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Sonntag

12. Juni 1927

Unterhaltung und Wissen

Vater, vergib ihnen!"

Bon Gideon Göffele..

Alle Menschen müssen leben. Der eine arbeitet und ist nichts anderes gewöhnt. Der andere schiebt, weil das einfacher ist als arbeiten. Ich bin Kommis in einem Krämerladen en gros. Rommis können bekanntlich nicht leben und nicht sterben!

Bei mir ist die Gewehrlage noch besonders kompliziert. Ich habe für eine Frau und zwei kleine Kinder im Alter von 6 und 18 Monaten die in Frage kommenden Mengen an Rohlehydraten, Fetten, Eiweiß usw. zu besorgen. Bom voltswirtschaftlichen Stand­punkt aus bin ich durchaus ein Held, weil ich erst 24 Lenze zähle. Der Naturwissenschaftler behauptet, daß Frühheiraten viel für sich hätten. Der philosophisch veranlagte Raufmann verlegt meine Eri­stenz in den Bereich des Fragwürdigen. Vielleicht hat er recht. Seit Sonnabend nämlich bin ich nicht mehr Kommis in einem Krämer­laden en gros.

Das tam so: Harmlosen Gemüts, wie ich nun einmal bin, machte ich nie einen Hehl daraus, daß für mich die Welt eine höchst merkwürdige Einrichtung sei, und daß es mir äußerst tomisch vor­tomme, als Rommis eines Krämerladens en gros in ihr herum­zuplätschern. Dies tam meinem hohen Herrn Chef zu Ohren, der ein Mann gefestigter Beltanschauung ist. Ich wurde ins Privat­bureau gerufen, in einen ledernen Rublefsel gedrückt und erfuhr dann einiges über die schlechte wirtschaftliche Lage im allgemeinen und über die des Geschäfts im besonderen. Nachdem mir der hohe Herr eigenhändig ein Streichholz an die Zigarre gehalten hatte, entwarf er mir ein Programm, wie er die Untoften einzuschränken gedächte usw. Nachdem er meine Person in die Rubrit Abbau ein­geordnet hatte, umarmte er mich väterlich und sprach die bestimmte Erwartung aus, daß es mir nicht schwer fallen dürfte, bei meiner Anpassungsfähigkeit und Pflichttreue in furzer Zeit einen meinen Kenntnissen entsprechenden Wirkungstreis wiederzufinden. Als ich ganz schüchtern und zaghaft auf meine Frau und meine beiden fleinen Kinder hinwies und auf deren ungedeckten Kalorienbedarf zu sprechen tam, meinte der hohe Herr natürlich nur so ganz nebenbei und lächelnd, daß man eine Rolonialwarenhandlung nicht mit einer Versorgungsanstalt verwechseln dürfe. Das war am Grün­donnerstag.

Mein Unglüd wollte, daß ich am Abend des gleichen Tages mit meinem zweiten Chef zusammentraf, der eben von der Reise zurückkehrte und von dem vorgenommenen Abbau teine Ahmung hatte. In hinreißenden Bildern schilderte er mir das zukünftige Ge­deihen seines Hauses, sprach von dem Engagement verschiedener neuer Kräfte und von der Einrichtung wichtiger Filialen in günsti­gen Stadtteilen. Ich ließ seine Farbensymphonien über mich er­gehen, dachte an die Unsterblichkeit des Maifäfers und schwieg. Seit diesem Abend weiß ich, was gemischte Gefühle sind.

Am Karfreitag früh, 11% Minuten vor 9 Uhr, hatte ich einen genialen Gedanken. Das soziale Empfinden in mir verband sich mit meiner vermeintlichen Kenntnis der menschlichen Psyche. Ich mit meiner vermeintlichen Kenntnis der menschlichen Psyche. Ich rechnete so: Dein hoher Herr Chef hat dich angelogen. Dein hoher Herr Chef geht Karfreitags   zum Abendmahl. Wenn er nach Hause fommt, ist er pflaumenweich. Dann muß er deinen Brief vorfinden. Ich arbeitete im Schweiße meines Angesichts. Ich entwarf ein Kunstwert von einem Brief. Keine Stelle am Körper meiner Kinder ließ ich ungeschildert. Ich schrieb, daß meine Frau an Anämie   leide. Ich sprach von ätherischen Geschöpfen, die er vom Hungertod er­retten könne. Ich schwor ewige Dankbarkeit und appellierte an die christliche Nächstenliebe. Ja, ich vergab sogar die Versorgungsanftalt, was ich aber nicht hätte tun sollen. Um 12 Uhr war ich fertig. Eigenfüßig sprang ich zur Wohnung meines Chefs, tätschelte einer vierzigjährigen Köchin die Wange, um sie für mich zu gewinnen, und erreichte, daß sie mir versprach, den Brief zu überreichen, wenn der Gebieter noch im Zylinderhut sei. Bange wartete ich an der Straßenede, bis mein hoher Chef sein Haus betrat. Befreit zog ich von dannen und war mit meiner ganzen Familie guter Hoffnung. Am Sonnabend früh kam die Antwort, aber nicht von meinem hohen Herrn, sondern von dessen Rechtsbeistand. In dürren Worten wurde mir erklärt, daß ich beleidigende Aeußerungen getan hätte, die ich zurücknehmen müsse. Sein Klient, der bewährte und verdienst­volle Herr Soundso, werde schon seine Gründe gehabt haben, als er mich( er meinte natürlich die ärmliche Existenz aus dem Bereich des Fragwürdigen) an die Luft gesetzt habe. Er rate mir dringend usw. usw., sonst sei er gezwungen, eine Beleidigungsflage gegen mich anzuftrengen. In Anbetracht meiner dürftigen Bage überreiche er mir im Auftrag feines Klienten eine Ertraunterstützung in Höhe von 50 deutschen Rentenmart. Hochachtungsvoll!

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Der Ostermorgen brach an. Von meiner Ertraunterstützung faufte ich meinen beiden Kindern je einen großen Osterhasen und bewilligte meiner Frau die Mittel zum Schneiden eines Bubitopfes. Ich selbst ärgerte mich an dem Sündengeld.

Da trat die Sonne aus den Wolken. Und wie sie am Himmel leuchtete, erhaben und groß, liebend und unbestechlich, da rang sich etwas durch in mir: Ich bedauerte den armen reichen Mann. Durch mein Herz schritt der, der auch Verständnis hat für den gewesenen Kommis eines Krämerladen en gros, und sein Wort trat mir auf die Lippen: Bater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Wanderung auf den Hymettos.

Von D. Haebler- Hug( Karlsruhe  ).

Athen  , im Frühjahr 1927. Der Cintagmaplag liegt morgens um 5 Uhr ganz ohne Leben da: ein fast gespenstischer Anblic, wenn man ihn am Tag und abends fennt, mit seinen Hunderten von Autos, seinen Frauen, die thre soeben eingetroffenen Pariser Toiletten spazieren tragen, be­staunt und begafft von den Kapalieren, die nirgends soviel Zeit haben wie hier; mit seinen Raffees, vor denen die Hunderte von fleinen Tischen siehen, alle mit ein, zwei oder höchstens drei Menschen besetzt, da es in Griechenland   nicht Sitte ist, sich zu fremden Menschen an den Tisch zu setzen. Nicht einmal die Stiefelputer sind zu sehen die ersten und legten im bunten Treiben einer griechischen Stadt. Endlich bekommen wir eine Tagi, die uns in die Vorstadt führt, in der nur Flüchtlinge aus Kleinafien wohnen und die man Byron" getauft hat, zu Ehren des englischen Dichters, der ein großer griechischer Freiheitsheld war.

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Wir find wie richtige deutsche Wandervögel ausgerüstet ich bin indessen die einzige Deutsche, sonst alles Griechen, und ein Dänischer Ingenieur mit Familie da macht uns der kleine Esels. pfad, ben wir emporflettern, teine große Mühe. Wege im deutschen

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Der Sieg des Irrfinns.

Frodesurteil

Wie bekämpft man den Zarismus? Indem man ihn einführt!

Ginne gibt es hier faum. Aber eine andere große griechische Selten heit: nämlich Wald. Kiefern mit einem ganz seltsam duftenden Boden. Und dann erlebten wir etwas, das offenbar zu den ganz großen Seltenheiten dieses trockenen, heißen und wafferarmen Landes gehört: ein Nebelmeer über Athen  ! Die Griechen, die bei mir sind und die schon öfters diese Wanderung gemacht haben, ver­sichern, daß sie noch nie Nebel über Athen   gesehen hätten. Es ist ein wundervolles Bild: ganz unendlich ragt die Afropolis hervor, in der Ferne sieht man ein paar Bergspitzen, die Berge vom Belo paar Ruinen, das Ganze ein Bild aus der deutschen Malerei des Da und dort, zadig, abenteuerlich, romantisch stehen ein 19. Jahrhunderts, als unsere Meister inbrünstig das Land der Griechen mit ihrem seelenvollen Pinsel fuchten. Und über uns der herrlichste Sonnenschein, der blaue, blaue Himmel des griechischen Frühlings!

ponnes.

Bald werden die Bäume seltener, der Boden mit seinem würzigen Humus verschwindet, und der nackte Fels tritt zum Vor­Qualität, gefunden wird. Die Sonne brennt, und ein Blumenduft schein aber er ist Marmor, der hier, freilich in einer geringen strömt um uns, und wie fleine bunte Inseln aus einem Elfen­märchen strahlt überall dort, wo ein flein wenig Erde sich an­gefiedelt hat, ein Blumenstrauß. An einer Stelle von faum einem Quadratmeter zähle ich über zwanzig verschiedene Arten Blumen, alle von wundervollster Tönung und herrlichstem Geruch.

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Und dann standen wir vor dem sehr alten byzantinischen Kloster Cafariani das weiße Marmorfreuz glänzte aus dem Walde von 3ypressen und Olivenbäumen hervor, eine dunkle Dafe in der felsigen Einöde der Mulde, in die es eingebettet liegt. Die Kirche stammt Kloster selbst ist eine Ruine. aus dem 7. Jahrhundert, die Mauern sind noch gut erhalten, das

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und siehe da, als ich eintrat,

Es war gerade Gottesdienst teilte sich eben der Vorhang, der in den griechischen Kirchen den Altar vom Chor trennt, und da stand nun der Priester, ein Patriarch aus der Erzpäterzeit, eine lange, hagere Gestalt, ganz in Weiß gefleidet, mit langem weißen Hauptbaar, langem weißen Bart, ein Astet, einer der Urväter, ein Abraham, ein Moses, ein Johannes. Und las die Messe.

Wie es üblich ist, taufte ich eine Rerze für zwei Drachmen, zündete sie an und stedte fie an den Halter, wo mindestens hundert erzen Blaz haben. Das ist außer freiwilligen Spenden die einzige Einnahme, welche die Kirchen und die Briefter haben. Der griechische Staat zahlt weder der Kirche noch den Geistlichen auch nur einen Pfennig; da aber das Bolt start kirchlich ist und vor allem auch in Krankheitsfällen viele Spenden macht, so haben die Geistlichen doch genügend zum Leben. Nach dem Gottesdienst schaute ich die Kirche näher an; die Ausmalung ist fast ganz abgefallen; aber über diesen Bildern sind dann Schnüre gespannt; und die ein paar sehr primitive Heiligenbilder waren der ganze Schmud. hängen nun did voll mit silbernen Gegenständen, kleinen Armen, Beinen, Händen usw., die von den Gläubigen gebracht werden, wenn sie von einer Krankheit genesen sind oder geheilt werden wollen.

In einer anderen Ede der Ruine ift in ganz roher Weise eine Art Wohnhaus hergerichtet; hier sind Gefangene aus dem Buchthaus untergebracht. Sie treiben etwas Landwirtschaft, soviel eben zu ihrer Ernährung nötig ist, vor allem aber haben sie den Marmor, der hier gefunden wird, nach Athen   zu transportieren. Ferner verwendet die Regierung sie zur Anlage neuen Wald­gebietes; sie müssen Kieferschonungen anpflanzen. Der Versuch ist bis jetzt schon zweimal unternommen worden; freilich vergeblich, und wer die griechische Landschaft tennt, weiß, welche großen Schwierigkeiten die Anlage eines neuen Waldgebietes gerade hier hat. Gesehen habe ich die Gefangenen leider nicht; Sonntags dürfen sie nicht in das Freie.

Und dann gibt es hier oben noch etwas, das man in Griechenland  sehr schäßt: gutes Trinkwasser. Athen  , das heute durch den Zuzug von Flüchtlingen eine Millionenstadt geworden ist, hat starten Wassermanget. Oft wird es sogar rationiert. Dabei ist das gewöhn­liche Wasser nicht besonders gut. Deshalb wird das gute aus­gezeichnete Bergwasser, das hier entspringt, in großen Lontrügen abgefüllt, täglich auf Efein nach Athen   transportiert, und dort auf den Straßen verkauft.

Endlich, nach recht mühseligem Weiterwandern und Weiter flettern über Marmorselsen, durch Geftrüpp, über Baumstümpfe, durch eine eigenartige Wildnis empor, ungefähr eine Stunde lang, tamen wir oben an. Wir trafen dort eine Gesellschaft von etwa

Beilage des Vorwärts

Todesurteil

Todesurte

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Die

dreißig Berfonen, Männer, Frauen, Mädchen, jung und alt ein Wanderverein, eine Neuheit in der Millionenstadt Athen  . Es gibt jetzt zwei solcher Vereine hier. Wie es sich dann herausstellte, waren die Männer fast alles junge Aerzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Raufleute, die im Ausland studiert hatten. Mädchen waren alle so angezogen, wie man bei uns vor etwa dreißig Jahren ausflog: mit Straßenschuhen, älteren Sonntags­fleidern, Sonnenschirmen usw. Und doch sind diese jungen Mädchen Revolutionäre der gesellschaftlichen Sitte in Griechenland  . Es gilt noch für unschicklich, mit Männern zusammen zu wandern; die griechischen Bürgermädchen leben sehr sorgsam von der Familie behütet. Und dann tommt noch ein weiteres dazu: die Griechinnen haben eine große Furcht vor der Sonne. Sie möchten nämlich ihren Teint nicht verderben.

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Die Aussicht hier oben ist herrlich. Vor uns liegt das riesige Athen  , dahinter das Meer, das blaue Meer, und hineingestreckt die Halbinsel Piräus  , dann die Bucht von Salamis, in der einst der ward, alles mit einem goldenen Schleier überzogen. Am Horizont entscheidende Kampf um die Macht in Griechenland   ausgefochten die große Bergfette des Peloponnes  , und weit in der Ferne ein Gipfel, weißleuchtend Doll Schnee. Eine ganz wundervolle, tiefe, satte Melodie aus Blau und Gold, den Farben Griechenlands  . Unter uns, auf einem kleinen Plateau, lag ein Kloster, und im Klosterhof war der Boden mit wildem Tymian bedeckt. In diesem Tymian fummten in großen Mengen die Bienen und sammelten Honig, den schneeweißen Honig vom Berg Hymettos  , den ihr fennt aus den Gesängen der griechischen Dichter der Antike, diesen wunder­vollen Honig, den man in ganz Griechenland   liebt. Auf der andern Seite des Berges liegen zwei fleine Dörfer, deren Bewohner haupt­sächlich mit dem Sammeln des Honigs beschäftigt sind.

Das Kloster Asteri hier oben ist auch eine Ruine; die Kirche wird eben wieder etwas hergerichtet. Aber in zwei notdürftig her= gerichteten Höhlen dieser Klosterruine haust, mutterseelenallein, eine Ronne, eine alte Frau in schwarzen Gewändern, die Hüterin des Lichtes in der Kirche.

Es war dunkel als wir fortgingen, die letzten Gäste, und sie schloß hinter uns die Türe, die Lichthüterin. Nun war sie wieder allein hoch oben auf dem Berg, als Wächter hatte sie einen alten Hund, den wir noch lange bellen hörten. Der Mond war inzwischen aufgegangen. Wir fletterten die Felsen hinunter, die gespenstisch weiß aussahen, dazwischen die dunklen Sträucher ein Bild der vollkommsten Dede, und doch so schön! Und über allem eine tiefe, tiefe, fatte Ruhe. Unsere griechischen Freunde sangen Volkslieder, die in ihrer eigenartigen Weise aus dieser Landschaft herauswuchsen, als gehörten fie dazu, wie Mond und fernes Meer und Dede und heimlicher Duft.

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Und dann allmählich leuchteten die Lichter der Stadt aus der Tiefe und das laute nächtliche Leben des Südens brandete an uns heran...

Die erste taugliche Schreibmaschine. Das Patentamt der Ber­einigten Staaten hat Erfindern ungefähr 2380 Batente auf Schreib­maschinen und Verbesserungen an Schreibmaschinen gewährt. Es ist nicht möglich, den Erfinder der Schreibmaschine zu nennen, da fich so viele mit dem Gedanken beschäftigt haben, die Feder durch die Maschine zu ersehen. Die erste verfäufliche Schreibmaschine wurde von zwei Buchdruckern in Milwaukee  , C. Latham Sholes   und Samuel W. Soule  , erfunden und dem Kapitalisten Carlos Glidden  patentiert. Patent und Rechte wurden später den Waffenfabrikanten E. Remington und Söhne verkauft, und die Maschine wurde unte dem Namen Remington Schreibmaschine" bekannt.

stehenden Zehnjahrjubiläums der Sowjetpresse betont die Moskauer  Preffe und Radio in der Sowjetunion  . Angesichts des bevor. Radiofachzeitung Nowoste Radio" die Bedeutung des Sowjetrund­funts als Ergänzung der propagandistischen Tätigkeit der Tages­preffe. Gegenüber rund 700 3eitungen in 52 Sprachen mit einer Gesamtauflage von etwa 9 Millionen Exemplaren zählt die Sowjet union schon heute 150 000 Detektorempfänger und Lautsprecher, die etwa 2 Millionen Rundfunkteilnehmer versorgen. Daneben funt­tionieren 24 sogenannte Radiozeitungen, eine Bresse ohne Raum und ohne Papier  ", b. h. ein programmatischer Funkmeldedienst, der auf die besonderen Bedürfnisse der Arbeiter und Bauernschaft, der fommunistischen Jugendverbände, der Kinder usw zugeschnitten ist Dieses Publikum von rund 11 Millionen Lesern und hörern sei, so erklärt das Moskauer   Blatt, ein beachtenswerter erfolgverheißender Anfang und müsse sich in den nächsten zehn Jahren verzehnfachen.

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