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Locarno mit Trompeten. Der erste Tag der austenpolitischen Debatte im Reichstag.

23. Juni. Vor fünf Jahren hielt an diefern Tage Helfferich seine große Hetzrede gegen R a t h e n a u. Am 24. Juni fielen die tödlichen Schüsse.... Ein Außenminister, der unausgesetzte Nieder- lagen von einem Ausmaß erleiden kann, daß eine davon längst genügt hätte, ihn in wirklich parlamentarisch regierten Ländern zu erledigen" das sagte nicht Helfserich von Rathenau , das schreibt diePolitische Wochenschrift", an der alle Leuchten der Deutschnationalen Partei mitarbeiten, am 23. Juni 1927 über Stresemann . Stresemann setzt Rathenaus Werk fort. Nächstens fährt er nach Oslo , um sich in einem Vortrag für den Nobel- Friedenspreis zu bedanken. Gestern aber stand er vor dem Reichstag als der Außen- minister des Bürgerblocks, in dem die Partei Helfferichs die größte Regierungspartei ist. Er stand vor ihm, um d-ie Politik von Genf und von Locarno zu verteidigen i'nd um an'ukündigen, daß die Regierung zwei Vertreter der Entente einladen werde, die vorgenommenen Schleifungen der Ostbefeftigungen zu inspizieren. Die Deutschnationalen aber hörten ihm zu nicht um aus seiner Rede für ihre eigene Sache Waffen zu schmieden. Ihr ganzes Sehnen ging nach ein paar Worten und Sätzen, die ihnen vor ihren Wählern als Entschuldigung dienen konnten für die Tatsache, daß sie heute die Politik Rathenau- Stresemanns parlamentarisch stützen und decken. Sie haben zunächst aus einen eigenen Redner verzichtet, sie möchten sich womöglich diese Peinlichkeit ersparen. Aber sie haben an der gemeinsamen Erklärung, die Herr Kaas verlas,mitgearbeitet". Während dieser Vorlesung saß Herr v. Lindeiner auf seinem Platz und verfolgte mit dem Finger Aeile auf Zeile der ihm vorliegenden Abschrift. Herr v. Stubbendorff sah ihm über die Schulter und kon- trollierte mit. So verlief alles glatt. Man hörte wohl die Räder und Schrauben ein wenig knarren, aber es gab keinen Bruch. Das Gelöbnis zur Fortsetzung der Politik von Locarno und Genf ist abgelegt. Die Inspizierung der geschleiften Befesti- gungen ist angekündigt. Daneben ist der Phrasensand, der den deutschnationalen Wählern in die Augen gestreut werden soll, in der vereinbarten Menge und Qualität geliefert worden. Ob das nun die richtige Art ist, eine außenpolitische Debatte vorzubereiten, mag billig bezweifelt werden. Eigent- lich sollte man bei einer solchen Debatte nur daran denken, was nach außen Nutzen bringen oder Schaden anstiften kann. Diesmal war leitender Gesichtspunkt: unter tunlichster Ver- meidung außenpolitischer Schäden den Wahlängsten der größten Regierungspartei" Rechnung zu tragen. Ist dieses taktische Kunststück geglückt? Die Antwort auf diese Frag? wird zu einem Teil vom Ausland, zum anderen von den deutschnationalen Wählern gegeben werden. Was uns betrifft, so wünschen wir keineswegs, etwas zur Mehrung des Mißverständnisses beizutragen, als ob sich in der deutschen Außenvolitik etwas anderes geändert hätte, als die Haltung der Deutschnationalen und die Begleitmusik. Vordem marschierte man nach Genf und Locarno nach den Tönen der Schalmei, heute tut man dasselbe unter den Klängen der Tr o m p e t e. Gewiß, Stresemanns Antwort an Poincars gibt dem französischen Ministerpräsidenten Gelegenheit zu einer juristisch haarscharfen und rhetorisch glänzenden Replik. Auch kann man gegen dies und jenes, was Stresemann und Kaas aus ihren Manuskripten vorlasen, für die Pariser Presse hervor- ragende Leitartikel schreibem Jedoch das eine wie das andere wird man drüben unterlassen können, wenn man nicht auf die Backen sieht, die ein neues Instrument blasen, sondern auf die Beine, die sich in der alten Richtung weiterbewegen. Es ist ja sowieso alles egal! Daß es in der deutsch - französischen Verständigunospolitik keinen Fortschritt geben wird, lo lange drüben die P o i n c a r<1 und Marin, hüben die H e r g t und K e u d e l l in der Regierung sitzen, steht fest. Dann, muß man sich abfinden. DieTruppenreduzierung", über die man so viel Lärm macht, bedeutet herzlich wenig. Worauf es ankommt, hat Genosse B r e i t s ch e i d aus- gesprochen. Das ist die Räumung der besetzten Gebiete. Deutsch « und französische Sozialisten sind darüber einig, daß sie eine politische Notwendigkeit ist. Aber davon darf Herr Stresemann als Außenminister des Bürgerblocks nicht einmal reden! Desto mehr Leidenschaft des rednerischen Temperaments wendet er an die verbriefte Forderung der Truppenreduzierung. So /-»ntsteht draußen der Eindruck, als hinge alle Sehnsucht deutscher Herzen nur

daran, daß die französische Besatzung aus die berühmte Normalziffer" der einstigen deutschen Garnisonen gebracht wird! Herr Stresemann ist sicher klug genug, um zu bemerken, daß diese Aufbauschung einer Nebenfrage ebenso wie seine breit ausgesponnene Polemik gegen den französischen Minister- Präsidenten außenpolitisch gesehen, nicht gerade geschickt ist. Aber helf er sich! Wenn man Außenminister der Deutsch - nationalen ist, muß man schon! Un>d ist am Ende glücklich, daß man auf diese Weise ärgere Torheiten verhüten kann. Gegenüber diesem kunswoll oerdeckten Durcheinander der Negierungsparteien hatte die Sozialdemokrate einen ausgezeichneten Standpunkt, den Genosse Breitscheid aus- gezeichnet vertrat. Er war der Wortführer jener Politik der Zukunft, der wir die Bahn gebrochen haben, und die erst dann wieder Fortschritte machen wird, wenn die Hindernisse, die in den heutigen innerpolitischen Konstellationen beider Länder bestehen, beseitigt sein werden. Herr S t ö ck e r machte für gestern den Beschluß. Die klaren Erklärungen Breitscheids, daß die deutsche Sozialdemo- kratie jeder Angriffspokitik gegen Rußland den denkbar stärksten Widerstand leisten würde, kann für ihn nichts daran ändern, daß Breitscheid ein Agent Chamberlains ist, und daß derV o r w ä r t s" dieselbe Politik macht, wie die Deutsche Zeitung", nur klüger und raffinierter.Rede doch über China !" kreischt ihm Schalem zu. Vergeblich. Aber neben ihm sitzt Ruth Fischer und macht sich Notizen. Wenn Bcrnstorff, Bredt und R e v e n t l o w ge- sprachen haben werden, kommt sie heute vorläufig als letzte dran. Ob die bisher sehr schweigsamen Regierungsparteien noch das Wort nehmen werden, steht noch nicht fest.

Die Reichstagssitzunq wird um 15 Uhr vom Präsidenten Löbe eröffnet. Haus und Tribünen sind außerordentlich gut besucht. In der Diplomatenlocie siebt man u. a. den russischen Botschafter Kre- st i n s k i, der zum erstenmal einer Sitzunz des Deutschen Reichs­tags beiwohnt. Auf der Ministerbank, sitzt Rcich-außenminister Stresemann, später erscheinen auch der Reichskanzler und einige andere Kabinettsmitglieder. Auf der Tagesordnung steht: Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung über die auswärtige Politik in Verbindung mit

der sozialdemokratischen Interpellation über die Tagung des Völker­bundes, der kommunistischen Interpellation über die antirussische Außenpolitik und die der Regierungsparteien über die Außenpolitik. Reichsaußenminifter vr. Stresemann bestreitet gegenüber der kommunistischen Interpellation, daß die deutsche Regierung eine antirussische Politik treibe und beruft sich dazu auf eine Aeußerung der M o s k a u e rI s w e- st i j a". Der Abbruch der englisch -russischen Beziehungen habe an der Einstellung der deutschen Politik nichts ändern können, sie werde nach wie vor bestimmt von den Verträgen, die Deutschland mit den anderen Ländern abgeschlossen habe. Auf Grund der Genfer Besprechungen kann festgestellt werden, daß kein Versuch gemacht worden ist, die selbständige Linie der Politik der deutschen Regie- rung zu stören. Das Verhältnis zu Rußland wird nur von Deutsch - land und von keinem anderen Lande bestimmt. Eine Intervention in Rußland komm« nicht in Betracht, andererseits muß sich Deutschland gegen jede Einmischung in seine innere Politik wehren. Es sei Pflicht aller Staaten, solche weltrevolutionären Umtriebe zu verhindern.(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Die Sechsmächtekonferenz in Genf hat dem Ziel ge- dient, die Ruhe und das Einvernehmen zwischen den Völkern zu fördern. Unsere Lage verlangt die wirtschaftliche Zu- sammenarbeit mit allen anderen Ländern. Unser wie das gesamteuropäische Interesse verlangt aber auch die E i n g l i e d e- rung Sowjetrußlands in die Weltwirtschaft, in das russische Staatssystem wollen wir uns nicht mengen. Ein zweiter Gesichtspunkt der Genfer Verhandlungen war die Erhaltung des Friedens in Europa . Die Ermordung des russischen Gesandten in Warschau und der albanische Konslikt hatten eine gespannte Lage geschaffen. Der Vertreter Sowjetruß- lands ist daraus hingewiesen worden, nichts zu tuo, was die Lage verschärfen könne. Die Haltung der polnischen Regierung war so, daß sie alles tat, was als Genugtuung angesehen werden konnte. In Genf wurde eine Einigung dahin erzielt, Jugoslawien und Alba­ nien solche Vorschläge zu machen, die eine Lösung des Konflikts er- möglichten. Das scheint inzwischen auch erreicht zu sein. Deutsch- land habe alles getan, um den Frieden in Europa zu erhalten. Der Minister gab dann einen Ueberblick über die Verhandlungen des vöikerbundrals. Er habe die Genugtuung, festzustellen, daß der Volkswirtschaftliche Ausschuß des Völkerbundes bereits einberufen sei, um im Sinne der Beschlüsse der Weltwirtschaftskonferenz zu arbeiten. Auch die

Zwisthenfall im Reichsrat. Ministerialdirektor a. D. Sachs provoziert die preußische Regierung. gegen einmal ein ernstes Wort zu sagen und vor allem nach außen zu zeigen, daß sie unter allen Umständen entschlossen ist, dieses Spiel im gegebenen Falle durch entschiedene Mahnahmen zu durchkreuzen.

In der Donnerstagssitzung des Reichsrats ereignete sich ein Vorfall, der wieder einmal zeigt, daß die preußische Regierung gegenüber den reaktionären Elementen in der Beamtenschaft viel zu lange Nachsicht geübt hat. Am 1. Juli scheidet der bis- herige Ministerialdirektor Dr. Sachs aus dem Reichsrat aus. Sachs ist von der preußischen Regierung zur Disposition gestellt worden, um den vom Reiche aus politischen Gründen gemaßregellen Ministerialdirektor Dr. Brecht einstellen zu können. In der Donnerstagsitzung nahm nun anscheinend auf Grund einer zwischen den beiden sich politisch nahe stehenden Herren getroffenen Vereinbarung Reichsminister von K e u- bell das Wort, um Sachs einige herzliche Abschiedsgrüße des Reichsrats zu widmen. Ministerialdirektor Sachs dankte dafür, und zwar mst der taktlosen Bemerkung, daß wohl noch nie- mals ein Beamter mit 41jähriger Dienstzeit so schroff ent- lassen worden sei wie«s, und der Abschiedsschmerz über seine Ent- lassung ihm durch die Erkenntnis erleichtert werde, wie außerordent- lich groß der Unterschied zwischen der preußischen Regierung der früheren Zeit und derjenigen der Gegenwart wäre. Der preußische Staatssekretär Dr. W e i ß m a n n erhob sich sofort und stellte fest. daß noch niemals in öffentlicher Sitzung des Reichsrats ein preu- hischer Bevollmächtigter es gewagt hätte, seine Regierung der- artig zu kritisieren. Er werde den Borfall sofort der Staats- regierung melden und behalt« sich vor, in der nächsten Plenarsitzung des Reichsrates eine entsprechende Antwort zu geben. Der ganze Borfa? zeigt, daß Sachs von der preußischen Regie- rung viel zu spät in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist. Anbererseits aber geht aus ihm hervor, wie rechtsstehenden und von der preußischen Regierung abgebauten Beamten jenseits der Wil - Helmstraße das Rückgrat durch die deutschnationalen Minister ge- stärkt wird. Die preußisch« Regierung hat ollen Anlaß, auch da-

Neue Niederlage v. keuüells. Dem R e i ch s r a t ist die Regierungsvorlage über die Zoll­änderungen zugegangen. Die Reichsregierung hoffe, dem Reichsrat im Berlauf der nächsten Woche auch den Ent- wurf eines Reichsschulgesetzes vorlegen zu können. Di« preußische Regierung stellte zur Einbürgerungsfrage fol- gcnden Antrag: Die Einbürgerung ist nach dem Reichs- und Staatsange- Hörigkeitsgesetz Sache der einzelnen Länder. Jedes der übrigen Länder kann Bedenken gegen die Einbürgerung erheben, diese jedoch nur auf Tatsachen stützen, welche die Besorgnis rechtfertigen, daß die Einbürgerung das Wohl des Reiches oder des Landes gefährden würde. Werden diese Bedenken nicht im Verhandlungswege ausgeräumt, so entscheidet der Reichs rat, ohne daß es formell der Einwirkung eines Landes bedarf." Rcichsminister v. K e u d e l l erklärte sich gegen die preußische Auffassung und regte eine V e r t a g u n g an. Er fand keine Unter- stützung. Der Antrag wurde in namentlicher Abstimmung mit 42 gegen 21 Stimmen angenommen. Mit Rein stimmten Bayern , Württemberg , Thüringen , Oldenburg . Braunschweig , Bremen , Mecklcnburg-Strelitz. Die Vertreter der preußischen Provinzen enthielten sich der Stimme. Damit hat Reichsinnenminister o. K e u d e l l eine neue Niederlage Im Reichsrat erlitten. Relchsinnenminister v. Keudell behielt sich vor, in der nächsten Sitzung eine Erklärung der Reichsregierung zu der Einbürgerungsfrage abzugeben.