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Rc. 222 44. Jahrgang
1. Beilage öes Vorwärts
Donnerstag, 12. Mai 1427
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Das Papier als Träger des gedruckten Wortes, hat es heute zu einer Bedeutung gebracht, die schwerlich übertroffen werden kann. Papier   dient aber nicht nur dieser Kulturarbeit(leider ist es heute nicht immer eine Kulturarbeit), sondern es erfüllt auch ganz mechanische Zwecke, die man noch vor gar nicht so langer Zeit edleren Materialien vorbehielt. Papier   ist verhältnismäßig billig, weil es sich als ein Neuprodukt aus Abfällen kennzeichnet, im be- sonderen aus Lumpen, die einen Prozeß völliger Auflösung durch- machen müssen. In der großen Papierausstellung, die in diesem Sommer als fl. Iahresschau Deutscher Arbeit in Dresden   veran- staltet wird, wurden neben der modernen Papierfabrikation durch große Papiermaschinen auch die alten Formen der Papierherstellung praktisch vorgeführt. Das älteste Papier. Die Kunst des Papiermachens und die Erfindung des Papiers verdankt man bekanntlich den Chinesen und die abendländische Papiermacherei glich jahrhundertelang in ihrem Wesen der chine- fischen fast vollständig. Statt des bei den Chinesen gebräuchlichen Bastes des Papiermaulbeerbaumes benutzte der abendländische Papiermocher als Rohstoff in erster Linie Leinen- und Baum- mollhadern, die zunächst nach ihrer Art und Farbe sortiert und dann zur Erleichterung der Reinigung zerkleinert, in Gewölben aufgc- schichtet, angefeuchter und dadurch einer faulen Gärung ousgesehl wurden. Diese zersetzte die Fett- und Farbstoffe und machte die chadern gleichmäßig geschmeidig. Hierauf wurden sie in Bütten durch Stampfer unter fortwährendem Zufluß von frischem Wasser ge- waschen und zerfasert. An die Stelle dieser alsdeutsches Geschirr" bezeichneten Einrichtung trat später dasholländische Geschirr" oder kurz derHolländer  ", in dem dt« Fasern statt durch den Stampfer durch eine mit stumpfen Messern besetzte Walze, die sich in der Bütte gegen andere feststehende stumpfe Messer dreht«, zerkleinert wurden. Die dünnbreuge Hadernfasermasie kam. sobald die not- wendige Feinheit erreicht war, als zur uxiteren Verarbeitung fertiger Papierstoffe in die mit einem Rührwerk oersehenStofsbütte". Zur Herstellung der Papierblätter aus dieserStosfmilch" wurde die Schöpssoim" verwendet, ein boqengroßes, in einen rechtwinkligen viereckigen Rahmen gefaßtes Sieb, das von einem zweiten offenen Rahmen mit erhöhten Rändern, dem Deckel, eingefaßt ist, so daß das Sieb den Boden eines flachen Gefässes bildet. Rtil dieser Form schöpft derSchäpsgcselle" die zu einem Papierblall notwendige Menge Slofsmilch aus der Bütte. Durch scharfes mehrmaliges Schütteln sorgte er, solange das Wasier von der Schöpsform noch nicht ganz abgelaufen und«in« innige Vermischung der Fäserchen
noch möglich war, für ihre genügende Bersilzung und gleichmäßige Verteilung über die ganze Fläche. Nach dem Abheben des Deckels wandert die Form mit dem nassen Papierblatt in die Hand des a u t s ch e r s". Dieser drückte das Papierblatt durch Umkehren
der Form auf eine Filztafel und hob die Form wieder ab. Das Blatt wurde mit einer anderen Filzlafel bedeckt, auf die dann«in weiteres vom Schöpfer fertiggestelltes und dem Gautscher überge» benes Papierblatt gedrückt wurde, das dieser ebenfalls mit einem Filz bedeckte. So wurden immer neue Papierblätter und Filze übereinander geschichtet, bis ein etwa 200 Bogen umfassender Stoß fertiggestellt war. Er kam in die Presie, in der das Wasser durch starken Druck aus den Papier  - und Filzlagen gequetscht wurde. Dann wurden die Blätter zwischen den Filzlagen abgehoben und aufeinander geschichtet. Diese Art der Papiermacherei wird heule nur noch in geringem Umfange angewendet, da die auf diesem umständlichen Wege durch Handarbeit hergestellten Papiere sehr kost- spielig sind. Aber das handgeschöpfte Büttenpapier zeichnet sich dafür durch hervorragende Festigkeit und Güte aus. Daher wird es auch heute noch zu wertvollen Druckarbeiten, Liebhaberausgaben usw. gern benutzt. Moüerne Lumpenwäsche. Die maschinelle Papiererzeugung beruht im wesentlichen auf denselben Grundlagen, wie die handwerksmäßige Papier  - Herstellung, nur daß die Maschine den größten Teil der menschlichen Arbeit übernimmt. Diese Ablösung des Menschen durch die Maschine setzt bereits bei der Bearbeitung des Rohmaterials ein. Bei dem steigenden Papierbedarf genügten die früher ausschließlich verwendeten Lumpen bald bei weitem nicht mehr und man mußte auf die Erschließung anderer Rohstoffquellen bedacht sein. Da sich animalische Stoffe wegen ihrer Struktur nicht zerfasern und verfilzen lassen, war man auf die Deckung des Bedarfs durch Vegetabilien beschränkt. Daher kam man aus den Gedanken, neben Leinen- und Vaumwollhadern, alten hänfenen Stricken und Tauen auch holz und Stroh zu verarbeiten. Die Verwendung von Hadern beschränkte man auf die Herstellung der besten und halt- barsten Papiersorten. Bei der maschinellen Papiererzeugung beginnt die Reinigung der Hadern in denü o d e r n d r e s ch e r n", in denen sie durch Klopfvorrichtungen vom gröbsten Staube befreit werden. Dann werden sie sorgfältig sortiert, wobei alle harten Gegenstände wie Knöpfe, Haken usw. entfernt werden. In Hack- und Schneide- Maschinen, denHadernschneidern", werden sie hierauf grob zer- kleinert. Nun kommen sie in den Lumpenstäuber oder, wenn eine gründlichere Reinigung erforderlich ist, in den ständig rotierenden D r e h k u g e l k o ch e r", der eine durch Dampf kochend erhaltene Lösung von Aetznatron   enthält. Zu dieser heißen Lauge werden die hadern fortwährend durcheinander gerührt und gründlich gewaschen. Dieser Kochprozeß ersetzt gleichzeitig das bei der früheren Hand- papierbereitung gebräuchliche Faulenlasien der Hadern. Die weitere Zerkleinerung und völlige Zerfascrung der Hadern erfolgt im Holländer  ", einem ovalen Troge mit einer den Längsseiten parallelen freistehenden Mittelwand, durch die in dem Troge ein in sich geschlossener Graben gebildet wird. In diesem kreist nun der Hadernfaserbrei und er wird zwischen der an einer der beiden Längs- seilen rotierenden Holländerwalze und dem Grabenboden solmrge hindurchgetrieben, bis die Hadern durch die andere Walze und aus dem Boden angebrachten und gegeneinander arbeilenden stumpfen
Messer vollständig zerfasert find. Fortwährend flieht reines Wasier zu; das schmutzige läuft durch ein« Siebtrommel ab. Sandkörner und ähnliche Unreinheiten werden durch rostartige Siebe abgefangen und aus dem Brei entfernt. Nach dieser völligen Reinigung und Zerfaserung wird die Masse in einem anderen Holländer aus Zement mit Chlorkalk gebleicht. Nach der durch Fixiernatron oder ander« geeignete Chemikalien erfolgten Entchlorung und Entwässerung, ist dann das sogenannteHalbzeug" aus Lumpen fertiggestellt. Holzpapier. Das Halbzeug aus Holz ist zweierlei Art. Die eine wird als Holzschliff" bezeichnet. Der Holzschliff wird hauptsächlich aus Radel­hölzern gewonnen. Die entrindeten und von den Aesten befreiten Klötze werden in Schleifmaschinen gegen schnell rotierende, vom Wasser bespülte Mahlsteine gepreßt und dadurch die winzigen Teilchen zerschliffen. Nach der in besonderen mit Splittersängern und Schüttelsieben ausgestatteten Sortieropparaten erfolgten Raf- finierung bildet die g'ewonnene Masse ein zwar nicht sehr haltbares, dafür aber im Gegensatz zu den Hadern sehr billige» Rohmaterial. das zur Herstellung der gewöhnlichsten Papicrsorlen verwendet wird; z. B für Zeitungspapier. Die andere Art des Halbzeuges aus Holz ist der ,F>olzzellstoff, dieZellulose", die nicht wie der Holz- schliff auf mechanischem, sondern aus chemischem Wege gewonnen wird. Für erstklassige Papiersorten ivird hadernhalbzeug und Holzzellstosf, für Zeitungspapier Holzschliff mit einem mehr oder minder großen Zusatz von Zellulose vermengt und zu Ganzzeug ver- arbeitet. Der Ganzzeugholländer ist viel größer als der Halbzeug- Holländer, weil der gesamte, zur Herstellung einer Papiersorte nötige Stoff in ihm Platz finden und verarbeitet werden muß. Sonst lassen sich Abweichungen in Mischung und Farbe nicht oermeiden. » Die Leimung des Papierstoffes hat bei der heutigen Masim» erzeugung die früher gebräuchliche umständliche Oberflächenleimung abgelöst. Die Stoffleimung erfolgt im Gegensatz zur Bogenleimung nicht mit animalischem, sondern mit vegetabilischem Leim, der in Form einer Harzseisenlösung dem Stoff zugesetzt wird. Diese haftet an den Stoffäserchen und ermöglicht je nach der zu- gesetzten Menge die Erzeugung eines mehr oder weniger leimfesten Papiers. Durch Zusätze von Porzellanerde sucht man dieses eben und geschmeidig, durch Stärkezusatz fest zu machen. Auch die notwendigen Farbstoffe werden der Papiermasse im Ganzzeugholländer bei« gemengt.
Gif. Das Weib, das den Mord beging. Roman von Arih Reck-Malleczewen. Es ist eine imitiert schlangenlederne Brieftasche, die der Schwager Lex in diesem Augenblick gezückt hat. Es sind aus einem mager gewordenen und darum eigentlich noch viel schöneren Gesicht ein Paar große, große Augen, die den Schwager Lex ansehen. Und da der Schwager Lex ja von jeher ein gewisses Penchant gehabt hat für diese Äugen, und da der Schwager Lex. wie schon sein in Ehren ergrauter Vorgesetzter ganz richtig konstatiert hat, nicht un?mpfänglich ist für die Ver- suchungen der Großstadt, so läßt der Schwager Lex noch ein- mal alle seine Reize und seine persönlichen Vorzüge spielen und eröffnet seiner kleinen stummen Schwägerin, daß zwar das Haus Bruckner zwischen sich und sie einen scharfen Strich ziehen müsse, daß e r aber ausgeklärt und vorurteilsfrei sei: daß er zwar durch die Schuld seiner Schwägerin nun eine Strafversetzung in die Provinz zu gegenwärtigen habe, daß er aber als Junggeselle auf die Unterstützung durch eine Haus- dame... Da Ist ohne Entgegnung die kleine Sif schon verschwun- den in dem Gange und nicht mehr zu erreichen für den Schwager Lex. Sie steigt die Treppe hinab ins Erdgeschoß. Und da es wohl so bestimmt ist vom Schicksal, daß sie alle über sie kommen müssen in dieser Stunde, die Gestalten dieser ent- setz'.ichen drei Monate, so tritt da jemand hervor aus der dunklen Korridorecke, m der er ihr aufgelauert hat, und da steht vor ihr in Lederhaube und Automobilmantel der Oberst Miramon Und Gott mag wissen, in welcher Maske der Kokainhändler Agostinp Gomez sich dieses Mal über die Grenze hierher gestohlen haben mag, und sicherlich macht er gute Geschäfte in dem fiebergeschüttelten Lande: und bei der ersten Kunde von ihrem Mißgeschick ist er hierher geeilt, Ma- dame, und alles, was sie vertrieben hat aus seinem Hause, ist eine einzige Kette von Mißverständnissen gewesen, und draußen wanet sein Wagen, und wenn sie geneigt wäre... Aber da muß sie wirklich lachen über diesen Gentleman- Hochstapler, der ihr mm wirklich nichts mehr anhaben kann.
Und es ist ein freundliches Lächeln, mit dem sie ihm still die Hand reicht. Und dann läßt sie ihn stehen und geht weiter. Und nun wäre da noch der Korridor des Erdgeschosses zu passieren, wo die Männer seit Stunden nun warten auf ein kleines, für den Tag berühmt gewordenes Frauenzimmer, das aus rätselhaften Gründen partout als Raubmörderin ins Zuchthaus gesperrt werden wollte. Da ist zunächst ein Mensch, der wie ein amerikanischer Reverend aussieht und ein Notizbuch bereit hält und wissen will, wie sie über die Ge- fahren des internationalen Mädchenhandels, über Alkohol- Prohibition und Doktor Carters Leberpastillen denke. Und immer neue Gestalten lösen sich aus den Nischen... Gestalten mit Hornbrillen, Gestalten mit korrektem und gebrochenem Deutsch, mit Zahnbürstenbärten und Kameras, deren Linsen sie anglotzen wie maßlos vergrößerte Insektenaugen. Da ist endlich ein langer, hagerer Mensch, der sie kurzerhand nach ihren Bedingungen für eine Vortragstournee über ihre Abenteuer fragt. Der Mann zeigt ein solides angelsächsisches Pfcrdegebiß mit einer imposanten Front von Goldplomben, der Mann hat Eile und wartet auf Antwort. Die Antwort bleibt aus, der Mann zuckt die Achseln. Die kleine Sif geht. Da ist nun diese letzte, zum Hauptportal führende Granit- treppe, da ist die schwere, mit dem automatischen Schließer Meteor  " versehene Tür, die man nur mit Mühe aufbringt. Da schlägt ihr der grimmige Frost des Februarabends ent- gegen, da hat man die Aussicht aus den Zollbahnhof einerseits und die Fassade der Meierei Bolle andererseits, und kann nun gehen, wohin man will. Und als sie dann vor der Gruppe des mit der Schlange kämpfenden Löwen steht, da ist es mit hochgeschlagenem Ueberzieherkragen ein seltsam bekanntes Menschenkind, das ihr den Weg vertritt und doch nicht recht wagt, ihr in die Augen zu sehen. Robby," schreit die kleine Eis, und noch einmal... ein letztes Mal ist es, als ob da etwas jubele, was nur dem ersten Frühlingsschrei der steigenden Lerche zu vergleichen ist. Robby... lieber, lieber Robby..." Da senkt der liebe Robby seinen Blick und hat da unten offenbar etwas ganz Wichtiges verloren auf dem gefrorenen Schnee und geht stumm eine Weile neben seinem wiedergc- fundenen Weibe. Dann kann man sehen, wie er herumwürgt an den Worten, die ihm fehlen. Und dann endlich kann man hören, daß sie ihn betrogen daß sie eine hochachtbare Familie kompromittiert habe, daß sie es einsehen müsse, wenn ihre Wege sich nun unweigerlich zu trennen hätten... Da steht sie vor ihm und hebt die magere, die erbar-
mungswürdige Hand und streicht ihm über das Haar.Armer Robby. du." sagt die kleine Sif,armer, armer Robby.. Ich weiß, daß die physikalischen Voraussetzungen für das Zu» standekommcn des Heiligenscheines geleugnet werden von der modernen Naturwissenschaft. Ja, lieben Menschen, und dennoch gibt es einen Heiligenschein, der unsichtbar triumphiert über alle Errungenschaften der modernen Be» leuchtungstechnik. Und da man nun keinen Paragraphen zweihundertundelf und kein Schafott mehr zu fürchten hat, so marschiert man los in den grimmigen, klirrenden Frost. Ja, ein schwarzer Himmel steht nun über Berlin   mit großen bösen Sternen, und bis auf die Knochen bläst der eisige Wind, und man hat heute noch nichts gegessen und hat nichts als dieses Sommerkleidchen, das man schon in Buenos Aires   getragen hat. Und trotzdem ist es eigentlich fröhlich und leicht im Herzen, seitdem man sich nun auch von Robby verabschiedet hat, und man denkt weder an das Bündel Banknoten, noch an das Merkblatt des Vereins für entlassene Gefangene und marschiert unbekümmert hinaus in die Winternacht. Und Schritt für Schritt laufen in dünnen, dünnen Sohlen kleine Siffüße durch den Schnee, durch das große abendliche Berlin  ... laufen, ohne zu wissen, wohin. Sie geht vorbei an dem Spreearm, vorbei an kleinen quiekenden Schlepp- dampfern und großen eingefrorenen Kähnen, den Flammen» fanalen der Siemenswerke entgegen. Und Lastwagen stehen da mit großen Kaltblütern, die auf ihre kneipenden Kutscher warten.. alte Kameraden, die nun so lange schon neben- einander gegangen sind und die Hälse übereinander gelegt haben.Liebe Pferdchen," sagt die kleine Sif und klopft mit der frostblauen Hand den Hals der Tiere, wie sie es einst als ganz kleines Mädchen getan haben mag... damals in ganz fernen Zeiten, als alles noch rein und einfach und gut war. Und dort am Kanal, wo es hinübergeht in den Nordzipfel von Charlottenburg   und gespenstische Gasometer In den Nacht- Himmel ragen, da ist einem der Packer der Knöchel abgedrückt von so einem blanken, kalten Eisenbahnrad, und da stehen, während der Verunglückte in den Unfallwagen geschoben wird, gaffende Menschen herum. Da steht man eine lÄeile und denkt, daß das alles doch sehr traurig ist und daß Gott   den armen Kranken helfen möge... Und möchte ein bißchen weinen und verzieht auch das Gesicht und kann es doch wieder nicht: ach, nein, man ist ja nun ganz hinausgewachsen über das Menschenleid....(Schlutz folgt.)