Nr. 270 44. Jahrg. Ausgabe Ar. 138
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Freitag, den 10. Juni 1927
Ruhige und höfliche Zurückweisung.
Warschau , 9. Juni( Eigener Drahtbericht.) Der polnische Gesandte in Moskau , Patet, hat der russischen Regierung am Donnerstag die polnische Antwort auf die jüngste Note des russischen Außenfommiffariats überreicht. Die Note meist in ruhiger und höflicher Weise die russischen Borwürfe zurüd, nach denen Polen an dem Morde des russischen Gesandten mitverantwortlich gemacht wird. Ein Zusammenhang zwischen den Vorfällen in China und dem Mord in Warschau , den die russische Note fonstruiert, fönne bei genauefter Prüfung des Sachverhalts nicht erblidt werden, ebenso sei auch die russische Anklage, die Polen ungenügende Sicherheitsmaßnahmen für den Gesandten vorwirff, nicht zutreffend, da Bolen dem Gesandten einen besonderen Schuh zur Verfügung geftelit hat, der von dem Gesandten jedoch zurüdgewiesen worden sei. Zahlreiche Dienstfahrten des Gesandten innerhalb Polens feien fiets ohne Benachrichtigung der Sicherheitsbehörden erfolgt und auch von der Durchreise des Londoner russischen Ge- Demnach ist es pöllig flar, daß die englische Re schäftsträgers Rosengolz seien die Behörden nicht unter- gierung, die die Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion richtet worden. Jedenfalls fei es auch falsch, wenn in der mit allen Mitteln und auf allen Wegen in raschem Tempo betreibt, russischen Note der Empfindung Ausdrud gegeben werde, Bolen bestrebt ist, die friedliche Arbeit der Völker der Sowjetunion zu laffe der russischen Emigration einen besonderen Schutz stören. Es ist bezeichnend, daß alle diese abenteuerlichen Versuche angedeihen. Polen wahre lediglich das Asylrecht und werde auch nicht im geringsten in der Somjetunion selbst ihre Wurzel feine gegen Rußland gerichtete Affion innerhalb des polnischen hatten. Die verbrecherischen Abenteuer der reaktionären ausStaates zulaffen. ländischen Cliquen stehen in schreiendem Widerspruch zum mächtigen Falls die Familie des ermordeten Gesandten Entschädi- organischen Wachstum der großen Union . gungsansprüche stellen würde, fei Polen bereit, eventuelle Forderungen zu prüfen und jede Genugtuung zu verfdaffen.
| ersten Meldungen aus Mosfau selbst davon gesprochen, daß dieser Bombenanschlag durch Anhänger der kommunistischen Opposition erfolgt sei! Red. des„ B.") Zugleich wurden an verschiedenen Orten der Sowjetunion Brandstiftungen in Fabriken, Werfen und Militärmagazinen aufgedeckt. In Lenin grad wurde Ende Mai eine Bulverniederlage in Brand gesteckt, wobei sich als Schuldiger der Leiter der Niederlage, der Est e llssild, erwies, der im Auftrage estnischer Agenten der englischen Regierung arbeitete. Noch früher wurde eine Brandstiftung in der Fabrik Dubrowki bei Leningrad berübt, wobei der Brandstifter sich als Finne, der im Auftrag finnischer Agenten der englischen Regierung arbeitete, erwies. Auch einzeine Fälle der Beschädigung von Maschinenanlagen in Fabriken wurden aufgedeckt, wobei die Untersuchung bewußten bösen Willen feststellte.
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Auch am Donnerstag find in verschiedenen Boiemoofchaften Bolens zahlreiche Berhaftungen von Mitgliedern ruffischer mon archischer Emigrantenkreise vorgenommen worden
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Die Regierung richtet an die werftätige Bevölkerung den Auf ruf, die Fabriken, Berke, Niederlagen, Stationen usw. zu schützen. Die Regierung macht es der GB11. aur Pflicht, entschiedene Maßnahmen zum Schuße des Landes vor ausländischen Spionen, Brandstiftern und Mördern nebst deren monarchistischen und weißgardistischen Bérbündeten zu ergreifen: Die Regierung erflärt, daß sie, geflüßt auf die breiten werttötigen Massen, das Land von Fremden säubern und es verstehen wird, das sozialistische Aufbauwerf vor jeglichen Anschlägen zu schützen.
Rowerda Mitglied eines Geheimbundes? Warschau , 9. Juni. ( DE.) Die Untersuchung gegen den Bar: schauer Gesandtenmörder Komerda hat eine neue Richtung eingeschlagen, da die Staatsanwaltschaft einer organisierten Verschwö rung auf die Spur gekommen zu fein glaubt. Angeblich habe ein Gefchaft, unbemiesene und heim bund bestanden, der Freischaren an der Sowjetgrenze bilden sollte; Kowerda habe diesem Geheimbund angehört. Führer des Bundes sei der Kofatenoffizier Jafomlem in Bilna gewesen, der unlängst aus Paris gekommen ist und unter dessen Einfluß Rowerda gestanden habe. Tatsächlich war es Jafowiem, der nach der Ermordung Bojtows in der Wilnaer russischen Zeitung einen Aufruf zur Geldsammlung für Stowerda erließ. Die Zeitung murde bekanntlich beschlagnahmt und Jafomlem verhaftet.
Die Auffassung der polnischen Sozialisten. Warschau , 9. Juni. ( WTB.). Der sozialdemokratische„ Robot nik " nennt die Tat Kowerdas eine gewöhnliche Propofa tion. Das Blatt behauptet, in der Umgebung des Groß fürsten Nikolai Nitolaje mitsch sei der Befehl ergangen, die Lage gegenüber der Sowjetregierung mit allen Mitteln zu verschärfen. Jedenfalls habe Rowerda meder im Auftrage der russischen Sozialisten noch der Gruppe Miljukom gehandelt. Nur der russische Monarchismus schafft die Atmosphäre, in der Mordgedanken entstehen können. Der russische Monarchismus, schreibt das Blatt, ist eine Gefahr für den europäischen Frieden. Bolen fann innerhalb seiner Grenzen weder Propaganda noch Organisierung russischer monarchistischer Elemente dulden. Im übrigen weist auch der„ Robotnik" den russischen Vorwurf zurüd, daß Polen für die Tat Kowerdas die Verantwortung trage.
Gefährliche Völkerverhetzung.
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Wenn eine Regierung, zumal in Zeiten erregter Leiden unbeweisbare Be fchuldigungen gegen eine andere in die Deffentlichkeit wirft, so sezt sie sich damit vor allen unparteiisch Ürteilenden schmer ins Unrecht. Sie greift damit zu Methoden, die jeder, der den Krieg verabscheut und zu verhindern bestrebt ist, aufs allerschärfte verurteilen muß. Man fann der entschiedenste Gegner der englischen fonservativen Regierung sein und daß mir zu diesen gehören, weiß jeder, dessen Hirn nicht con fanatischen Lügen umnebelt ist und man wird doch über die Beschuldigungen, die Moskau jezt gegen London schleudert, nur den Kopf schütteln fönnen. In der Behauptung, daß die englische Diplomatie planmäßig mit Morden und Attentaten gegen Rußland arbeite, wird man nichts anderes erblicken können als die Ausgeburt einer überhigten Phantasie. Da aber in Rußland die öffentliche Meinung nöllig von der Regierung beherrscht und jebe fontrollierende Kritik ausgeschaltet ist, wird das ganze russische Bolk hemmungslos in den Glauben versetzt, die Engländer seien weiter nichts als eine Nation von Verbrechern und jeder im Lande anwesende Angehörige der Nation sei eine Gefahr für das Land. So ist man auf den Weg zu einer Fremden und Spionenjagd gefommen, der für alle in Rußland weilenden Ausländer eine Gefahr bedeutet. Die russische Regierung trägt die Verantwortung dafür, daß solche verderbliche Konsequenzen verhütet werden, so daß das Leben der Ausländer ohne Unterschied der Nation geschützt wird.
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Die deutschen Arbeiter werden sich um es wieder und wieder zu sagen niemals in eine englische Front gegen Rußland zwingen lassen. Sie werden aber in ihrer ganz überwältigenden Mehrheit auch nicht die geringste Lust verspüren, eine russische Hetze gegen das perfide Albion" etwa im Stile des„ Gott strafe England!" mitzumachen. Mit Methoden der Völkerverbegung, wie wir sie aus dem Weltkrieg genugsam fennen, wird feine Regierung, auch die russische nicht, neue Sympathien erwerben fönnen.
Eine englische Erwiderung.
Tschekas Erzählungen.( Fortsetzung.) Moskau , 9. Juni. ( Meldung der Telegraphenagentur der Sowjetunion .) In der Fortsetzung des, wie bereits gemeldet, von der Sowjetregierung veröffentlichten Kommuniqués über die Anschläge auf Vertreter der Sowjetregierung heißt es weiter; Am 7. Juni wurde Boitom von einem polnischen Staatsangehörigen ermordet, wobei englische Blätter bereits ein freches Interviem mit Sablin veröffentlichten, einem früheren zaristischen. Diplomaten, der mit den englischen Ministern in Ver= bindung steht und den Mörder direft rechtfertigt. Die englische Condon, 9. Junt.( WTB.) Der amtliche englische Hand, die den Schlag von seiten des polnischen Staats- Funkdienst meldet: Die phantastischen Behauptun angehörigen lenfte, ist hierin deutlich zu ersehen.(?!) Ebengen einer britischen Mitwisserschaft bei den Terroristenverschwörunfalls am 7. Juni wurde zwischen den Stationen Schdanowitschi und gen, die in dem heute veröffentlichten Sowjetkommuniqué enthalten Minst eine Eisenbahnkatastrophe organisiert, bei sind, haben hier Seiterfeit erweckt, und das Dokument wird in der Opanski, der stellvertretende Bevollmächtigte der GPU. für den Zeitungen mit entsprechenden Ueberschriften in vollem Wort den weißrussischen Militärbezirt, der einen soeben verhafteten pol- laut gegeben. Der unsinnige Charakter der Mitteilung geht aus der nischen Spion auf einer Draifine transportierte, getötet wurde. Stelle genügend hervor, in der erklärt wird, daß die Hand Groß Gleichfalls am 7. Juni wurden in Leningrad im Diskussionsbritanniens bei dem Warschauer Mord deutlich erkannt werden flub der Kommunistischen Partei zwei Bomben ges tann. Während die Zeitungen das Kommuniqué für zu lächerlich schleudert, wobei etwa 30 Personen verwundet wurden. Von den halten, um die Aufmerksamkeit ihrer Leitartifler in Anspruch zu Berbrechern zurüdgelaffene Sachen weisen ebenfalls auf die ausnehmen, drücken sie ihren natürlichen Widerwillen gegen den ländisge Hertunft der Terroristen hin( Dabei haben die politischen Mord deutlich aus,
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Es ist einigermaßen merkwürdig, daß der russische Volks fommissar des Auswärtigen dem deutschen Außenminister gerade immer dann einen Besuch abstattet, wenn dieser int Begriff steht, an einer Sigung des Bölkerbundes oder des Völkerbundsrates teilzunehmen Es fann dadurch der Eindruck erweckt werden, als ob die Sowjetregierung den Wunsch habe, die Stellungnahme der deutschen Delegation in Genf zu beeinflussen oder auch die Welt daran zu erinnern, daß durch unsere Zugehörigkeit zum Völkerbund gewisse vertragsmäßige Bindungen an Rußland nicht aufgehoben sind. Ob das die Absicht des Herrn Tschi tscherin ist oder nicht, mag dahingestellt bleiben, wir haben jedenfalls feinen Anlaß, uns durch seine Visiten irgendwie beläftigt zu fühlen und daher ist auch die Meldung eines badischen Blattes, nach der Stresemann seinem Gast Vors haltungen über den ungünstigen Zeitpunkt seines Kommens gemacht hätte, zweifellos falsch. Unsere Situation ist flar: Deutschland hat sich zur loyalen Mitarbeit im Bölkerbund verpflichtet, und das gegenwärtige Kabinett hat das bei seinein Amtsantritt ausdrücklich bestätigt, aber es hält aud) an den zu Rapallo und Berlin abgeschlossenen Freundschaftsverträgen mit Rußland fest. Die Abmachungen widersprechen einander nicht, und sie werden durch die Beziehungen, in denen die Somjetrepublik zu anderen Staaten steht, nicht berührt. Sicherlich wäre es den Russen sympathischer, wenn wir dem Bölferbund nicht angehörten und sie Deutschland als eine Art Vorgefände in ihren Auseinandersezungen mit dem mestlichen Imperialismus" benutzen fönnten, doch sie haben sich mit den Tatsachen abgefunden, und es liegt ihnen jetzt in der Hauptsache daran, Deutschland von irgendeiner gegen den Bestand ihres Staates gerichteten Zusammenarbeit mit England und anderen Mächten fernzuhlten. Dieser Gegenstand hat mohl auch in den letzten Unterhaltungen zwischen Tschi cherin und Stresemann die Hauptrolle gespielt
Die Moskauer Regierung ist zurzeit alles eher denn hoch gemut, sie ist im Gegenteil ni e dergeschlagen, ängsth und nervös. Darüber kann auch der Ton ihrer nach London und nach Warschau gerichteten Noten nicht hinwegfäuften. Ihre Politik hat in der jüngsten Bergangenheit eine Reihe von Niederlagen und Nadenschlägen erlitten, Erft die Anerkennung der rumänischen Annexion Bessarabiens durch Italien , dann der schwere Mißerfolg in China und Ihlick h der Abbruch der Beziehungen mit England. Das ist ein wenig viel auf einmal, und wenn auch das russische Außenfommi fariat in seinen amtlichen Berlautbarungen so tut, als ob es durch alles das wenig berührt werde, oder als ob am Ende gar alle diese Geschehnisse die Stellung Rußlands in der Welt färkten, so lassen sich die Besorgnisse doch nicht verbergen.
Die zuversichtlichen Kundgebungen flingen gemacht, und es lugt aus ihnen die Furcht hervor. Die Unter.rechungen des englischen Handels fann man schließlich ertragen, aber wie wird es mit den so dringend erforderlichen Krediten merden? Man hat Frankreich auf dem Gebiet der Borkriegsschulden weitgehende Rugeständnisse gemacht, um sich Anleihen zu sichern. indeffen bleibt es fraglich, ob diese Konzessionen genügen werden, und ob Paris nicht schließlich, um London gefällig zu sein, doch nach im letzten Augenblick zurückzudt, und es gibt noch schlimmeres als Kreditvermeigerung und wirtschaftlicher Boyfott. Rußland hat Angst vor einem Krieg. Es glaubt wohl nicht an einen direkten britischen Angriff, aber es zittert vor der Möglichkeit, daß fich etwa Bolen als Werkzeug Englands gebrauchen lasse, daß Frankreich an die Seite Polens treten werde, und daß sich dann Deutschland zum Aufmarschgebiet der Westmächte hergeben müsse.
Spekulation und Kombination liegen in der Natur der Russen, und so kommen sie zu allerlei mehr oder weniger gewagten Vermutungen. Die Unzulänglichkeit ihrer diplomatischen Verbindungen läßt sie die Dinge vielfach nur durch einen Schleier sehen, das törichte, in der Hauptsache von innerpolitischen Absichten diktierte Alarmgeschrei der kommu nistischen Parteien in der verschiedensten Ländern führt sie in die Irre, und so geraten sie in einen Zustand der Nervosität, in dem sie an weitausgreifende finstere Pläne glauben und alles, was sich ereignet, auf einen einheitlichen Renner zu bringen fuchen. Natürlich tragen die Attentate von Warschau , Minst und Leningrad nicht zur Beruhigung bei. Bielleicht ist es richtig, daß die russischen Monarchisten und andere Gegner des Bolschewismus aus der schwierigen außenpolitischen Situation des Sowjetstaates Mut zu neuen Aktionen geschöpft haben, aber die russischen Machthaber fehen mehr in diesen Anschlägen, sie halten fie für Verfuche, sie zu einem Krieg zu provozieren, und einen Krieg fürchten heute mehr als zuirgendeinem anderen 3eitpunft. So dürfen wir den Besuch Tschitscherins wohl auch dahin auslegen, daß der Boltstommissar sich Beruhigung holen
sie
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