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Abendausgabe
Nr. 233 44. Jahrgang
10 Pfennig
Mittwoch
= Vorwärts=
Ausgabe B Nr. 115
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find in der Morgenausgabe angegeben
Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3
Volksblaff
18. Mai 1927
Berlag und Anzeigenabteilung Gefchäftszett 8 bis 5 UF Berleger: Borwärts- Berlag Gmbh. Berlin S. 68, Fernsprecher: Dönhoff 292
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Preußens Ansprüche an das Reich.
Eine Denkschrift der Preußischen Regierung. Regierung. Die Sondervorteile für die
anderen Länder.
Der preußische Ministerpräsident Otto Braun hat jetzt eine Aufzeichnung über den Hergang des Konflitts zwischen dem Reich und Preußen dem Landtag übergeben. Dieje rein sachliche, durch Atten belegte Darstellung zeigt noch mehr als die bisherigen Barlamentsreden, wie schwer Breußen durch eine Stellungnahme der Reichsregierung geschädigt worden ist, die feit Jahr und Tag die Ansprüche dieses Landes zugunsten von Sonder
zuweisungen an andere Länder zurückschraubte, die wirtschaft= liche und soziale Leistungsfähigkeit des größten
deutschen Freistaates beschränkte, so daß Preußen jezt gezwungen
ist, den Staatsgerichtshof in Anspruch zu nehmen, um die berechtigten Forderungen für sein Bolt wirksam vertreten zu können. Die Denkschrift geht davon aus, daß Preußen in der Reich 3 verfassung benachteiligt ist, einmal, daß es als einziges Land nicht entsprechend seiner Einwohnerzahl im Reichsrat vertreten ist, sondern mir zwei Fünftel der Reichsratstimmen beherrscht. Zudem ist die Hälfte dieser Stimmen nicht von der Staatsregierung, sondern von den Provinzialverwaltungen
auszuüben.
Die Dentschrift geht dann unter Berufung auf die bereits seit 1919 geltend gemachten Forderungen an das Reich auf die einzelnen Punkte ein, in denen das Reich sich seiner Berpflichtung bisher entzogen hat, obwohl es wiederholt das Recht auf diese Forderungen anerkennen mußte.
Preußen hat von seinem Staatseigentum dem Reiche nach dessen Schähung Werte von 3% Milliarden Mark für die Wiedergutmachung zur Verfügung gestellt. Erhalten hat es bisher 65 Millionen Mart,
etwa 2 Proz. des ihm entstandenen Schadens. Dabei verlangte das Reich noch, daß Preußen auf seine weiteren Forderungen der aichte, was natürlich abgelehnt wurde. Für die Abtretung der Saargruben hat Breußen überhaupt nichts erhalten, nicht einmal einen Ersatz der laufenden Einnahmen von 26 Milfionen Mark jährlich, die der preußische Staat daraus früher ge= zogen hatte. Für den Verlust der Staatsforsten durch den Friedensvertrag ihr Wert stellt rund 1,6 Millionen Marf dar hat Breußen ebenfalls nichts erhalten, das Reich weigerte sich fogar menigstens als Abschlagszahlung die 6000 Hektar Forsten Breußen zu überlassen, die es von früheren Truppen übungsplähen her besigt.
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In dieser Entschädigungsfrage hat die preußische Regierung den Eindrud gewonnen, daß manche Reichsstellen Preußens Erfahansprüche einfach ignorieren wollen.
Das Reich hatte ferner auf Grund eines Gesetzes vom 25. Mai 1873 das Recht, den Ländern diejenigen Gebäude zu enteignen, die einer aufs Reich übergegangenen Verwaltung gehören. Es ist aber verpflichtet, diese Gebäude zurüd zugeben, sobald sie entbehrlich sind, oder Ersatz zu beschaffen. Nun sind durch die Verminderung der Armee zahlreiche militärische Gebäude für das Reich überflüssig geworden. Obwohl die Reichsregierung mit den anderen Staaten sich auseinandergesetzt hat, weigert
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man sich, Preußen gleiche Rechte zuzugestehen.-
Ferner steht die Frage noch offen, wie das annähernd 5 milliarden betragende Rest? aufgeld für den Uebergang der Eisenbahn an das Reich aufzuwerten ist. Für Forderungen anderer Art, z. B. für die Erstattung von Ausgaben für Kriegs wohlfahrtspflege hatte der preußische Staat noch vom Reich 1625 Millionen Mart zu beanspruchen. Er erhielt dafür
am 17. Oftober 1923 einen Betrag von etwa 1 Goldmart!
In einem besonderen Falle erfuhr die preußische Regierung, daß füddeutsche Staaten als Entschädigung für Berluste beim Ruhrkampf Millionenbeträge erhalten haben, wo Preußen nur ganz geringe Summen erhielt. Breußen nur ganz geringe Summen erhielt. Dabei stellte es sich heraus, daß die Ansprüche Bayerns für das Gebiet der Pfalz so ganz unter der Hand von 2 auf 5 Millionen Mart heraufgesezt worden waren. Bei gleichen Maßstäben hätte Preußen 20 Millionen Marf erhalten müssen. Es wird dann noch auf den Konflikt in den Reichsbahnfragen hingewiesen, die der Staatsgerichtshof bekanntlich zugunsten Preußens ent
schieden hat.
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In den Bordergrund traten diese seit langem schwebenden Auseinandersetzungen durch die ungeheuerliche
Uebervorteilung Preußens beim letzten Finanzausgleich, gegen die bekanntlich die Staatsregierung wiederholt Protest erhoben hat. Da die Zuweifung der Biersteueranteile an die füddeutschen Länder eine verfassungsändernde Mehrheit erfordert hätte, muß Breußen jetzt ebenfalls den Staatsgerichtshof in Anspruch nehmen zur Entscheidung der Frage, ob der Gesetzesatt
rechtmäßig zustande gekommen ist oder nicht.
Preußen betont dabei, daß dieser Austrag weder eine Spize gegen das Reich, noch gegen den Reichsrat, noch gegen die anderen Länder bedeutet. Das Interesse an voller Klarheit und Unzweifelhaftigkeit der Reichsgefeßgebung, fei
ein allgemeines öffentliches Intereffe. Man dürfe einen notorisch zweifelhaften Gesetzgebungsaft des Reiches nicht achtlos hinnehmen. Betont wird überdies, daß die ganzen finanziellen Meinungsverschiedenheiten trotz ihrer großen Bedeutung nur Einzelfälle waren, die auf die Zusammenarbeit von Preußen und dem Reich nicht von Einfluß gewesen sind. Ganz eindeutig erklärt die preußische Regierung, und damit deutet sie den besten Weg der Lösung an, daß seine finanzielle Auseinandersetzung mit dem Reich hinfällig würde, wenn in absehbarer Zeit der Einheitsstaat geschaffen würde. Bei der jezigen staatsrechtlichen Halbheit im Verhältnis zwischen Ländern und Reich, bei der Unsicherheit, ob überhaupt der Einheitsstaat geschaffen wird, fönne Preußen seine Forderungen nicht preisgeben. Die preußische Regierung habe oft auf eine Vertretung rein preußischer Interessen verzichtet und das Reich unterstützt. Eine derartige Haltung ist jedoch auf die Dauer nur durchführbar, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht. In dieser Hinsicht habe das Reich nicht die Großzügigkeit gezeigt, mit der die Fragen hätten erörtert werden müssen und die Preußen zu erwarten berechtigt war.
Cindenstraße 3
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In der verfassunggebenden Nationalversammlung vermochte die Sozialdemokratie die Weltlichkeit als eine der. sozialistischen Grundforderungen für die Gestaltung des Schulwesens nicht durchzusetzen. Das Zentrum die diese Partei einzusehen vermag, wenn es sich um eine ihrer stand zur Konfessionsschule mit der ganzen Zähigkeit, Glaubensfragen handelt. Die Demokraten aber kämpften für die Simultan schule, ohne doch klar zum Ausdrud zu bringen, auf welche der mannigfachen Spielarten der simultanen Schulform es ihnen eigentlich anfam; nur darüber ließen fimultanen Schule, für die von der Sozialdemokratie geforfie feinen Zweifel, daß sie für die vollendetste Form einer derte weltliche Schule, nicht zur haben waren.
In diese Auseinandersehungen, die zu den letzten start umstrittenen Gegenfäßen bei der Verfassungsberatung überhaupt gehörten, schlug die furchtbare außenpolitische Notwendigkeit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages hinein. Die Demokraten 30gen fich aus der Regierung zurüd und überließen der Sozialdemokratie und dem Zentrum allein die peinvolle politische Pflicht, durch die Unterzeichnung des Vertrages Deutschland vor dem äußersten, vor dem Zusammenbruch seiner staatlichen Selbständigkeit, zu bewahren. In meinem Buch Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes" habe ich eingehend dargelegt, wie besonders auch durch Eingreifen Eberts Sozialdemokratie und Zentrum für die gemeinsame auseinanderhielt, überbrücken mußten. Das geschah durch das Aktion zuvor den großen schulpolitischen Gegensatz, der sie viel geschmähte Weimarer Schultompromiß, das es den Erziehungsberechtigten überläßt, ob sie ihre Kinder in eine konfeffionelle, fimultane oder weltliche Schule schicken wollen.
Mir sind wegen des Weimarer Schultompromisses piele Vorwürfe gemacht worden. Ich würde trotzdem in gleicher Lage wieder ebenso handeln. Die allgemeinen politischen Notwendigkeiten müssen den besonderen Interessen vorangehen, denn wenn andernfalls das ganze Haus einstürzt, würde auch die Schulftube mit unter den Trümmern begraben werden. Was mich aber die schwere Bereinbarung leichteren Herzens unterschreiben ließ, das war die durch das Beimarer Schulfompromiß und damit durch die Reichsverfassung, also durch das oberste Gesetz des deutschen Volkes, in aller Form ausgesprochene Anerkennung der weltlichen Schule als einer der den bisherigen beiden Schularten völlig gleich berechtigten Schulform. Dieser Gewinn ist damals und auch später unterschätzt worden. Damals, weil gute Kenner der Psyche des modernen Arbeiters fürchteten, daß die Anerkennung nur auf dem Papier stehen bleiben und nicht zu lebendiger Wirklichkeit werden würde. Diesen Kleinmut habe ich nicht geteilt, wenn ich auch nicht bezweifelte, daß die weltliche Schule sich nur langsam durchfeßen würde.
Später ist der Gewinn, den das Weimarer Schulkompromiß der weltlichen Schule gebracht hat, unterschätzt worWeil sie da ist und gedeiht, ist sie vielen allmählich etwas den eben wegen ihres immer mehr zunehmenden Wachstums. Selbstverständliches geworden; sie wissen nicht, wie bis zur Novemberrevolution die weltliche Schule für die Arbeiterschaft eine von jenen Sehnsüchten war, die ewig unerfüllt bleiben: ,, die Sterne, die begehrt man nicht!" Und daß gerade das Zentrum, das bis dahin in der weltlichen Schule eine Tod sünde gesehen hatte, sich in praktischer Realpolitik zur ver<. faffungsmäßigen Anerkennung der weltlichen Schule bequemte, war eine taftisch nicht unwichtige Zugabe.
Lahmer Protest. Die Sowjetunion kündigt die Forderung von Genugtuung an. Schule ein Beilchen bleiben würde, das unbekannt und ohne
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erweisen, daß die Regierung über die englisch - sowjetrussische Spannung, über die sie in ihrer Note vom 23. Februar flagt, nicht nur feine Besorgnis hegt, sondern daß sie anscheinend bestrebt ist, diese Spannung schnellstens das äußerste Maß erreichen zu lassen.
Moskau , 18. Mai .( WTB.) Die dem englischen Geschäftsträger in Moskau überreichte Note stellt fest, daß der erste eine Stunde nach Eintreffen der Polizei vorgewiesene Durchsuchungsbefehl sich sowohl auf die Arcos als auch auf die Handelsdelegation bezog. Der lleberfall auf eine englische Handelsgesellschaft, die sich in englischen Geschäftskreisen cut bewährt hat, steht vollkommen prä- Die in letzter Zeit verstärkte und von Mitgliedern der britischen zedenzlos in der Geschichte der Londoner City da und konnte allein Regierung geförderte, in ihrer Ungeniertheit und Gehäffigkeit ganz den Zwed verfolgen, die Sowjetinteressen, die mit der Tätigkeit der unerhörte feindselige Hege, deren Höhepunkt der Arcos verknüpft sind, durch Kompromittierung der letzteren zu Ueberfall auf die Räume der Handelsdelegation ist, zwingt jedoch schädigen und um fie herum eine Atmosphäre des Mißtrauens die Sowjetregierung, mit dem ganzen Ernst und der Geradheit, die und der Feindseligkeit zu schaffen. Von diesem Gesichtspunkte aus die geschaffene, beunruhigende Lage fordert, der Regierung Großhält sich die Sowjetregierung für berechtigt, auch gegen den Ueberfall britanniens die Frage zu ftellen, ob fie eine weitere Aufrechterhaltung auf die Arcos zu protestieren. Troß des Bertrags von 1921 erund Entwicklung der englisch - sowjetrussischen Handelsbeziehungen laubten sich die Polizeiagenten, die die Räume der Handels. wünscht oder ob fie beabsichtigt, dem fünftig entgegenzuwirken. Die delegation und das persönliche Bureau des offiziellen Sowjetregierung erklärt, daß sie, indem sie die Aufgaben des inneren Agenten Khintschuk, der diplomatische Immunität genießt, einge Aufbaues nach einem bestimmten Wirtschaftsplan vermir? drungen waren, alle dort gefundenen Schriftstücke einschließlicht und ihre Außenhandelsoperationen nach diesem Plan richtet, lich der chiffrierten Korrespondenz und der Codes, der mit sich damit nicht abfinden kann, daß die Durchführung dieser Open Kurierpost eingetroffenen Schriftstücke usw. durchzusehen und ohne rationen ständig in Abhängigkeit von gelegentlichen in nerpartei Unterschied mitzunehmen. Dabei wurden die Angestellten der lichen Kombinationen Englands, Don Don Wahl Cowjetdelegation brutaler Gewalttätigkeit und gar Schlägen manövern oder phantastischen Vermutungen dieses ausgesetzt. oder jenes Ministers gebracht werde. Die Sowjetregierung hält sich Der Ueberfall auf eine Regierungsinstitution eines anderen für berechtigt, von der Regierung Großbritanniens eine flare un Staates unabhängig von den ihr zugestandenen vertraglichen Rech- 8 weideutige Antwort, aus der man die nötigen Schlüffe ten ist ein überaus ernster feindlicher Aft, der eine Bedrohung für ziehen könnte, zu fordern. Sie behält sich zugleich das Recht vor, die weitere Aufrechterhaltung der Beziehungen darstellt. Der Ueber- Forderungen betreffend Genugtuung für die Berlegung fall zeigt anschaulich, in welcher Richtung die wirtlichen Ur vertraglicher Verpflichtungen, für die zugefügte Beleidigung und sachen der unbefriedigenden sowjetrussisch- britischen Beziehungen die durch das Vorgehen der Polizei verursachten materiellen Schäden zu suchen sind. Die Handlungen der Regierung Großbritanniens zu stellen.
Es mag sein, daß das Zentrum sich im stillen dabei auch von der erwähnten Erwägung leiten ließ, daß die weltliche Wirkung hier und da im Berborgenen blühen würde. Aber in dieser Erwägung ist das Zentrum und sind erfreulicherweise auch die Schwarzseher unter den Parteigenossen getäuscht worden. Die weltliche Schule hat sich durchge feht, vorläufig gewiß erst da, wo besonders günstige Vorausfegungen waren, besonders in großen Städten und Industrieorten mit einer regen sozialistischen Arbeiterbewegung. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die weltliche Schule bisher Sonne, Wind und Regen gegen sich hat und noch immer schwer um ihre äußere und innere Existenz kämpfen muß. Ihr fehlt vor allem noch die gesetzliche Grundlage infolge des Ausbleibens der reichsgesehlichen Regelung, die im Artikel 146 Abs. 2 der Reichsverfassung verlangt wird und von der Reichsregierung 1919 für die nächste Zeit zugesagt war. Der erste Entwurf, hinter dem das damalige- übrigens sozialistenreine Reichskabinett Fehrenbach stand und dem alle Länder zugestimmt hatten, ist gescheitert an der maßlosen Kritik, die von links, besonders vom deut schen Lehrerverein, an ihm geübt wurde, und an den infolge dieser Kritit hoch ins Kraut geschossenen Verschlechterungsabsichten von rechts. Der deutschnationale Entwurf SchieleGürich, der diese Absichten in Reinkultur zu verwirklichen fuchte, ist schon im Reime an dem zornigen Widerspruch der Länder ersticht. Ein Entwurf des demokratischen Reichsinnenministers Külz hat die Schublade, in der er verwahrt wurde, nicht verlassen. Für den neuen Entwurf der gegenwärtigen Rechtsregierung hat man zunächst einige personelle Vorausfegungen zu schaffen versucht. Dem fachlichen Ergebnis, das dabei zutage tommen wird, darf man mit einigem Interesse entgegensehen.