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Sozialistische Frauenkonferenz.

Genossin Juchacz erstattet Bericht.

Kiel , 28. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Verhandlungen der Frauenkonferenz wurden heute vor­mittag von der Genossin Kurfürst- Kiel eröffnet. Den Jahres bericht über die Entwicklung der sozialistischen Frauenbewegung seit dem Heidelberger Parteitag gibt Genossin

Marie Juchacz :

Die einzelnen Angaben sind bereits in dem vom Parteivorstand herausgegebenen Jahrbuch und in der Genossin" mitgeteilt worden. Die Berichterstatterin wünscht, daß bei der Ausfüllung der Fragebogen nicht nur das trockene Zahlenmaterial gegeben werden foll, sondern das wirkliche Leben in den Organisationen dargestellt wird. Die sozialdemokratische Frauenbewegung will ein Teil der fozialdemokratischen Partei sein. Sie hat die Aufgabe, die arbei­tenden Frauen zum politischen Kampf zu schulen. Diesem Zweck dienen insbesondere die Frauenkonferenzen, die im Laufe der Zeit an Bedeutung wesentlich gewonnen haben und außerordentlich fruchtbar wirkten. Das eine bestimmte Ziel ist: die Aktivierung der Frau ist in der vergangenen Periode mit gößerer Stetigkeit als früher verfolgt worden. Wir marschieren vorwärts. Diese Arbeit wird wesentlich unterstützt durch die Frauenkurse und Frauenabende, die den Zweck verfolgen, die sozialistische Frau für die Lösung der ihr gestellten Aufgabe zu schulen. Das Programm dieser Veranstal­tungen zeigt ein Bild der die Frauen besonders berührenden Fragen, die in der Gesamtpartei nicht immer eindringlich genug berührt werden können. In zahlreichen Fällen ist, beispielsweise nach einem Referat des Genossen Sänger, die Strafrechtsreform erörtert worden. Besonders die Teile, die für die Frauen in Betracht tommen.

aus der Großstadt verlassen, sondern es dürften in jedem Zirkel, in jedem Ort bestimmte Frauen sein, die sich mit bestimmten Fragen eingehend beschäftigen und sie im größeren Rahmen durchsprechen

fönnen.

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Die Berichterstatterin bespricht bei der Erörterung der an den Parteitag gestellten Anträge den Anteil der Frauen an den leitenden Körperschaften der Partei. Während sie beispielsweise im Barteiausschuß gut ist, haben manche Bezirke über­haupt keine Frau als Delegierte entsandt. Es erscheint nebensächlich, ob man die Frauenkonferenz vor oder nach dem Parteitag stattfinden läßt. Die Frage, ob eine besondere politische Frauen zeitschrift geschaffen werden soll, wie die frühere Gleichheit", beantwortete die Genossin Juchacz dahin, daß die Frau die poli­tische Gleichberechtigung habe, und daß es daher über­flüssig erscheine, die politischen Leitartikel, die die Tagespresse bringe, noch einmal in einer besonderen Frauenzeitschrift zu bringen. Was sonst die Gleichheit" erörtert habe, das gebe jetzt die Genossin", deren Auflage sich ständig steigere. Besondere Auf­merksamkeit gebührt der Eingliederung der weiblichen Jugend in die Frauenbewegung. Die Jugend bringt neue Ideen und neuen Willen mit. Wir dürfen sie nicht als gegen= fäßlich empfinden, sondern müssen sie für die Gesamtbewegung nug­bar machen. Leider erfahren wir noch sehr häufig, daß Mädchen aus Arbeiterkreisen ihren Verkehr dort suchen, wo sie leicht dazu tommen, sich als etwas Besseres zu fühlen und so unserer Bewegung entfremdet werden.

Wir müssen an die Millionen von Fabrikarbeiterinnen, Laden­angestellten, Kontorgehilfinnen mehr als bisher herankommen, sie für unseren Kampf gewinnen. Sie sind nach ihrer schweren Arbeit ermüdet und vielleicht hungrig, und deshalb bedarf es einer beson= deren Agitationsmethode, um an sie heranzukommen. Wir brauchen eine Reihe leichter, aber gutgeschriebener Agi= einzuwirken. In dem kleinen Desterreich gibt es derartige opfer­bereit sind, treppauf, treppab auf die uns noch fernstehenden Frauen willige Frauen zu vielen Tausenden. Auch bei uns muß es mög­sind, eine solche Agitation zu betreiben. lich sein, eine größere Anzahl von Frauen zu gewinnen, die bereit

Ein besonders wichtiges Gebiet ist die Berufstätigkeit der Frau. Aus der letzten Berufszählung werden auch für die Aktivierung der Frauen bestimmte Schlüsse gezogen werden können. Mittationsbroschüren dazu, aber auch sozialistische Frauen, die der dauernden Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens ergibt sich cine immer stärkere Anteilnahme der Frau im öffentlichen Leben und an der Verwaltung des Staates.

Der prozentuale Anteil der Frau an der sozialdemokrati schen Frauenbewegung ist in den einzelnen Bezirken sehr verschieden. Am höchsten ist er in Magdeburg - Anhalt mit 30,8 Pro3., im westlichen Westfalen mit 28,44 Proz., Schleswig- Holstein mit 27,6 Proz.; am schlechtesten ist Hessen- Offenbach mit 8,71 Proz. Aller­dings sind diese Zahlen nicht das entscheidende, sondern das ist der lebendige Anteil, den die Frauen an den das Volk bewegenden Lebensfragen nehmen. Die öffentlichen Frauenversammlungen müssen in normalen Zeiten neben den allgemeinen Parteiveran­ftaltungen überflüssig erscheinen. Aber in besonderen Fällen, bei der Behandlung aktueller wirtschaftlicher oder politischer Fragen, bei der Stellungnahme zu bestimmten Gesegesvorlagen muß die Frau im Einverständnis mit der Parteileitung zu besonderen Bersammlungen aufgerufen werden. Daneben gibt es eine ganze Reihe schwebender Fragen, die zunächst im fleineren Kreise erörtert werden müssen, beispielsweise die neue Gestaltung des Wohnungswesens. Bürgerliche Frauenorganisationen entfalten gerade in solchen Fragen häufig eine größere Aktivität als wir. Bir dürfen uns auch hierbei von den bürgerlichen Frauen nicht übertreffen lassen. Bei der Auswahl der Referate dürfen wir uns nicht auf die Spezialisten

Unsere Justiz und die Demokratie.

Ein nachdenkliches Kapitel.

Genosse Eduard Bernstein schreibt uns: Die Nachricht, daß der preußische Justizminister D. Schmidt sich genauen Bericht über die Vorgänge hat geben lassen, die am 23. mai vor dem Schnell gericht im Berliner Polizeipräsidium Schnellgericht gespielt haben, wo 23 nationalistische Jünglinge sich wegen lärmender, auf Sprengung abzielender und mit Gewalttätigkeiten verbundener Störung einer Bersammlung des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold zu verantworten hatten, und daß er auf Grund des Berichts die Staatsanwaltschaft angewiesen hat, gegen das vom Vorsitzenden des Schnellgerichts, dem Amtsgerichtsrat Kaiser, verkündeten Urteils Berufung einzulegen, muß jeden mit Genugtuung erfüllen, dem die gesunde Entwicklung der Demokratie am Herzen liegt.

Es handelt sich natürlich nicht darum, etliche junge Menschen um jeden Preis ins Gefängnis zu bringen, sondern zu verhüten, baß ein Gerichtserkenntnis aufrechterhalten bleibt, das dem Geiſt

der Verfassung unseres Landes schroff ins Gesicht schlägt. Aus der Gerichtsverhandlung selbst ist zunächst bezeichnend, daß der Justizbeamte, dem die Wahrnehmung des dem ethischen Interesse der Allgemeinheit Ausdruck gebenden Rechts. gedankens vornehmste Pflicht ist, der Staatsanwaltschaftsrat Dr. Fredersdorf, eine Anflagerede hielt, die auf eine platte Berteidigung der Bersammlungssprengung hinaus. lief. Der Herr führte nämlich aus:

Die Handlungsweise der unter Anklage stehenden jungen Leute, die größtenteils eine bessere Schulbildung

Genossen haben, sei nicht als ehrlos zu bezeichnen. Es fönne

diefen jungen Leuten nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie von diesen, nun einmal bestehenden. Ge pflogenheiten, die überall in unserem Bater lande vorkommen, von sich aus nicht abließen, und sich zu den Ausschreitungen hätten hinreißen lassen."

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Demgemäß beantragte der Herr, vier der Angeklagten, die zu groben Gewalttätigteiten übergegangen waren, mit ge= linden Gefängnisstrafen je fünf Tage zu belegen, die übrigen aber sämtlich freizusprechen. Der Gerichtshof aber hat diese Be= schönigung noch überboten. Er hat auch von den vier grob gewalttätigen Sprengungshelben noch zwei zu Lasten her Staatstaffe freigesprochen, und mit Bezug auf die zwei von ihm selbst für schuldig Erkannten die Gefängnisstrafe in eine für Leute jener Gesellschaftsklasse recht mäßige Geldstrafe von 70 m. ermäßigt. Die bescheidene Verurteilung aber erfolgte, wie berichtet wurde. nicht wegen Gewalttätigkeit mit dem Ziele, die Bersammlung unmöglich zu machen, sondern nur wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt".

Also die gewalttätige Sprengung einer politischen Versammlung wird vom Staatsanwalt als norwurfs frei begründet und das Gericht läßt das durch sein Urteil als zu Recht" gelten, weil sie zu den einmal bestehenden Gepflogenheiten" gehöre, die überall in unserem Baterlande vorkommen". Ganz abgesehen davon, daß dies überall" eine maßlose Uebertreibung ist, verrät die ganze Argumentierung aber auch ein unverständnis für eine der Grundbedingungen wahrhaft demokratischen Lebens, die in einem demokratischen Staatswesen, das die deutsche Republit nach ihrer Berfassung ist und sein soll, keinem Juristen verziehen werden darf.

In allen Staatswesen, wo der demokratische Gedanke Grund­lage bes Rechts und im Boltsbewußtsein eingewurzelt ist, gilt das Recht, Bersammlungen frei und ungestört abzuhalten, als so unantastbar, daß jeder Einbruch in es vam Volts= bewußtsein auf das schärfste verurteilt wird. Und

Nach einem Blick auf die internationale sozialistische Frauenbewegung erklärt die Genoffin Juchacz , daß die " Frauenwelt" selbstverständlich kein Ersatz der Gleichheit" sein foll, sie habe eine andere Aufgabe zu erfüllen. Sie soll die uns noch fernstehenden Frauen für unseren Kampf vorbereiten. Der Republikanische Frauenbund sei keine zentrale Organi­fation, sondern es bestehen nur lofale Gründungen derartiger Art. Der Parteivorstand sei der Meinung, daß in der Sozialistischen Partei und in der Arbeiterwohlfahrt den Frauen Gelegenheit zu republikanischer Arbeit gegeben sei. Besondere Gründungen republikanischer Frauenbünde, vielleicht als Ergänzung des Reichsbanners, feien überflüssig.( Lebhafter Beifall.)

Wie lebhaft das Interesse der Delegierten an den Verhandlungen ist, ergibt sich daraus, daß sich nach diesem Referat bereits 31 Dis­fuffionsrednerinnen gemeldet haben. Sie gehen in der Distus= sion besonders ein auf die einzelnen Fragen der Schaffung einer besonderen politischen Zeitschrift für die Frauen, auf die Gewinnung der ermerbstätigen Frauen für die politischen Organisationen und die Eingliederung der jungen Mädchen in die Parteiarbeit.

das aus guten Gründen. Denn wo es nicht gilt und nicht als für alle gleichmäßig bindend hochgehalten wird, ist auch die Demo­tratie nicht gesichert.

Man braucht sich nur den Zustand eines Landes einmal flar vorzustellen, wo das Sprengen von politischen Versammlungen so zur Alltäglichkeit geworden ist, wie es der ehrenwerte Herr Staats­anwaltsschaftsrat Dr. Fredersdorf im Interesse der geliebten pöltischen Sprenggardisten mit" besserer Schulbildung" zu unter­stellen für gut befand und man wird ohne weiteres erkennen, daß ein solcher Zustand mit Notwendigkeit nur der Vorläufer sein würde einer faschistisch autokratischen Reaktion.

In der Frühzeit der sozialistischen Bewegung ist es in Deutsch­ land vorgekommen, daß besonders leidenschaftliche Anhänger des Lassalleanischen Flügels, wie heute wieder Settionen der Kom­munisten, zum Sprengen gegnerischer Bersammlungen sich haben hinreißen lassen. Aber erstens geschah das in Einzelfällen und teineswegs als Regel oder gar System, und dann haben die weit benen die deutsche Sozialdemokratie noch heute ihre megweisenden blickenden und verantwortungsbewußten Führer der Bewegung, in Borfämpfer verehrt, die August Bebel , Wilhelm Liebknecht , August Geib, Ignaz Auer und ihre Mitstreiter zu allen Zeiten Das Bersammlungssprengen auf das schärffte verurteilt und be­fämpft. Mögen nationalistische Richter und Staatsanwälte es bei uns noch so eifrig beschönigen, und womöglich als ein Resultat befferer Schulbildung" verherrlichen, die zu einem der größten politischen Machtfaktoren im Lande entwickelte Sozialdemokratie wird es nicht einreißen lassen.

Wiener Arbeiterzeitung " in Polen verboten! Warschau , 28. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Der Wiener Arbeiterzeitung " wurde der Postvertrieb und der Straßen- und sonstige Verkauf in Polen entzogen. Der sozialistische Robotnit" protestierte in scharfen Worten gegen dieses Verbot und verlangt seine sofortige Aufhebung.

Aus der Partei.

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Neu

Die neue Nummer der Arbeiterwohlfahrt" vom 1. Juni 1927 erscheint schon heute aus Anlaß der Konferenz, die die Arbeiterwohlfahrt im Anschluß an den Parteitag in Riel am 29. und 30. mit der Tagesordnung Beitfragen der Jugendwohl fahrt" abhält. Die Konferenznummer ist mit sehr guten Bildern finderheilstätte Ludwig Frank " und dem noch in diesem Jahr zu aus den Heimen der Arbeiterwohlfahrt Kellinghusen ", der Reichs: eröffnenden Fürsorgeerziehungsheim Immenhof" geschmückt. Sie ist dem Konferenz- Thema angepaßt und behandelt 3eitfragen jugendlicher Arbeiter und jugendlicher Ermerbs. loser. Genossin Helene Simon , eine der ersten Sachverständigen, die Deutschland überhaupt in dieser Frage besigt, behandelt in einem Aufsatz Jugendliche Erwerbsarbeiter" die regelung des Kinder- und Jugendschutes, Genosse Ouenhauer schildert Die Freizeitbewegung der deutschen Jugend." Ueber die Fürsorge für schulentlassene erwerbslose Jugendliche" schreibt Genosse Magistratsrat Dr. Michel- Frankfurt am Main aus dem reichen Gebiet der Frankfurter Praris. Genosse Korell schildert Das Problem der erwerbslosen Jugendlichen in Hamburg , und Genosse Käber, Leiter des Wohlfahrtamtes des Kreises Calau Die Hilfe für jugendliche Erwerbslose in einem Landkreis". In der Rubrik Aus der Arbeiterwohlfahrt" berichtet Genossin Kirschmann- Röhl, die Vorsigende der Anstaltskommiffion der Arbeiterwohlfahrt über das zukünftige Fürsorgeerziehungsheim des Hauptausschusses Immenhof" und seine Aufgabe. Mitteilungen aus der Drganisation und eine Bücherschau über Neuerscheinungen der Jugendwohlfahrt folgen.

Auktion im Bierlokal.

Ein grauer und falter Tag. Vorläufig warten und frieren wir noch ein wenig. Trotzdem wir vor einem Bierlokal stehen. Man fönnte hineingehen und Einen" genehmigen, doch sind die Roll­jalousien heruntergelassen und die Tür verschlossen. Solche Tote Augen" fieht man jegt wieder häufiger im Straßenbilde, was darauf hinzeigt, daß wir uns wieder den alten Friedenszuständen nähern. Um elf Uhr soll die Auktion stattfinden, da soll die Einrichtung des Lokals gerichtlich versteigert werden. Die Brauerei will ihr Bier­geld haben, das der Wirt nicht bezahlte. Auch der Hauswirt ist wegen des rückständigen Mietzinses interessiert.

Wer wollte nicht behaupten, daß der Wirt noch vor einigen Tagen diese große Zahl Menschen, die nun beim Deffnen der Tür die Stube füllen, froh begrüßt hätte? Es wäre ein Geschäft ce­mesen, heute ist es nur eine verpaßte Gelegenheit. Der Gerichts­vollzieher ist noch nicht anwesend. Allgemeine Menschlichkeit führt dieses Publikum nicht her, diese Alltagsgesichter, die fluchen und laut geftulieren, weil sie in einem Wirtslotal warten, wo es keine Ge­tränke gibt. Doch der laute Humor täuscht über ihre versteckten Ab­fichten. Längst haben sie mit geschärften Blicken das Inventar im Raume tariert. Sie haben ihr Angebot ermogen, das sie später für die einzelnen Sachen abzugeben gedenken; fie haben auch schon ihren Verdienst auskalkuliert. Die Sachen sind schlecht, die Stühle wackeln. Das Billard ist abgespielt, am Ladentisch ist die Kasse herausgerissen. Die Schnapsflaschen auf den Regalen find leer: Der Gerichts­vollzieher ist gekommen, in seiner Begleitung ein Schreiber und ein Ausrufer. Auch der Hauswirt ist unter den Anwesenden, man erkennt ihn an seinem Bersianerfragen. Der Gerichtsvoll­zieher vermittelt zwischen den Gruppen. Man wartet. Meine Herren, wir haben noch Zeit!" sagt die gesetzliche Autorität. Auf was wartet man noch? Nur eine leere Formalität, und doch liegt in ihr die unausschöpfbare Tragit eines Menschenschicksals. Der Schuldner könnte in diesem Augenblick hereintreten, noch fünf Minuten nach Elf, tönnte sagen: hier ist das Geld! Der Gerichts­vollzieher würde seine Attendeckel zuklappen: Meine Herren, die Auktion ist aufgehoben. Der Restaurateur ist erschienen, aber ohne Geld. Blaß und still setzt er sich an einen Tisch, von den meisten taum beachtet und erkannt. Vielleicht daß er über das Wechselglück dieses Lebens nachdenkt, vielleicht, daß er schon vergessen hat, daß dieser Tisch und Stuhl vor einigen Tagen noch sein Eigentum war. Die Auktion beginnt. Der Gerichtsvollzieher hat eine Tare über den Wert der einzelnen Gegenstände aufgestellt; sie liegt ziemlich tief und entspricht ungefähr der Forderung, die er eintreiben soll. Selten wird bei einem Angebot die Tare über­schritten, man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, die Lebensfenntnis des Beamten oder die Einigkeit unter den Käufern. Ein Ring, wenn sie es auch nicht Wort haben wollen, verbindet die Händler untereinander, daß feiner den anderen überbietet. Das Ganze wirkt wie eine Komödie mit verteilten Rollen, ein Händler bietet und erhält den Zuschlag. Plöglich ein Angebot von einem Außenseiter. Die Händler spigen die Öhren. Vorsichtig steigern fie mit. Bald, ohne daß der Fremde es merkt, haben sie den Gegen­stand in die Höhe getrieben, so daß er mun weit über seinen Wert bezahlt ist. Erst das Grinsen der anderen macht den Käufer auf seinen Irrtum aufmerksam. Das Gesamtergebnis erreicht die

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Summe, die der Wirt schuldet.

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Schnell leert sich das Lokal. Die gekauften Möbel werden pon ihren neuen Besitzern gleich mitgenommen. Ueber der Schwelle zum Bereinszimmer liegt ein Stückchen grüner Papiergirlande, ein Gruß vom Leben vom letzten Bockbierfeft. Der kleine Wirt ist längst gegangen. Der große Wirt hat mit dem Gerichtsvollzieher noch zu verhandeln, er legt sich dabei breit und gewichtig über den Schant­tisch. Der kleine wirt und der große Wirt, wie im Märchen: der tleine Klaus und der große Klaus....

Raubüberfall in Neu- Heiligensee.

Der jugendliche Täter verhaftet.

Ein frecher Raubüberfall wurde heute früh zwischen 7 und 8 Uhr in der Kirchallee zu Neu- Heiligensee auf die 41jährige Ehefrau Bonita Pobletti, die dort ein Zigarettengeschäft betreibt, verübt. Der Täter, ein junger Mann aus dem Ort, der seit einiger Zeit arbeitslos ist, konnte unmittelbar nach der Tat von der Polizei verhaftet werden.

Im Geschäft der Frau P. erschien heute früh gegen 18 Uhr der 19jährige Tischler Otto Mews, der bei seinen Eltern in der Straße Nr. 119 zu Neu- Heiligensee wohnt, und fragte, ob er den Ehemann sprechen könne. Als Frau P. sagte, daß ihr Mann sich bereits auf dem Wege zu seiner Arbeitsstätte befinde, verlangte M. einige Zigaretten. Nichtsahnend drehte sich die Geschäftsinhaberin um und wollte aus dem Schrank hinter dem Ladentisch die ver­langten Zigaretten herausnehmen. Diesen Augenblick benutzte der mit auf Frau B. einzuschlagen. Er versette ihr mehrere wuchtige Bursche, um den Zigarrenabschneider zu ergreifen und da­Schläge über den Kopf. Als die Ueberfallene um Hilfe rief, drang der Täter auf sie ein und versuchte sie durch Würgen am Schreien zu verhindern. Frau P., die mehrere Kopfwunden davon­getragen hatte, verlor das Bewußtsein und fant blutüberströmt zu Boden. Diese Situation nugte der Täter aus. Er raubte den In­halt der Ladenkasse im Betrage von 29 Mart, steckte sich noch 150 Bigaretten und 40 Zigarillos ein und entfernte fich unbemerkt. Zehn Minuten nach dem lleberfall betrat ein 15jähriger Schüler den Laden und sah Frau P. bewußtlos am Boden liegen. Er weckte den 16jährigen Sohn der Ueberfallenen, der im Hinterzimmer schlief und von dem ganzen Borfall nichts gehört hatte. Polizei und ein Arzt waren nach furzer Zeit zur Stelle. Frau P., die mehrere klaffende Wunden am Hinterkopf davongetragen hatte, gab bei ihrer Ver­nehmung eine genaue Beschreibung des Täters, so daß es der Polizei schon kurze Zeit darauf gelang, M. in der elterlichen Wohnung, wohin er sich unmittelbar nach der Tat begeben hatte, zu verhaften. Er gab den Ueberfall sofort zu.

Der Tote vom Seddinsee erkannt. Die Todesursache jedoch noch nicht festgestellt.

Zu dem Leichenfund am Seddinsee erfahren wir, daß der zu- nächst unbekannte Mann gestern abend fest gestellt Schmödwiger Gegend eine Reisetasche, die Papiere einer worden ist. Am vergangenen Dienstag fand eine Frau in der Hallenser Spinnerei und Bindfadenfabrik enthielt. Weil feine andere Adresse vorhanden war, sandte sie die Tasche mit Inhalt nach Halle an die Firma. Diese erkannte, daß es die Tasche eines ihrer Reisenden war, eines 37 Jahre alten Albert Riedel aus der Naugarder Straße zu Berlin . Riedel wurde seit dem 17. d. m. vermißt. Er pflegte, wenn er Geld erhielt, einige Tage wegzubleiben, kam dann aber immer wieder nach Hause. Bulegt hatte er 200 m. bekommen. Seine Angehörigen machten sich zunächst über sein Ausbleiben feine Sorgen, weil er ja immer miedergekommen war. Als fie- nun aber pon der Fabrik aus Halle die Tasche zugeschickt erhielten, zeigten sie gestern an, daß sie Riedel vermißten. Zufällig wurde nun am gleichen Tage die unbekannte Leiche gefunden. Jetzt stellten die Angehörigen fest, daß der Tote ihr Bermißter ist. Sie vermuten, daß er ermordet und beraubt worden sei. Ein bestimmter Anhalt dafür ist von der Mordkommission bisher nicht gefunden. Die bereits angeordnete Obduktion der Leiche wird wohl feststellen, woher die schweren Verlegungen rühren und wie die fehlenden Glieder, der linke Arm und das rechte Bein, von dem Körper abgetrennt worden sind, Gefunden sind diese Glieder bisher noch nicht.

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Der Leichenfund im Grunewald ist jest vollständig aufgeklärt. Die Obduktion, die gestern nachmittag im Schauhause vorgenommen wurde, ergab, daß sich die Kontoristin Hertha Unze ohne