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Sonntag

29. Mai 1927

Ernst Lubitsch  .

Aus der Film- Welt

Aus Anlaß der Rückkehr des berühmten Regiffeurs aus Amerita spielen zwei große Berliner   Theater Madame Dubarry"( Ufapalast am 300) und Lady Windermeeres Fächer"( Tauenzienpalaft) Filme, die zeitlich um acht Jahre voneinander getrennt sind. Der erste be­deutet den Auftakt zu Lubitschs Weltberühmtheit, der andere, in Amerika   entstanden, zeigt den Regisseur auf der Höhe seiner Meister­schaft. Beide Filme sind aber nicht nur für die Wandlung des Re­gisseurs, sondern vor allem für die Wandlung im Geschmack des Bublifums charakteristisch. Lubitsch   begann seine Laufbahn tls Film­regiffeur in fleinen, fammerspielartigen Luftspielen mit Dorrit Weig ler. Er war gleichzeitig Regiffeur und Hauptdarsteller, es war das mals, als er bei den Reinhardt- Bühnen noch den Wagner und Tubal spielte, dann setzte die Wandlung ein. Man verlangte nach großen, historischen Sujets. In Amerika   schuf Griffith den Geschichtsfilm großen Formats, in Deutschland bearbeitete ihn Lubitsch  , furz vor­her liegt die Sumerun".Episode. Hier gelang Lubitsch   ein ganz großer Burf. Der Orient wurde lebendig, aberdings eher ein Orient von Reinhardts Gnaden und mit einem zarten Opernein­schlag. Aber Lubitsch   erwies sich hier schon als ein Regisseur, der virtuos die Masse beherrscht, der über ausgeprägten Sinn für deko­rative Wirkung verfügt und dabei doch niemals die schauspielerische Leistung vernachlässigt.

Diese drei Elemente hielten sich auch in den historischen Filmen die Wage. Diese Epoche wird charakterisiert durch Anne Bo= leyn", Madame Dubarry  " und" Das Weib des Pha­raoo". Man bewunderte damals besonders den dekorativen Rah­men, die Stilechtheit der Bauten, Kostüme und Requisiten, die sich bis auf die belanglosesten Dinge erstreckten; ein neuer Herzog von Meiningen   war im Film entstanden. Westminsterabtei, der Louvre und das alte Theben waren restlos nachgebildet resp. rekonstruiert worden, aber dazwischen bewegten sich Schauspieler, die vollkommen filmisch eingestellt waren. Lubitsch   verlor sich nicht im rein dekora tiven und man bewunderte sehr in ihm den Reinhardt des Films, den virtuosen Dirigenten der Masse. Sieht man heute aber, acht Jahre nach ihrem Entstehen, Madame Dubarry  " wieder, so er scheint der Aufwand an szenischen Requisiten im Grunde überflüssig, handlungshemmend, Massenszenen sind zu sehr Selbstzwed, was aber immer wieder fesselt, das sind die Darsteller, die, von einem echten Filmregisseur dirigiert, ihre Bühnenallüren vergessen haben. Dies überfah man früher beinahe. Am breitesten der Film Das Weib des Pharaoo". Hier ein Ueberwiegen der Masse und der De­toration, die ein schwaches Kurbelbuch fünftlich wirksam machen follten. Die Schauspieler ohne Profil, nur Wegener und Jannings boten starke Leistungen. Das Problem des historischen Films: mie bemegten sich und wie dachten die Menschen jener längst vergangenen Beiten, wurde hier afut. Bestimmt waren sie anders als Harry Liedtke  , der aus dem Theben der Ramseniden ein antiquiertes Wien   machte. Lubitsch   schien sich auf Abwegen zu befinden.

Da erschien nach einer Pause Die Flamme", bearbeitet nach Müllers blutarmem Theaterſtück. Kein hiſtoriſches Sujet, son­dern ein Kammerspiel aus den sechziger Jahren, aus dem Paris   der Dorés und Bertalls. Wieder ein stilechter Rahmen. Wundervolle Interieurs, diskret hingefeßt, ohne Selbstzwed, mur fostbare Folie für eine geniale, schauspielerische Leistung. Noch nie hatte Lubitsch  so hingebend mit den Schauspielern gearbeitet. Und in Amerita ließ er jede historisierende Andeutung, jede Idee von Maffenwirtung. Hier wandte er sich ganz dem Kammerspiel und dem modernen Gesellschaftsfilm zu. Die Ehe im Kreise" und" Lady Windermeeres Fächer" sind die unerreichten Spizen­Leistungen.

Lubitsch   hat sich auf teinen Stil festgelegt, er hat in Amerita jede Problematik abgestreift, er denkt nur filmisch, aber andererseits ist er nicht von dem wilden, aufgepeitschten Tempo der Amerikaner infiziert worden, er will teine wild romantische Sensation. Seine Filme bleiben immer auf dem Boden der Wirklichkeit, und die Menschen sind nie schematisch gesehen. Lubitsch   untermalt sie psycho­logisch, ohne den Film mit überflüssigen Großaufnahmen zu über. laden, wie es seine amerikanischen   und europäischen   Sachkenner tun, er gibt mur dann psychologische Ausdeutung, wenn sie sich reibungs­Ios der Handlung einfügen läßt. Gerade der deutsche Film müßte in dieser Beziehung von Lubitsch   lernen. Und seine größte Leistung Lady Windermeeres Fächer" zeigt uns, daß man geistreiche Operçus und Paradore durchaus ins Bildhafte übertragen kann, daß der Wiz beim Film in der Aufmachung der Menschen, in der Verknüpfung Der Situationen und in der Anordnung der Szene liegen muß. Lubitsch   hat dieses Problem ohne Rest gelöst.

F. S.

Die Filme der Woche.

Die Kreuzersonate." ( Primuspalast.)

Die Kreuzersonate" ist in Tolstois Werf eine seiner vielen Predigten gegen die Sinnlichkeit und die sinnliche Liebe, aber glück­licherweise ist sie zugleich eine tnappe, geradeaus aufs Ziel losgehende Erzählung. Der Film hat sich nicht ganz von der Predigt freigemacht, vor allem aber folgt er dem Inhalt des Buches allzu getreu, ver­nachlässigt das Milieu, verliert sich in Dialoge und hat überhaupt viel zu viel Tert. Die Handlung ist in eine Rahmenerzählung ein­viel zu viel Tert. Die Handlung ist in eine Rahmenerzählung ein­gespannt; der Mann, der seine Frau aus Eifersucht ermordet hat, erzählt seine Geschichte im Eisenbahnfupee, alle Mitreifenden rüden aus bis auf einen, den Geistlichen, der das Leid seines Mitmenschen zu verstehen vermag. Immer wieder unterbricht das reue- und leid­verzerrte Antlitz des unglücklichen Mörders den Ablauf der Begeben heit. Schlicht und einfach wird der Kern der Handlung erzählt, wie die beiden Menschen sich fennen lernen, wie der Mann von der finn­lichen Schönheit der Frau in den Bann geschlagen wird, wie sie auf dem Lande, nachdem ihr weiterer Kinderfegen verboten ist, sich wieder nach der Stadt sehnt und dort das leichte Opfer eines Frauenjägers wird. Jäh bricht dann die Katastrophe herein, nachdem der Mann noch einmal verziehen hat, als er von einer Art Hellsichtigkeit ge­trieben, von einer Reise zurückkehrt, und nun das Paar überrascht. Aber die Tat erwächst nicht aus dem Anprall der Sekunde. Zuvor nimmt der Mann Abschied von seinen Kindern, wählt die Waffe und erst dann schreitet er zur Vollendung. Das Unsagbare, das rein Gefühlsmäßige, das Mimit und Geste nicht fünden, wird im Film nicht lebendig; um so mehr aber durch die Musik, die hier viel stärker das Seelische deutet als das Wort und der Film. Der Regiffeur G. Machaly war offenbar von ernſtem Streben beseelt, und der Darsteller des Mannes, J. W. Speerger, bietet alles auf, um feinen Intentionen gerecht zu werden, aber doch bleibt die letzte Er­schütterung aus. Die Darstellerin der Frau, Eva Byron, blieb in einer gewissen Starre des Ausdrucks stecken.

Boran ging ein sehr umständliches Kreuzworträtsel, das immer hin den Vorzug hatte, allerlei Illustrationen aus vielen Lebens­gebieten vorzuführen.

Fräulein Blaubart."

( UT. Kurfürstendamm.)

D.

Dieser Film ist ein Schulbeispiel dafür, daß legten Endes doch alles darauf anfommt, wie eine Sache gemacht wird. Hier sind Nichtigkeiten luftig ausgefüllt mit dem Bestreben, einem guten Ge­Schmad zu gefallen. Das Manuskript handelt von Menschen, die leichtsinnig liebeln und zugleich ernsthaft lieben und die durch tomödienhaft ausgenugte Situationen taumeln müssen, damit die Richtigen fich finden. Frank Tuttles Regie stellt alles auf Augen­blidswik, arbeitet gute Typen heraus und achtet auf ein vorzüg liches Zusammenspiel der höchst fultivierten Darsteller. Bebe Daniels   tommt eine geschickte Photographie, die das Gesicht der Schauspielerin stets weich und verführerisch schön erscheinen läßt, sehr wohlüberlegt zu Hilfe. Raymond Griffith   imponiert mal wieder durch seine ruhige Selbstsicherheit. Er spielt oft ganz auf Bewegung, erlaubt fich fogar Derbheiten und bleibt bets her geistvolle Spötter. Wenn er seinem Freunde verständlich zu machen sucht, er müsse lügen, es handele sich statt eines Mädels um eine Raße, so macht z. B. diese pantomimische Kazenerzählung ihm so. leicht feiner nach.

Die Usa  - Wochenschau bietet des Interessanten sehr viel, man fieht nicht nur Lindbergh, sondern auch noch das fliegende Rote Kreuz, das jetzt schon das Flugzeug in den Dienst des Kranken­transports ftellt. e. b.

Das Rätsel der Fledermaus." ( Marmorhaus.)

Eine wundervolle Komödie der Irrungen, eine Komödie, trotz­bem es nebenbei zwei Leichen gibt, aber ein zartbefaitetes Gemüt darf sich damit trösten, daß es hier gar nicht um ernite Dinge geht, fondern daß die Amerikaner eine außerordentlich sprühende und geistreiche Parodie auf den Kriminal- und Abenteurerfilm geschaffen haben. Alle Requisiien des Sherlod- Holmes- Romans und des tränenfeuchten Gesellschaftskitsches passieren Revue, man hat nichts vergessen, von dem mondbeglänzten Schloß mit Geheimfammern und finsteren Gängen bis zu dem obligaten Banteinbruch, dem energiegestrafften Detektiv und dem fantastisch vermummten Gent­lemanverbrecher. Schläge auf den Schädel, geladene und ungeladene Revolver spielen eine beherrschende Rolle; das zarte Liebespaar ist auch vorhanden, und der bei diesen aufregenden Angelegenheiten un­bedingt notwendige japanische Diener mit dem harmlosen Intri­gantenlächeln geistert ebenfalls durch den Film. Eine refolute, alte Tante ist am Ende schlauer als die gewiegtesten Kriminalisten, und

Beilage des Vorwärts

der Verbrecher fängt sich schließlich in einer Fuchsfalle, die ein still verblödetes Kind vom Lande aufgestellt hat. Die Handlung ver­fnäult und verwickelt sich jeden Augenblick mehr, immer neue Ber­fonen treten auf, dauernd wechselt die Beleuchtung. Niemand weiß bis zur letzten Szene, wer der Schuldige ist. Ein Cancan der Unvernunft, ein toller Taumel der Geschehnisse! Immer wieder be­wundert man den meisterlichen Aufbau des Films, die Kunst des Regiffeurs Roland West  , der manche Szene unentwegt variiert und boch bei jeder Wiederholung neue Nuancen, neue Verwicklungen und Steigerungen findet. Ganz langsam rückt man der Auflösung näher. Der Regisseur arbeitet mit einer beinahe Ibsenschen Retardierungs­technik, und dann ist das Resultat doch anders als man dachte. und alles ist mit unaufdringlicher Ironie untermalt. Die Schau­spieler, übrigens hervorragende Darsteller, spielen mit toternsten Mienen, nehmen die Sache außerordentlich ernst, die Ironie liegt allein in der Ueberspigung einer fonventionellen Situation. Das Ganze ist durchaus filmisch empfunden, nur auf bildhafte Wirkung gestellt. Der Wig liegt in der Bewegung, im Aufbau der Szene, die Texte wären überflüssig, wenn nicht auch sie den üblichen Tert parodieren würden. So entsteht ein Film, wizig, graziös und spielend, von einer überlegenen, ironischen Haltung, ein Film, der für Deutschland   vorbildlich sein sollte. F. S.

Die Brillantenschmuggler von New York  ".

( Emeltapalast.)

Da man in filmischen Dingen offenbar mehr von der Schablone als von der Abwechslung hält, fonnte man sich nicht darüber ver­wundern, daß die Leitung des Emeltapalasts nach dem guten Harry­Biel- Schlager fich abermals eine Räuberpistole verschaffte. Dies­mal sogar eine, die unter Mitwirkung des Departements des Rüftenschutzes der Vereinigten Staaten   von Amerika   hergestellt wurde. Da es sich um einen amerikanischen   Sensationsfilm handelte, war man auf dreierlei gefaßt, auf Spannung, Tempo und auf ein sehr schlechtes Manuskript. Auf einen derartigen Schund aber, wie ihn die Brillantenschmuggler" bieten, fonnte man bei allergrößtem Mißtrauen nicht vorbereitet sein. Die Leutnants vom amerikani­fchen Küstenschutz sind in förperlicher Hinsicht Dauerware, sie sind hieb, stich, schußfest, selbst Gift, Gas, Waffer und Häusereinstürze fönnen ihnen nichts anhaben. Trotz offenkundiger Dummheiten siegen sie, nicht etwa weil die Schmuggler zarterer Gesundheit sind, fondern weil in Amerita sich eben das Gute von selbst durchsetzt. Der Film zwingt nicht zur Stellungnahme. Er steht zu tief unter dem Durchschnitt. Man fann nur einen bewundern, den smarten amerikanischen   Geschäftsmann nämlich, der einem Deutschen   diesen e. b. Film andrehen konnte.

Zwei Stunden Humor." ( Bebapalaft- Atrium.)

Nur in den Filmtheatern herrscht bereits Sommer, sonst breitet fich überall der von Heine so getaufte grün angestrichene Winter aus. Aber den Filmtheatern scheint das ernstere, solidere Winter. programm bereits ausgegangen zu sein, sie schwelgen bereits im Sommer. Den Ton gibt der Bebapalast mit seinem neuen bunten Programm an, das aus vielerlei Varieténummern und einer Anzahl amerikaniſcher Groteskfilme beſteht. Außerdem fängt man ſehr un­pünktlich an. Bei den Grotesken fragt man nicht mehr lange, ob fie etwas Neues zu sagen haben, oder ob sie bereits Erprobtes mit etwas anderen Methoden wiederholen. Die Hauptsache ist, daß sie spannen, prickeln oder doch wenigstens unterhalten. Georg geht hoch" variiert die Wolkenkrazerkunststücke, die wir bereits aus anderen Filmen kennen, und wird manchen 3artbesaiteten manchmal zwingen, die Augen zu schließen vor Angst, mit aus der Höhe herabzusausen. Der Fröhliche Wassersport" zeigt Mit Universitätssportfeste mit allerlei ultigen 3wischenfällen. " Sonny, dem Lausbub" kommen wir dann schließlich zu dem netten Kinde, das ja immer wieder gefällt. Wichtiger ist schon Buster Brown und Brownŋ auf der Jagd", das Kind und Hund im Verein zeigt.

Unter den Varieténummern sind außer Mia Bergemann und Groteskartisten die wirklich rassigen und bis zur Wildheit geftei­gerten Tänze der Glazerows rühmend hervorzuheben.

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