Nr. 230 44. Jahrg Ausgabe A nr. 117
Bezugspreis:
Wöchentlich 70 Pfennig, monatlich 3, Reichsmart voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland , Danzig , Saar- und Memelgebiet, Desterreich, Litauen , Luxemburg4,50 Reichsmart, für das übrige Ausland 5,50 Reichsmart pro Monat.
Der Vorwärts" mit der illustrier. ten Sonntagsbeilage, Bolt und Zeit" somie den Beilagen Unterhaltung und Wissen", Aus der Filmwelt", Frauenstimme", Der Rinderfreund"," Jugend- Borwärts",„ Blid in die Bücherwelt" und Kulturarbeit" erscheint wochentäglich zweimal, Gonntags und Montags einmal.
Telegramm- Adresse:
" Sozialdemokrat Berlin"
Morgenausgabe
Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Anzeigenpreise:
Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reklamezeile
5. Reichsmart. Kleine Anzeigen" das fettgebrudte Wort 25 Pfennig ( aufäffig amei fettgedruckte Worte), jebes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Mort 15 Pfennig, fedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt 8eile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Beile 40 Pfennig.
Anzeigen für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags im Hauptgeschäft, Berlin GW 68, Linden. ftraße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 8½ Uhr früh bis 5 Uhr nachm.
Dienstag, den 17. Mai 1927
Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3
Bostichedtonto: Berlin 37 536- Banffonts: Bank der Arbeiter. Angeftelten und Beamten, Balle. 65; Diskonto- Gesellschaft, Devoktentasse Lindenstr. 3.
In zweiter Lesung mit den Stimmen der Deutschnationalen angenommen. Landsberg spricht, Westarp schweigt.
Der Reichstag hat gestern in zweiter Lesung den Gesetz-| gegen ihre Ueberzeugung stimmten und damit ihre Ehre| die Sozialdemokraten natürlich auch. Es hat in der entwurf der Regierungsparteien angenommen, der die Gel- preisgaben. tungsdauer des Gesetzes zum Schuße der Republit um zwei Jahre verlängert. Heute erfolgt die dritte Lesung, in der die Annahme bei Anwesenheit von zwei Dritteln aller Abgeordneten mit Zweidrittelmehrheit erfolgen soll. Es wird heute die Aufgabe der Deutschnationalen sein- die schon gestern, soweit sie anwesend waren, für das Gesetz -die dazu notwendigen Mannschaften zu
stimmten
stellen.
Der Entwurf trägt an erster Stelle die Unterschrift der Partei, die sich mit Stolz die größte Regierungspartei" nennt, der deutschnationalen. ,, Graf Westarp und Genossen" figurieren als die eigentlichen Antragsteller. Darum hat der Demokrat Haas gestern angeregt, das Gesetz zum Schutz der Republik und zur Verhütung der Wiederkehr Wilhelms II. fünftig als die Ler Westarp" zu bezeichnen. Diese Anregung ist praktisch.
Auf der Regierungsbank saßen einsam der deutschnationale Reichsjuftiaminister her gt und der Reichsinnenminister v. Keudell. Kein Kollege aus dem Kabinett schien an diesem Tage Neigung zu haben, sich neben sie zu setzen, nur der gleichfalls deutschnationale, Minister für Ernährung der Landwirtschaft", Herr Schiele, machte ihnen einen furzen Beileidsbefuch. Schließlich verschwand auch Hergt; er rannte während der Rede Landsbergs mit der Miene eines Verzweifelten davon. Herr v. Keudell blieb allein und beschäftigte sich damit, sein Monofel auf- und abzusehen.
Die Aufgabe, für die Regierungsparteien eine Erklärung abzugeben, wäre eigentlich dem Graf Westarp, als dem Führer der stärksten Gruppe, zugefallen. Mit der Bescheidenheit, die ihn bekanntlich auch sonst auszeichnet, verzichtete er auf sie. So war es Herr Scholz von der Volkspartei, der sich für einige Minuten zum Pult hinaufbemühte, um eine Erflärung abzugeben, die als ein Meisterstück der Inhaltlofigkeit allgemeine Anerkennung fand. Diese Erklärung fann von der Rechtspresse abgedruckt werden, ohne daß die Leser auch nur die leiseste Ahnung davon bekommen, um was es sich eigentlich handelt.
Aus der folgenden Rede des Genossen Landsberg , die man freilich in der Rechtspresse vergeblich suchen wird, erfuhr man das aber um so gründlicher. Es war wohl, bei aller Eleganz der Ausdrucksform, die diesen Redner nie ver läßt, eine harte, ja eine erbarmungslose Rede. Während sie gehalten wurde, sah man bald auf den Sprecher, bald zu den Deutschnationalen hinüber, und alle schienen von dem Gedanken beherrscht: Wie mag wohl einer Partei zu= mute sein, die das über sich ergehen lassen muß?"
-
-
Sie wissen es ja selbst. Denn während die Säße Landsbergs wie Peitschenhiebe auf sie niederpraffelten und ihnen von links ein Gelächter des Hohns und der Verachtung ins Gesicht schlug, saßen sie ganz still auf ihren Bänken. Ein kläglich ungeschickter Zwischenruf des Bergwerksdirektors Leopold schlagkräftig vom Redner abgefertigt dann Schweigen! Bis zum Schluß saßen sie da wie Angeklagte, die sich ihrer Schuld bewußt und der Bestrafung gewiß sind. Als Landsberg zu Ende war, fah alles nach West ar p. Ist es möglich, fragte man sich, daß eine Partei das alles über sich ergehen läßt, ohne auch nur einen Versuch zur Verteidigung zu wagen? Es war möglich. Die erste und die zweite Lesung gingen zu Ende. Kein Regierungsvertreter nahm das Wort. Und auch We starp schwieg!
Freilich, die Nachtausgabe" Hugenbergs weiß zu melden:
Borläufig ist die Opposition zu Worte gekommen. Im Laufe der Debatte wird aber für die Deutschnationalen Graf Westarp das Wort nehmen, um die Haltung der Deutschnationalen zum sogenannten Raiser paragraphen darzulegen und die Regierungsparteien aufzufordern, daß möglichst noch im laufenden Jahre einzelne Beftimmungen des Republikschutzgesetzes fachlich abgeändert werden. Vor der Plenarsizung fand eine Beratung der deutsch nationalen Frattion statt, in der die Erklärung des Grafen Westarp besprochen wurde.
Das wurde gedruckt, noch ehe die gestrige Sigung zu Ende war. Während dieser Sigung wurde allerdings im Hause verbreitet, daß der deutschnationale Parteichef das Wort nehmen werde. Er hat es aber gestern nicht getan. Wird er es heute bei der dritten Lesung nachholen?
-
-
Doch mag er schweigen oder reden und, wenn er redet, mag er fagen, was er will. Die Deutschnationalen haben den Antrag eingebracht. Graf Westarps Name steht an der Spitze. Und heute werden er und die Seinen für die Verlängerung des Gesetzes zum Schuße der Republik stimmen, wie sie es müssen, um ihre Sitze in der Regierung zu behalten, und wie sie es ja auch schon beschlossen haben.
Sie werden dafür stimmen, daß die Staatsform, die sie bekämpfen, geschützt wird. Sie werden dafür stimmen, daß Wilhelmin Doorn zu bleiben hat! Und dafür stimmen
sozialdemokratischen Fraktion feine Meinungsverschiedenheit darüber gegeben, daß der Antrag über die Fortdauer des Gesetzes zum Schutz der Republik Gesetz werden muß. Es muß Tatsache werden, daß dieses Gesez in Kraft tritt unter Mitwirkung der Deutschnationalen ! Den Entwurf ab= lehnen, das Zustandekommen der notwendigen Zweidrittelmehrheit vereiteln und damit den Deutschnationalen den billigen Vorwand liefern, sie hätten richtig operiert, die Sozialdemokratie in Opposition getrieben und so durch nur scheinbare Zustimmung das Gesetz zu Fall gebracht? billig sollen sie nicht davon kommen!
-
Nein, so
Wilhelm soll wissen, daß er draußen zu bleiben hat, weil feine Monarchisten das so beschlossen haben. Das Gesetz zum Schutz der Republik soll noch zwei weitere Jahre in Kraft bleiben, weil die Deutsch nationalen das beantragt und dafür gestimmt haben. Die Deutschnationalen sollen dem Volte zeigen, was sie sind den Sozialdemo= fraten ist es ein Bergnügen, ihnen dabei zu helfen.
-
mit der Mitteilung, daß dem Reichstag der Entwurf des neuen Präsident Löbe eröffnete die gestrige Reichstagsfizung Strafgeseges zugegangen ist.
Abg. Dr. Rießer erstattet den Bericht des GeschäftsordnungsStrafverfolgung gegen Abgeordnete. ausschusses über eine Reihe von Anträgen zur Genehmigung der Die Ge nehmigung foll in allen Fällen versagt werden, mit Ausnahme eines Antrags des Reichsfinanzministers auf Genehmigung zur Strafverfolgung des völkischen Abg. Henning wegen Steuersabotage. Henning wird beschuldigt, in öffentlichen Versammlungen zur Steuerverweigerung aufgefordert zu haben.
Der Reichstag stimmt dem Antrag des Geschäftsordnungsausschusses zu, die Strafperfolgung gegen Henning wird also genehmigt.
Es folgt die erste Beratung des von den Regierungsparteien vorgelegten Entwurfs zur
Verlängerung des Republikschuhgesetzes um 2 Jahre.
Danach sollen die noch bestehenden Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik auf das Reichsver= waltungsgericht und bis zu deffen Errichtung auf einen Senat des Reichsgerichts übergehen. In einer Resolution wird die Reichsregierung ersucht, zu prüfen, für welche Vorschriften des | Republitschußgefeßes das Bedürfnis der Beibehaltung noch besteht.
Erfolglose Dokumentenfuche.
suchung zugestimmt.
der Geschmackslosigkeit, den Deutschnationalen einen Wan Die Londoner Polizei hat nichts gefunden.- Chamberlain hatte der Hausdel ihrer Gesinnung vorzuwerfen. Ja, wenn es das märe, wenn diese Leute ehrlich vor ihre Anhänger hingetreten wären und ihnen gesagt hätten, daß sie heute über die Republik anders dächten als vor fünf Jahren wer hätte darum einen Stein auf sie werfen wollen? Nein, die Deutsch nationalen, und sie allein sind es, die noch bis gestern jeden einstigen Monarchisten mit Haß, Hetze und gesellschaftlichem Boykott verfolgten, der sich aus Ueberzeugung zur Republik befehrte. Und wie sie es bis gestern getrieben haben, werden sie es morgen weiter treiben. Der deutschnationale Parteifomment verbietet das Eintreten für die Republik aus Ueberzeugung, er erlaubt es nur zu Zwecken des partei politischen Geschäfts.
Einem solchen Verhalten gegenüber war eine erbar: mungslose Rede, wie Landsberg fie hielt, am Blaze, ja fie war notwendig, sie wirkte wie ein Gewitter, das die Atmosphäre reinigt. Diese Rede sprach aus nicht nur, was die Sozialdemokraten, sondern auch, was heute undert= tausende deutschnationaler Wähler empfinden und was heute wohl mancher deutschnationaler Abgeordneter im stillen Kämmerlein sich selbst gesteht, daß seine Partei das Recht verwirkt hat, ohne das feine Partei leben fann, nämlich das Recht, von ihren Gegnern geachtet zu werden.
Brachten die Deutschnationalen nicht den Mut auf, zu erklären, daß sie aus einer geänderten Gesinnung heraus mun für ein Gesez stimmten, das seinerzeit gegen fie gemacht morden war und das sie damals leidenschaftlich bekämpft hatten, dann tonnte sie tein Gott von der Schuld entlasten, Daß fie einer veränderten politischen Konstellation zuliebe
der französischen Staatsmänner durch den König und die Königin statt. Am Montagabend wurde in Anwesenheit von 150 Gästen im föniglichen Palast ein Staatsbantett veranstaltet.
des Sowjetgebäudes in London ist am Montag eingestellt Buckingham - Balaft fand dann die eigentliche feierliche Begrüßung London , 16. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Durchsuchung wurden die französische und britische Nationalhymne gespielt. Im worden. Auf eine Anfrage Hendersons im Unterhaus gab der Innenminister zu, daß das gesuchte Staatsdokument nicht gefunden worden sei. Die Polizei habe jedoch Dokumente an sich genommen, die mit dem gesuchten Schriftftüd im Zusammenhang ferner feiner Ueberzeugung Ausdrud, daß das fragliche Dokument flehen mögen; sie würden zurzeit geprüft. Der Innenminister gab fich entweder noch im Arcos- Gebäude befinde oder sich jedenfalls dort befunden habe. Die Erlaubnis der Polizei zur Durchsuchung des Gebäudes sei nach vorheriger Beratung mit dem ministerpräsidenten und dem Außenminister sowie mit ausdrücklicher Zustimmung der beiden Minisfer eingeholt
worden.
Pompöse Ententefeier. Feierlicher Empfang des französischen Staatspräsidenten beim König von England. London , 16. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) mit allem traditio nellen Bomp ist der Präsident der französischen Republit bei seinem Staatsbesuch in England am Montag empfangen worden. Der Prinz von Wales war dem. Präsidenten und Außenminister Briand nach Dover entgegengereift. Auf dem Victoria- Bahnhof in London empfing der britische König den französischen Präsidenten und Außenminister. Als der Wagen mit dem Präfi denten, Briand und dem britischen König den Bahnhof verließ,
Die Arbeiter- Unterhausfraktion verläßt die Situng. Die Guillotine der Gewerkschaftsfreiheit. Regierung, die sogenannte„ Guillotine" anzuwenden, d. h. fchon im voraus eine genaue Zeittafel für die weitere parlamentarische Behandlung des Gewerkschaftsgesetzes festzusetzen und so das Gefeh mit größter Beschleunigung durchzupeifschen, hat am Montag nachmittag zu einem dramatischen Borgang im Unterhaus geführt. Ministerpräsident Baldwin hatte den Antrag auf Einführung der Zeittafel eingebracht, worauf Clynes als Stellvertreter Macdonalds gegen eine solch unwürdige Behandlung der Opposition und einen derartigen Mißbrauch der parlamentarischen Mehrhelf" profeffierte. Nachdem Clynes darauf hingewiesen hatte, daß die Rollen im Unterhaus bald zugunsten der Arbeiterpartei vertauscht sein würden, diese jedoch ihre Macht vernünftiger und anständiger anwenden würde, verließ die gesamte Fraffion der Arbeiterpartei unter Führung von Clynes demonstrativ den Sigungsfaal. Die„ Guillotine" Baldwins wurde hierauf in Abwesenheit der Opposition vom Unterhaus mit 259 gegen 13 Stimmen angenommen, worauf fich das Haus vertagie.