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Abendausgabe

Nr. 295 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 145

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10 Pfennig

24. Juni 1927

Vorwärts=

SW

Berliner Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Das Reich und die Beamten.

Scharfe sozialdemokratische Kritik am Bürgerblock im Haushaltsausschuß.

Der Ausschuß für den Reichshaushalt hatte in seiner Montagssigung die Beratung der von den Sozialdemokraten, Kom­munisten und Demokraten gestellten Anträge zur Erhöhung der Beamtenbesoldung abgebrochen und auf Freitag vertagt. In dieser Freitagsizung sollte der Reichsfinanzminister dem Ausschuß über seine Verhandlungen mit den Landesfinanz­ministern berichten. Herr Dr. Köhler gab seinen Bericht mit der Berlesung des folgenden in der Konferenz der Länder am 22. Juni einstimmig gefaßten Beschluß:

1. Die Finanzminister der Länder erkennen die Not­wendigkeit der Erhöhung der Beamtenbezüge an und halten es für wendigkeit der Erhöhung der Beamtenbezüge an und halten es für unabweisbar, sich in der Ausgestaltung und im Zeitpunkt im wesentlichen dem Vorgehen des Reiches anzuschließen.

2. Die Finanzminister der Länder halten in Uebereinstimmung mit dem Reichsminister der Finanzen eine Erhöhung der Beamten­bezüge vor dem 1. Oktober finanziell nicht für tragbar.

3. Selbst wenn die Erhöhung der Beamtenbezüge erst zum 1. Oftober erfolgt, sehen sich die Länder außerstande, die für die Erhöhung erforderlichen Mittel aus den ihnen zur Ver­fügung stehenden Einnahmen zu decken. Sie erheben daher die Forderung, daß das Reich den Ländern neue Einnahmen zur Deckung der Besoldungserhöhung zur Verfügung stellt.

Das Reich hat keine Mittel!

lution und erklärte,

daß es dem Reich vollkommen unmöglich sei, auf der Grund­lage des Etats für 1927 den Ländern zu ihren Gehalts­erhöhungen neue Mittel zur Verfügung zu stellen.

Der erste Redner aus der Mitte des Ausschusses war Genoffe Dr. Herz.

Er stellte an die Spitze seiner Ausführungen den Saß, daß den platonischen Bekenntnissen über die Notlage der Beamten auf feiten der Regierungen tein entsprechender Wille zur Beseitigung dieser Notlage gegenüberstehe. Die Notlage sei um so schlimmer, als die Erhöhung der Besoldung zwar seit langem vollständig ftillgestanden habe, die Preise der Lebenshaltung dagegen ständig in die Höhe ge­gangen feien. Die dadurch entstandene große Verschuldung rein staatspolitisch ein schwerer Uebelstand. Der Gegensatz zwischen er Beamten sei nicht nur für die Beamten persönlich, sondern auch der Sozialdemokratie und den Regierungsparteien liege darin, daß erstere jest sofort Hilfe wollen, während die Regierung, unter­stützt durch die Regierungsparteien, unter gewissen Vor­ausfegungen eine Hilfe frühestens am 1. Oktober eintreten laffen wolle. Sei die Notlage des Reiches und der Länder wirklich so groß, wie heute dargestellt, wie können die Regierungsparteien dann annehmen, daß es am 1. Oktober leichter möglich sein würde. Man dürfe doch auch nicht übersehen, daß der jehige schlimme Stand der Finanzlage, der gar nicht abgeleugnet werden solle, zwangsläufig durch die Taten und Unterlassungen der Regierung herbeigeführt sei.

Er habe bei der Besprechung des laufenden Etats bereits ausgeführt, daß mit diesem Etat eine Defizitwirtschaft dadurch schon ein­Dr. Köhler erläuterte in seiner Rede die vorgetragene Reso- geleitet werde, daß man vor unbedingt notwendigen und sicher fommenden Ausgaben den Kopf in den Sand gesteckt habe. Auf der einen Seite führte die Wirtschaftspolitik der Reichsregierung andauernd zu einer Erhöhung der Lebenstosten. Die Mieten werden gesteigert,( für die Beamten weit über den Wohnungsgeldzuschuß hinaus) die Post erhöht ihre Säße. Das werde naturnotwendig eine Erhöhung aller Preise nach fich ziehen. Im Reichsrat liege eine Novelle zur Erhöhung der Zollsäge. Die Handelsvertragsverhandlungen tommen nicht vom Fleck. Auf der anderen Seite weigert sich die Regierung, denen die nicht mehr wissen, woher sie zur Bestreitung des notwendigsten Lebensunterhaltes die Mittel nehmen sollen, zu helfen. Die Erhöhung der Zollfäße sei um so unverständlicher, weil diese Zollfätze jetzt schon Monat für Monat über den Voranschlag hinauswachsen.

Es müßten zu diesem Zwecke dann neue Einnahmequellen er­schlossen werden. Als solche schlagen die Länder eventuell 3u fchläge zur Eintommensteuer und Erhöhung der 11mfagsteuer vor. Man dürfe nicht übersehen, daß es sich um eine Mehrbelastung von vielen Hunderten von Millionen handele. Während der Rede des Reichsfinanzministers lief ein Even tualantrag der Demokraten für den Fall der Ablehnung ihrer Anträge ein, die Reichsregierung zu ermächtigen, ab 1. August an die Gehaltsgruppen 1 bis 7 12% Proz, und an die höheren Gehaltsgruppen 10 Proz. des jezigen Gehalts solange zu zahlen, bis die neue Gehaltsänderung in Kraft trete, ferner ein Antrag der Regierungsparieien, die Reichsregierung zu er= mächtigen, den Beamten tunlichst balb, spätestens am 1. Dt. tober und 1. November Abschlagszahlungen auf die Gehaltserhöhung zu bewilligen, falls die gefeßliche Regelung der neuen Besoldungsordnung bis dahin nicht erledigt sein sollte. Nach bem Reichsfinanzminister ergriffen die Bertreter von Bayern  , Preußen, Sachsen  , Baden, Oldenburg  , Hamburg  , Thüringen   und Bremen   das Wort, um durch Darlegung der speziellen Verhältnisse ihrer Länder die Ausführungen des Ministers zu ergänzen und zu fräftigen.

Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Reichsregierung gehe dahin, die Einnahmen zu verknappen, um Forderungen der Bedürftigften ablehnen zu können. Unglaublich erscheine es, daß der Finanzminister, wie er offen zugegeben habe, sich um die Not lage der Gemeinden gar nicht befümmert hat. Das müffe bei allen Gemeindevertretern die Ansicht verstärken, daß wiederum auf ihren Rücken die Kämpfe zwischen dem Reich und den Ländern ausgetragen werden sollen. Den Antrag der Regierungsparteien werde die Sozialdemokratie ablehnen. Der Reichstag   dürfe sich in einer so wichtigen Frage nicht ausschließen, um so weniger, als ja frühere Vorgänge schreckten.

Deutsch  - französische Wirtschaftsverhandlung| mehr fortgeführt werden und man hofft, daß sie in verhältnis. mäßig turzer Zeit zum Abschluß eines neuen modus vivendi führen werden.

Vertragloser Zustand ab 1. Juli?

Paris  , 24. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) In den deutsch­jranzöfifchen Handelsbeziehungen droht eine neue Krise. Am 30. Juni läuft das im Herbst des vergangenen Jahres

Die Mehrheit war für Cachin!

In der Verbannung.

Der Zusammenschluß der italienischen Flüchtlinge im Auslande.

Bon Claudio Treves  , zurzeit Paris  .

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Exilium pati die Verbannung erleiden, das ist ein Wort Virgils, dessen ganze Tiefe und Bitterkeit die italienischen politischen Emigranten gekostet haben. Als die Wellen der Reaktion in Italien   nach dem letzten Attentat von Bologna   die letzten Refte der sozialistischen   Partei hin­weggeschwemmt und die Ausnahmegeseze und-gerichte, sowie die Polizeikommissionen für den 3wangsaufenthalt ihre Tätigkeit begonnen hatten, sahen die bewußtesten und flügften Führer der Oppositionsparteien ein, daß es nur noch einen Weg gab: das Eril. Das Eril war so­weil das freiwillige Eril", das durch einen Baß nicht wohl die Rettung des Körpers wie der Seele. Der Körper: autorisiert ist, nach dem neuen Gesetze drei bis fünf Jahre Gefängnis einträgt und der Versuch dazu wie die voll­endete Tat bestraft wird. Außerdem birgt die freiwillige Verbannung für den Flüchtling noch die Gefahr in sich, daß er ergriffen und erschossen werden kann von jedermann: 3ollbeamten, Carabinieri, faschistischen Milizen, die mit der Ueberwachung der Grenze beauftragt sind.

Aber das Eril war vor allem die Rettung der Seele; es galt den Bedrückungen, Erpressungen und Foltern zu ent gehen, mit denen der Faschismus in jenen Tagen die Ab­schwörungen erzwang oder erfand, wobei er auf die Unmög lichkeit baute, dies öffentlich entlarven zu können. Durch diese Mittel wurden gleicherweise wirkliche und falsche Abschwörun­gen erlangt. So ist man nie hinter die Wahrheit über die Abtrünnigkeit verschiedener Genossen in Ferrara   gefom­men, die sich um den früheren Abgeordneten Cavallari gruppierten.

Es galt, den Weg über das Gebirge zu wählen oder auch von der Küste aus schwierige Seerouten in fremde Häfen zu organisieren, um in das Land der Freiheit zu gelangen. Der Ranton Tessin und Korsika sahen diese zahlreichen, eigenartigen Reisenden ohne Gepäck anlangen, Alpinisten, auf deren Gesicht man die erlittenen harten Leiden ablesen fonnte, Seefahrer, die selbst auf irgendeiner fleinen, elektrisch angetriebenen Rußschale anfamen.

Im allgemeinen sind die Behörden mit den Flüchtlingen immer höflich umgegangen und haben sie, zumal in den Grenzorten, mit dem Allernotwendigsten versehen, nach dessen Empfang sie sich auf die Wege ihrer Vorgänger Paris  . Sie wurden von einer unwiderstehlichen Kraft machten mit dem Endziel Frankreich   oder, besser gesagt, dorthin getrieben, als wüßten sie bestimmt, daß sie in Paris  gleich nach der Ankunft ihre wirtschaftliche und berufliche, politische und gewerkschaftliche Tätigkeit aufnehmen könnten. Sie spürten das Bedürfnis, der öffentlichen Meinung klarzu­machen, was in Italien   vor sich gegangen war. Sie waren die natürlichen Ankläger der Erzesse, Zeugen, die machen, was in Italien   vor sich gegangen war. die Zerstörungen und Blutbäder mit angesehen hatten. Sie dachten an nichts anderes als an die Wiederaufnahme der durch die Flucht furz unterbrochenen edlen Arbeit der Opposi tion gegen das faschistische Regime, unter dem Schutz republikanischer Freiheit.

Aber diese unerfahrene Begeisterung erlitt bald eine

Abkühlung. Man mußte vor allem Mittel für die Attion finden, vielmehr noch, es war zuerst einmal eine persönliche Organisation der Flüchtlinge zu schaffen, ein Problem, das feineswegs im Handumdrehen zu lösen war. Es erforderte lange und zahlreiche Laufereien durch das ungeheure Weich bild von Paris  , um geeignete Räume zu finden. Und bald erkannte man, da man an der Bildung großer Gruppierungen, eine Teilung unvermeidlich war. Diese Teilung geschah unter wirtschaftlichen wie auch unter politischen Gesichtspunkten.

zustandegekommene und Ende Februar um vier Monate verlängerte Eine berichtigte Abstimmung.- Antrag auf Begnadigung wie sie vorher beabsichtigt waren, verzweifeln mußte, daß

Provisorium ab. Die damals geheçte Erwartung, daß es im Laufe des Sommers zum Abschluß eines definitiven deutsch  - französischen Handelsvertrags kommen würde, ist daran gescheitert, daß die frane zösische Kammer es abgelehnt hat, sich den von dem Handelsminister Bokanowski vorgeschlagenen Bolltarif zu eigen zu machen. Auch jetzt besteht keinerlei Aussicht, daß die Kammer den neuen Tarifentwurf noch vor den Ferien diskutieren wird und die seit Jahren ange­fündigte Tarifreform vor dem Jahre 1928 zustande kommen dürfte. Aus diesen Erwägungen heraus hat die deutsche Delegation ge­glaubt, die von Frankreich   gewünschte Verlängerung des Provi­foriums auf furze Frift ablehnen zu müssen, und der französischen  Regierung eine für die Dauer von mindestens einem Jahre gültige Neuregelung auf breiter Basis vorgeschlagen. Die französische   Re­gierung, die sich offenbar ihrem Barlament gegenüber ein Drud mittel fichern wollte, ist aber darauf nicht eingegangen. Sie hat jetzt neue Borschläge auf der Basis der bisherigen Bereinbarun­gen gemacht, aus denen, wie die Entwicklung des deutsch  - französischen Außenhandels im legten Halbjahr zeigt, Frankreich   große Vor­teile zu ziehen vermocht hat, während Deutschlands   Einfuhr nach Frankreich   dauernd zurückgegangen ist. Es ist deshalb auch anzu nehmen, daß die deutsche Regierung in den neuen französischen  Borschlägen nicht die geeignete Verhandlungsbafis erblickt, und bis zum Ablauf des Provisoriums, für das nur noch eine Woche Spiel­saum bleibt, wird mit der Möglichkeit gerechnet werden müssen, daß am 1. Juli ein vertragloser Zustand eintritt, wie er Don Januar 1925 bis zum Herbst des vergangenen Jahres be­

standen hat.

Das hat zur Folge, daß der Güteraustausch zwischen den beiden Ländern den geltenden General, d. h. Marimaltarifen unterworfen sein wird. Dagegen sind von feiner Seite Kampfmaßnahmen çe­plant. Die Berhandlungen über ein neues Abkommen sollen viel

Paris  , 24. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) Der Fall Cachin, über den die französische   Kammer am Donnerstag mit 241 gegen 239 Stimmen abgestimmt und den Schutz der parlamentarischen Immu­nität gegenüber der ihm zuerkannten sechsmonatigen Gefängnisstrafe aufgehoben hat, ist noch nicht abgeschlossen. Nicht nur haben zwei Abgeordnete ihre Abstimmung berichtigt, so daß fozialistische Fraktion hat auch eine Unterschriftslifte in der Kammer also das ablehnende Botum ins Gegenteil umgekehrt ist, sondern die aufgelegt, worin sie den Präsidenten der Republik auffordert, den Abgeordneten Cachin sowie sämtliche Abgeordnete, die wegen Presse­delikten oder Bergehen politischer Art bestraft worden sind, zu be gnadigen. Man darf erwarten, daß diese Unterschriftsliste die große Mehrheit der Rammer finden wird. große Mehrheit der Kammer finden wird.

Cachin in der Haft.

Die politische Haft bedeutet in Frankreich   zwar fein Bergnügen, aber es ist bekannt, daß fie alles eher denn eine Folter ist, denn die politischen Gefangenen genießen im Pariser Santé- Gefängnis weit­gehende Bergünstigungen. Es wäre nur zu wünschen, wenn der polttische Strafvollzug in Deutschland   sich auch nur annähernd den Verhältnissen anpassen würde, die in der politischen Abteilung der Santé geradezu traditionell geworden sind. So erklärt es sich auch, daß die Kommunisten den Standpunt Barthous im Intereffe ihrer Parteipropaganda geradezu begrüßt haben, denn ein hinter Gefängnismauern fizender Abgeordneter hat in Frankreich   immer als ein martyrer seiner bee gegolten, obwohl die eingeweihten Kreise sehr gut wissen, daß sein Martyrium nur ein sehr relativer Begriff ift.

Wieder einmal sorgt die Reaktion durch ihre Beschränktheit für die Wiederbelebung der kommunistischen   Propaganda.

samen Kampf der Emigration gegen das in Italien   bestehende Diese Zersplitterung verhinderte zunächst jeden wirk­Regime. Auch trug die im Februar d. J. bekanntgewordene, wie eine Belehrung klingende Erklärung einiger Führer der lande zu hemmen. Es stellte sich aber bald heraus, daß es sich Gewerkschaften dazu bei, die Aktion der Antifaschisten im Aus­dabei um eine rein persönliche Aktion einiger bis dahin allgemein geachteter Gewerkschaftsführer, wie Rigola und d'Aragona  , handelte. Auf Veranlassung des Sekretärs des Sozialistischen Arbeiterinternationale, des Genoffen Dr. Adler, fand in Amsterdam   eine gemeinsame Tagung mit der Leitung des Internationalen Gewerkschaftsbundes statt, an der Vertreter der italienischen Sozialisten und Gemert­schaften teilnahmen.

Das Ergebnis dieses Treffens war eine einmütige Er­flärung, in der das Manifest der sieben früheren Gewerk­schaftsführer vollkommen desavouiert und die Auslandsvertretungen der Sozialistischen Arbeiterpartei sowie des Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbundes als die einzigen Vertreter der politisch und gewerkschaftlich organisierten italienischen Arbeiterschaft anerkannt wurden.

Diese neue von Amsterdam   ausgegangene Stärkung bewirkte eine neue Aufmunterung für eine gemein­schaftliche demokratische Aktion gegen den Faschismus. Die Hindernisse und Schwierigkeiten hörten damit noch nicht auf.

Die revolutionären Sozialisten( Magimalisten) sprachen ihr Bedauern darüber aus, feine Einladung nach Amsterdam  erhalten zu haben. Wie aber konnten sie eingeladen werden,