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Abendausgabe

Nr. 267+ 44. Jahrgangaizan

Ausgabe B Nr. 131

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Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Mittwoch

8. Juni 1927

Berlag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 63. Lindenstraße a Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands

Sowjetnote nach Warschau .

Moskau glaubt an Warschaus Verantwortlichkeit, doch will es Beweise abwarten.

Mostan, 8. Juni. ( WIB.) Litwinow überreichte dem| polnischen Gesandten in Moskau eine Note, in der es u. a. heißt: Die Regierung der Sowjetunion bringt die Ermordung ihres be­vollmächtigten Bertreters Wojkoff in 3ufammenhang mit

weise dafür anführen können, daß ein Zusammenhang der terro­ristischen Mordtat eines jungen Emigranten mit den politischen Bielen Bolens besteht.

Acht Jahre politische Justiz.

Das Zuchthaus als politische Waffe.

Bon Felix Fechenbach .

Gerechtigkeit ist ein schön Ding, Aber es gibt auch Justiz. ( Blaßbrenner.)

einer ganzen Reihe von Akten, die auf die Zerstörung der diploma- teine andere Drohung, als auf die Frage der Verantwortlichkeit nirgends zeigt sich der Widerspruch zwischen dem gesunden

tischen Bertretung der Sowjetunion im Auslande hinzielen. Die Ueberfälle auf die Sowjetbotschaft in Peking , die Belagerung des Konfulats in Schanghai , der Polizeiüberfall auf die Handelsdelega­tion in London und der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch England hat die Tätigteit terroristischer Grup­pen von Reaktionären entfesselt, die in ihrem Haß gegenüber der Arbeiterklasse zur Waffe des politischen Mordes greifen.

Ist der Ton der Sowjetnote auch scharf, so enthält sie doch zurüdzufommen, falls sich dafür Anhaltspunkte ergeben. So unterscheidet sich die Moskauer Politik deutlich von der Propa­ganda, die die Rote Fahne" mit der Mordtat treibt. Das deutsche Kommunistenorgan behauptet schlechtweg:

Die polnische Regierung hat die Hand im Spiel; sie hat den Mord gebilligt." phil

Das ist eine antipolnische Propagandalüge. Wenn man irgend wo das kommunistische Zentralorgan politisch ernst nehme, müßte man derartige Beschuldigungen als infame Kriegsheze" bezeichnen. Immerhin ist es erstaunlich, daß die Berliner Sowjetbotschaft, die einst das Kommando über die Rote Fahne" hatte, es sich gefallen läßt, daß der russischen Staatspolitik von der kommunistischen Bar. teipropaganda derart Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.

Die Regierung der Sowjetunion sieht in der Ermordung ihres Gesandten auch eine Folge davon, daß von feiten der polnischen Re­gierung nicht alle notwendigen Maßnahmen gegen die verbrecherische Tätigkeit ruffischer tonterrevolutionärer terroristischer Organisationen ergriffen wurden. Die ruffische Regierung warnte die polnische Regierung wiederholt vor der Möglichkeit provokatori. scher Verbrechen und glaubt, daß die polnische Regierung die Berteipropaganda

antwortung für das Gefchehene nicht abzulehnen vermag. Sie behält sich das Recht vor, nach Eintreffen erschöpfender Nachrichten über das in Warschau verübte Verbrechen zu dieser Frage zurück. zukehren.

Tas Beileid Polens .

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Strenge Untersuchung zugesagt. Moskau , 8. Juni. ( MTB.) Der polnische Gesandte Batet besuchte Litwinoff, dem er im Auftrage der polnischen Regierung sein tiefstes Beileib anläßlich der Ermordung Wojtoffs aussprach und das Verbrechen verurteilte. Patek teilte Litwinoff mit, daß die Untersuchung mit größter Energie geführt werden wird und die Schuldigen mit der ganzen Strenge des Gesetzes bestraft werden.

Die Sowjetnote tft ein unerfreuliches Zeichen für die Span nungen, die zwischen Moskau und Warschau bestehen. Die Tonart ist aber nicht nur dieser Spannungen wegen verhältnismäßig scharf. Sie ist auch, vielleicht vor allem, auf den inneren Eindruck berechnet. Die Moskauer Machthaber müssen halbwegs ener= gisch auftreten; deshalb ziehen fie die Verantwortlichkeit der pol nischen Regierung an den Haaren herbei, obschon fie feinerlei Be­

Verstärkung für Kendell.

Es soll der Schule an den Kragen gehen. Amtlich wird mitgeteilt: Der Ministerialrat Löffler aus dem württembergischen Kultusministerium ist auf einige Zeit in das Reichsministerium des Innern zur Bearbeitung dringlicher Schul. und Bildungsfragen einberufen

worden.

Württembergischer Kultusminister ist Herr Bazille. Seine Schulpolitik ist dadurch gekennzeichnet, daß er gegen den Willen einer Landtagsmehrheit, gegen den Willen der ge­samten württembergischen Lehrerschaft die Durchführung des achten obligatorischen Schuljahres in Württemberg ja bo tiert hat. In diesem Geiste wird Herr von Keudell Bildungs- und Schulfragen bearbeiten lossen.

Paris und der ferbisch- albanische Konflikt. Wieder einmal soll der Völkerbund ausgeschaltet bleiben!

Paris , 8. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) In hiesigen diploma tischen Kreisen bemüht man sich, dem serbisch albanischen Konflikt jede Bedeutung abzusprechen. Der Quai d'Orsay, der fich bisher den neuen Berwicklungen auf dem Balkan gegenüber größie Zurückhaltung auferlegt hat, erklärte am Dienstag abend, daß von einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen feine Rede sein kann, nachdem der albanische Gesandte noch nicht auf­gefordert werden ist, Serbien zu verlassen. Aus diesem Grunde

Aber vielleicht ist sie der Auffassung geworden, daß es für die Sow­letunion politisch gänzlich gleichgültig ist, was das Berliner Kom muniſtenorgan tut oder unterläßt..

Tschitscherin bei Stresemann . Stresemann und Tschitscherin find in Baden- Baden zusammengetroffen. Während der deutsche Außenminister bereits nach Berlin zurückgekehrt ist, wird der ruffische morgen auf seiner Rückreise nach Moskau hier eintreffen.

Der neue Saarpräsident- von Stresemann ernannt. Genf , 8. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Ernennung des englischen Diplomaten Sir Ernst Wilton zum Präsidenten der Saarregierung ist heute vom Völkerbundssekretariat offiziell bekannt gegeben worden.

Der Bölterbundsrat hatte im März beschlossen, den Nachfolger des Kanadiers Stephens von dem amtierenden Ratsvorsitzenden ernennen zu lassen. Da es vor der Junitagung gelungen ist, einen geeigneten Nachfolger zu finden, hat also der Reichsaußenminister die Ernennung vollzogen.

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ners Djurastowitsch durch bei der Hausfuchung aufgefundene Papiere vollständig gerechtfertigt sei. Die Forderung des jugofla wischen Geschäftsträgers auf Freilaffung des Berhafteten erscheine der albanischen Regierung als ungerechtfertigt, da fie niemals albanischen Regierung als ungerechtfertigt, da sie niemals von irgendeiner amtlichen Eigenschaft des Djuraskowitsch unter richtet worden sei. Selbst wenn das der Fall gewefnn wäre, tönne ein albanischer Staatsangehöriger im Dienste einer Gesandtschaft in Tirana in feiner Weise Immunität und Erterritorialität für seinen privaten Wohnsitz geltend machen. Jedoch sei die albanische Regie: rung auf die dringlichen Vorstellungen des jugoslawischen Geschäfts: trägers hin entschlossen gewesen, die Angelegenheit in entgegen. trägers hin entschloffen gewesen, die Angelegenheit in entgegen kommendster Weise zu prüfen. Trotzdem habe der südjla wische Geschäftsträger am 31. Wai an das albanische Außenministe rium ein heftiges Protestschreiben gerichtet, in dem die Haltung der albanischen Regierung als brutal und gegen das internationale Recht verstoßend bezeichnet wurde. Die albanische Regierung habe den füdslawischen Geschäftsträger darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Brief die verföhnlichen Absichten der albani­ schen Regierung nicht fördern könne. Die albanische Regierung habe alle ihre Bemühungen darauf gerichtet, die Regierung in Belgrad von der Notwendigkeit der Milderung der in dem Briefe vom 31. Mai gebrauchten Ausdrüde zu überzeugen, von welcher Milde rung fie die fofortige Freilaffung des Berhafteten ab. hängig machte. Nach mehrtägigen Bemühungen haben wir die schmerzliche lleberraschung erfahren, als Ergebnis der Unnachgiebig. feit der Regierung von Belgrad das Ersuchen um Zustellung der visierten Bässe für den Geschäftsträger und das Personal der Gesandtschaft in Tirana zu erhalten."

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fönne auch vorläufig eine Attion des Bölterbundes nicht Konflikt in der Labour Party Australiens .

Der Ministerpräsident Lang ausgeschlossen. London , 8. Juni. Eigener Drahtbericht.) Die bereits viele Monate dauernde Krise innerhalb der australischen Arbeiterpartei hat nunmehr mit dem Ausschluß des Ministerpräfi denten von Neu- Südwales, Lang, und einiger seiner Ministerkollegen ihren Höhepunkt erreicht.

in Frage fommen. Die albanische Regierung habe zwar in Genf gegen das Borgehen Serbiens protestiert, die diesbezügliche Mote enthalte aber feinerlei Ersuchen, um eine Intervention des Völkerbundes daraufhin zu veranlassen. Als geeignetste Methode zur Beilegung des Zwischenfalls wird hier eine Vermittlungs attion der Großmächte bezeichnet, und in unterrichteten Kreisen versichert man, daß die französische Regierung bereits am Dienstag ihren Gesandten in Belgrad mit einer diesbezüglichen Der Gesamtvorstand der australischen Arbeiterpartei hat ein Mission beauftragt hat.

Manifest erlassen, in dem es heißt, daß Lang durch anmaßende und Es scheint also, daß der Bölferbund sich auch diesmal tiftatorische Gewaltmaßnahmen zum Verräter an der Arbeiterbewe wieder nicht mit den Zuständen auf dem Balkan beschäftigt. Dergung geworden ist. Die bevorstehenden Neuwahlen in Neu- Süd­Grund hierfür ist in der kategorischen Weigerung Italiens , wales werden also zwei verschiedene Gruppen der Arbeiterpartei in Genf das Adriaproblem und im Busammenhang damit den im Wahlkampfe sehen, die offizielle der australischen Arbeiterpartei schwierigen Kompler der italienisch- jugoslawischen Streitfragen auf- und die stark unter kommunistischem Einfluß stehende Gruppe, welche werfen zu lassen, zu erblicken. unter Führung des Ministerpräsidenten Lang steht und in den ört lichen Gewerkschaftskartellen ihre Stützpunkte hat. Lang hatte die gegenwärtige Regierung seinerzeit mit der ausgesprochenen Absicht auf den verstärkten Einfluß der Radikalen gebildet, um den Streit innerhalb der Partei zum offenen Rampf zu treiben und die Entscheidung in einem Wahlkampf zu suchen

Albanien schildert, wie Südflatvien den Bruch vollzog Genf , 8. Juni. ( WTB.) Die albanische Regierung erklärt in dem an den Bölferbund gesandten Bericht, daß die Verhaftung des an der fübflawischen Gesandtschaft als Dolmetscher tätigen Alba

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Der Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Justiz ist in der deutschen Republik so gewaltig geworden, daß ihm mit der Reform des Strafgesetzbuches allein nicht beizukommen ist. Rechtsempfinden des Volkes und den Methoden unserer Rechtspflege deutlicher, als in Prozessen mit sozialem und politischem Hintergrund. Bei Betrachtung der politischen Pro­dem Ergebnis, daß gegen Rechts und Links nicht gleiches Recht effe in Deutschland seit 1919 fommt man immer wieder zu gesprochen wird. In den meisten politischen Prozessen wird gegen Angeklagte, die Republikaner , Pazifiſten, Sozialdemo­traten oder Kommunisten sind, mit rücksichtslosester Schärfe oorgegangen, fie bekommen die ganze Schwere veralteter Ge­feße zu fühlen und oftmals ergehen gegen sie die unhaltbarsten Urteilssprüche. Ganz anders, wenn ein politisch rechts ge­richteter Angeklagter vor Gericht steht. Alle Möglichkeiten einer Freisprechung werden herausgetüftelt, die strafmildern­den Momente liebevoll ergründet und angewandt. Selbst ver­abscheuungswürdige Roheitsdelikte, ja Mordtaten, finden bei manchen Richtern verständnisvolle Milde. Das Gericht weiß die Tat zu entschuldigen und gießt die ganze Fülle seiner Gnadenſonne über den nationalen" Sünder aus. Man er­innere sich nur an die Fememordprozesse.

Der Angehörige irgendeiner vaterländischen" Organisation, Auf der gleichen Linie liegt die Behandlung der Zeugen. der ehemalige Offizier, überhaupt jeder ,, national" drapierte Beuge ist der vollkommensten Höflichkeit in der Behandlung durch das Gericht sicher, seine Aussagen werden vollgewichtig gewertet. Aber der linfs stehende Beuge, der Reichsbanner­mann, der Gewerkschaftler, Sozialdemokrat und Kommunist ist von vornherein verdächtig; er wird entsprechend behandelt und seine Aussage erfährt eine Würdigung, die der Einschäzung des Zeugen durch den Richter entspricht. Daß auch bei Schöffen­und Schwurgerichten so verfahren werden kann, liegt an der Methode der Auswahl der Laienrichter, bei der größte Willkür herrscht.

Es handelt sich hier keineswegs um Einzelfälle. Im Gegenteil. Es sind Ausnahmen, wenn in politischen Prozessen Angeklagte und Zeugen anders behandelt werden. Daran trägt nicht unser veraltetes Strafgesetzbuch die Schuld, sondern unsere Richter, die ihre alte, aus dem Obrigkeitsstaat überkommene Dentweise, gegründet auf Erziehung und gesellschaftliche Tra­dition, unter völlig veränderten politischen Verhältnissen heute noch in der Rechtsprechung politisch betätigen können. Die Wellen der Revolution, die immerhin einiges Alte weggespült haben und die Möglichkeiten zum politischen Aufstieg der Ar­beiterklasse schufen, reichten nicht bis hinauf zur Höhe des Richtertisches. Das Justizwesen blieb unverändert im innersten Kern. So mir ist es immer noch möglich, daß sich die reaktio­nären Anschauungen vieler Richter in politischen Tendenz­urteilen gegen Republik und Republikaner austoben fönnen. Es sei nur an das vor einigen Tagen ergangene Spandauer Urteil gegen den Oberamtsanwalt Graf Lufi erinnert. Dieser nationale" Herr durfte den verstorbenen Reichspräsidenten Ebert schmähen, fonnte die Republit als Mostrichrepublik" freige­beschimpfen und wurde selbstverständlich

sprochen.

Es soll hier darauf verzichtet werden, ähnliche und schlimmere Fälle aufzuzählen. Aber auf eine verdienstvolle Arbeit sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. Die Deutsche Liga für Menschenrechte hat dem Reichsjustizministerium und den Justizministern der Länder eine Dentschrift über die politische Justiz zugehen lassen. Die Denkschrift ist als Buch erschienen unter dem Titel: Das Zuchthaus als politische Waffe.- Acht Jahre politische Justiz."( Verlag Hensel u. Co., Berlin W.) Dies Buch will ein Kampfmittel fein für die Ge­rechtigkeit, und das ist es in hohem Maße. Hier wird nicht fritisiert aus Freude am Tadel. Tiefernster, ehrlicher Wille, dem Justizunrecht zu steuern, ist hier am Werte. Das Buch verzichtet auf billige Schlagworte und langatmige Anklagen. Aber wertvolles Material gegen die politische Justiz bringt es,

Material, das auch die Gleichgültigsten aufrütteln muß. Des­halb wird das Buch eine wichtige Waffe sein für alle, die im Tageskampf gegen Justizunrecht und willkür streiten. Justiz­tabellen und vergleichende Gegenüberstellungen von Urteilen gegen Rechts und Links bei ähnlich gelagertem Sachverhalt geben ein plastisches Bild von der Rechtsungleichheit in der Republik . In der reichen Materialsammlung, die dieses Buch bietet, findet wir alle großen Justizskandale der letzten Jahre wieder: den Prozeß des verstorbenen Reichspräsidenten bert, den Fall Ha as- Magdeburg, die Prozesse gegen den Oberbürgermeister Luppe, gegen Loeb, gegen Stoelzel Einen großen Teil anderer Prozesse, die ebenfalls nichts anderes bedeuten, als Verfolgung von Republi­tanern. Wir finden, übersichtlich geordnet, Freisprüche wegen Befchimpfung der Reichsfarben und der Republik , Prozesse gegen das Reichsbanner, Hoch­verratsprozesse, die feine sind, solche, in denen die Gesinnung bestraft wird, die literarischen Hoch­verratsprozesse und dann die Flut der großen Landesverratsprozesse, die sich geradezu zu einer