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Preußen, und' zwar beziffert sich die preußische Zsoilliste in 1913 auf 19,2 Millionen. Dieser Betrag allein ist, wie die obige Tabelle zeigt, um mehr als S Millionen hoher als der, den das reiche Großbritannien für sein Staatsober- Haupt einschließlich aller Aufwendungen für die königlichen Gebäude, Schlösser und Parks ausgeworfen hat. Außer durch das Haus Hohenzollern wurden aber die 25 deutschen Bundesstaaten, von den drei Hansestädten abgesehen, durch ebensovieleangestammte Fürstenhäuser"regiert". Dafür waren hohe Preise zu zahlen. In Bayern betrug die Zivil- liste nebst Apanagen 5,3 Millionen, in Sachsen 4,1 Millionen, in Württemberg 2,1 Millionen usw. Alles in allem hatte Deutschland vor dem Kriege für seine Fürstenhäuser die un- geheure Summe von rund 40 Millionen Mark jährlich auf- zubringen. Für die Nachkriegszeit stehen die Renten und Ab- findungen, die die Länder auf Grund von Vergleichen und genchiiichen Entscheidungen ihren früheren Fürstenhäusern zu zahlen haben, noch nicht sämtlich fest. Eine spätere Zu- sammenftellung wird sicherlich gleichfalls erschreckend hohe Ziffern ergeben. Gegenüber diesen Summen muten die Nachkriegsaufwendungen des Reichs für den R e i ch s p r ä- s i d e n t e n wie Bagatellbetrüge an. Der erste Reichs- Präsident, Genosse Ebcrt, bezog in 1924 an Gehalt und Auf- wandsgeldern zusammen 53 000 Mark. Am 28. Februar 1925 starb Genosse Ebert und nach der Wahl des Reichs- Präsidenten von Hindenburg wurden Gehalt, Aufwandsgelder und Dispositionsfonds um in e h r als das D r e i e i n- h a l b f a ch e erhöht. In 1927 schließt der Etat des Reichs- Präsidenten einschließlich seines Bureaus und der Kosten der ihm zur Verfügung stehenden Gebäude und Parks mit 616 000 Mark ab. Der Etat des Reichstags für 1927 erfordert ein- schließlich der Aufwandsentschädigungen für 493 Abgeordnete 7,2 Millionen. Der R e i ch s r a t, der nach Artikel 60 der Verfassungzur Vertretung der deutschen Länder bei der Ge- setzgebung und Verwaltung des Reichs gebildet ist, ist keine zweite Kammer im Sinne der zweiten Kammern in den vier Vergleichsländern. Da er aber ein Faktor der Reichsgesetzgebung ist, wird man in jedem Fall die durch ihn dem Reich direkt entstehenden verschiedenen Kosten den Auf- Wendungen für den Reichstag hinzurechnen müssen. Diese Kosten betragen, da die Aufwandsentschädigungen an die Mitglieder, soweit sie gezahlt werden, nicht dem Reich, son- dern den betreffenden Ländern zur Last fallen, nur rund 300 000 Mark. Der Reichskanzler bezieht 30 000 Mark Gehalt und 18 000 Mark Aufwandsgcldcr, also etwas weniger als die Hälfte der Bezüge seines englischen Kollegen. Der Haushalt seines Bureaus schließt für 1927 ab mit 2,7 Millionen. In diesem Haushalt sind enthalten die Kosten der Reichszentrale für Heimatdicnst und der Vertretung der Reichsregierung in München mit zusammen 1,6 Millionen. Setzt man diese Posten ab, so bleibt für die persönlichen und sächlichen Kosten der Reichskanzlei ein Betrag von 1,1 Millionen. Es würden also den mitgeteilten Nachkriegsausgaben für dieObersten Staatsorgane" in den vier Vergleichsländern für Deutschland in groben Zügen die folgenden Posten ent- sprechen: Reichsoberhaupt einschließlich aller Aufwen- düngen 600 000 Mark, Reichstag und Reichsrat 7,5 Millionen, Reichskanzler und Reichskanzlei einschließlich aller Aufwen- düngen 1,1 Millionen, zusammen 9,2 Millionen Reichsmark. Auf die Vorkriegskaufkraft der Mark umgelegt, würde das schätzungsweise einem Betrag von ungefähr 6 M i l l i o n e n Mark entsprechen, gegenüber 27,7 Millionen in England, 8 Millionen in Frankreich , 2,2 Millionen in Belgien und 6,3 Millionen in Italien .

Auflösung von Rolsronk in Dortmund . Der Obcrpräsident der Provinz Westfalen hat auf Grund des Republikschutzgejetzes die Ortsgruppe Dortmund des' Roten Fronlkämpferbundcs verboten und a u f g e l ö st. Dds Vermögen ist zugunsten des Reiches beschlagnahmt.

der Remfall öes Rechtsblocks. Vetriebsunfall" bei der Portoerhöhnng die schwache Mehrheit. Die Rechtspresse ist über die gestrige Niederlage der Negierung im Reichstag nicht sehr erbaut. Die Forderung des Parlaments an den Reichspostminister, die vorbereitete Erhöhung der Postgebühren nicht durchzuführen, wird ja be- kanntlich bis weit in die Kreise der Rechtsparteien hinein geteilt. Gerade die Unternehmer in Industrie und Handel waren es ja, die mit den schärfsten Protesten gegen die drohende Neubelastung der Wirtschaft Einspruch erhoben hatten. In dem Ergebnis der Abstimmung kam nun die große Schwäche dieser Rechteregierung zum Ausdruck, die angeblich zur Schaffung einer festeren Koalitionsmehrheit gegründet wurde. Es fehlt daher nicht an Ermahnungen bei den deutschnationalen Blättern an ihre Parlamentarier, künftig bessere Disziplin zu halten, um die Opposition unwirk- sam zu machen. DieDeutsche Tageszeitung" stellt die Schwäche der Rechtsregierung ausdrücklich fest, indem sie schreibt: ... vor allen Dingen aber geht es bei derartigen Abstimmungen doch um die Frage, ob diese Regierung überhaupt über eine trag- fähige Mehrheit verfügt. Im Hinblick auf die wichtigen und dringlichen Entscheidungen, die der Reichstag noch vor der Sommer- pause zu treffen hat, muß die Aktionsfähigkeit der Regierungsmehr- hcit für die kommenden Parlamentswochcn unbedingt sicher- gestellt sein. Allerdings verfügen die Regierungs- Parteien, wenn alle nicht direkt zum Regierungslager gehörenden Fraktionen opponieren, nur über 249 gegen 244 Abgeordnete, also nur über eine Mehrheit von 5 Stimmen. Es ist natürlich müßiges Gerede, wenn man unter solchen Umstünden die gestrige schwere Schlappe des Rechtsblocks als Betriebsunfall" hinstellt. Die der Wirtschaft nahe- stehenden Parlamentarier, die die zahlreichen Proteste gegen die Portoerhöhung mit ihrem Namen und dem ihrer Ver- bände gedeckt haben, werden sich bei ihren Verbandsfreunden und Wählern auf das schwerste in Mißkredit bringen, wenn sie im Reichstag für die Postgebührenerhöhung stim- men. Bei der geringen Mehrheit, über die der Rechtsblock verfügt, kann dieser Zwiespalt im Lager der Regierungsparteien leicht zu der Konsequenz führen, daß ein Mißtrauens- votum den Postminister zu Fall bringt. Ein solches Miß- trauensvotum wird fällig, wenn Schätze! in bewußtem Gegen- satz zum Parlament die Selbständigkeit der Reichspost als Vorwand benutzt, die Gebührenvorlage doch durchzudrücken. Davor bangt offenbar den Rechtsparteien. Jedenfalls betonenTägliche Rundschau",Tag" und andere reaktionäre Organe bis zum Ueberdruß, daß die Volksvertretung der Post eigentlich gar nichts vorzuschreiben habe und stellen die An- nähme des sozialdemokratischen Antrags als Demonstration oder Obstruktionsmache hin. Ein tolles Spiel! Die Auf- traggeber der Rechtsparteien protestieren gegen die Portoerhöhung, ihre Funktionäre stimmen f ü r sie, und als sie dabei eine Niederlage erleiden, berufen sie sich auf Gesetze, in dem Vertrauen darauf, daß ihre Leser sie nicht kennen. Die Gebührenvorlage bricht nämlich dann zusammen, sobald die Behördenvertreter im Verwaltungsrat der Reichs- post, insbesondere die beamteten Personalvertreter mit der übrigen Opposition gehen. Dem Reichspostminister fehlt es nicht an Mitteln, darauf hinzuwirken. Wenn sich aber die Bureaukratie zum Schaden der Allgemeinheit über die Wünsche des Parlaments hinwegsetzt, so wird die Volks- Vertretung darüber zu entscheiden haben, ob und in welcher Weise die Rechte des Volkes auf feine Monopolbetriebe gewahrt werden können. Schätzel besteht auf seinen Schein. Wie verlautet, will der Reichspostminister Schätze! noch im Laufe des heutigen Tages einen Kabinettsbeschluß herbei- führen, der im Gegensatz zu dem gestrigen Votum des Reichstags

sein Vorgchcn in der Postgebi'chrenstage deckt. Ein solcher Beschluß würde die Rcichsrtgterung als Ganzes mit dem Willen des Par, laments in Widerspruch Dringen. Ueberdies hat kürzlich auch die preußische Staats» regierung sich anläßlich einer Anfrage im Landtag gegen eine Portoerhöhung in diesem Augenblick gewandt, ebenso wie der Ver- treter Preußens im Verwaltungsrat gegen die Vorlage gestimmt hat. Das Reichskabinett würde sich also auch im Gegensatz zu dem größten deutschen Freistaat setzen, wenn es Schätzel deckt.

Der Wiking öarf schimpfen. Sächsische Richter erlaube» es ihm, weil sein Blatt nicht öffentlich" erscheint. Aus Dresden wird uns berichtet: ImNationalen Kampfblatt für Sachsen", dem Organ des Wikingbundes, befand sich in der Nummer 4 des Jahr, ganges 1926 ein Artikel, überschrieben:Republik oder Mo n- a r ch i e?" Verfasser dieses Aufsatzes war der Bankbeamte A n t e l, der sich zu den Anhängern der Monarchie bekennt, und der den Artikel wegen des damals bevorstehenden Volksentscheides über die Fürstenenteignung geschrieben haben will. Vielfach enthielt der Artikel sehr scharfe Redewendungen und kritische Stellen. Die Republik wurde alsdurch Lug und Trug und Verrat en:- standen" bezeichnet. Die Verfassung sei minderwertig. diese republikanische Staatsform könne uns nicht aus all dem Elend retten, man müsse auf deren baldige Beseitigung hin- streben. Der Parlamentarismus wurde als einWaschhaus für schmutzige Wäsche" hingestellt. Dann beschäftigte sich der Auf» satz mit den sogenannten Noocmberverbrechern und vornehmlich auch mit dem Reichsbanner, das als einesattsam bekannte Horde" be- zeichnet wurde, an der Spitze diesesSauhaufens" stehe Hörsing, und sogar der Reichskanzler Marx sei Ehrenmitglied. Die ganze republikanische Regierung müsie zum Teufel gejagt wer- den. Schwere Angriffe wurden gegen den verstorbenen Reichs» Präsidenten Ebert und gegen Scheidemann erhoben. Gegen den Verfasser Antel und ferner gegen den verantwortlichen Redak, teur Arthur Franz Metze war ein Verfahren wegen Vergehens gegen das Republikschutzgesetz eingeleitet worden. Mitte März ver, handelte das Gemeinsame Schöffengericht Dresden gegen beide. Es wurde ihnen besonders zur Last gelegt, die republikanische Ver- fassung als minderwertig bezeichnet und in höhnischer und ge- hässiger Weise angegriffen zu habe». Die Angeklagten bestritten, gegen das Gesetz zum Schutze der Republik verstoßen zu haben. denn dasNationale Kampsblatt" gehe nur geschlossen den Mit- gliedern zu, es sei k e i n e öffentliche Zeitschrift, wie man solchg überall kaufen könne. Das Gemeinsame Schöffengericht erkannte tatsächlich auf F r e l» s p r e ch u» g unter der Begründung, der Begriff der Oeffentlich» kcit sei zu verneinen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin hatte sich jetzt die vierte Strafkammer des Dresdener Land, gerichts mit dieser Angelegenheit erneut zu befassen. Das Land, gericht verwarf die Berufung der Staatsanwaltschaft. Was die Verbreitung anbelange, so habe es sich hier um einen individuell abgegrenzten Personenkreis gehandelt, der Vegriss Oeffentlichkeit war daher zu verneinen, und deshalb müsie die Bestätigung des freisprechenden Urteils erfolgen. Die Wikingbrüder haben neuerdings durch ihren Führer Ehrhardt die Parole ausgegeben:Hinein in den Stockt." Slus dem Dresdener Prozeß kann man ersehen, welche wahren Absichten die Burschen hoben, wenn sie sichin den Staat" einbohren wollen. Inzwischen ist der Wikingbund auch für Sachsen verboten worden. Aber die Richter, die die schamlosen Beschimpfungen der Republik alsnichtöffentlich" für straffrei erklären, haben Anspruch auf den ersten republikanischen Orden, den der Bürgerblock einführen wird.

. Im holländischen Abgeordnetenhaus ist eine s o z! a l d e m o- k ra t l s ch e Interpellation über die aegen indonesische Stu. denten getroffenen besonderen polizeilichen Maßnahmen eingebracht worden.

Vergegenwärtigen wir uns: Ein junges Mädchen, an geschlecht- licher und gcsitiger Entwicklung noch ein Kind, im übrigen ein Mensch, an dem niemand bisher die mindeste verbrecherische Ver- anlagung wahrgenommen hat, begeht im Zustand einer Halb- oder Dreiviertelbewußtlosigkeit, durch physische Vorgänge ihres Körpers noch besonders aus der Bahn des normalen Denkens gebracht, eins entsetzliche Bluttat an zwei kleinen Kindern. Mit dem Rausch schwindet zunächst auch die Erinnerung an die Tat. Sie stellt sich erst viel später ein. Ein Schimmer von Bewußtsein ist nach Ansicht der Richter bei der Verübung der Tat noch vorhanden gewesen. Wieviel? Niemand wird diese Frage klar beantworten. Rätselhafte Jnstinkttriebe brachen aus der Dunkelheit des Unterbewußtseins und unterjochten den Willen, spülten die Hemmungen fort. Das ist das Einzige, was wir konstatieren können. Diel zu dunkel, viel zu ungeklärt sind noch die seelischen, besonders die Scxuolvorgänge, als daß wir aussagen könnten: Hier wäre gleichwohl Widerstand möglich gewesen. Die Frage:Was ist Schuld?" tut sich in ihrer Unergründlichkeit auf. Das Urteil stellt eine Gleichung aus: Der verbliebene Bewußt- seinsrest ist gleich acht Jahren Gesöngnis. Der Flug über den Ozean ist gleich 2S00() Dollar. Di- Dichtung des Faust ist gleich einem Marmordenkmal für den Dichter.... Wen schaudert nicht vor der Sinnlosigkeit solcher Gleichungen? Können die acht Jahr« die Tat auslöschen? Die Opfer werden nicht zum Leben erweckt, der Schmerz der Eltern wird nicht gestillt. Werden die acht Jahre die Käte Hagedorn bessern? Ob ihr Sexualleben zu normaler Reife gelangen und damit künftige Untaten ausschließen wird, hängt von allem anderen eher ab als von der Länge der Gefängnisstrafe. Die Haft kann höchstens ver- schlimmer», bei dem heutigen Strafvollzug durch das Zusammen- leben mit Berufs- und Gewohnheitsverbrecherinnen auch den un- verdorbenen Teil der Seele mit hinabziehcn. Aber die menschliche Gesellschaft muß doch vor solchen Täterinnen geschützt werden! Ganz zweifellos. Aber warum dann acht Jahre? Damil eine Sechsundzwanzigjährige die Tat der Achtzehnjährigen wiederholen kann? Es gibt zrv-i Möglichkeiten: Entweder die sexuelle Psyche der Käte Hagedorn reist zur Normalität, dann ist jede Einschließung über diesen Zeitpunkt hinaus sinnlos. Oder aber, die krankhafle Veranlagung bleibt unverändert, dann ist jede Ent- lasiung in die Freiheit, ob nach 3. nach IS oder nach 30 Jahren sinnlos. Aber die Sinnlosigkeit ist nicht Schuld der Richter. Die Sinn» losigkeit unseres gesamten Strafsystcms tritt wieder einmal in einem besonderen Falle kraß zutage. E. K r.

HeberDie französische Philosophie der Gegenwart" sprach als Gast der Ka n t- G e s e l l s ch a f t vor den Mitgliedern und zahl- reichen Gästen im Audüorium Maximum der Berliner Uni- versiiät Prof. Jean B a r u z i. Er betonte, daß in ollen philosophischen Richtungen, die gegenwärtig in Frankreich sich geltend machen, der grundlegende Einfluß Henri Bergsons zu spüren sei.(Bergson , dessen philosophische Abhandlungen etwa um die Wende des 19. Jahrhunderts erschienen, vertritt die Ansicht, daß der Intellekt nur den toten Mechanismus der Dinge erfassen könnte, daß'

Seamtenproletariat in /lchterreihen. Don Hermann Schützinger. Irgendwo habe ich diese vorwärtsstürmenden Bataillone der Eisenbahner, Pastler und Gendarmen doch schon gesehen. Richtig. In Wien am Kärntner Ring und bei einer Maifeier in der Gegend von Linz , droben in den oberösterreichischen Bergen, am.Haus- bomerfeld" Da rissen wir Reichsdeutschen die Augen nur so auf: Freigewcrkschaftlich organisierte Beamte in Uniform und Arbeits- kleid unter der roten Fahne im Marschtritt des Proletariats. Diese Vision, die uns im Zeichen der Hindenburg-Republik und der Welle der Reaktion daheim im Reich so unwahrscheinlich und phantastisch vorkam, daß wir uns minutenlang die Augen rieben, haben mir nun im Brennpunkt der Reichshauptstadt, am Gendarmen- markt in Berlin , tatsächlich erlebt. Zwischen der Leipziger Straße und den Linden, zwischen Reichs- tag, Landtag, den Bank- und Börsenpalästen streckt sich der Eendarmenmarkt, um das einstige Königliche Schauspielhaus, um de»Deutschen " und denFranzösischen Dom " herum. In der Mitte erhebt sich wie ein Block dos Schauspielhaus auf einem mächtigen Sockel, zu dem eine breite Freitreppe führt. An seinem Giebel die prunkvoll geschwollenen Worte: hüülen'cvs Guillelrnus III. Theatrum et Odeurn restituit MDCCCXXI." Zwei Tigerkatzen hat der Hofbaumeister auf wuchtigen Quadern beiderseits der Treppe hinausgeschoben. Dickbackige Engeltinder sitzen aus den Rücken der Raubtiere, blasen die Flöte und schlagen die Leier. Unten aber steht in malerischem Gewände Friedrich Schiller , der meist in tiefen Schulden steckende Freiheitsdichter. Vier Jung- frauen sitzen um ihn herum und beugen sich geschäftig über steinerne Bücher und Rollen. Rechts und links aber streckt derDeutsche " und derFranzösische Dom " die hochstrebende Kuppel mit der goldenen Turmfigur in den abendlichen Himmel. Wie Steinblöcke stoßen die verwitterten, schwarzen Statuen über den Kirchentüren zum Kuppelrand empor. In diese Idylle von den steinernen Katzen, blasenden Engeln, schreibenden Jungfern und den erstarrten Kurfürsten und Dombau- meistern, zwischen die ein grüner Rasenteppich mit stahlblauen Schwertlilien gelagert ist, schlägt nun die Beamtenkundgebung voller Zorn hinein. Immer höher braust die Mass« der demonstrierenden Gehalts- empfänger die Treppen der Prunkbauten hinauf. Rote Fahnen, dazwischen schwarzrotgoldene Wimpel, stoßen aus der Menge, er- klettern die Stufen, wehen um die Ohren der steinernen Menschen und Tiere. Unter dem Giebel des Schauspielhauses ein breites, von zwei stämmigen Männern gehaltenes Plakat: Wir fordern Gehaltserhöhung." Ringsum Tafeln der Organisationen: Kommunalbeamte, Postbeamte, Behördenangestellte, Eisenbahner, Justizbeamte, Beamtete Wert» meister, Polizisten, Genlßirmen!

Von allen Seiten rücken die Züge an. Schweigend oder mit Marschmiisit. Sobald eine neue Kapelle in die Massen stößt, rinnt eine frohe Erregung über die Wucht der Kundgebung durch die Menschen. Man merkt es ihnen an, daß sie Beamte sind. Ihnen ist die Straßendemonstration noch nicht altgewohnt wie dem indu- stricllen Proletariat. Sie explodieren beim Reden der Sprecher von Satz zu Satz. Es treibt sie nicht so sehr die politische und ötono- mische Erkenntnis, wie die bittere Rot! Tausende vonUnorgani- sierten" und von Angehörigenneutraler" Bcamtenbiinde stehen mit den geschulten Freigewerkschastlern Schulter an Schulter. Alle hat sie die zum Himmel schreiendeVeomtennot" gepackt! Sie ziitern unter den Peitschenhieben der Redner gegen dieBesitz- blockregierung" und brechen immer wieder von neuem in tosenden Beifallssturm aus. Unsere Geduld ist zu Ende! Jehl aber Schluß mit dem Beamtenelend!", der Gedanke springt wie ein Flugfeuer über die Massen weg. Dazu reden die Plakate ihre beredte Sprache: Drüben wird der Lohnzettel eines Posthilfsschaffners vom 1. Juni durch die Menge getragen. Hier sieht man eine köstliche Gegenüberstellung: Der wohlgenährte Ministerialbureaukrat und der Beamtenprolet. Dort stoßen die.Haltsignale" der Eisenbahner wie geballte Fäuste aus der Menge hervor: Wir demonstrieren gegen Abbau Mehrarbeit für den Achtstundentag und Gehaltserhöhung." Zum Schiuß heben sich auf das Trompetensignal 20 000 Hände hoch zum Protest und zu einem letzten Ultimatum an die Regierung: .Her mit der Besoldungsaufbesierung der Beamtenschaft." Dann explodiert amFranzösischen Dom " die Internationale. Wer hat sie angestimmt? Niemand weiß es. Die Hüte fliegen von den Köpfen und wie ein Choral braust der Massengesang über denGendarmen- markt" hinweg. Kein Mensch fragt noch Parteibuch und Glaubens- bekenntnis, kein Mensch ereifert sich um Programme und Doktrinen. Man nimmt den Hut ab und sagt sich: Uns kann nur eines helfen: Die Kampfgenosfenschaft des Proletariats. Und dann löst sich die Masse vom Gendormenmarkt und marschiert frohgestimmt nach Hause inAchterreihen", nein, über die ganze Straßanbreite hinweg, bunt durcheinander: Ein Stück Be- amtenschaft, ein Stück Angestelltenschaft, ein Stück Arbeiterschaft.

Sinnlose Strafe. Kein Wort gegen die Richter der Käte Hagedorn. Die Aufgabe, die ihnen zufiel, war nach dem heutigen Strafgesetz und Strafvollzug für sie unlösbar. Sie haben nach gültigen Paragraphen erkannt. Sie können sich berufen auf eine ausgeregte Volksstimmung, die blindlings nach Rache schri«, auf die eigene Mutter der Täterin, die ihre Tochter in der Raserei der Entdeckung mit dem Beile tzu erschlagen drohte. Aber wir, die nicht nur urteilen, sondern angesichts von so viel Schrecklichem heilen, helfen und bessern möchten, haben das Recht uns zu fragen: Was ist nun gebessert, wem ist damit gedient, daß die 18jährige Täterin auf acht Jahr« in eine Zelle eingeschlossen wird?