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Rosa Himmelfahrer. Von Gottfried kölwel . Der Bankprokurist Leo Mantelsack, der aus München für einige Zeit noch Schrotlstodt gekommen war, um eine hier errichtete Bank. filiale zu revidieren, Halle schon gleich zu Ansang seines Aufenthaltes in der kleinen Stadt grosse Langeweile verspürt, des Abends, nach einem kleinen Gang um den von uralten Alleebäumen bestandenen Stadt wall, wo er beim Anblick grauer und stiller Mauern ebenfalls wenig Kurzweiliges empfand, Zuflucht in das neuerbaute, in der giebeligen chauptstroße gelegene Cafe genommen und sich dost bei einem Zitherkonzert in einer leeren Sofanische dem Wein ergeben. Der weite, doppelt eingedrückte chut saß chm, als er nach Einbruch der Polizeistunde das Lokal oerließ, auffallend lief im Nacken und der lange Gabardinemontel, der mit einem jugendlichen Gürtel ver- sehen war, sowie die vorne sehr spitzen und an den Absätzen über» aus breiten Halbschuhe verliehen ihm trotz des manchmal schwanken. den Ganges noch immer einen unternehmenden Eindruck. Heiter schwang Leo den mit einem Silberknopf geschmückten Stock in der Hand und begann,'wie er so an dem immer plätschernden Stadt» brunnen vorbei auf dem zieinlich holperigen Pflaster im Schein spärlicher Lampen dahinging, vor sich hin zu singen:„Was kommt dort von der Höh'?" Dabei sah er bald links, bald rechts zu den dunklen Fenstern empor, ob ihn nicht etwa ein Mädchen höre: doch wurde nirgends hinter den Scheiben ein Licht wach, und kein Reiber tat sich auf. Denn die weibliche Welt von Schrottstadt gilt als tugendhaft, und wehe derjenigen, die es vor ihrer Nachbarin wogen sollte, das alte Gesetz öffenllicher Sittsamkeit zu durchbrechen. Leo Mantelsack verstummt« deshalb bald wieder und bog in die von der Hauptstraße abzweigend« Schlossergasis ein, wo er sich auf Anraten seines Vorgängers bei einer älteren Lokomotivführerswitw« im ersten Stock des gegen die Stadtmauer zu gelegenen Eckhauses eingemietet hatte. Zieinlich umständlich zog er den großen Tür- scblüssel, wie solche zu Schrottstadt meist üblich sind, aus der Tasche, um aufzusperren. Wie erschrak er, als er nach mühseligem Suchen im Schlüsselloch endlich die Tür geöffnet hatte und ahnungslos in den dunklen Hausgong eintrat.—„Du Lump! Du Taugenichts! Nur saufen und das Geld vertun! Und wer weiß, was noch!" Solch« und ähnliche Wort« flogen ihm wie Steinhagel aus der Finsternis entgegen. Leo lehnte sich atemlos an die kühle Mauer des Ganges , er konnte sich nicht erklären, wer sich wider ihn verschworen hätte, ihm für sein langes Ausbleiben die Leviten gar so eindringlich zu lesen, kannte er doch niemand hier, war niemand Rechenschast schuldig über sein Verhalten, und eine eifersüchtige Braut aus der Hauptstadt konnte auch nicht plötzlich zugereist sein, weil er ja, schwärmend für lockeres Leben, sich nie in feste Verhältnisse begeben hatte. Also zog er, da dos Schimpfen nicht aushören wollte und sich die merkwürdigen Kosenamen immer mehr übersteigerten, das kurze Wachskerzlein, dos er sich für die Treppenbeleuchtung einge» steckt hatte, aus der Westentasche, griff nach der Zündholzschachtel im Mantel und machte Licht. — Obgleich der verkrüppelte Kerzen» dacht nur langsam anglühte und das Flämmchen sich nur allmählich streckte, so entging dem angehesterten Junggesellen doch nichts von allem, was plötzlich sichtbar wurde, so klar und nüchtern waren seine Augen durch das Vorgefallene wieder geworden. Vor der offenen Tür der zu ebener Erde gelegenen Wohnung stand eine Frau, mit nichts als einem langen Nachthemd bekleidet, das ihr vom eng geschlossenen Hals bis zu den Knöcheln wie ein weißer Tugendmantel niederhing und nur die breiten Füße und auffallend kurz geschnittenen Zehennägel sehen ließ. Ihr Haar war aufgelöst und fiel in wirrer dunkler Flut über den Rücken. Doch gewahrte Leo, daß sie noch ziemlich jung war. und seine Augen hefteten sich um so mehr an sie, als sie aus plötzlicher Scham das weite Nacht- yemd an sich zog.—„Ach, Sie!" sagte sie mit einem Male sehr ver» legen und mit fast tonloser Stimme:„Nein, so eine Verwechse- lung!"— Es war die Frau des Pelzmachers Jakob Himmelfahrer, die ihren Mann erwartet und in der Finsternis ihrem Unwillen freien Lauf gelassen hatte. Jedermann wird nun denken, Frau Rosa Himmelfohrer wird sich, wie es sich für die ehrsame Frau eines Pelzmachers geziemt, so schnell wie möglich zurückgezogen haben. Das tat sie auch wirklich, wenigstens bis hinter den Pfosten und sagte:„Sie wohnen doch bei Frau Maier oben? Es ist mir das Vorkommnis so zuwider." Leo Mantelsack hörte daraus gleichsam die Worte tönen: Er werde den Vorfall doch nicht an die große Glocke hängen!— Deshalb zog er galant den Hut, verneigte sich leicht und erwiderte:„Sie dürfen beruhigt sein, niemand wird etwas erfahren. WenMich von all dem erzählen wollte, was ich schon erlebt habe----T Vielleicht trug gerade dies« abgebrochene Rede dazu bei, daß in ver Frau des Pehz» machers plötzlich eine heimliche Neugier auswacht«. Sie blieb, wenn auch fest hinter den Pfosten gedrängt, noch immer stehen und sagte: „Man hört ja soviel jetzt, wie es in München zugeht. Do wird man freilich manches erzählen können." Leo Mantelsack, der heim- lich darüber verwundert war, daß sich die Frau eines Schrottstädter Bürgers im Nachthemd mit ihm in ein längeres Gespräch einließ, sah sie nun mit scharfen und musternden Augen an. Plötzlich, wie ein Abenteuer witternd, äußerte er:„So eine junge Frau wie Sie würde sich bei uns in der Stadt natürlich nicht von einem be- trunkenen Mann vernachlässigen lassen."— Nicht ohne sichtlichen Schrecken hatte Frau Rosa bemerkt, wie der fremde Mann einige Schritte auf sie zugekommen war. Deshalb streckte sie ihm ab- webrend die Hand entgegen und lauerte aleichzeitig nach allen Seiten, ob kein Lauscher in der Nähe sei. Leo Mantelsack senkte das Wachs» kerzlein so geschickte beifeit«, daß es ringsum düster wurde. Hier- auf erwiderte er:„Haben Sie keine Angst. Ein Kavalier muh wissen, daß eine züchtige und ehrbare Frau, noch dazu in diesem Städtchen hier, das Dunkel als Zudecke braucht." Diese Worte schienen ihr offenbar gut zu gefallen, denn sie hielt ihre Augen un» verwandt auf Leo gerichtet, und nachdem sie eine Weile auffallend geschwiegen hatte, erschrak sie eingentlich gar nicht mehr so recht. als der nächtliche Gast abermals einige Schritte auf sie zumachte. Er lehnte sich an die Außenseite des Pfostens, so daß sein vor» gebeugtes Gesicht dem ihren immer näher kam, und spürte bald darauf einen warmen Hauch auf sich zukommen.„Was für eine schöne Frau Sie sind!" äußerte er mit sehr verhaltener und«in» schmeichelnder Stimm«.„Ihr Hals, wie, wenn ihn ein Bildhauer gemeißelt hätte." Doch da erschrak Leo plötzlich: rings um ihn war es mit einem Male stockfinster geworden. Er hatte gerade noch Rosas vorgebeugte Gestalt gesehen, ihre schwellendes Lippen, und so wußte er: sie hatte ihm die Kerze ausgelöscht. Nun trat zunächst verlegenes Schweigen ein, und es war, als charte jedes, wer zuerst sprechen werde. Endlich fand Leo den Ton.
„Wie soll ich nun den Weg durch das dunkle Haus in mein Zimmer hinauffinden?" fragte er. Doch aus dem Dunkel kam ihm kein« Antwort entgegen. Gespannt lauschte er, ob sich auch nicht Rosas Schritt bewegte oder die Tür plötzlich zugemacht werde, hörte aber weder das Knarren der Angeln noch das Knacken des Schlosses. Wie ein undurchdringlicher Vorhang hing dos Dunkel vor ihm. Da spürte er langsam etwas Warmes an seine Hand herankommen. Gleich darauf merkte er, wie sich die Finger der Frau um die seinen legten, und schon hörte er auch das Flüstern ihrer Stimme:„Sie werden also ganz bestimmt nichts sagen von allem?"— Er habe es ihr doch schon einmal beteuert, erklärte er, und betonte, daß das Versprechen:„Ein Mann, ein Wort!" nirgends mehr Geltung haben solle als hier. Und nun geschah das selbst für den Abenteurer
Der Spanöauer Zreispruch.
(ver Oberamlsanwalt Graf Lust, der in einem Streit mit Hausgenossen sich schwere Leleidigungen der Repuviit hatte zuschulden kommen lassen, wurde vom Schöffengericht Spandon sreiqesprochen,.weil die veleidigungen in de, eigenen wohnuna, also nicht- öffentlich, ausgesprochen worden seien'.)
Daraus ergibt sich: ftimmt er den Mund voll, ist er eine nichtöffentliche. nimmt er die Taschen voll, ist er eine öffentliche: Person!
Leo Mantelsack kaum Faßliche. Er merkte, wie die Hand der Bürgersgattin, die zu Anfang wie im Tugendmantel vor ihm ge standen hatte, an seiner Hand leicht zu ziehen begann. Er möchte sich nicht an der Schwelle stoßen, flüsterte sie, schloß dann vor sichtig die Tür hinter ihm, macht« ihn auf den Kleiderständer im Gang, auf jede Sttife aufmerksam, bis sie, mit ihm wie vor einer Wand angekommen, wieder verstummte. Er griff vor sich hin, wo er sich befände, und plötzlich erkannte er, daß er in ihrem Schlaf- zimnier angelangt sei. Vorsichtig, um keinen Lärm zu machen, um- sing er die Frau und wollte sie an sich ziehen. Wider alles Er- warten aber merkt« er deullichen Widerstand und als dabei eine ver- legene Still« eintrat, in der Leo eigentlich nur sein Herz schlagen hörte, sagte Rosa plötzlich:„Sie dürfen nicht meinen, daß ich etwas Unrechtes will. Ich bin doch oerheiratet." Alsdann al>«r brach sie in jähes, hörbares Schluchzen aus. Sie weinte so sehr, daß man förmlich das Schüttern ihres Körpers zu oernehmen glaubte, und ihre Glieder zuckten, gestoßen von innerer Not.(Schluß folgt.)
Muf öem Vorbalkan. Souderbericht für den„vorwärts" von Richard vernfleln. Dubrovnik (ehemals Ragusa ), Ende Mai. Der Weg nach Belgrad über Budapest ist kürzer, ober es ist Geschmacksache, ob man den Boden des heutigen Ungarn betreten will, ebenso wie man Dalmatien bequemer über italienisches Gebiet erreichen kann, aber nicht jedermann das Bedürfnis hegt, Faschisten als Staatsorgane zu sehen und die Kasse eines solchen Reiches mit hohen Visumgebühren zu füttern. Für meinen Teil wollte ich diesmal meine bisher auf Tschechen, Polen und russische Emigranten oder Gäste im Ausland beschränkte Kenntnis vom Slawentum durch einen Besuch in Südslawien erweitern, und so überfuhr ich die Grenze dieses jungen Reiches an ihrem nördlichsten Punkt, bei dem noch stark deutschen Marburg an der Drau in Untersteier- mark. Da ist man natürlich noch vollkomnien in Mitteleuropa , sogar im schönsten Voralpengebiet mit sattgrünen Tälern und sanft an- steigenden Höhenzügen, an denen ein trefflicher Wein wächst und auch schon reichlich Mais gebaut wird. Es war gerade Sonntag- vormittag, �als wir auf den deutschen Kalvarienberg hinaufgingen. Unten im Ztadtpark spielte eine Militärkapelle. Alsbald erkannte ich, was sie spielte: Ein Potpourri alliierter Nationalhymnen, höchst- wahrscheinlich noch aus der Kriegszeit. Denn wie käme sonst„Lore Zara cliravii*(Gott schütz« den Zaren) hinein, dos doch seit lS17 jeden Sinn verloren hat? Im törichten Ueberschwang des Nationa- lismud hat man den Marburger Deutschen ihr Stadttheoter genom- men, spielt nur slowenssch darin und deshalb meist vor halbleerem Hause. Gerade jetzt trat eine Berliner Truppe von Reinhardt- Schulern samt Ferdinand Bonn in Marburg wie in den anderen Städten des Reiches auf. Das Haus war überfüllt, der Jubel grenzenlos, und am Schluß eröffneten die stowenischen Schauspieler. die die Orchesterreihen füllten, ein Blumenbombardement auf die Gäste. Der liebenswürdige Intendant Dr. B r e st s ch i t f ch hatte uns noch Plätze zur Verfügung gesteltt und begrüßte den deutschen sozialistischen Journalisten in freundschaftlicher Weise. Würde man in Marburg . Laibach, Agram, Essel ufw. abwechselnd deutsch und
slowenisch spielen, so wäre den Theatern, den Schauspielern, dem Publikum und dem friedlichen Zusammenleben im Staat gedient! Eine soft Ibstündig« Schnellzugssahrt brachte uns nach Belgrad . In der kroatischen Hauptstadt Zagreb (früher Agram ) hatten wir Zeit zu einem Bummel in die ganz europäische Stadt. Wir stutzten aber doch, als wir auf der belebten Straße«in junges Bauernmädchen ungeniert die Bluse öffnen und mit gespitzten Fingern immer wieder etwas aus dem Busen holen und hinwerfen sahen. Dies und die farbigen Trachten im Bahnhofsgewimmel des Sonntags waren die ersten Anzeichen einer anderen Welt, die sich aber keineswegs in allem unsympathisch erwies. Im Gegenteil merkten wir hier schon die groß« Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der kroatischen Wen- schen gegen den Fremden. Alz wir am Morgen über die mächtig breite Save fuhren und in Belgrad ausstiegen, waren wir allerdings erstaunt über die Menge zerlumpter Proletarier in allerhand Trachten, die de« amtlichen Gepäckträgern Konkurrenz machten und fast versuchten, Ankommenden ihre Koffer zu entteißen, wenn auch nur, um sich den Trägerlohn zu sichern. Als wir dieser Szylla entgangen waren, drohte die Eharybdis der Paßpolizei. Vor der jenseitigen Station Semun(früher ungarisch Semlin) hatte uns ein Gendarm die bereits an der Grenze kon- trollierten und richtig befundenen Pässe abgenommen: wir hatten sie uns bei der Bahnhofspolizei in Belgrad abzuholen. Nach einigem Warten in einem Vorraum schäbiger Art erschien der Paßkommissar: „Wann sind Sie gekommen?"„Jetzt eben."„Kommen Sie in einer halben Stunde!" Nun entschloß ich mich doch, mein Empfehlungs- schreiben von der jugoslawischen Gesandtschaft in Berlin zu zücken und erhielt die Pässe sofort. Belgrad selbst ist für unsereinen verblüffend. Da stehen hohe Großstadthäuser neben ganz alten kleinen. An mehreren Stellen sind imposant« Minssterialgebäude, auch Wohnhäuser, im Bau; mitten in der Stadt, die sich den Hügel hinaufzieht, stehen die weiten und hohen Teile der Königsburg in großem, urmnauertem Garten und mit Wachposten, deren farbige Varadeuniform gewaltig von dem Lehmbraun oder den weißen Sommerblusen des zahlreichen Militärs absticht. Dazwischen überall«in tolles Pflaster, noch aus der Türkenzeit offenbar, System Katzenkopf, mit Löchern ohne Zahl darin und bei Regen alsbald ein Kotmeer. Darüber bewegt sich die Menge europäisch uniform Gekleideter, serbischer Bauern in brauner Jacke mit kurzen Pumphosen, Opanken und der grauen Filzhaube. Montenegriner, Makedonier, Albanier in ihren male- rischen Trachten mit dem Dolch im Gürtel, massenhaft auch Zigeuner vom Kind bis zur Greisin. In einer Parallelgasse, der„Terasia", der Hauptstraße, überholt uns ein Slsiat in gelbem Mantel mit Turban und langem Säbel, wahrsckeinlich ein Tawr oder Türk- mene aus der Weißgardistenarmee Wrangels, deren Mitglieder hier Gastrecht genießen. In einem Laden liegt ein gebratener Hammel, ein Mann ißt stückweise mit den Fingern davon und beißt abwechselnd von einem ganzen Brot ab. Zumeist wird übrigens nur ganz weißes Brot ge- gessen—, wir waren froh, als wir einem Bäcker roggengemischtes Brot abkaufen konnten. Sonderbar ist die völlige Schmucklosigkeit und Nacktwandigkeit der Speisehäuser, in denen übrigens vom grünen und roten Paprika und anderen Schärfungsmitteln, wie von Fett, besonders auch dem des Hammels, sehr reichlich Gebrauch ge- macht wird. Man iß: zu dem ausgezeichneten frischen serbischen Schafkäse junge Zwiebeln, die mit den langen grünen Röhren- stengeln serviert werden Neben normaler Butter, die auch auf serbisch „bmr" heißt und gewöhnlich nicht genug zentrifugiert oder ausgewaschen, daher bitterlich ist, gibt es„Kaimaka", die ein Zwilchenstadium zwischen Rahm und Butter zu sein scheint. Mit Deutsch kommt man selbst in Belgrad ziemlich durch, noch besser natürlich, wenn man tschechisch oder polnisch, am besten gewiß, wenn man russisch reden kann. Herrlich ist der Blick von der alten Türkenfestung Kalimegdan über Save , Donau und Stadt. Am Slawiaplatz steht das Arbeiterheim, früher eine evangelische Kirch«, jetzt an einen tüchtigen Wirt verpachtet. Allabendlich spielt in dem hohen Saal oder davor im Garten die Musik und zumeist serbische Tänze, wie den Kolo. Aber ander? als in Berlin — es tanzt niemand. Das Erdbeben vor einigen Wochen hat die Decke be- schädigt, und gerade an dem Abend, da wir mit Belgrader Ge- nassen dort waren, fielen plötzlich wieder Verputzstücke auf da« Orchester, das begreiflicherweise in Unruhe geriet und in eine ander« Ecke umzog. Eine Fahrt von wiederum 15 Stunden bringt uns zurück über Slawonssch-Brod und dann auf der Schmalspurbahn bergauf in Bosniens Hauptstadt Se r a j e w o. Die vom k. und k. Militär gebaut« Bahn ist ungemein interessanl, nicht nur durch ihr fort- währendes Ansteigen an der Bosna in immer malerische Gegend, sondern auch durch ihre Wagen. Bei ihrer Schmalheit haben sie zu beide» Seiten des Mittelganges nur einen Sitz, und in der zweiten und ersten Klasse lassen sich die gegenüberliegenden Sitze zu weichen Betten zusammenziehen. Hart« Kopspolster sind auch da und im Klosett eine umklavpbare Waschaelegenheit wie sonst nur in Schlaf- wagen. Die Abteile erster Klasse lassen sich durch Vorhänge ganz abschließen— die k. und k. Offiziere haben es sich ganz gut ein- gerichtet. In der dritten und vierten Klasse sst es freilich nicht so bequem. Aber man kann— dies sei einmal gegenüber allen ab- sprechenden Vorurteilen der Nichlswisser sestgestellt— in Jugo slawien ebenso gut dritter oder selbst vierter Klasse reisen, wie zwischen Marburg und Berlin imd, um auch das zu erledigen, die Verwanztheit und Verlaustheit südslawischer Hotels ist im ganzen nicht ärger als in den nördlichen Ländern. S era j«« o. am Bahnhof, der weit draußen liegt, noch recht balkonisch, ist sonst eine vollkommen mitteleuropäische Stadt— bi» auf die Lage, ringsum von hohen Grün- und Waldbergen umgeben, die ihresgleichen an�Kroßartigkeit kaum irgendwo hat. Auf all diese Berge wächst die Stadt hinaus, und oben wohnen von altersher die Muselmanen hinter vergitterten und verhängten Fenstern, mit den schönsten Gärten hinter den Hofmauern: ihre Frauen über 1K Jahr« gehen dicht und schwarz verschleiert, besonders wenn ein Mann in Sicht ist. Dies und der Fes. den hier auch die Christen tragen, sind in Mustapha Kemals Reich verboten, darum kann man nur noch in Jugoslawien mohammedanisches Leben sehen. Oh, diese Tschorschia, der„türkische" Markt und Basar! Nicht noch einmal soll sein unsagbarer Reiz beschrieben sein! Hoch oben auf dem Berge rasten wir dann und schauen entzückt in die bergige Weit«, Ueberall oben entstehen jetzt Holzhänschen als Notwohnungen, den Grund gibt die Stadt her. Hervorsticht aus der Stadt das pracht- voll« Rathaus in maurischem Stil Unweit davon sind an der Militscha die zwei Stellen der Attentate auf Franz Ferdinand und seine Frau am 24. Juni 1914. Di« Denkmäler sind entfernt, nichts verrät die Stelle. Aber— ein alter österreichischer Sozialdemokrat, der, wie seine ganze Partei, nie habsburgisch war. darf es sagen— die österreichische Friedensverwaltung hat sich in Bosnien wie in Slowenien und Dalmatien durch ihre Bahn-, Straßen-, Wasser- leitungs-, Krankenhausbauten, durch die AnHaltung der Gemeinden zur Pflasterung und Hygiene, ein dauerndes ehrendes Denkmal gesetzt. So ist auch das zur Mehrheit mohammedanische M o st a r in der wein- und tabaktragenden, sonst aber bettelarinen steinigen Herzegowina eine durchaus europäische Stadt. Hier tragen die Moslemfrauen den Schleier an einer rilsselförmig vorgereckten schweren Tuchhaube. Und das bei einer Sonnenwärm«, die bi» 85 Grad steigt! Hier hörten wir auch endlich den in Serajewo ver- paßten Ruf des Muezzins. Allah ist groß— in Mostar hat er wohl zehnmal soviel Moschee» als Kirchen!