Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 29944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 147

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Cindenstraße 3 Ferafprecher: Dönhoff 292- 292 Tel.- Moreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Montag

27. Juni 1927

Berlag und Anzeigezabteilunga Geschäftszett 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin Sm. 68, Cindenstraße 8 Fernfprecher: Dönhoff 292-293

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Der Mord von Arensdorf.

Der Mörder in Haft.

Ein Reichsbannermann tot, zehn verlegt. verletzt.- Der Mörder

Mit flingendem Spiel zogen am Sonnabend die Reichs­bannerleute in die Mauern der Oderstadt Frankfurt ein- mit umflorten Fahnen verließen sie die gastfreundliche Be­völkerung. Einen Kameraden, der wie die vielen andern Tausende den Weg zum Gaufest angetreten hatte, hat man ihnen genommen!

-

So geschah die Tat: Lastkraftwagen auf Lastkraftwagen, besetzt mit Jungmannen der republikanischen Schutzkolonne, rogen mit wehenden Reichsfahnen auf der Chauffee, die nach Frankfurt führt. Die Jungen und Alten fingen frohbewegte Lieder. So auch die Kameraden aus Ertner. Frohgemut haben sie ihren Wohnort verlassen und manche Mutter hat poller Stolz ihrem Sohne nachgewinkt vielleicht auch jene vom Schicksal hart betroffene Mutter des 18jährigen Karl Tieze aus der Beuthstraße 10. Bor zwei Jahren hat sie erst einen Sohn hergeben müffen. Der Tod forderte ihn bei einem Unfall... Bald sollen die Kameraden Frankfurt erreicht haben, nur noch einige zwanzig Kilometer trennen sie. Sie durchfahren friedlich das Dorf Arensdorf. Keine Ahnung, daß der

Sozialdemokratische Interpellation.

bisherige Einstellung der politischen Justiz gegen das Reichsbanner ein gerütteltes Maß moralischer Mit­ich uld an derartigen Borgängen trifft. Eben erst ist der Dottor faltblütig niederschoß, endgültig freigesprochen Stahlhelmmörder Magiera, der in Breslau den Genossen worden. Er hat angeblich in Notwehr gehandelt.

friedensbruch und Mord gegen das Reichsbanner. Wir er­Derartige Urteile wirken wie eine Aufforderung zu Land­warten, daß die Behörden im Kreise Frankfurt a. d. O. ihr Augenmerk auf die Stahlhelmdörfer richten und dort nach dem

Innenminifter Grzesinski sichert strengste Untersuchung zn. Die Abgeordneten Cudwig und Wels vom fozialdemo­fratischen Parteivorstand waren heute vormittag bei dem preußischen Innenminister Grzesinski , um ihm über die un­geheure Erregung Mitteilung zu machen, die nicht nur in den Kreifen des Reichsbanners, sondern in der gesamten Arbeiter- friedensbruch schaft herrscht über die Unsicherheit der öffentlichen wege felbft in der Umgebung Berlins , sobald Republikaner es wagen, die Farben der Republik öffentlich zu zeigen. Die Vor­gänge in Arensdorf, die fich als glatter Mord darstellen, hätten leicht dazu führen können, daß die zu vielen Tausenden in Frankfurt versammelten Reichsbannerleute zur Selbsthilfe ge­griffen hätten. Es sei nur den vereinten Bemühungen der verant­wortlichen Personen des Reichsbanners und auch ihrer Einwirkung gelungen, Weiterungen, die leicht katastrophale Folgen hätten haben

fönnen, zu verhindern.

Der Minifter teilte mit, daß er die strengste Unter­

Rechten sehen.

Der Mörder und die Provokateure. Bon seinem Vater zum Mord aufgefordert. Als Mörder des auf der Fahrt zum Frankfurter Gautag des

Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold erschossenen Reichsbannerfame­

raden karl Ziehe aus Erkner wurde der Gutsbesitzersjohn August Schmelzer festgestellt. Er erschien, als der Ueberfall von Werwolfmitgliedern auf das Reichsbannerauto in dem Dorfe

Auto radelt ein Reichsbannermann. Bleibt ein Stück zurüd. uchung angeordnet habe und dafür Sorge fragen werde, daß Ahrensdorf bereits abgeschlagen war und die Reichsbannerleule

und schon glaubt ein Werwolf- Bauernlümmel unseren Kameraden frozzeln zu können. Der Kamerad überhört das dumme Geschwäß, bis ein zweiter Werwolfmann naht. Und nun nimmt das Unglück seinen Lauf. Beide Bauernlümmel schlagen mit einem Stock unseren Kameraden buchstäblich vom Rade. Hilferufe veranlassen die vorangeeilten Kameraden zur Rückkehr. Der Streit scheint sein Ende gefunden zu haben. Da naht der 28jährige Besizerssohn August Schmelzer, bewaffnet und ausgerüstet mit einem Jagd­gewehr und Rehpatronen, und schießt: 6 Reichsbanners fameraden werden getroffen. Das Reichsbanner ist trotz dieser furchtbaren Provokation der Situation ge= wachsen und verläßt mit dem Wagen das Dorf. Wieder fracht das Gewehr hinterher, feige aus dem Hinterhalt auf die Abfahrenden, und wieder haben die Reichsbannerleute pier Verwundete.

Schupo aus Frankfurt , die Kunde erhalten hatte von dem Ueberfall, trifft auf der Chauffee das Reichsbannerauto, legt den Verwundeten Notverbände an, um dann in Ahrens dorf die faschistischen Helden zu verhaften. In Frankfurt werden die verletzten Kameraden ins Krankenhaus ein­geliefert. Nur noch neun Mann. Dem zehnten, Karl Ließe aus Ertner, fonnte ärztliche Kunst teine Rettung mehr bringen.

Schnell verbreitet sich die Kunde von der Mordtat. Empörung und ohnmächtige Wut erfassen die Kameraden. Die Vergnügun­gen werden abgesagt, in der Oderstadt gehen die Fahnen auf Halbmaft. Sonntag mittags auf der Marktplatz. Stumm, ergriffen, marschieren die Kolonnen im Kleide der Republié auf. Im Vordergrunde, an der Rathausfreitreppe nehmen die Kameraden mit umflorter Kameradschaftsfahne Auf­stellung. Der herbeigeeilte Vater des Gemeuchelten schluchzt wild auf, sein Auge sucht umsonst unter ihnen seinen munteren Jungen

Senatspräsident Großmann will Worte des Ge­denkens sprechen und muß anklagen. Leidenschaftlich! Weit hin schallen feine Worte. Jedoch den Provokateuren von rechts ist nicht einmal eine Trauerfeier heilig: fie stören auch diese Kundgebung! Das maßlos empörte Publikum rechnet mit ihnen ab. Und während das Lied vom guten Kameraden" ertönt und die Fahnen der Republik sich senken, entblößten Tausende und abermals Tausende ihr Haupt.

Im Stadion: Otto Wels spricht. Verdammt diese Mördertat unter orfanartigen Pfuirufen der Menge und findet ehrende Worte für den jungen Mitstreiter. Riebel von den Demokraten und Kellermann vom Zentrum rechnen mit der Bürgerblodpolitit scharf ab. Ein kurzes Schluß­wort Otto Hörsings, und die machtvolle Kundgebung hat ihr Ende erreicht.

Die Opfer des Mordüberfalls.

I of: Karl Ziehe, Schloffer, 18 Jahre alt, Berlin - Erkner , Berwundet: Karl Busch, Schlosserlehrling, 17 Jahre alt, Erfner, Königstr. 55, Schußverletzung am linken Knie und an der linken Hand.

Erich Lüdide, Expedient, 30 Jahre alt, Ertner, Woltersdorfer Landstr. 5, Waldfiedlung, rechter Schulferschuß.

Frih Böttcher, Fichtenau , Schuß im Oberkiefer, Rückenschuß, schwer verleht. Richard Wollant, Ertner, Schuß im Oberarm und Unter­fchenkel. Hans Kuhl, Ertner, Angestellter der Allgemeinen Ortstranten­ faffe Berlin . Kurt Liesad, Schuhmacher, Erfner, Siedlung, Droffelstieg 16, Schuß im linken Oberschenkel.

Frih Cemmchen, Ertner, Schnittwunde rechter Zeigefinger. Pirsch, Ertner, Schuß linker Oberschenkel. Otto amm, Ertner, Schnittwunde linte Hand. Balling, große Schnittwunde am Kopf.

Die fozialdemokratische Fraktion des Landtages wird in der Angelegenheit im Landtage sofort interpellieren.

Strenge Untersuchung ist notwendig!

Die Sachlage ist ganz klar, niemand kann das Reichs­banner einer Provokation beschuldigen. Die übliche Methode der politischen Justiz: der ermordete Reichsbannermann ist schuldig, ist in diesem Fall nicht leicht verwendbar.

Wir fordern strenge gerichtliche Sühne des Mordüberfalls an allen Beteiligten. Umsomehr, als die

weiterfahren wollten und die Autos schon bestiegen hatten, mit einer Flinte und gab vier Schüsse ab. Tietze wurde tödlich getroffen. Die bisherige Untersuchung hat einwandfrei festgestellt, daß der Zusammenstoß durch werwolfleute veranlaßt worden ist. Schmelzer wurde verhaftet und nach Frankfurt an der Oder übergeführt. Auch zwei Werwolfleute aus Ahrensdorf wurden feffgenommen. Schmelzer redet sich darauf hin­aus, von Dorfbewohnern zum Schießen aufgefordert worden zu sein.

Bei den Werwolfjünglingen, die den Reichsbannerfameraden auf dem Rade überfielen, handelt es sich um einen 17 Jahre alten Willi Hoffmann und einen 18 Jahre alten wilhelm 3emte. Sie

Neuer Haftbefehl gegen

Der Kommunist Semard

gegen Daudet .

erhält zehn Tage Frift.

Paris , 27. Juni. ( TU.) Juffizminiffer Barthou hat I und das Brot verdienen müßten. Im letzten Krieg seien dies aber gegen den flüchtigen Daudet und feinen Mitarbeiter Delest Haftbefehl erlaffen. Der Kommunist Semard, der seinen Aufenthalt nach seiner Befreiung aus dem Pariser Gefängnis nicht verheimlichte, hat sich inerhalb 10 Tagen erneut dem Ge­fängnisdirektor zu stellen.

Bon sozialistischer Seite ist eine 3nterpellation im Zusammenhang mit der mysteriösen Befreiung Daudets und Se­3usammenhang mit der mysteriösen Befreiung Daudets und Se­mards in der Kammer eingebracht worden, die voraussichtlich morgen zur Distuffion gelangen wird.

Scharfe Angriffe der Linkspresse.

Die gesamte Pariser Linkspresse greift die Regierung Poincaré und besonders den Innenminister Sarraut und den Justizminister Barthou außerordentlich heftig an. Aber sogar die gemäßigte Breffe gibt zu, daß der Royalistenstreich dem Ansehen der Regie­rung einen schweren Stoß versetzt hat.

Sozialismus und Generalmobilisierung. Stürmischer Meinungskampf auf der franzöfifchen Reichskonferenz.

"

Paris , 27. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Am Sonntag tagte in Paris der Nationalrat der sozialistischen Bartei, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Partei nachträglich das Baul Boncour- Gefeß über die Mobilmachung der Nation von Bartei wegen gut heißen fann. In der Partei hatten sich gegen diesen Gefeßentwurf lebhafte Widersprüche erhoben. Man erflärte, daß namentlich auch durch die Mobilmachung der Gesellschaften eine Behinderung der Gewerkschaften eintreten würde. Weiterhin be­fürchtet man, daß eine vollkommene Militarisierung im Falle des Krieges eintreten würde, da die Mobilmachung aller Franzosen ohne Unterschied des Standes, Alters oder Geschlechts vorge­fehen wird. Die Diskussion fonnte trotz Einlegung einer Nachtfizung nicht zu Ende geführt werden und verlief außerordentlich leidenschaftlich, ja stellenweise sogar tumultuös. Mehr fach fielen in der Diskussion die Worte Ausschluß!" und " Spaltung!".

Léon Blum als Berichterstatter der Parlamentsfraktion recht fertigte deren einstimmige Stellungnahme für das Gesetz. Dann ergriff Baut Boncour das Wort, um in mehrstündiger Rede das Gesetz zu rechtfertigen. Er wies darauf hin, daß die nachträgliche Kritit unverdient und ungerecht sei. Das Gesetz sei in der Haupt­sache dazu da, solche gefährlichen Improvisationen, mie sie 1914 beim plöglichen Ausbruch des Krieges vorgenommen werden mußten, in Zukunft zu vermeiden. Dazu müsse man die forgfame moralische, intellektuelle und wirtschaftliche Vorbereitung der Mobilmachung, wie sie beim letzten Kriege versäumt worden sei, organisieren. Der letzte Krieg habe gezeigt, daß, wenn die Männer draußen im Schüßengraben liegen, die Frauen für sie einspringen

nur die Frauen der arbeitenden Klasse gewesen. Es sei aber nicht mehr als recht und billig, wenn auch die Frauen der besitzenden Klassen ihr Teil trügen. Wenn die Mobilmachung der Vereine, Gesellschaften usw. vorgeschrieben sei, so beziehe sich das weniger auf die Gewertschaften, als auf die Unternehmer­verbände, Syndikate, Aktiengesellschaften. Die Mobilmachung der Intellektuellen bedeute heute nur die volle Ausnügung aller Kräfte der Nation im Dienste der nationalen Berteidigung. Baul Boncour erklärte weiter, daß er der Ansicht sei, durchaus im Sinne Jean Jaurès und der sozialistischen Lehre gehandelt zu haben.

In der Debatte hatte der frühere Generalsekretär des franzöſi­fchen Gewerkschaftsbundes, Dumoulins, die Frage gestellt: Würden Sie es wagen, es gut zu finden, daß Deutschland einen derartigen Entwurf für seine nationale Berteidigung annimmt? Wenn Sie das gut finden würden, dann würden Sie damit alle Be­

mühungen verurteilen, die Sie um den Frieden unternommen haben. Nach der Rede Paul Boncours stellte Brace fest, daß Paul Boncour auf die Frage Dumoulins, ob Deutschland , ohne den Protest der Sozialisten der ganzen Welt einschließglich der deutschen hervor. zurufen, ein ähnliches Gesez hätte annehmen können, nicht ge. antwortet habe.

3yomski erklärte, die Vorlage Paul Boncours entspreche in feiner Weise der sozialistischen Auffassung vom Kriege. Einen der. artigen Plan dürfe man übrigens nicht aufbauen, indem man sich auf die gebrechlichen Garantien der Bestimmungen des Bölferbundes stüße. Der Böllerbund habe die Tendenz, immer mehr ein Synditat der Regierungen zu werden.

Die Einheitsentschließung.

Paris , 27. Juni. ( WTB.) Die vom Nationalrat der Sozia listischen Partei angenommene Kompromißiagesordnung weist zuerst darauf hin, daß die Abänderung, die der Heeresausschuß des Senats an dem von der Kammer angenommenen Gesetz über die bewaffnete Nation vorgenommen hat, die sozialistischen Abgeordneten und Senatoren vor eine neue Lage stellen. Ihre Aufgabe sei es jetzt, dafür zu sorgen, das Gesetz so zu gestalten, daß die von der Sozialistischen Partei während des letzten Krieges veitretene Auf­faffung, so wie sie auch in dem von der Kammer einstimmig an­genommenen Entwurf zum Ausdruck gekommen sei, wieder her= gestellt und vor allen Dingen folgende Sicherheiten getroffen würden: absolute Gleichheit sämtlicher Franzosen vor dem Gesez, Unterdrückung der Kriegsgewinne, 3entralisierung der Boltsernährung, Funktionieren des Parlaments, Sicherung der Meinungsfreiheit, vor allen Dingen aber Sicherung aller Organisationen der Arbeiter. Sollte dieses Ziel nicht zu erreichen sein, dann hätten die Erwählten der Sozialistischen Partei die Berpflichtung, gegen das Gesetz zu stimmen