Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 265 44. Jahrgang

Ausgabe B Nr. 130

10 Pfennig

Dienstag

= Vorwärts=

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife

Find in der Morgenausgabe angegeben

Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3

Fernsprecher: Dönhoff 292- 292

Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

A. S.

Berliner Volksblaff

7. Juni 1927

Berlag und Anzeigenabteilung Gefchäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Fernsprecher: Donhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Chamberlin kommt um 5 Uhr!

Lindenstraße 3

Er fliegt wieder! wieder! Ueber Ueber Kottbus. Start in Kottbus 4 Uhr 30.

-

offbus, 7. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Aller Voraussicht nach wird Chamberlin heuteum 5 Uhr abfliegen tönnen. Die Prüfung des Motors ist bei der Abfaffung des Berichts noch im Gange. Es heißt, daß dann der Flieger die Maschine zunächst nach dem Flughafen Kottbus überführen will, der erst fürzlich eingeweiht ist, um von hier den Start nach Berlin , seiner letzten Etappe, vorzunehmen. Er würde dann, wenn nicht un­vorhergesehene Hindernisse eintreten, heute zwischen 5 und 6 Uhrin Berlinsein.

Chamberlin ist heute etwa um 42 Uhr mit seinem Flug­zug von Klinge aus aufgestiegen, hat die Stadt Hottbus über­quert und ist auf dem Flughafen gelandet. Somit ist feine Ankunft in Berlin für heute nachmittag als sicher anzunehmen.

Start Chamberlins 4 Uhr 30.

Roffbus, 7. Juni. ( TU.) Nach Prüfung feines Apparates ist Chamberlin kurz vor 1 Uhr von seiner Not­landungsstelle bei dem Dorfe Klinge zum Fluge nach dem Flughafen Kottbus gestartet, wo er furz nach 1 Uhr einfraf, über den Marktplatz flog er eine Ehrenrunde. Die letzte Motorprobe findet um 2 Uhr statt. Um 4 Uhr 30 wird Chamberlin vom Flughafen Kottbus nach Berlin starten.

Ehrung der Flieger in Kottbus .

Tas Flugzeug repariert.

A. S. Rottbus, 7. Juni( Eigener Drahtbericht.) Die Stadt Kottbus versteht es, den großen Ruf, den ihr die Notlandung der beiden Flieger eingebracht hat, wirksam zur Geltung zu bringen. Heute morgen wurde in einer schlichten und kurzen, aber geschmackvollen Feier den beiden Gästen aus Amerika

das Ehrenbürgerrecht der Stadt verliehen. Gleichzeitig übergab der Bürgermeister den beiden gefeierten Fliegern zwei filberne Schalen als Geschent der Stadt. Der Land­rat des Kreises Rottbus begrüßte die Gäfte ebenfalls auf das herz­lichste und überreichte ihnen dabei einen Lorbeerfranz. Der fleine Saal des Stadthauses, der sonst zu Sizungen der Stadt­verordnetenversammlung dient, war mit Palmen und Lorbeer­bäumen geschmückt. Auf der Empore, die sich über dem Podium erhebt, hing eine große schwarztotgoldene Fahne, gegenüber das Sternenbanner herab. Den Fliegern zu Ehren wurde die amerikanische Nationalhymne gespielt. Die Feier schloß mit dem Absingen des Deutschlandliedes.

In seiner Ansprache betonte der Bürgermeister die große Leistung der Flieger und brachte seine Glückwünsche und die Sympathien für das amerikanische Bolt zum Ausdruck. Der Bot­schaftsrat Pool dankte im Auftrage der Ehrengäste und neuen Ehren­bürger, mit dem besonderen Hinweis darauf, daß die Amerikaner

sehr stolz darauf seien, jezt Ehrenbürger einer fast tausendjährigen Stadt zu werden.

Schon vom frühen Morgen an hatten sich dichte Menschenmassen auf dem kleinen Marktplay versammelt und brachten den Fliegern beim Borbeigehen lebhafte Dvationen dar.

Borher hatte ein Preffeempfang stattgefunden, bei dem fich Chamberlin und Levine den zahlreich versammelten Ber­

tretern der internationalen Bresse vorstellten.

Chamberlin, ein hochaufgeschossener, sympathisch, aber energisch aussehender Mann, ist bereits wieder recht frisch und gibt auf die Fragen, die man an ihn stellt, nur furze Auskunft. Wann er nach Berlin weiterfliegt, hängt davon ab, ob es ihm gelingt, den Apparat noch heute in Ordnung zu bringen. Dieser ist im Laufe des Bormittags aus der fumpfigen Wiese herausgeholt worden und befindet sich dicht dabei auf einer sandigen Ebene, die nur wenig mit fleinen Büschen bestanden ist. Das kleine Unterholz, bas vorhanden war, wurde abgehadt, um die Startebene gänzlich frei zu machen.

Der neue Propeller, der den schadhaften ersehen soll, ist bereits montiert und es scheint, daß die Maschine wieder so weit in Ordnung ist.

Bon anderen Reparaturen sieht man vorläufig gänzlich ab. Chamberlin betont auf alle Fragen immer wieder, daß die Maschine noch tadellos in Ordnung ist, und daß er lediglich diese kleinen Arbeiten ausführen läßt, um den Propeller betriebssicher zu machen. Zwischendurch drängt sich zu dem Flieger eine große Menge aus dem Publikum, die ihn um Autogramme bittet, die er ihnen auch bereitwilligst gibt. Im übrigen ist natürlich ein ganzes Heer von Photographen aufgeboten, um den denkwürdigen Augen­blic, wo der Ueberwinder des Ozeans in der fleinen Stadt Kottbus weilt, im Bilde und im Film festzuhalten.

Der Apparat selbst, über den schon gestern das Notwendige ge­fagt wurde, macht durch sein Aussehen erklärlich, weshalb das Nach richtenwesen über seinen Anflug fo unzulänglich funktioniert hat. Aeußerlich gleicht bie Maschine bis auf eine

-

kleinere Entfernung sehr stark der Junkers Li mousine, einem Verkehrsflugzeug. Es ist durchaus möglich, daß das Publikum, das das Flugzeug im Laufe des Mor­gens zu Gesicht bekommen hat, dieses für eine deutsche Maschine hielt. Jedenfalls wird von Leuten versichert, die das Flugzeug un­mittelbar vor seiner Landung sahen, daß sie nicht daran gedacht hätten, daß es sich um die Amerikaner handeln könnte.

Plymouth LONDON Amsterdam

Kanal

In.

Boulogne PARIS

WLE

BERLIN

Dortmund Eisleben Cottbus Bischofsroda

Ungeheurer Jubel in Amerika .

17660

=

London , 7. Juni( Eigener Drahtbericht). Die Nachricht von der Landung Chamberlins auf deutschem Boden war bereits eine Stunde nach Bekanntwerden in Deutsch land in New York bekannt. Eine ungeheure Menschen menge durchflutete seit Stunden die Straßen, um sich über den Flug zu unterrichten. Der Jubel war ungeheuer, als die Nachricht fam, daß Chamberlin nicht allzu weit von Berlin im Herzen Deutschlands gelandet war und die Flugleistung Lindberghs noch überboten hatte. Die Nachricht wurde sofort überall durch Ertrablätter be­fannt gegeben, und dem Präsidenten Coolidge , der sich auf seiner Yacht befand, übermittelt. Im ganzen Land wurde die Ankunft der beiden Flieger in Deutschland durch Rundfunk verbreitet, fodaß

| innerhalb kurzer Zeit die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von der neuesten Flugleistung ihres Landmannes unterrichtet war.

Die Fliegerfrauen unterwegs.

New York , 7. Juni. ( TU.) Frau Chamberlin und Frau Leviné haben um Mitternacht an Bord des Hapag- Dampfers ,, Berlin " die Reise nach Deutschland angetreten. Sie werden am kommenden Montag in Bremen eintreffen. Auf Drängen des deutschen General­fonfuls von Lewinski haben sie ihre ursprüngliche Absicht, die Ueber­fahrt auf der Berengaria" zu machen, aufgegeben und die Ein­ladung der deutschen Regierung und der deutschen Dampferlinie zur Fahrt auf der Berlin " angenommen.

Amtliche Glückwünsche.

Chamberlin Präsident Coolidge sandte' an folgendes Telegramm: Unsere Glückwünsche zu Ihrer wundervollen Tat, der Aufstellung eines neuen Dauerrekords in der Lufteroberung. Unser Land freut sich mit mir darüber, daß Sie den ersten Flug von Amerika nach Deutschland zurücklegten. Unsere Grüße an Deutschlands Boll".

Präsident Hindenburg telegraphierte an Präsident Coolidge :, Zu dem fühnen Fluge der beiden amerikanischen Ozean- Flieger Chamberlin und Leviné, die in heldenhafter Ueber­windung von Zeit und Raum das Weltmeer überbrückt und unsere Nationen dadurch nähergebracht haben, spreche ich Ihnen, Herr Präsident, und dem amerikanischen Volke meine aufrichtigsten Glückwünsche aus".

Die

Reichskanzler Marr telegraphierte an die Ozean- Flieger Chamberlin und Leviné: 3u der glücklichen Bollendung Ihrer fühnen Tat spreche ich Ihnen im Namen der Reichsregierung und des deutschen Volfes die herzlichsten Glückwünsche aus. außerordentliche Leistung eines Flugs von Amerikas Ostküste nach dem Herzen Deutschlands bildet einen Markstein in der Entwicklung des Luftverkehrs und ein neues Freundschaftsband zwischen unseren Bölkern."

Gesandtenmord in Warschau .

Der Vertreter Sowjetrußlands Wojkow von einem Gymnasiaften erschossen.

Warschau , 7. Juni( Eigener Drahtbericht). Heute vor­mittag wurde auf den sowjetrussischen Gesandten Wojtow auf dem Hauptbahnhof in Warschau in dem Augenblick, als er den Moskauer Zug besteigen wollte, von einem russischen Monarchiffen ein Revolveraftentat verübt. Wojtow wurde in ein Hospital übergeführt. Er starb jedoch kurze Zeit darauf.

Nach einer anderen Berfion war der Gesandte auf den Bahn­hof gekommen, um die aus London ausgewiesenen Mitglieder der Dorfigen Gesandtschaft, die auf der Durchreise nach mostau Warschau passieren sollten, zu begrüßen. Der Zug lief um 10 Uhr 10 Minuten ein und der Gesandte nahm vor dem ein­laufenden Zuge Platz. Die Tür eines Abteils öffnete sich und ein junger Mann flieg aus. Als er den Gesandten erblickte, 30g er seinen Revolver und gab mehrere Schüsse auf ihn ab, die Wojtow erwiderte, bis er plöhlich von einem Schuß getroffen, zusammen­brach. Der Mörder rief dabei aus: Das ist für das nationale Rußland gegen das internationale

Rußland !"

Warschau , 7. Juni. ( WTB.) Der Sowjetgefandte Wojtow, der bei dem Attentat acht Schuhwunden erhalten hatte, ist um 10,40 Uhr im Hofpital gestorben. Warschau , 7. Juni. ( TU.) Als heute vormittag der hiesige ruffifche Gesandte Wojkow auf dem Hauptbahnhof den auf der Reise nach Moskau befindlichen russischen Geschäftsträger in London Rosengolz erwartete, fam auf ihn ein junger Mann zu und gab auf ihn einen Schuß aus einem Revolver ab, der Wojtow ins Herz fraf und ihn lebensgefährlich verletzte. Wojtow wurde in ein Krankenhaus gebracht, der Attentäter wurde verhaftet. Er ist ein russischer Schüler eines hiesigen russischen Gymnasiums.

Warschau , 7. Juni( Polnische Telegraphenagentur). Das Kommuniqué bringt noch die folgenden Einzelheiten über das Attentat: An die beiden sowjetrussischen Diplomaten Wojkow und Rofengolz ist, während sie auf dem Bahnsteig hin- und hergingen, ein junger Ruffe herangetreten, der dann einen Revolver 30g und Wojkow wurde in der acht Schüsse auf Wojtow abfeuerte. Der Brust getroffen und vor allem in der Lunge schwer verletzt. Attentäter wurde festgenommen. Er heißt Boris Koworda und ist 19 Jahre alt. Aus dem bisherigen Berhör ergibt sich, daß das Attentat aus politischen Gründen verübt wurde. Warschau , 7. Juni. ( Poln. Telegr.- Agentur.) Der Täter war ein junger russischer im Egil lebender Monarchist, dessen Name bisher noch nicht festgestellt werden konnte. Wojkow wurde sofort in das Spital gebracht, wohin gleich nach Erhalt der Nachricht der Minister des Aeußeren, 3alesti, und der Chef des Protokolls, Brzezbziedi, fich begaben. E

Das Lausanner Attentat auf den Sowjetgesandten Wo romffi vom 10. Mai 1923 hat jahrelang die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Sowjetunion zerstört und auch Moskaus Verhältnis zum Völkerbunde vergiftet. Erst vor einigen Wochen sind die politischen Folgen der Tat des Emigranten Conrad durch die schweizerisch - russische Ver­ständigung aus der Welt geschafft worden.

In der

Das Warschauer Verbrechen vom 7. Juni 1927 schlägt nicht wie ein Bliz aus einem politisch heiteren Himmel ein. 3war werden sich seine Folgen, ähnlich wie nach Lausanne , erst dann völlig einstellen, wenn die Gerichtsverhandlung vorüber ist. Dennoch werden die Folgen schon jetzt ernst sein. Die acht Kugeln des jugendlichen Mörders fanden ihr Opfer, nachdem nacheinander in Beting, in Schanghai und soeben erst in London Attentate" auf die diplomatischen Vertre tungen der Sowjetunion unternommen wurden. Sowjetunion kämpfen zwei Auffassungen miteinander. Die eine, die sich nicht provozieren lassen will", und die andere, die die ruhige Haltung gegenüber den Angriffen auf die Sowjetunion als schwächlich verdammt. Das Ringen der beiden Richtungen um die außenpolitische Orientierung der Sowjet­ union wird zumindest eine neue Schärfe erhalten. Zu wün­schen ist, daß die Leitung der Sowjetaußenpolitik stark genug schen ist, daß die Leitung der Sowjetaußenpolitik stark genug bleibt, um den Kurs der ruhigen Abwehr weiterzusteuern.

Erst die Gerichtsverhandlung wird Licht in die Motive des Täters bringen. Aus dem, was bis jetzt über ihn be­fannt geworden ist, geht hervor, daß man eine weitverzweigte Organisation zur Vernichtung von Sowjetdiplo maten nicht vermuten braucht. Die Tat des 19jährigen Ruffen ist mit dem Attentat der Sozialrevolutionäre vom 6. Juli 1918 nicht zu vergleichen, das mit dem politischen Zweck organisiert wurde, um den Friedensschluß der Bolsche­miti in Brest- Litowsk zunichte zu machen. Es ist wohl eine Tat des individuellen Terrors, der individuellen Rache. Schon einmal folgte auf die Mördertat eines jugend­lichen Gymnafiaften eine gewaltige friegerische Auseinander­sehung. Aber der Weltkrieg war nicht die unmittelbare Folge der Kugeln, die Princip auf den Erzherzogthronfolger in Serajewo abschoß. Der Krieg wurde nur dadurch mög= lich, daß verbrecherische Staatsmänner die Tat für ihre politischen Swede benutzten. Es wird die Aufgabe der verantwortlichen Staatsmänner der beiden beteiligten und der ihnen befreundeten Staaten sei, die Erregung, die das Warschauer Attentat auslöst, zu befämpfen und um der Bölker willen den Frieden zu erhalten.