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Abendausgabe

Nr. 248 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 122

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Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Freitag

27. Mai 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Der Parteitag in Kiel beendet.

Neuwahl des Parteivorstandes.- Ehrung für Molkenbuhr und Adolf Brann. Das Agrarprogramm angenommen.

Kiel , 27. Mai. ( Eigener Drahtbericht.)

Ehrung für Molkenbuhr und Adolf Braun . Der Parteitag ist am Schlusse seiner Arbeiten angelangt. Am Schluß der Debatte über den Bericht der Reichs Heute vormittag wurde das Ergebnis der Wahlen für die tagsfraktion in der Donnerstagsigung des Partei­leitenden Körperschaften bekanntgegeben. Mit besonderem Beifall wurde begrüßt, daß Genosse Vogel- Nürntages, den wir hier nachtragen, ehrte der Parteitag die ausscheiden­den Parteivorstandsmitglieder Molkenbuhr und Adolf berg mit einer der höchsten Stimmenzahlen in den Partei­vorstand delegiert worden ist. Mit ihm ist Genosse Mag Westphal neugewählt worden.

Crispien gab hierauf den Bericht über die Arbeiten der Sozialistischen Internationale. Er wies mit Nachdruck darauf hin, daß die Sozialdemokratie sich feinerlei Illufionen über die Unvollkommenheit des Völkerbundes hin­gibt, aber sie unterstützt diese Einrichtung, weil sie der Ueber­zeugung ist, daß ein solches Instrument zur Berständigung der Bölker untereinander, unbedingt notwendig ist. Er be­tonte, daß natürlich die Selbständigkeit der Politik der sozia­ listischen Parteien unter allen Umständen gewahrt werden müsse.

In der kurzen Aussprache wies Genosse Breitscheid darauf hin, daß die Politik Stresemanns nicht die Politik der Arbeiterklasse gewesen sei. Wenn sie trotzdem von der Sozial­Demokratie unterstützt wird, so geschieht das aus dem Grunde, weil je de Verständigungsmöglichkeit zwischen ben Völkern, unbeschadet unserer eigenen sozialistischen Ziele, gefördert werden müsse.

Die Bertreter des Rheinlandes und des Saargebietes fchilderten in eindrucksvoller Weise die Lage der dortigen Be­völkerung. Der Parteitag beschloß unter lebhaftem Beifall die Absendung eines Telegramms an den amerikanischen Bot­schafter in Berlin , in dem nochymalige Nachprüfung der Urteile gegen die Italiener Sacco und Banzetti gefordert wird. Darauf gab Genosse Georg Schmidt den Bericht der Agrarfommission. Er fonnte mitteilen, daß die Kom­Agrarfommission. Er fonnte mitteilen, daß die Kom­mission sich ein mütig auf dem Boden des dem Parteitag vorgelegten Entwurfes zusammengefunden hat.

Um 22 Uhr hat der Parteitag feine Beratungen ge Ichlossen. Nach der einstimmig erfolgten Annahme des Agrarprogramms hält Genosse Wels eine furze Schluß­rede. Er weist auf den unvergleichlich schönen Empfang hin, den die Kieler Parteigenossen, die Männer ebenso wie die Frauen, insbesondere aber die Jugend und die Kinder des Rieler Proletariats dem Parteitag bereitet haben. Der Kieler Parteitag sei zu einem Erlebnis für jeden Teilnehmer ge­worden.

Er warf dann einen Rückblick auf die Verhandlung und gedachte besonders der Rede Hilferdings, die ein ge= maltiger hymnus auf die Weltanschauung bes Sozialismus gewesen sei.

Mit einem anfeuernden Schlußwort endete Wels. Zum Schluß fangen die Delegierten den Sozialistenmarsch.

Fünfter Verhandlungstag.

Riel, den 27. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Sigung des Barteitages wird um 9 Uhr eröffnet. Es wird zunächst der Bericht der Beschwerdekommission entgegen­genommen, die auch das Resultat der

Wahlen zum Parteivorstand und zur Kontrollfommiffion festgestellt hatf

Beide Instanzen sind in ihren bisherigen 3n­fammenfehungen wiedergewählt und zwar haben er­halten: als Vorsitzender Wels 298 Stimmen, Hermann Müller 332, Crispien 285, als Saffierer Bartels 352 und ud. wig 318; als Setretäre Genoffin Juchacz 342, Stelling 347, Dittmann 306, Vogel 371( bravo!), Westphal 272; als Beisiger moltenbuhr 284, Adolf Braun 294, Hilferding 305, Mofes 257, Genoffin Nemih 256, Ge­noffin Ryned 241, Frant 247, Hildenbrand 260, Schulz 271, Stahl 244, Stampfer 263.

Bei der Wahl der kontrollkommiffion erhielten Stimmen: Core Agnes 248, Bod 338, Brey 305, Brühne 311, Hengsbach 313, Cobe 322, Hermann Müller- Lichtenberg 307, Schönfelder 289, Tren 275.

Die neuen Parteivorstandsmitglieder. Genosse Hans Bogel wurde am 16. Februar 1881 in Ober­artelshofen in Mittelfranken geboren. Er besuchte die Volks- und Fortbildungsschule in Fürth und erlernte die Bildhauerei. Seit 1908 ist er Sekretär der Sozialdemokratischen Partei für den Bezirk Franken . Er war Mitglied des bayerischen Landtags von 1912 bis 1918. Im Jahre 1920 wurde er in die Nationalversammlung ge­wählt, seitdem ist er Mitglied des Reichstages.

Genosse Mar Westphal wurde am 30. September 1895 in Hamburg geboren. Er ist von Beruf Kontorbote. Bon April 1919 bis Oftober 1921 mar er Jugendsekretär in Hamburg , seit 1921 Barteisekretär und Vorsitzender der sozialistischen Arbeiterjugend.

Braun.

Vorsitzender Wels

bittet, die Vorschläge zur Neuwahl des Parteivor. standes und der großen Kontrollkommission einzureichen. Er teilt gleichzeitig mit, daß von den besoldeten Sekretären des Partei­vorstandes Moltenbuhr und Adolf Braun aus= scheiden. Sie sollen als Beisitzer nach wie vor dem Parteivor­stand angehören. Wels verbindet diese mitteilung mit Lob und Anerkennung für die aus dem befoldeten Amt scheidenden verdienst. vollen Parteigenossen.

Schred- Bielefeld:

Als jüngerer Kampfgefährte halte ich mich für berechtigt und Derpflichtet, Hermann Moltenbuhr und Adolf Braun noch ein Wort des Dantes zu sagen. Das verdienstliche Zu­sammenwirken von Wissenschaft und Arbeit ist die geistige Grund­lage der Partei. Bor fast vier Jahrzehnten hat mich Molkenbuhr in seiner Werbetätigkeit angelernt, die er mit seinem starken Wissen und ehrlichen Begeisterung selbst in den schwierigsten Zeiten des durfte ich Braun nähertreten. In ihm fönnen alle Akademiker ihr Ausnahmegesetzes für unsere Ideale aufbrachte. Etwas später Borbild sehen. Er hat nichts vom Wissen gesprochen, sondern Wissen verbreitet. Bei solchen Persönlichkeiten, wie Adolf Braun sie ist, fann ein Gegensatz zwischen Arbeiter und Wissenschaftler niemals eintreten. Nur wo Ueberheblichkeit fich spreizt, lehnt die Arbeiterklasse dies ab.( Sehr wahr!) In der Sozialdemokratie muß der geistige mie der förperlich Arbeitende die Gleichberech In Braun und Molkenbuhr fanden die tigung erst erwerben. Jugendbewegung und die Jungsozialisten ein Vorbild nicht nur für ihres Wissens um die hohen Ideale des wissenschaftlichen Sozialis die Erfüllung im Tagestampf, fondern auch für die Bertiefung mus. Gerade als Vertreter dieser Bewegung verehre ich die beiden Alten besonders und danke ihnen für das, was sie der Jugend gegeben haben.( Andauernder Beifall und Bewegurg.)

mo

Adolf Braun :

Ich möchte zunächst dem Parteivorstand danken für die jahre lange Zusammenarbeit und die herzliche Freundschaft, die mir diese Beiten unvergeßlich machen. Aber ich bin bekanntlich ein unan genehmer und kritischer Mensch.( Heiterfeit.) Was Schred über mich gesagt hat, war eigentlich zuviel.( Widerspruch.) Er hat mehr von dem gesprochen, was wir getan zu haben wünschen als

von dem, was wir getan haben. Nach 47 Jahren Parteidienst hat man auch ohne ärztliches Beugnis das Recht, Schluß zu machen, aber wer von Kindheit an für die Partei gearbeitet hat, setzt sich nicht zur Ruhe und spielt Stat.( Heiterkeit und Beifall.) Ich werde weiter für die Partei arbeiten, und da ich nicht mehr die Kraft habe, erscheint es mir wünschenswert, im Vor­wärts" für die Gedanken des Sozialismus weiter zu arbeiten. Ich werde es dann begrüßen, wenn diese An­schauungen Gesamtgut der Partei würden.( Herzlicher Beifall.))

Die auf dem Barteitag anwesenden preußischen Landtagsabge­ordneten geben zum Antrag Löwenstein zur Schulfrage und zum Konkordat eine längere Erklärung ab, die

wir später veröffentlichen werden.

Abstimmungen.

Berichterstatter Robert Schmidt verzichtet auf das Schlußwort. Er bittet, den Absatz 4 der Resolution Löwenstein abzu lehnen, um die Fraktion nicht unnüz festzulegen. Dem wird ent= sprochen. Die übrigen grundsäglichen Anträge Hermann Müller, Heinrich Schulz und Löwenstein werden an= genommen. Eine Reihe von Anträgen werden dann noch an­genommen, so u. a. ein Antrag, dahin zu wirken, daß der 9. No= vember zum Nationalfeiertag erklärt wird, ein Antrag Hamburg auf Förderung des Wohnungsbaues, ferner ein Antrag, dem Arbeiter Samariterbund Zuwendungen aus Reichsmitteln Sozialversicherung, zum Mieterschuß und zur Alkoholfrage. zukommen zu lassen, sowie eine Anzahl Anträge zum Gebiete der

Angenommen wird ein Antrag, der verlangt, daß gegen je de Berschlechterung des Wahlrechts angekämpft werden soll, ferner die von Rosenfeld begründete Resolution 3ur Reform des Strafrechts und ein Antrag München , wo­nach bei wichtigen Entscheidungen in den Parlamenten zur Ent­schuldigung der Nichtanwesenheit der sozialdemokra tischen Vertreter nur Krankheit oder unaufschiebbare Bartei­weiteren Anträgen zu dieser Materie, die, wie der Referent Robert oder Gewerkschafsangelegenheiten dienen sollen. Eine Reihe von Schmidt mitteilt, zum Teil berechtigtem Unwillen entsprungen sind, werden dadurch für erledigt erklärt. Ein weiterer Antrag wird angenommen, der verlangt, daß die Steuererklärungen in den Gemeinden 8 Tage offen zu legen sind. Gegen den Antrag auf Haftentlassung von Mar Hölz wendet sich Robert Schmidt mit dem Bemerken, daß die Sozialdemokratie als Kampfpartei auch früher sich in diesen Angelegenheiten immer freie Hand behalten hat. Der Antrag wird dann auch mit großer Mehr­heit abgelehnt.

Hierauf wird das Referat über die Aufgaben der Sozial­demokratie in der Republik entgegengenommen.

Sozialistische Arbeiter- Internationale.

Genosse Crispien:

Es gibt gegenwärtig noch teine allumfassende Internationale der Arbeiter und die Wirkungsmöglichkeiten der Sozialistischen Arbeiter internationale sind beschränkt. Organisatorisch ist unsere Internationale hauptsächlich auf Europa beschränkt. Ideell ist sie begrenzt durch die 3 ersplitterung des Proleta| riats. Dieser Zustand wird sich nur langsam ändern. Abge­sehen von einigen Bortrupps in Amerika , China und Vorderasien ist die Internationale in den anderen Erdteilen heute kaum zu ent­falten. Das hat der proletarische Weltwanderungs tongreß im Juni 1926 in London bewiesen, der von der sozia­ listischen Arbeiterinternationale und vom Internationalen Gemert­fchaftsbund einberufen war. Es waren auf ihm außer Ame rita, Asien , Australien und Neuseeland vertreten, aber es ergab sich, daß die anderen Teile noch ganz andere Probleme haben als Europa . Die Arbeiter Australiens hielten daran feft, daß ihr Erdteil ein weißes Land bleiben müsse und Neusee land wehrte sich gegen jede Erweiterung der Einwanderung, weil es die Rückwirkungen auf die soziale Lage der Arbeiterschaft fürchtete. Umgekehrt brangen Polen und Indien am stärksten auf vers stärkte Abflußmöglichkeit für ihre Menschenmassen. So fam nicht einmal eine Verständigung über das Prinzip der Freizügigkeit zu­stande und wir mußten uns damit begnügen, auf diesem ersten proletarischen Weltwanderungsfongreß wenigstens die Probleme flar herauszuarbeiten.

Was die ideelle Beschränkung der Internationale anbetrifft, so hatte die englische unabhängige Arbeiterpartei angeregt, die Eretutive solle die Möglichkeit der Vereini gung von Moskau prüfen. Die Kommunistische Arbeiter­internationale hat diese Anregung abgelehnt und so muß sich unsere Erekutive darauf beschränken, mit 247 gegen 3 Stimmen der Unab­hängigen Arbeiterpartei Englands die Aussichtslosigkeit dieses Ber­fuches festzustellen. In der Tat: je weiter sich die Bolschewisten nach rechts entwickeln, desto wütendere Angriffe richten sie gegen die Sozialdemokratie, um damit ihren eigenen enttäuschten Massen den Restabmarsch zu verschleiern.( Sehr wahr.)

Die beste Garantie der internationalen Einigung bleibt daher der Ausbau der Sozialistischen Arbeiterinternationale. Seit Heidelberg find zwei neue Parteien unserer Arbeiterinternatio­nale beigetreten, die Schweizer Sozialdemokratie und

die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Islands, die 4540 organisierte Mitglieder hat.

Amerifa hat die Anregung gegeben, jedes Jahr eine größere internationale sozialistische Konferenz abzuhalten. Aber bei ben zahlreichen Ausschüssen der Erefutive für Abrüstung, Welt­wanderung, Bölkerbund, nationale Minderheiten und politische Ge­fangene und bei der umfangreichen Pflege der Beziehungen zur Internationale der Gewerkschaften, der Jugend, des Sports usw. besteht die Gefahr eines Zuviels. Wir können vorläufig neue internationale Veranstaltungen nicht brauchen. Wenn wir die Arbeit der Sozialistischen Internationale würdigen wollen, so müssen wir zunächst feststellen, daß die Kommunistische Internationale überhaupt feine erfolgreiche Arbeit geleistet hat. Sie inszeniert als Organ der russischen Regierung üble Butsche und arbeitet mit den schlechtesten Methoden kapitalistischer Außenpolitik, Verschwörung und Spionage. Sie greift in alle revolutionären Erhebungen der Arbeiter mit Methoden ein, die zu übermäßigen Opfern und Niederlagen der Arbeiter führen.( Leb­

hafte Zustimmung.)

Unsere Arbeit ist von den praktischen Erfordernissen des Tages ausgegangen. Da stand natürlich der Kampf gegen die Friedensschlüsse im Vordergrund. konnten wir in den letzten Jahren feine rein sozialistische Friedens­politik treiben. Aber wir haben doch erfolgreich auf die bürger­lichen Staaten eingewirkt. Augenblicklich ist freilich in Deutschland , Frankreich und England die Reaktion so erstarkt, daß sich die ver­derblichen Folgen auch auf außenpolitischem Gebiet von Tag zu Tag mehr bemerkbar machen.

Die internationle Entspannung stockt und ihre Fortführung ist jogar überhaupt gefährdet. Auch die Demokratisierung des Völkerbundes setzt die Demokratisierung der Staaten voraus, die ihm angeschlossen find. Soll der Völkerbund ein Bund der Regierungen bleiben oder ein Diese Völkerbund werden oder ein internationales Parlament? Fragen hängen eng zusammen mit der Durchführung seiner Be­schlüsse und dem Machtinstrument, das ihn sicher stellt Hinzu kommt besonders für uns die Frage, unter welchen Voraussetzungen Sozial­demokrasen in Delegationen hineingehen sollen, die von ihren Re­gierungen zum Bölkerbund entsandt werden. Eine grundsäz= liche Ablehnung tommt nicht in Frage. Aber die Parteien der in Betracht kommenden Länder müssen prüfen, wie

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