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Nr. 268 44. Jaheg. Ausgabe A nr. 137

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Donnerstag, den 9. Juni 1927

Warschau erwartet keinen Bruch.

Die Voruntersuchung abgeschlossen.

Warschau , 8. Juni. ( DE) Die polizeilichen Er­mittlungen gegen den Mörder des Gesandten Wojkow, Kowerda, find abgeschlossen. Der Attentäter gibt an, feinerlei Komplicen zu haben und völlig allein aus indeellen Motiven der Gegnerschaft gegen die Sowjetregierung gehandelt zu haben. Der Prozeß wird auf Beschluß der Regierung den ordentlichen Gerichten übergeben. Infolgedessen wird die Familie des Er­mordeten als Nebenklager zugelaffen werden. Die Frage, ob der Forderung der Sowjetregierung nach Teilnahme an der Untersuchung und dem Berhör entsprochen wird, bleibt noch

offen. Die Schärfe der Note Litwinows wird in der Warschauer Preffe viel tommentiert. Jedoch wird ein Bruch mit Rußland nicht befürchtet, dagegen aber eine längere und dauernde Berschlechterung der Beziehungen, die als unvermeidlich

erscheint.

Emigrantenverhaftungen in Polen .

Warschau , 8. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Auf Ber­anlassung der polnischen Regierung haben die Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Ermordung des russischen Bertreters in Warschau eine ganze Reihe von russischen Emigran. ten verhaften und in ihren Wohnungen Haussuchungen vornehmen laffen. Es handelt sich insbesondere um prominente Persönlichkeiten aus den russischen Monarchistentreifen. Ein Nachweis dafür, daß sie mit dem Attentäter irgendwie in Berbin. dung stehen, ist bisher nicht erbracht.

Wojkows Familie als Nebenkläger.

wie dies bereits in der Note angedeutet wurde, die Sowjetregie rung von Polen ein scharfes Vorgehen gegen die russischen weiß gardistischen Elemente verlangen wird. Da der Attentäter Sowerda Weißrusse ist, so dürfte die Sowjetregierung auch Maß­nahmen gegen die sowjetfeindlichen weißrussischen und ukrainischen Organisationen in Bolen fordern. Der Umfang dieser Forderungen wird sich natürlich erst nach dem Ergebnis der Untersuchung herausstellen. Doch erwecken die Meldungen über das bisherige Verhalten Bolens den Eindruck, daß die polnische Re­gierung bereit sein wird, den berechtigten Forderungen Rußlands

entgegenzukommen.

In Moskau finden inzwischen Demonftrationen gegen die polnischen Söldner Englands" statt. In vielen Arbeiterver­fammlungen find Entschließungen gefaßt worden, in denen die Res gierung aufgefordert wird, volle Genugtung von Polen energisch zu verlangen.

Unfreundliche Kommentare in London . London , 8. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) In offiziellen Londoner Kreisen wird der Zusammenhang in der russischen Note zwischen der Ermordung des russischen Gesandten Wojkow und der Haltung der britischen Regierung gegenüber Rußland als eine lächerliche Konstruktion" bezeichnet. Die ersten vorliegenden bürgerlichen Pressestimmen betonen mit auffallender Uebereinstimmung, daß die Berson des Ermordeten wegen seines Zusammenhanges mit der Hinrichtung des russischen 3aren feinerlei Sympathie be­anspruchen bürfe. Die auf dem rechten Flügel der Konservativen meiteres, Anzeichen der Welt reaftion gegen den Partei stehende Evening News" sieht in der Ermordung ein Belt sei. Bolschewismus, welches ein Zeichen der Wiedergesündung der

Polens Außenminister fährt nach Paris und Genf . Warschau , 8. Juni. ( DE) Der polnische Außenminister Balesti ist heute von Barschau nach Genf abgereist, um an der Juni­session des Bölkerbundrates teilzunehmen. Er reist über Baris, mo Besprechungen mit Briand stattfinden sollen. Bekannt­lich hat der Pariser polnische Botschafter Chlapowsti vor einigen Der Daily Herald" nennt in seinem Leitartikel vom Tagen bei Briand in der Angelegenheit der deutschen Osthoffen, daß Rußland angesichts dieses neuen Zwischenfalles diefelbe Donnerstag morgen den Mord eine Provokation. Es sei jedoch zu befestigungen norgesprochen. Einen längeren Aufenthalt ge­denkt Zaleski in Paris nach seiner Rückkehr aus Genf zu nehmen, Selbstbeherrschung bewahre wie bei den Vorkommnissen in um u. a. an den Feierlichkeiten anläßlich der Ueberführung der Leiche Slowactis nach Polen teilzunehmen.

Moskau will das weißrussische und ukrainische Problem aufrollen.

Mostau, 8. Juni. ( DE.) In Mostauer politischen Kreisen wird geäußert, daß der relatio maßvolle Ton der Note Litwinows an die polnische Regierung nicht darüber hinwegtäuschen soll, daß die Sowjetregierung die Ermordung ihres Warschauer Gesandten Wojtow als einen sehr ernst en 3wischenfall betrachtet, und zwar weniger als rein russisch- polnische Angelegenheit, sondern vie!- mehr als eine Lat, die im engen Zusammenhang mit der eng lischen, Rampagne gegen Rußland steht. Ueber die weiteren Schritte der Sowjetregierung, die sich Litwinow in seiner Note aus. drücklich vorbehalten hat, verlautet vorerst erklärlicherweise nur wenig. Vorläufig drehen sich die Erörterungen um die Teil­nahme der Sowjetgesandtschaft an der Borunter fuchung der Mordangelegenheit. Es ist auch zu erwarten, daß,

Der Balkan vor dem Völkerbund. Ein französischer Schritt in Belgrad erfolglos geblieben. Paris , 8. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Der Optimismus, den man hier bisher in der Beurteilung des neuen jugoslawisch­albanischen Konflikts zur Schau getragen hat, hat der Entwicklung der Dinge nicht standgehalten. Nach den aus Belgrad vor­liegenden Nachrichten scheint die am Dienstag von dem franzöfifchen Gesandten im Auftrage feiner Regierung unternommene De­marche erfolglos geblieben zu sein. Die von den fran­marche erfolglos geblieben zu sein. Die von den fran­zöfifchen Sozialisten angekündigte 3nterpellation zeigt, daß man in den hiesigen Linkskreisen mit der Haltung der eigenen Regierung in der Angelegenheit wenig zufrieden ist. Man macht ihr zum Vorwurf, daß sie Mussolini Vorspann­dienste leiste, indem sie durch ihre in Belgrad unternommene diplomatische Offensive eine Befaffung des Völkerbundes mit dem Streitfall habe verhindern wollen. Auch in den Blättern der Linken macht sich starke Verstimmung über diesen neuen Ver­schleppungsversuch bemerkbar und einzelne Blätter geben der füd­flawischen Regierung sogar den Rat, fich unbekümmert um die Auf­faffung der einzelnen intervenierenden Großmächte zu entschließen, in Genf vor dem Bölkerbund den Gesamtkompleg der jugoslawisch- albanischen Streitfragen aufzurollen.

In den diplomatischen Kreisen nimmt die Beunruhigung über den serbisch- albanischen Konflitt um so mehr zu, als auch diesmal Italien wieder als der treibende Faktor der albanischen Bolitit in Erscheinung tritt. Wenn es noch eines Beweises für das von Italien hinter den Kulissen getriebene

Beting.

Paris verurteilt die Tat und Moskaus ,, innerpolitische Manöver".

Paris , 8. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die französische Presse ist einmütig in der Verurteilung der Ermordung des russischen Gesandten in Polen . Es dürfte der hier vorherrschenden allgemeinen Stimmung entsprechen, wenn der Temps" am Mittwoch schreibt: Die scheußliche Tat, für die es feinerlei Recht fertigung gibt, wird sich notwendigerweise gegen die Sache tehren müssen, der der Mord habe dienen wollen."

Die Note Litwinóws wird im allgemeinen als absurd be zeichnet. Man sieht in dem darin unternommenen Versuch, das Warschauer Attentat als Ausfluß eines internationalen gegen die Sowjetdiplomatie gerichteten Komplotts hinzustellen, ein reines innen politisches Manöver, dazu bestimmt, die Massen gegen das Ausland aufzupeitschen und so die schweren Mißerfolge vergessen zu machen, die die Sowjetdiplomatie in den letzten Mo­naten erlitten hat.

Spiel bedurft hätte, so fann er in der Tatsache erblickt werden, daß die von der albanischen Regierung an den Bölkerbund gerichtete Note dem italienischen Ge= wird von der italienischen Regierung sowohl in London wie sandten in Tirana zum Verfasser hat. Gleichzeitig in Paris ein scharfer Druck ausgeübt, um eine offizielle Be­faffung des Bölkerbundes mit dem Streitfall zu verhin Absicht gehabt, die Vermittlung des Völkerbundes anzurufen. bern. Die jugoslawische Regierung hat von Anfang an die Sie hat dies bereits zu Anfang der Woche der französischen und englischen Regierung mitgeteilt, und um deren Zustim mung zu diesem Schritt ersucht. Sie hat bisher aber weder von Paris noch von London Antwort erhalten.

Der Aegyptenkonflikt verschärft sich. London verlangt bindende Zusicherungen. London , 8 Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die britische Re­gierung hat an den britischen Oberfommiffar von Aegypten , Cord Clond, Instruktionen bezüglich seines weiteren Verhaltens ergehen laffen, die, soweit fie bekannt geworden find, in den Kreisen der Arbeiterpartei schwere Befürchtungen hervorgerufen haben. Nach diesen Informationen ist Cord Lloyd von der britischen Re­gierung beauftragt, der ägyptischen Regierung in jeder ihm gutdüntender Form" mitzuteilen, daß Großbritannien von Aegypten bindende Zusicherungen hinsichtlich der Durch­führung der von London geforderten Umorganisation der ägyptischen Armee verlangt und darauf besteht, daß geeignete Maßnahmen ge­troffen werden, die jeden politisgen Einfluß auf die ägyptische Armee ausschließen,

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Die Brücke über die Weltteile.

Lehren des Ozcanfluges Chamberlins.

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So groß die Leistung der Ueberquerung des Ozeans mit dem Flugzeug ist, so wichtig die Fortsetzung des Fluges bis Tatsache des ersten Passagierfluges von New York nady in das Herz des Kontinents hinein war, so start schließlich die Deutschland auf alle wirken mußte, die den Anflug Chamber lins erlebten nicht die einzelne Tat als solche iſt es, die jedem kritisch Denkenden die volle Bewunderung ent­lockt. Es bedeutet teine Schmälerung des Ruhmes, den jetzt Chamberlin nach Lindbergh erwarb und der andere kühne Piloten zu fortgesetzter Steigerung der Leistung anspornen wird, wenn man weniger ihren Reford als das Bahn­brechende des ganzen Unternehmens in den Vordergrund

ſtellt.

nur die drahtlose Nachricht, die erst vor wenigen Jahrzehnten Es gibt heute teine Trennung der Weltteile mehr. Nicht die Weltteile in unmittelbare Berührung miteinander brachte, nicht nur der langsame Schiffsverkehr führen jezt über die großen Meere. Die Luft ist mit Chamberlins Tat zum ersten Male dem Passagierflug des Aeroplans über riesige Entfernungen erschlossen worden; technisch war diese Tat unvergleichlich viel schwieriger als seinerzeit der Ozeanflug des Zeppelinluftschiffes 3R. III. Der einzelne Mann faß am Steuer und trug für den ganzen Flug die volle Verantwortung. Er hat gezeigt, daß der Flug zu meistern ist, und es werden ihm bald andere folgen, die versuchen werden, mit noch größeren Flugzeugen den gleichen oder den umgekehrten Weg über das Meer anzutreten. Der Mann, der sich am Sonnabend im Straßenanzug in New York in die Flugtabine begab, tritt zwei Tage später irgendwo in Deutschland wieder heraus. Der Weg von dem zwischenlandungsplatz Rottbus nach Berlin heute nicht wesentlich viel mehr Zeit als die, die der durch erfordert menn er ohne Nebenfahrten gemacht wird schnittliche Berliner Arbeiter braucht, um mit normalen Ber­tehrsmitteln zu seiner Arbeitsstätte zu fahren. So schrumpfen die Borstellungen von räumlicher und zeitlicher Entfernung am Montag vom Flugplatz, vom Fenster oder vom Häuserbach zusammen. Und die Massen, die bei der Ankunft Chamberlins aus den fühnen Flieger inmitten des Geschwaders heran­tommen fahen, die ahnten wohl durchweg die Größe dieses Augenblicks, der mit der einzelnen Leistung eine faum geahnte Zukunft, eine gewagte Utopie zur vollendeten Tatsache machte.

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Und an diesem Zukunftsbau arbeitet eine raftlose Mensch­heit weiter. Technit, Kapital, Staatenorganisation und Sport­interesse finden sich zusammen, um die Luftfahrstraße dem allgemeinen Verkehr über Meere und Welten hinweg nutzbar zu machen. Hier zeigte das erste Experiment in Deutschland noch einige Mängel. Daß der Flieger, von der Grenze her fommend, sein Ziel, die Reichshauptstadt, verfehlen konnte, ist nicht allein auf das schlechte Wetter zurückzuführen. Ein Mangel war das Fehlen einfacher und zuverlässiger Karten, auf deren Schaffung und internationale Verbreitung hin­gewirkt werden muß. Dann aber wird die Frage zu prüfen sein, ob die Lichtsignale für unsichtiges Wetter, wie es während des Deutschlandfluges Chamberlains herrschte, zu­reichen und ob es nicht möglich ist, die wichtigsten Wegftreden deutlicher zu markieren. Das hätte dem Flieger vielleicht Umweg und Notlandungen erspart. Auch die Frage wäre zu prüfen, wie man bei ähnlichen Anlässen besser vorsorgen kann, um dem Führer des fremden Flugzeuges Begleitmaschinen zur Verfügung zu stellen.

Am auffallendsten aber ist, daß die amerikanischen Flieger schiedene deutsche Landesteile flogen, zeit­am Montag mehr als fünf Stunden durch ver­meilig fogar sehr niedrig, ohne daß an dem Berliner Zentral flughafen eine positive Nachricht davon zu erhalten war. richtenstellen der Polizei wie des Luftverkehrswesens wie auch Dabei fann man als sicher annehmen, daß sowohl die Nach­das Privatpublikum durch Zeitungs- und Funkmitteilungen auf das große Ereignis vorbereitet waren und gern ihre Hilfe zur Verfügung gestellt hätten. Aber es ist ja ganz unzweifelhaft, daß gerade das Flugzeug Chamberlins bei trübem Wetter sehr leicht mit deutschen Flug= zeugen zu verwechseln war, bie bereits am Montag vormittag den Verkehrsdienst versahen. So mag es gekommen sein, daß einzelne Mitteilungen aus Braunschweig und Hildesheim mit Recht als fragwürdig angesehen wurden, weil man nicht wußte, ob nicht irgendein anderes Flugzeug gemeint war als das des Amerikaners. Selbst dem deutschen Tsingtaufieger Günther Plüschow ist es ja passiert, daß er bei einem Erkundungsflug eine deutsche Maschine mit der ameri tanischen verwechselte. Wieviel mehr mußte bas erst der Fall sein bei dem Privatpublikum, das die Unterschiede der einzelnen Flugzeugkonstruktionen so gut wie gar nicht tennt.

Chamberlins Flug war ein Erperiment. Will man, daß folche Experimente erfolgreich verlaufen, so wird man auch dafür sorgen müssen, daß alles geschieht, um die Wagniffe zu vermindern. Die Erfahrungen mit dem Kreuz- und Querflug Chamberlins in Deutschland zeigen mm, daß es sehr wichtig