisierende Ver­waltungsreform in Deutschland einsetzte.

In den Vordergrund müsse die Erkenntnis gestellt werden, daß nur durch die weiteste gegenseitige Verflechtung der Staaten im Waren­austausch und der Handelsgewinne der größte Nutzen der Volkswirt­schaft gefunden werden könne. Es sei ein schwerer Irrtum, daß ein­zelne Industrien glauben, sie hätten ein ausschließliches Recht auf den inneren Markt und die Regierung habe die einzige Aufgabe, diefer Auffassung zu dienen. Wenn danach gehandelt würde, dann würde Europa bald von dem tiefsten und engherzigsten Proteftionismus erfüllt sein. In scharfem Gegensatz zu der fürzlich gehaltenen Rede des Reichslandschaftsministers Dr. Schiele, selbstverständlich ohne nur entfernt durch die Nennung des Gegensatzes den Widerspruch zu betonen, stellte Dr. Stresemann fest, daß es vor der wirtschaft. lichen Vernunft

teine deutsche Wirtschaftsautartie geben könne.

Es sei aber auch unverständlich, wie es von manchen Seiten geschehe, von einer günstigen oder gar glänzenden Lage der deutschen Wirt schaft zu sprechen.

Es war fein glücklicher Gedanke des Vereins Deutscher Maschinenbauanstalten, als den Hauptredner des Tages und gewisser­

Ehrhardt, der Bußfertige. Was sind seine Beteuerungen wert?

"

In Leipzig erhält sich das Gerücht, daß Kapitän Ehr­hardt, um die verlorene Position des Wifing" zu retten, in seinem morgigen Schlußwort eine programmatische Erflä­rung abgeben wird, durch die er jeglichen Putschismus in Abrede zu stellen gedenkt. Eine derartige Erklärung Ehrhardts wäre nicht die erste, aber es lohnt sich, aus einem früheren Vorkommnis den Wert Ehrhardtscher Versiche tungen fennen zu lernen. Am 4. Oktober 1921 druckte die ,, München- Augsburger Abendzeitung" eine zuschrift Ehr­hardts ab, die wir mit geringen Kürzungen im Wortlaut wiedergeben:

"

Seit den Kapp- Tagen wird von Zeit zu Zeit mitgeteilt, daß ich mich mit dem Gedanken an einen neuen Kapp Putsch trage.... In letzter Zeit scheinen... ernste und in Verantwortungs­stellen stehende Männer diesen Alarmnachrichten Glauben schenken zu wollen, daß eine gewisse Beunruhigung Plaz greift. Ich erkläre demnach:

1. Ich habe nach dem mißglückten Kapp- Butsch keinerlei Bedürf­nis, mich noch an solchen unvorbereiteten( von uns ge­Sperrt. Red. d. B.") Plänen erneut zu beteiligen. 2. Ich sehe ganz klar, daß ein neuer Putsch zum Scheitern verurteilt ist. Das Bürgertum ist zerrissener denn je; die Machtmittel des Staates sind im Vergleich zum März 1920 erheblich gefestigt; die Führer denken nicht daran, ihr sicheres Brot zu riskieren.

3. Ich halte es für ein Verbrechen an der Nation, jetzt, wo schwache Aussicht besteht, unsere Wirtschaft vor dem Zusammen bruch zu retten,.. durch einen Gewaltatt störend oder ver­nichtend in diesen Prozeß einzugreifen.

4. Die Einsetzung meiner Person als Putsch ist, ganz gleich, ob das Baterland dabei in Scherben geht, verbitte ich mir. Ich habe seinerzeit aus tieffter Ueberzeugung, dem Baterland zu helfen, den Kapp- Butsch mitgemacht. Ich habe daraus meine Lehren gezogen. Trotz aller Hehe gegen meine Person erkläre ich hiermit, daß ich nie mehr etwas unternehmen oder zu etwas die Hand bieten werde, was unserem Lande, unserem Volfe zum Schaden gereicht. 5. Ich bitte, mich endlich außerhalb der öffentlichen Diskussion zu lassen.

6. Ein Fingerzeig für die Regierung: Alle Männer, die ver­bannt, fern der Heimat leben, sehnen sich nach der Heimat zurüc und nach friedlicher( von uns gesperrt. Red.) Arbeit. Weshalb gewährt man ihnen das nicht, wo selbst soviel amnestiert wird? Die Sorge um ihr Tun und Treiben ist dabei gegenstandslos.

Hochachtungsvoll

Ehrhardt, Korvettenkapitan .

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Die Zweideutigkeit und unwahrhaftigkeit des Schreibens liegt auf der Hand. Ehrhardt gibt sich den Anschein, Butsche zu verurteilen. In Wirklichkeit verurteilt er nur den un= Dorbereiteten und aussichtslosen Butsch genau mie er das später in den Programmerklärungen des Biking tut. Seine Bitte, in Ruhe gelassen zu werden, gegen das Versprechen, nichts mehr zu unternehmen, wird schlagend illustriert durch sein Verhalten beim Hitler Putsch 1923 und durch die Gründung des Wiring. Bon seinem und der Prinzessin Hohenlohe Meineid ganz zu schweigen.

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Wir kommen auf die Ausführungen Langes noch fritisch zurück.

Dieser Mann, den die Seinen mit der Gloriole des treu deutschen, geradsinnigen Helden umgeben, ist in Wirklichkeit ein Muster von Berschlagenheit!

Ein Ausrufungszeichen.

In seinem Plädoyer hatte Ministerialrat Schön ner von den Männern der DC. gesprochen, die mit den Morden an Erzberger und Rathenau Deutschland schweres Beh zugefügt haben. hinter die Worte schweres Weh" setzt der Bericht der Deutschen Beitung" in Klammern ein höhnisches Ausrufungszeichen. Die Mordgesinnung der Rechtsradikalen durchbricht mit Elementar­gewalt alle schönen Versicherungen.

Vor der Wiedereroberung von Hankau ? England erwägt, die vertorene Konzession mit Waffen­

gewalt wieder zu erobern.

London , 28. April( WTB.) Zu dem besonders von den Engländern in China gemachten Vorschlag, die britische Konzeffion in Hantau wieder zu befehen, schreibt Times", die Argumente für und wider einen solchen Schritt würden zurzeit in London er­wogen; es würden weitere Erfundigungen bei verantwortlichen britischen Kreifen in China eingezogen.

Die Westminster Gazette" erklärt: Da das Steigen des Wasserspiegels des Bangtfe es jetzt größeren Kriegsschiffen ermöglicht, stromaufwärts zu fahren, ist ein energisches Vorgehen Großbritanniens in diesem Gebiete wahrscheinlich.

Wer trägt die Verantwortung? fünf Mächte scheinen bei dem Entwurf einer Antwort an die London , 28. April. ( WTB.) Pertinag schreibt aus Baris: Die Hankauer Regierung die größten Schwierigkeiten zu haben. Anscheinend ist der chinesische General, der die dritte kantonesische Armee befehligte und die direkte Verantwortung für die Nankinger Berbrechen trägt, auch von General Tichiangtaischef abgefallen und zur Hankauer Regierung übergegangen. Infolgedessen besteht folgende Lage: Einerseits erklärt die Hantauer Regie­rung, daß sie nicht die Verantwortung für etwas übernehmen fönne, was unter einem General geschehen sei, der die Befehle schiangtaischets ausführte. Tschiangtaischef aber wird das Argu­ment vorbringen, daß er alle Gewalt über die Hauptschuldigen ver loren habe.

3000 Gewerkschaftskundgebungen. Die Maikampagne der englischen Arbeiterschaft. Condon, 28. April. ( WTB.) Der Gewerkschafts- Verteidigungs­ausschuß des Gewerkschaftskongresses und der Arbeiterpartei hat heute abend ein Manifest gegen die Gewerkschaftsvorlage veröffentlicht, das bei den Maifeier- Kundgebungen im ganzen Land verlesen wird. Am 1. Mai werden über 3000 kunt gebungen veranstaltet werden, die zu einem Maffenproteft gegen die Gewerkschaftsvorlage benußt werden sollen.

Eine Gegenaktion der Unternehmer. London , 28. April. ( TU.) Der britische Industriellenverband hat den Ministerpräsidenten gebeten, eine Abordnung zu Be fprechungen über die Gewerkschaftsvorlage zu empfangen und auf die Einberufung einer Konferenz von Arbeitgebern und Bertretern der Gewerkschaften zu verzichten.

I

Das Amalien- Bad.

Eine symbolische Schöpfung des roten Wien . V. Sch. Wien , 26. April.

Schwarz von Menschen war am Vorabend der Wahl der weite Blaz am Raschmarkt, wo das größte Freilufttino der Sozialdemokratischen Partei von sieben bis zehn Uhr abends fünf verschiedene Filme vorführte, die insbesondere die Leistungen der roten Gemeinde Wien auf bautechnischem und sozialem Gebiete beweisen. Kopf an Ropf gedrängt, stand die vieltausendköpfige Menge, blickte auf die flimmernde Leinwand und lauschte den Klängen einer Orchestermusik, die durch mehrere Lautverstärker weithin getragen wurde. Immer wieder rissen die künstlerisch sehr schönen Bilder die Masse zu Beifallskundgebungen hin. Nur wenn Szenen aus der Kriegszeit oder des prafsenden Lurus der Inflations­gewinner gezeigt wurde, ertönte wildes Pfeifen. Immer aufs neue führten die Filme den schreienden Gegensatz zwischen dem alten, häßlichen Wien der Habsburger vor Augen, das nur für die Reichen sorgte und die Armen der Tuberkulose auslieferte, und dem neuen, aufstrebenden Wien der Sozialdemokraten, das Gesundheit, Glück und Schönheit dem Proletariat mit vollen Händen spendet. Be­sonders die Fürsorge für die Kinder erweckte große Begeisterung. Und als, ganz am Schluß, in reizenden Auf­nahmen gezeigt wurde, wie eine proletarische Kinderschar unter Führung eines Junglehrers nach fröhlichem Getummel auf den Hängen des Kobenzl bei Wien in die Stadt zurück­marschiert, da spielte die Musik das Lied der Kinderfreunde und 20 000 Rehlen fangen freudig- begeistert mit: Wir sind jung und das ist schön!"

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Den allerſtärksten Beifall hatten die Bilder des Ama= lien Bade's erweckt. Wiener Genossen flärten mich über die Gründe dieser ganz besonders lebhaften Begeisterung auf: Der Bau dieser riesigen, mit den modernsten Einrich­tungen versehenen Badeanstalt mitten im ärmlichen Prole­tarierviertel Wiens habe die besondere Wut der Bour= geoisie gegen die rote Gemeindeverwaltung erregt. Wochenlang habe die bürgerliche Preffe in der übelsten dema­gogischen Weise über die Vergeudung von Steuergeldern durch Seiz und Breitner gezetert dieselbe Presse, die be­müht gewesen war, die Korruptionsstandale der Christlich sozialen und Großdeutschen zu vertuschen und die Verwen­dung von mehr als 60 Millionen Mt. Steuergeldern zur Sa= nierung von verfrachten Banken zu beschönigen. Je mehr aber das Bürgertum gegen das Amalien- Bad wetterte, je gemeiner und verlogener seine Angriffe wurden, desto stolzer wurden die die Wiener Proletarier auf diese Errungenschaft ihrer Selbstverwaltung. Und auch solche Arbeiter, die in

einem ganz entgegengesetten Viertel wohnen und von dem Bad überhaupt nichts haben, ja, es überhaupt noch nie ge­sehen haben, hängen mit besonderer Liebe an diesem Werk, das zum Wahrzeichen der Wiener proletarischen Macht und Kultur geworden ist.

,, Ganz oben in Favoriten!" war mir gesagt worden und ich ging schon deshalb hin, weil ein rein subjektiver Grund mich dazu reizte. Favoriten! Wie oft war ich im scheußlichen Winter 1916/17 durch die dunklen, schmukigen Gassen dieser ausgesprochenen Proletariervorstadt als Soldat mit meiner Kompagnie marschiert, um auf dem Laaer- Berg zu ererzieren. Jeden Morgen um sechs Uhr schritten wir bei zwanzig Grad Kälte durch diefes düsterste Viertel Wiens , wo die abgemager­ten, frierenden Proletarierfrauen in endlosen Reihen vor den Bäcker-, Fleischer- und Milchläden standen. Und wenn wir, nach getaner, stumpfsinniger Ererzierarbeit im grauen Mittagsnebel zur Kaserne zurückmarschierten, da waren die Bolonäsen noch immer nicht beendet. Traurige Erinnerungen Wedding oder in Moabit mit den gleichen Leiden durchge­an eine furchtbare Zeit, die natürlich auch die Hausfrau vom macht hat. Aber wie leicht werden diese Zeiten vergessen! Und es war fein geringes Verdienst der sozialdemokratischen Filmpropaganda, daß sie in einigen wirkungsvollen Bildern die Wählerinnen und Wähler an diese kaiserlich- königliche Vergangenheit mahnte, um den Gegensatz mit dem heutigen, auferstehenden republikanischen Wien um so wirksamer er= tennen zu lassen.

Ich ging nun wieder nach zehn Jahren durch dieselben Straßen von Favoriten. Das Gesamtbild der Häuser hat sich nicht viel geändert. Es sind dieselben entsetzlichen Miet­fasernen, hinter deren grauen, vielfach noch nicht renovierten Fassaden das Elend und die Tuberkulose graffiert. Nur die Schilder sind vielfach neu gemalt und die Schaufenster wieder gut ausstaffiert. Aber der Gesamteindruck bleibt der. selbe: hier leben hauptsächlich die Mühseligen und Beladenen, für die nichts geschieht, wenn sie sich nicht aus eigener Kraft helfen.

Und nun

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Favoritenstraße, ein weiter Blah, nach dem ersten sozialdemo­mitten im Häusermeer, im letzten Teil der fratischen Bürgermeister Wiens , Jafob Reumann, be­nannt. Und auf dem Play ragt der monumentale Bau des Bades empor, dessen Turmuhr über die anliegenden Dächer, weithin sichtbar, die neue Zeit verkündet. Nach einer sozial demokratischen Stadtverordneten, Amalie Pölzer , die in Favoriten wirkte und im Dezember 1924 starb, ist dieses Werk benannt worden. Sie hatte ihr Leben den Hilfs­bedürftigen ihres Geschlechtes gewidmet, ihr Name war über den X. Bezirk oder jedenfalls über Wien kaum hinausge drungen-jetzt ist sie im wahren Sinne des Wortes verewigt,