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Freitag

29. April 1927

Kulturarbeit

Beilage des Vorwärts

Das Kind am 1. Mai.

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Um der Zukunft der Arbeiterbewegung willen ist es Pflicht, unsere Kinder in die Gefühls- und Gedankenwelt der Klosse, der sie angehören, hineinwachsen zu lassen. Wir müssen deshalb dahin streben, daß der 1. Mai der Weltfeier­tag des Proletariats, den Kindern zu einem nach haltigen Erlebnis wird. Es gilt, den Kindern zum Bewußtsein zu bringen, daß der 1. Mai weitaus allen Festen herausragt, daß er an Bedeutung selbst dem Weihnachtsfest übergeordnet ist. Gerade das Lettere muß den Kindern eingehen; denn wenn wir sie davon nicht überzeugen fönnen, so werden sie schwerlich den 1. Mai als den Feiertag anerkennen, da bis auf den heutigen Tag doch das Weih­nachtsfest von den Kindern am meisten herbeigewünscht wird.

Wie können wir nun den 1. Mai unseren Kindern zu einem Erlebnis werden lassen? Selbstverständlich lassen wir sie am Maizug teilnehmen! Durch das Mitmarschieren im Buge wird ihnen ganz augenfällig gezeigt, wo ihr Platz ist, nämlich in den Reihen der großen Schar der Arbeitenden. Gleichzeitig wird den Kindern zum Bewußtsein tommen müssen, daß sie Glieder des großen Ganzen sind. Der Marsch rhythmus, der Taft der Arbeiterbataillone, wird das Ver­burden ein gefühlsmäßig start unterstreichen. Doch muß den Kindern auch Gelegenheit gegeben werden, einen Ueberblick über die marschierenden Menschenmassen zu gewinnen; denn dann wird ihnen die Macht der Arbeiterschaft am finnfällig sten vor Augen geführt und gleichzeitig der Stolz darüber wachgerufen werden, daß die Eltern auch zu jener Macht gehören.

Zweckmäßig wäre es vielleicht, wenn alle Kinder( etwa von den Kinderfreunden") zusammengefaßt werden und die Spize des Zuges bilden. Voran viele rote Fahnen. Der 1. Mai steht im Zeichen der roten Fahne! Die Jugend voran! Diese Tatsache wird den Kindern sicher zum Erlebnis werden, hedeutet sie doch eine Gleichstellung mit den Erwachsenen, die sonst so wenig wahrzunehmen ist. Es ist allerdings schwer festzustellen, wie weit jene Tatsache zum Erlebnis wird. Doch was uns der Augenblick noch vorenthält, das wird uns die Zukunft zeigen!

auf dem die neue, von Arbeitern für Arbeiter geschaffene und un­aufhörlich neu zu schaffende musikalische Kultur erwachsen ist und immer wieder neu erwachsen muß. Kultur hängt mit dem latei­nischen Wort colere, pflegen, bebauen zusammen. Kultur ist etwas, das erarbeitet. das gepflegt werden muß. Es genügt nicht, daß der Arbeiter, der sich Gesangkultur erwerben möchte, der Musikwerke ihrem Aufbau und ihrem inneren Gehalt nach verstehen lernen will, gelegentlich ein Konzert besucht. Er muß selbst attiv tätig sein, er muß sich die musikalischen Bildungselemente selbst aneignen. In den theoretischen Kursen und in der praktischen Ausübung des Gefanges, wie ihn die proletarischen Vollschöre pflegen, bietet sich dem Arbeiter der kürzeste, müheloseste Weg, der ihn diesem Ziel näher bringt.

Die musikalische Bildung des Arbeiters ist ein Stück seiner Al­gemeinbildung, ein Ausgleich und eine Ergänzung zu seinen sonstigen Renntnissen. Das Arbeitsgebiet der Boltschöre muß deshalb so weit und vielseitig sein als das Leben selbst, das er täglich um sich sieht. Wie der Arbeiter in der Geschichte, in Wirtschafts­funde, in der Literatur alle Strömungen fennen muß, um ein flares und objektives Urteil gewinnen zu können, so muß er auch alle Gegenfäße und Stimmungen, in denen die Jahrhunderte nach mufi­talischem Ausdruck rangen, in sich aufnehmen, um die Gegenwart verstehen zu können. Es soll Arbeiter geben, die es wie einen Berrat am Sozialismus empfinden, wenn Arbeitergesangvereine Beetho Dens Missa solemnis oder die Mathäuspassion von Bach singen. benzliteratur fingen dürfe, baß sich das Programm der proletarischen Sie sind der Meinung, daß der klassenbewußte Arbeiter nur Ten­Chöre nur auf Musikwerke, die das Leben des modernen Arbeiters behandeln, beschränken müsse. Dieser Standpunkt ist irrtümlich. Der Arbeiter, der nur seinen eigenen winzigen Lebenstreis fennt und vor allem anderen ängstlich die Augen verschließt, wird nie sich umfassende Kenntnisse erwerben, wird infolge seines engen, be­

schränkten Gesichtskreises nie den Kampf mit feinen Gegnern auf­zunehmen imstande sein. Diejenigen, die ihren Genossen, einen folchen engbegrenzten Horizont wünschen, vergessen, daß auch der bescheidenste musikalische Bildungsgang der Kenntnisse, die Dor allem die Meisterwerte der großen lassiter vermitteln, bedarf, um zu einem unbeirrten Urteil zu gelangen. Man wendet dem gegenüber ein, der moderne Arbeiter hätte feine inneren Beziehungen zu diesen Größen der Vergangenheit. Aber mer vermöchte den Kampf ums Dasein, den der mit Kindern über­reich gesegnete Kantor Bach führen mußte, um mit etwa 100 Tafern jährlich leben zu können, tiefer nachzufühlen, als der Arbeiter von heute! Wer hätte mehr Verständnis für die Arbeitsüberlastung, unter der der geniale Meister litt, der für diesen färglichen Lohn als Organist an den zwei größten Kirchen Leipzigs , als Lateinlehrer an zwei Klassen der Thomasschule , als Musikdirektor der Universität, als Lehrer für Gesang, Orgel, Geige und Klavier zu wirken ge­zwungen war, um Brot für seine Familie zu schaffen! An wen ist die neunte Sinfonie des Republikaners Beethoven , des leidvollen Rämpfers, der den ganzen Jammer eines Proletarierfindes erdulden mußte, ger'chtet, wenn nicht an den Arbeiter von heute!

Das großzügige und freie Programm der englischen Genossen, wie es u. a. an der Arbeiterhochschule in Orford vorliegt, gilt auch für die große Kulturbewegung der deutschen Arbeiterschaft. Nicht nur eine Vorschule für politische Agitation auszubauen, sondern der werftätigen Bevöiterung in ihrem Streben nach geistiger Vertiefung ihre legten Biele. Die geistige Tätigteit bes fozial zu helfen, sie in der Geistesgeschichte Wurzel faffen zu lassen, sind demokratischen Arbeiters foll nicht eingeengt werden, nicht abgeschloffen und begrenzt sein, sondern ein Ringen mit den widerspruchsvollen Kräften des Lebens und der Geschichte, ein Ausdruck republikanischer Gesinnung, ein Lied der Freiheit. Dr. V. M.

Theoretische Diskussion.

Zur Nürnberger Tagung des Verbandes sozialdemokratischer Akademiker.

Die Nürnberger Ostertagung des Verbandes Sozialdemokratischer Akademiker hatte eine doppelte Bedeutung. Es wurde einmal ein wesentliches wissenschaftliches Problem erörtert der moderne Im­perialismus. Des weiteren fand in Anknüpfung an den Vortrag Die Begeisterung, die der Maizug stets unter den Er-" Sozialismus als fittliche Idee" eine lebhafte Aussprache statt, bei der Die Begeisterung, die der Maizug stets unter den Erb'e gegensätzlichen Anschauungen innerhalb der sozialdemokratischen wachsenen auslöst, die Zuversicht, die sie erfüllt, sie werden Akademiker über diese Frage ausgetragen wurden. So kann diese fich als Freude auf die Kinder übertragen. Die Freude muß fich im Spiel auswirken können. Deshalb sollte mit den Tagung für weitere Kreise der Partei ein Interesse beanspruchen. In Rindern gespielt werden, wenn die Erwachsenen den Worten feinem Begrüßungswort wies der 1. Vorsitzende des Verbandes, Ge­der Festredner lauschen. Den Kindern werden die Reden noffe Marg, Heidelberg , darauf hin, daß dem Verbande jeglicher ohnehin kaum verständlich sein, und wir wollen verhüten, daß sehe seine Aufgabe in der systematischen wissenschaftlichen und Anspruch auf politische Führung durchaus fernliege. Der Verband sie sich mit unverstandenen Worten herumschlagen. Ber­standesmäßig werden unsere Kinder die Bedeutung des politisch- erzieherischen Arbeit im Kreise der Intellektuellen. Herin werde auch sein Beitrag für das geistige Leben der Partei bestehen. 1. Mai später erfassen.

Aber es ist noch nicht ausgemacht, ob jenes Massenerleb­nis den Kindern wirtlich als größtes Erlebnis des Jahres erscheinen wird! Wir wissen, daß das Weihnachtsfest durch seine Geschenke und den romaniifchen Zauber, der es umgibt, einen so tiefen Eindruck auf die Kinder macht. Diese Tatsache follten wir auch für den 1. Mai beherzigen! Wir müssen dem Egoismus im Kinde schon ein wenig entgegenfommen. Laßt uns die Kinder beschenken! Gebt ihnen ein Buch zum 1. Mai, eines proletarischen Inhalts! Es berichte aus dem Leben der Arbeiterführer oder bringe Geschichten, aus dem Alltag der Proletarierkinder. Verseht das geschenkte Buch mit einer Widmung, die den 1. Mai als Veranlassung zur Ueberreichung erkennen läßt! Stets wird das Kind des großen Festtages der Arbeiterschaft gedenken, wenn es das Buch wieder zur Hand nimmt. Die häusliche Um= gebung trage ein Feiertagsgesicht. Der 1. Mai darf im Hause nicht wie jeder andere Tag auch verlaufen. Kleinste Mittel können für das Kind höchst eindrucksvoll sein. Ein reines weißes Tischtuch, frisches Birkengrün, ein eigens für diesen Tag gebadener Kuchen oder gar des Kindes Lieb­lingsgericht auf dem Mittagstisch: Diese uns so gering er­scheinenden Dinge werden dem Kinde zum Erlebnis werden, von dem es noch lange zehren wird.

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Warum all' die Ueberraschung, all' die Freude, warum der Massenaufmarsch der Arbeiterschaft unter der roten Fahne? Weil 1. Mai ist!" Diese Antwort aus Kindermund follte uns zunächst genügen; sie zeigt, daß das Kind den Tag als bedeutungsvoll für die Arbeiterschaft erkannt hat. Auf dieser Erkenninis werden wir langsam weiterbauen, bis einst unsere Kinder selbst das rote Banner vorantragen. W. H.

Gesangskultur und Arbeiterschaft. Es ist das große Verdienst der modernen Arbeiterbewegung, daß fie innerhalb ihres Kulturprogramms auch der musikalischen Ausbildung des Arbeiters gedachte und ihr einen wesentlichen Blaz anwies. Wohl hatte es eine Beit gegeben, in der die Verbindung zwischen Volt und Musik eine weit innigere war, in der das Singen einen ganz anderen Platz im Volksleben eingenommen hatte. Aber damals gab es noch fein Industrieproletariat in unserem Sinne. Es war die Zeit Luthers und Johann Sebastian Bachs , in der Hand­werfersöhne und Töchter die schwierigsten mehrstimmigen Chöre zu fingen gewohnt waren, in der das Singen als ein wesentlicher Bestandteil der Erziehung und des Schulunterrichts betrachtet wurde. Jahrhunderte geschichtlichen Werdens liegen zwischen damals und heute, Umwälzungen und Erfindungen, politische und wirtschaftliche Umgeftaltungen, die das Weltbild Europas volitommen veränderten. Der Arbeiter von heute steht im heißesten Ringen um die mate­rielle Sicherstellung seines Lebens, im Kampf um die Berwirklichung der sozialistischen Ideen. Seine seelische Stimmung ist die eines Kämpfers und Berteidigers. Die Musik bedeutet ihm bestenfalls eine Ruhepause, ein Atemholen. Su sehr ist er mit der harten Wirklichkeit beschäftigt, als daß er seine Sehnsucht und seine Hoffnungen in Tönen auszusprechen vermöchte. Und doch fann er sich der Stimme der Musit nicht entziehen. In welcher Gestalt sie ihm begegnen möge, jei es als Umrahmung einer politischen Versammlung, oder als frohes Wanderlied der Jugend, fei es als begeisterndes Kampflied beim Straßenumzug, in das er felbst einstimmt, oder als Kunstgefang eines Boltschors oder Ar­beitergesangvereins. Immer wieder wird ihr Rhythmus ihn erfassen, immer wieder wird der musikalische Stimmungsgehalt ihn in seinen Bann ziehen. In solchen Augenblicken wird auch der Wunsch ge­boren, selbst musikalisch tätig sein zu dürfen. Der Gefang ist das Eingangstor in diese Welt, der Arbeitergesangverein der Boden,

standes die Tagung begrüßte, erweiterte die Ausführungen des Ge Genosse Hilferding, der als Vertreter des Parteivor noffen Marr dahin, daß die Führeransprüche der Intellektuellen auch feine Aussicht auf Erfolg hätten. Die alte verwurzelte demokratische Tradition der Partei biete dafür bie Gewähr. Die Aufgaben der Akademiker in der Partei bestehen seiner Ansicht nach erstens in der Verwendung ihres fachlichen Könnens und Wissens im Dienste der Partei, der Arbeiterklasse und des sozialistischen Aufbaues und zweitens in der vert'eften Bearbeitung der neuen fozialen und politischen Probleme. Der

halb der fapitalistischen Gesellschaft. Es sei fennzeichnend, daß die theoretischen Sympathien Rosa Luxemburgs nicht der Klassischen Mat onalökonomie und Marg, sondern Sismondi und Robbertus, Die Vorstellung von einer automatisch wirkenden Zusammenbruchs Borstellung des fozialrevolutionären Prozesses feße ein bewußt tendenz sei unwissenschaftlich und unmarristisch De marristische handelndes Klassenfubjekt voraus, also ein Proletariat, das den Geschichtsprozeß durch sein das sozialistische 3 el anstrebendes Han dein zu fördern fucht.

dh. den sozialkonservativen Kritikern des Kapitalismus gehörten.

Der zweite Bortrag der Nürnberger Tagung ,, Sozialismus als ethische Idee", der von Dr. Mennide gehalten wurde, war ganz anders gerichtet, als der erste Vertrag. War dieser nach feiner Methode als auch nach seinem inneren Aufbau fonsequent marristisch, so trat Dr. Mennicke als typischer Vertreter des ethischen Sozialismus auf. Dr. Mennice ging in feinen Ausführungen vom Gegebenheit nicht abhängt. Als Boraussetzung diefer Ethik gelten Begriffe der autonomen Eth'f aus, die von der konkreten sozialen die fiftliche Würde des Menschen und der Wert der menschlichen Persönlichkeit als Selbstzwed. Die ethische Begründung des Sozialis später von Marg prinzipiell verneint wurde, werde jetzt wieder mus, die zum ersten Male vom utop fchen Sozialismus versucht und

aktuell.

Das Intereffe als Triebfraft des sozialen Kampfes und der Interessenkampf der Gruppen reichen für die Schaffung einer höheren Ordnung nicht aus.

Der Vortrag von Dr. Mennice löste eine lebhafte, teilme se

Einreihung der Intellektuellen in die Sozialdemokratische Partei stehen in Deutschland besondere Schwierigkeiten im Bege, die durch die Bedingungen der sozialen und geistigen Ent wicklung der deutschen Intelligenz erklärt werden können. Im unterschiede vom Besten, wo die geistigen Oberschichten der Nation in der bürgerlichen Revolution und in dem wissenschaftlichen Bofiti pismus ihre soziale Erfahrung und geistige Schulung bekommen haben, fehlten in der Geschichte der deutschen Intelligenz politische Attion und politische Erfahrung. Daher kam die Lähmung des Der deutschen Intelligerz fehlte auch die politischen Willens. positiv- w'ssenschaftliche Schulung, an deren Stelle sich die Neigungen Auffaffung bekämpften diese Darstellung mit aller Entschieden­

zur Romantik und Metaphysik breit machte. Die sozialistische Ideolo gie fordert in erster Reihe die wissenschaftliche Betätigung. Die Wissenschaft verpflichtet. Die Weltanschauung dagegen, die mit dem fozialen Stoff nicht verbunden ist, birgt in sich die Gefahr der subjektivist schen Willkür.

Gefährlich ist auch die geistige Ueberheblichkeit, eine gewiffe ideologische Selbstgefälligkeit der sozialistischen Intellek. tuellen, die ihren Ausdrud in der Auffassung findet, daß es den sozialistischen Akademikern gelingen könne, mit einem Schlage die geistigen Grundlagen der Arbeiterbewegung umzubauen und umzu­stellen und etwas vollkommen Neues hervorzubringen. Es wäre beffer, wenn solche Meinungen nicht ausgesprochen würden. Bas der foz alistische Intelleftuelle in erster Linie braucht, ist der Respekt ungeheuren fozialen und geistigen Kraft der Arbeiterklaffe, die es vor den Leistungen der Arbeiterbewegung, der Respekt vor der fertigbrachte, fich innerhalb eines halben Jahrhunderts von einer fulturlofen Eristenz zum sozial vollwertigen Leben zu erheben. Nach dieser Ansprache Hilferdings, die auf die Bersammlung einen tiefen Eindruck machte, ergriff Genosse Professor Emil Lederer das Wort zu seinem Vortrag

Der moderne Imperialismus".

Zuerst sfizzierte er in prägnanter Form die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus, an deren Ende der Uebergang vom organisations­lofen Kapitalismus des Freihandels zum durchorganisierten monopoli­ftischen Imper alismus der Gegenwart steht. Der imperialistische Ausbreitungsdrang wird burch den wirtschaftlichen Ausbeutungs. drang der Rohstoffversorgung, der Warenausfuhr und der Kapital­ausfuhr bedingt. Als zentrales theoretisches Problem des Imperialis mus betrachtete der Referent insbesondere die Frage, ob das Vor­handensein des nichtkapital stischen Raumes für die kapitalistische Anhäufung unbedingt notwendig sei. Die theoretische Auffassung von Rosa Luxemburg , nach welcher der nichtkapitalistische Raum eine unbedingte Berausfeßung für die tap talistische Anhäufung darstelle, unbedingte Beraussetzung für die kap talistische Anhäufung darstelle, und ihre Vorstellung, daß die fapitalistische Umwandlung dieses Raumes eine automatische Auflösung des Kapitalismus nach sich ziehen werde, scien unricht g. Die soziale Erschütterung des imperiali stischen Kapitalismus und feine eventuelle Ueberwindung werden nicht infolge der Erschöpfung des nichtkapitalistischen Raumes tommen, sondern infolge der fog alen Spannungen und Gegenfäße, die der Kapitalismus ständig neu schafft und vertieft. Genoffe Hilferding , der an der Distuffion teilnahm, schloß fich im wesentl chen den Ausführungen des Referenten an. Eine der größten Leistungen von Marg auf dem Gebiete der nat onal ökonomischen Theorie fei die im zweiten Bande des Kapital" fest. gestellte Möglichkeit des Gleichgewichts bei der Produktion inner

fogar leidenschaftliche Diskussion aus. Die Anhänger des ethisch religiösen Sozialismus betonten den Standpunkt des Referenten noch schärfer. Sie behaupteten, daß die ethische Bearündung und de bemußte Ethisierung" des Sozialismus zur Schicfalsfrage jeder fozialistischen Partei geworden sei. Der Marrismus habe als Ideologie und als geist ge Kraft verjagt. Es gelte jetzt, sich von den Resten des alten Materialismus zu befreien. Die offiziellen Hüter der alten Parteiideologie, die marristischen Hoftheologen" hemmteit die geist ge Entwicklung des Sozialismus. Die Anhänger der marristic heit. Sie warnten vor der Ueberschätzung des abstraft Moralischen . Dem Sozialismus liege der Kampf der Massen um die Hebung ihres Lebensniveaus und um die soziale Befreiung zugrunde. Son darin sei die höchste moralische Begründung des Sozialismus gegeben. Die ethischen Grundsätze des Sozialismus brauchten nicht von außen her hineingetragen zu werden, fie fe en im Margismus schon enthalten. Ethischer Grundgedante des Margismus sei

der Gedanke der Befreiung.

Hieraus schöpfe die marristische Weltanschauung ihr Ethos und Pathos. Kart Marg fei auch als ethischer Typ bis jeht noch von teinem sozial stischen Führer und Denker übertroffen worden. Die praktische ethische Bedeutung des Marrismus und seine geschichtliche Funktion bestehe darin, daß er die geiftige Gestalt des proletarischen Massenmenschen der Gegenwart geformt und einen besonderen Typ des qual fizierten sozialistischen Führers geprägt habe. Die, Be­freiung" vom Marrismus würde deshalb die Einengung des geistigen und politischen Gefichtskreises oder die willkürliche Betonung dieser oder jener Gefühlsmomente zur Folge haben.

Die Nürnberger Tagung fann jedenfalls zwei wichtige Leistungen buchen. Ihr erster Teil hat für das theoretische Leben der Partei eine große Bedeutung. Der Vortrag Schahlammer der Partei wesentlich bere chert. Ebenso bietet der zweite Lederers und die Diskussionsrede Hilferdings haben die geistige Teil der Tagung, und zwar die Auseinandersetzung, die der Vortrag von Dr. Mennicke auslöfte, für die Partei ein starkes Interesse. Es ift durchaus nicht gle'chgültig, welche Orientierung in den Kreisen der sozialistischen Intellektuellen vorherrscht. In diesem Sinne war die Aussprache über die filtliche Idee des Sozialismus in Nürnberg sehr symptomatisch. Sie ze' gte, daß in den Kreisen der sozialistischen Akademiker der ethisch- religiös verbrämie Sozialismus verhältnis­mäßig starken Anklang findet. In der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie bietet d'efer Fall nichts Neues. Diese Stimmun­gen waren schon in den siebziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts starf verbreitet. Damals waren fie, ebenso wie die damit verbundene Offensive gegen den Margismus, ein Symptom für das Anschwellen des Mitläufertums aus den Kreisen der Intellektuellen. Jett tommt die dritte Welle d'efer Art. Ob sie Bedeutung ge winnt, wird von der Widerstandskraft der marristisch geschulten geistigen Kraft der Partei abhängen. Hilferding hat die Tagung zum Respekt vor dem großen Werke der Arbeiterbewegung auf­gerufen. Er hatte recht. Nun hat die Tagung geze gt, daß auch ein anderer Respekt notwendig ist der Respekt vor den kulturell wiffenfchaftlichen Werten des Margismus. Dr. A. Schifrin.